Freitag, 8. April 2011

wenn der Vater mit dem Sohne

Predigt am Sonntag Judika, 10. April 2011 über 1.Mose 22,1-13:

Nach diesen Begebenheiten stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er sprach: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen Einzigen, den du lieb hast, Isaak, und geh in das Land Morija und bring ihn dort als Brandopfer dar auf einem der Berge, den ich dir nennen werde. Am andern Morgen früh sattelte Abraham seinen Esel und nahm mit sich seine beiden Knechte und seinen Sohn Isaak. Er spaltete Holz für das Brandopfer, machte sich auf und ging an die Stätte, die Gott ihm genannt hatte. Am dritten Tag blickte Abraham auf und sah die Stätte von ferne. Da sprach Abraham zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel, ich aber und der Knabe, wir wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir zu euch zurückkommen. Dann nahm Abraham das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Vater! Er sprach: Hier bin ich, mein Sohn. Er sprach: Sieh, hier ist das Feuer und das Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer? Abraham sprach: Gott selbst wird sich das Lamm für das Brandopfer ausersehen, mein Sohn. So gingen die beiden miteinander. Und sie kamen an die Stätte, die Gott ihm genannt hatte, und Abraham baute dort den Altar und schichtete das Holz auf. Dann fesselte er seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Und Abraham streckte seine Hand aus und ergriff das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Bote des Herrn vom Himmel her zu und sprach: Abraham, Abraham! Er sprach: Hier bin ich. Er sprach: Strecke deine Hand nicht aus gegen den Knaben und tu ihm nichts, denn nun weiss ich, dass du gottesfürchtig bist, da du mir deinen Sohn, deinen Einzigen, nicht vorenthalten hast. Und Abraham blickte auf und sah hin, sieh, ein Widder hatte sich hinter ihm mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Da ging Abraham hin, nahm den Widder und brachte ihn als Brandopfer dar an Stelle seines Sohns.


Liebe Gemeinde,

Vater und Sohn - ein besonderes Gespann, auf einem gemeinsamen Ausflug zumal.
Der Traum wohl eines jeden Sohnes ist es, einmal mit seinem Vater allein loszuziehen, eine Reise zu machen, ein Abenteuer und diese besondere Gemeinschaft zu erleben, wie sie nur Väter mit ihren Söhnen teilen - und Mütter mit ihren Töchtern. Filme und Geschichten nähren diesen Traum: "Wenn der Vater mit dem Sohne" - ein Film mit Heinz Rühmann.
"Feuerschuh und Windsandale" oder "Als Vaters Bart noch rot war" sind solche Vater-Sohn-Geschichten, die Väter und Söhne zum Träumen bringen.

Auch der heutige Predigttext handelt vom Ausflug eines Vaters mit seinem Sohn.
Aber aus dem Traum von besonderer Zweisamkeit zwischen Vater und Sohn wird ein Alptraum: Der Versuch des Vaters, seinen einzigen Sohn umzubringen.

Wie ist es dazu gekommen?
Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die vertrauensvolle Nähe von Vater und Sohn in das blanke Entsetzen umschlug?

I
Es ist schwer, die Geschichte von der Opferung Isaaks wirklich an sich heranzulassen.
Zu extrem ist, was da vor sich geht.
In heutiger Zeit würde ein Vater, der seinen Sohn umzubringen versucht,
weil er eine Stimme gehört hat, die ihm den Auftrag dazu gab,
in eine geschlossene Anstalt gesperrt und medikamentös behandelt werden,
um seine Familie und die Öffentlichkeit vor ihm zu schützen.
Man hat davon gehört oder gelesen.
Es ist vorgekommen, dass Väter ihre Söhne getötet haben, aus welchen Motiven auch immer.
Aber man bucht das unter "Einzelfall", unter "Horrorgeschichte" ab.
Normal ist das nicht, und mit unserem Alltag hat es nichts zu tun.
Und so gerät auch die Geschichte von der Opferung Isaaks
auf den Speicher der "alten Geschichten",
die man hin und wieder mit einem gewissen Grusel zur Kenntnis nimmt,
die aber uns Heutigen nichts mehr zu sagen haben.

Doch die Bibel ist Gottes Wort, das uns anredet
nicht nur in den Sprüchen und Texten, die uns gefallen,
die wir uns aussuchen und für passend und zeitgemäß halten.
Möglicherweise gehen wir Geschichten wie der heutigen aus dem Wege,
weil wir instinktiv fühlen, dass sie Schrecken bereithält,
denen wir uns nicht aussetzen, und Fragen stellt, denen wir uns nicht stellen wollen.
Ich möchte Sie heute bitten, sich diesen Schrecken und diesen Fragen: dieser Geschichte zu stellen, weil ich glaube, nein: weil ich davon überzeugt bin, dass wir den Schrecken begegnen müssen,
um nicht von ihnen überwunden zu werden, wenn sie uns unverhofft treffen.
"Erschrick nicht vor ihnen, damit ich dich nicht vor ihnen erschrecke", mahnt Gott Jeremia (Jeremia 1,17).
Mit dieser väterlichen Mahnung Gottes sind wir wieder bei unserer Geschichte.

II
Ein Vater und ein Sohn.
Nicht irgendein Vater, und nicht irgendein Sohn.
Abraham, der Vater des Glaubens.
Verehrt von Juden, Muslimen und Christen gleichermaßen,
und von allen dreien als Glaubensvater angesehen.
Und Isaak, Sohn der Verheißung:
"Siehst du die Sterne am Himmel?" fragt Gott Abraham.
"So zahlreich sollen deine Nachkommen sein" (1.Mose 15,5).
Danach wird Sara und Abraham ein Sohn geschenkt,
als sie längst jede Hoffnung auf ein Kind aufgegeben hatten;
als es lächerlich erschien, dass sie noch ein Kind würden haben können.
Daher heißt er auch Isaak, auf hebräisch Jizchak, Gelächter.
Diese Hoffnung soll, kaum hat sie Gestalt gewonnen,
auf dem Berg Morija schon wieder zunichte werden.
Ein anderer Jizchak kommt einem da in den Sinn,
Jizchak Rabin, der israelische Ministerpräsident,
der die Hoffnung auf einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern verkörperte
und der ermodet wurde, bevor die Hoffnung richtig Gestalt annehmen konnte.

In dieser Geschichte, die wie einer der Träume von Vätern und Söhnen anfängt,
geht es um die Zerstörung von Träumen.
Um den Alptraum, der wir Menschen auch sein können, einer für den anderen.
Es geht um Väter und Mütter, die sich durch Alkohol oder Drogen
bis zur Unkenntlichkeit verändern.
Die Kochlöffel oder Kleiderbügel auf dem Rücken ihrer Kinder zerdreschen.
Die Kleinkinder schütteln, bis sie sterben, ihnen nichts mehr zu essen geben.
Oder sie erniedrigen, sie mit Schweigen oder Nichtachtung strafen,
mit kleinen Sticheleien und perfiden Bemerkungen quälen.

Und es geht nicht nur um die grausigen Extreme:
Es geht um den Alptraum, den auch wir in uns tragen, jede und jeder von uns.
Um die Hand, die uns ausrutscht,
um die Hassgefühle, die wir manchmal empfinden,
um unsere Fähigkeit und latente Bereitschaft, einem anderen Gewalt anzutun,
körperliche oder seelische, selbst unserem eigenen Kind.
Wir alle tragen sie in uns, die Gewalt. Manchmal bricht sie aus uns heraus.

III
Die Ausbrüche der Gewalt, des Hasses oder der Wut kommen plötzlich über einen Menschen.
Ehe man sich's versieht, ist das schlimme Wort aus dem Mund, ist die Hand ausgerutscht.
Man hat das nicht gewollt.
Hinterher tut es einem leid, möchte man es am liebsten ungeschehen machen.

Aber bei unserer Geschichte ist nicht die Rede von einer Handlung im Affekt.
Gott stellt Abraham auf die Probe, heißt es am Anfang der Geschichte.
Er befiehlt ihm, seinen Sohn zu töten.
Wenn wir davon ausgehen, dass Abraham nicht psychisch krank war,
kommen wir nicht darum herum, dass Gott selbst der Vaters des Gedankens war.
Gott, den wir als "Vater" anreden, den wir uns als "lieben Gott" denken,
Gott spielt mit einem Menschen und mit einem Menschenleben.

Das ist eine ganz schreckliche, unerträgliche Vorstellung.
Das kann Gott nicht tun.
Deshalb springen Verteidiger des Glaubens sofort für Gott in die Bresche
und erklären, warum das alles einen höheren und guten Sinn hat.
Sie meinen, Gott gegen Missverständnisse verteidigen zu müssen
- - - der sie doch nicht darum gebeten hat.
In unserer Geschichte aber ist eines ganz klar:
Es ist Gott, der Abraham auf die Probe stellt.

Ist das wirklich ein so undenkbarer Gedanke:
dass eine höhere Macht Menschen dazu zwingt, etwas Unmenschliches zu tun?
Es ist noch gar nicht so lange her,
da haben unsere Großväter oder deren Nachbarn, haben Lehrer und Polizisten,
Soldaten und Postboten und auch Pastoren Menschen zu "Untermenschen" erklärt,
nur weil sie Juden waren.
Wurden Menschen gezwungen, auf Knien mit Zahnbürsten den Gehweg zu schrubben;
man durfte ihnen ungestraft jede Gemeinheit antun, sie demütigen und verächtlich machen.
Man durfte sie sogar ungestraft töten, foltern, quälen
- vom gerade geborenen Kind bis zum uralten Greis.
Man durfte - man "musste" das tun, weil der "Führer" es wollte,
weil eine höhere Macht es geboten hatte,
weil es um etwas "Höheres" und "Größeres" ging, um das "Blut", die "Rasse" ...

Wir alle haben Bilder des Grauens gesehen, das man dem jüdischen Volk angetan hat.
Sie tun weh, diese Bilder, sie sind schrecklich, man will das nicht sehen.
Man will nicht wissen, wozu Menschen fähig waren,
Menschen wie Sie und ich, unbescholtene, brave, friedfertige Bürger und Bürgerinnen.
Man will es nicht wissen, weil es nicht vorbei ist.
Es ist nie vorbei.
Menschen sind immer und jederzeit dazu fähig,
anderen Menschen alles nur erdenkliche Schreckliche anzutun.
Man muss nur die Nachrichten anschalten oder die Zeitung lesen,
um es täglich aufs Neue bestätigt zu bekommen.
Und wer weiß, vielleicht wären auch wir in anderen Verhältnissen, unter anderen Umständen
dazu fähig und bereit ...

IV
"Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn".
Der, der zu seiner Schöpfung und zu den Menschen, die er gemacht hatte, sagte:
„Siehe, es war sehr gut!“,
der liefert seinen einzigen, geliebten Sohn Jesus, seinen Jehoschua, den Menschen aus,
die ihn ans Kreuz nageln.
Auch das ist Gottes Wille, und es ist kein Spiel, das im letzten Moment abgebrochen wird,
sondern blutiger Ernst bis zum bitteren Ende.

Und auch hier springen die Verteidiger des Glaubens wieder Gott bei, um zu erklären,
Cur Deus homo, warum es gut und nötig und richtig war,
dass Gott seinen Sohn ans Kreuz nageln und dort sterben ließ;
um den höheren Sinn, das große Ganze aufzuzeigen;
um womöglich noch aus der schwärzesten Todesstunde auf Golgatha
ein wenig Romantik zu pressen.

Gott aber entzieht sich jeder Erklärung und jeder Vernunft,
so dass Jesus selbst am Kreuz schreit: „Eli, eli, lama asabthani?“
- mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Kein Theaterdonner, sondern die pure Verzweiflung.

Gott hat seinen Sohn am Kreuz sterben lassen,
wie er Abraham dazu brachte, seinen Sohn umzubringen.
Wenn wir uns einen Augenblick davon zurückhalten, einen tieferen Sinn dafür zu suchen,
die Heilsgeschichte zu bemühen und Gott zu entschuldigen,
dann fällt uns vielleicht auf, dass Gott das Schreckliche tut - - - damit wir es nicht tun müssen.

Gott tut tatsächlich das Unfassbare und Undenkbare:
Gott sieht zu, wie sein eigener Sohn qualvoll stirbt,
damit wir uns nicht auf die Seite Gottes, sondern auf die Seite - - - seines Sohnes schlagen,
uns von seinem Leid ergriefen lassen
und für ihn Partei nehmen gegen seinen grausamen Vater,
der ihn am Kreuz verlassen hat.
Und so Mitgefühl lernen nicht mit Gott, sondern mit dem Menschen Jesus
- und in ihm mit jedem Menschen.
Erfüllt von diesem Mitgefühl, wird uns kein menschliches Leid mehr kalt lassen.
Erfüllt von diesem Mitgefühl, werden wir nie mehr an höhere Werte und Zwecke glauben.
Das wird uns tatsächlich schützen vor dem Hass, der Wut und der Gewalt:
Wir werden um der Leiden Jesu willen nie wieder einem Menschen Leid zufügen wollen.

Dann werden wir auch verstehen, was Auferstehung bedeutet,
und dass in Christus die Liebe auferstanden ist.
Die Liebe, die Gott ist, der liebende Gott, zu dem wir "Vater" sagen.

Amen.