Freitag, 22. April 2011

fair play

Predigt am Karfreitag, 22. April 2011 über Lukas 23,33-49:

Als sie an den Ort kamen, der Schädelstätte genannt wird, kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen zur Rechten, den anderen zur Linken. Und Jesus sprach: Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun. Sie aber teilten seine Kleider unter sich und warfen das Los darüber.
Und das Volk stand dabei und sah zu. Und auch die vornehmen Leute spotteten: Andere hat er gerettet, er rette jetzt sich selbst, wenn er doch der Gesalbte Gottes ist, der Auserwählte. Und auch die Soldaten machten sich lustig über ihn; sie traten vor ihn hin, reichten ihm Essig und sagten: Wenn du der König der Juden bist, dann rette dich selbst! Es war auch eine Inschrift über ihm angebracht: Dies ist der König der Juden. Einer aber von den Verbrechern, die am Kreuz hingen, verhöhnte ihn und sagte: Bist du nicht der Gesalbte? Rette dich und uns! Da fuhr ihn der andere an und hielt ihm entgegen: Fürchtest du Gott nicht einmal jetzt, da du vom gleichen Urteil betroffen bist? Wir allerdings sind es zu Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sagte: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Und er sagte zu ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.

Und es war schon um die sechste Stunde, und eine Finsternis kam über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verfinsterte sich; und der Vorhang im Tempel riss mitten entzwei. Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Mit diesen Worten verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sagte: Dieser Mensch war tatsächlich ein Gerechter! Und alle, die sich zu diesem Schauspiel zusammengefunden und gesehen hatten, was da geschah, schlugen sich an die Brust und gingen nach Hause.
Alle aber, die ihn kannten, standen in einiger Entfernung, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa gefolgt waren, und sahen alles.


Liebe Gemeinde,

„hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!”
Eine Redewendung, die zu den Ratschlägen gehört,
die man Kindern mit auf den Weg gibt.
Sie haben sie vielleicht auch schon mal gehört,
diese Redewendung, oder selbst weitergegeben.

„Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!”
Diese Aufforderung, nicht auf ein Wunder,
nicht auf göttlichen Beistand zu warten,
sondern die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, ist uralt.
Schon die alten Griechen kannten und beherzigten sie.

Bei genauerer Betrachtung ist es ein sehr pragmatischer Ratschlag:
Wer auch sonst sollte einem helfen?
Die Erfahrung lehrt: Mit Wundern,
mit Gottes rettendem Eingriff gar kann man nicht rechnen.
Und auch auf die Mitmenschen ist selten Verlass,
oft nicht einmal auf die eigene Familie.
Am besten fährt, wer sich auf sich selbst verlässt
und seine Angelegenheiten selbst in die Hand nimmt.
Der ist erfolgreich, dem gelingt, was er sich vornimmt,
so dass Außenstehende zu dem Schluss kommen:
Wer sich selbst hilft, der erfährt auch Gottes Beistand
- „hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!”

„Hilf dir selbst” oder „rette dich selbst”
- mit dieser Aufforderung lästern die Vornehmen, die Soldaten
und sogar einer der mit ihm Gekreuzigten Jesus.
Sie lästern ihn, weil sie nicht glauben, ja, weil sie davon überzeugt sind,
dass er keine andere Macht und Fähigkeit hat als jeder andere Mensch auch.
So hängt er am Kreuz, machtlos,
jeder Möglichkeit des Schutzes und der Gegenwehr beraubt.
An Händen und Füßen angenagelt
- diese Art zu sterben ist nicht nur wegen der bestialischen Schmerzen grausam,
sondern auch, weil sie den Menschen völlig preis gibt.
An Händen und Füßen fixiert, kann sich ein Mensch nicht mehr wehren
und sich nicht einmal mehr schützen.

Wenn etwas auf uns zugeflogen kommt
- eine Hand, ein Stein, oder auch nur ein Zweig -
reißen wir reflexartig den Arm zur Abwehr nach oben.
Jesus kann nicht einmal eine Fliege vertreiben
und auch sein Gesicht nicht mehr mit den Händen bedecken.
Er ist völlig preisgegeben dem Schmerz, dem Spott
und den schamlosen, neugierigen Blicken.

„Bist du der Christus, dann rette dich und uns”,
so lästert ihn einer der Schächer am Kreuz.
Sein Lästern ist wohlfeil, wie das der Soldaten und der Vornehmen der Stadt,
weil er ganz genau weiß, dass Jesus sich nicht wehren kann.
Und deshalb ist völlig klar, dass er nicht der Christus
und auch nicht der König der Juden ist.
Denn der Christus, ein König, wäre niemals in diese schmähliche Lage gekommen.
Und selbst wenn - aus welchem unerfindlichen Grund auch immer
- er sich ans Kreuz hätte schlagen lassen:
Es wäre ihm ein Leichtes, sich zu retten.

Denn was Könige und Obere auszeichnet, ist:
sie denken zuerst an sich - und sorgen zuerst für sich.
Sonst wären sie ja nicht da, wo sie jetzt stehen.
Ohne Ellenbogen, ohne Rücksichtslosigkeit,
ohne ein hohes Maß an Egoismus wären sie nicht dort oben angekommen.
Ein König findet immer einen Ausweg.
Und wenn alle anderen zugrunde gehen - er bleibt obenauf.
Das war schon immer so, und das wird auch so bleiben.

Jesus ist auch oben angekommen.
Aber sein Oben ist ein ganz Unten.
Dem Gespött, dem Schmerz, dem qualvollen Tod preisgegeben
hängt er am Kreuz.
Er ist ganz offenbar gescheitert,
dieser Weltverbesserer, dieser Träumer, dieser Idealist:
„Andere hat er gerettet, er rette jetzt sich selbst,
wenn er doch der Gesalbte Gottes ist”
,
lästern die Führungskräfte, die Entscheidungsträger, die Macher.
Und fühlen sich damit zugleich in ihrer Überzeugung bestätigt,
die sie dahin gebracht hat,
wo sie jetzt stehen:
Wer an andere denkt und nicht an sich, der verliert.
Und das war auch immer schon so.

Es war immer schon so, dass jemand,
der mit offenen Karten spielt, verliert,
weil seine Mitspieler es nicht tun.
Sie halten ihr Blatt schön bedeckt
und stechen ihn bei nächster Gelegenheit gnadenlos aus.

Es war immer schon so, dass jemand für’s Fair Play gelobt wird,
aber insgeheim belächelt: Er wird nichts gewinnen,
weil alle anderen ihre Verbindungen und Netzwerke,
ihr Vitamin B, ihre Kenntnisse der Schlupflöcher und Sonderwege ausnutzen,
um ihr Ziel, ihren Vorteil zu erreichen.

Es war immer schon so, dass Fähigkeiten und Gaben,
Wissen und Erfahrung, die jemand anderen zur Verfügung stellt,
gern angenommen werden
- um mit dieser Hilfe an ihm vorbeizuziehen
und sich seinen eigenen Vorteil zu sichern.

Es war immer schon so - und ist so selbstverständlich,
dass wir von Politikern und Führungspersönlichkeiten
gar nichts anderes mehr erwarten
- ja, geradezu erstaunt sind, wenn jemand anders handelt,
auf andere, faire Weise an sein Amt, an die Macht gekommen ist.

Jesus hat Anderes verkörpert und gelebt:
Wahrhaftigkeit. Gerechtigkeit. Fairness. Hilfsbereitschaft.

Er wollte, dass die Menschen an das Glück glauben,
das darin liegt, sich zu verschenken
- nicht an den Besitz.
Dass sie an die Größe glauben,
die darin liegt, bei der Wahrheit zu bleiben
- nicht an Macht und Ruhm.
Er wollte, dass sie an die Macht glauben,
die im Verzicht auf Gewalt und Gegenwehr,
im Verzicht auf die Anwendung von Vorteil und Stärke liegt
- und nicht die Interessen mit allen Mitteln und um jeden Preis durchsetzen.
Jesus wollte, dass die Menschen an die Liebe glauben.
Und die Menschen?

Sie haben sich gern von ihm helfen und heilen lassen.
Haben ihm zugejubelt, als er in Jerusalem einzog.
Aber als sie merkten, wie einfach es war,
ihn zu überwinden, ihn zu quälen und zu töten, da taten sie auch das.
Er wehrte sich nicht einmal.

Und mit Christus am Kreuz starb auch
der Glaube an das Gute im Menschen,
starb die Hoffnung dass der Mensch mehr und größeres wollen könnte
als den eigenen Vorteil,
starb die Liebe, die Menschen dazu bewegt,
über den eigenen Schatten zu springen,
einen Schritt auf den Mitmenschen zuzugehen,
von sich selbst abzusehen.

Aber Jesus blieb sich treu bis zuletzt.
Er bat für die, die ihm die tödlichen Qualen bereiteten, um Vergebung.
Und er versprach dem Schächer, der ihn darum bat, an ihn zu denken
- und der der einzige war, der an ihn glaubte -:
„Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.”

Und am Ende ist es ein nichtgläubiger Hauptmann, ein römischer Zenturio,
der erkennt und versteht, um was es Jesus ging,
und wofür er mit seinem Leben einstand:
„Dieser Mensch war tatsächlich ein Gerechter!”

Ein Gerechter sein, ein guter Mensch:
Das war es, was Jesus sein wollte,
neben der Tatsache, dass er Gottes Sohn war
- aber das konnte der Zenturio nicht wissen und nicht erkennen.
Dass Jesus Gottes Sohn ist, erkennt man nur im Glauben.

Dass Jesus ein Gerechter, ein guter Mensch war,
das zu erkennen brauchte es keinen Glauben,
das konnte auch ein römischer Zenturio sehen.
Denn das ist es, was in jeder und jedem von uns schlummert.
Jeder Mensch hat das Potenzial dazu, ein gerechter und guter Mensch zu sein.
Dabei geht es nicht in erster Linie um Moral
- ein guter Mensch ist nicht automatisch einer,
der sich immer und überall gut benimmt.

Sondern der ist ein guter Mensch,
der im entscheidenden Moment das Rechte tut.
Der, wenn er sich an den Schätzen der Erde bedient,
darauf achtet, dass der ärmere Mitmensch genauso viel bekommt wie er.
Der seine Überlegenheit, sein Wissen, sein Können nicht ausnutzt,
um andere zu übervorteilen und sich mehr zu verschaffen, als ihm zusteht.
Der fair spielt - und das heißt:
Dem anderen eine faire Chance gibt
und ihm nicht einfach davonrennt, weil er nun einmal schneller rennen kann.

Schon als Kinder haben wir gelernt,
dass zu einem guten Spiel gehört,
dass alle mitspielen,
dass jeder mitspielen darf
und alle sich an die Spielregeln halten.
Wie schnell wir, wenn wir erst einmal Erwachsen geworden sind,
vergessen, was doch jedes Kind weiß!

Die Spiele der Großen, die funktionieren nicht nach diesen Regeln.
Die machen niemandem Spaß - außer den Gewinnern.
Bei denen darf auch nicht jeder mitspielen,
und es haben auch nicht alle die gleichen Chancen.

Jesus war davon überzeugt: Wenn einer sich an die Regeln hält und fair spielt,
wenn einer gerecht ist und gut, dann verändert er die Welt.
Für diese Überzeugung ist er auf brutale und grausame Weise gestorben.
Und hat gerade durch seinen schrecklichen Tod
den Glauben an Gerechtigkeit und Güte tief in unsere Herzen eingepflanzt.
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist” - wir wissen es genau.
Aber weil wir nicht verlieren, weil wir nicht als Dumme da stehen wollen,
darum halten wir uns nicht an die Regeln,
sondern gehen den Weg der Gier, der Ellenbogen, des Eigennutzes,
den jeder geht.

Jesus hat uns mit seinem Tod am Kreuz die Angst vor dem Verlieren genommen.
Auch wenn die Alltagswelt um uns herum,
die Welt der Wirtschaft und der Politik,
nach anderen Regeln funktioniert als die, die er gelehrt hat
und die jedes Kind beherrscht:
Nach seinen Regeln sollen wir leben und handeln.
Seine Regeln fragen nicht zuerst nach dem, was gut für uns,
sondern nach dem, was gut für alle ist
und was das Gute und die Gerechtigkeit fördert.
Was das ist und wie das geht, weiß jedes Kind.
Darauf zu vertrauen und uns daran zu halten, müssen wir erst mühsam lernen.

Wenn wir es wagen und versuchen, ist Jesus nicht umsonst gestorben.
Amen.