Samstag, 23. April 2011

Wer sind die Wichtigsten in der Kirche?

Predigt am Ostersonntag, 24. April 2011 über Matthäus 28,1-10:

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.


Liebe Gemeinde,

wer, würden Sie sagen, sind - abgesehen von Gott Vater, Jesus und dem Heiligen Geist - die Wichtigsten in der Kirche?

Katholiken haben es da einfach: Der nächste nach Gott ist der Papst. Dann kommen die Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe. Irgendwo in dieser Hierarchie reihen sich noch andere Posten ein: Generalvikare, Äbte und wie die Ämter sonst noch benannt sein mögen.
Die Evangelische Kirche hat da nicht so viel zu bieten: Jede Landeskirche hat ihren Landesbischof, dann gibt es im Hannöverschen noch die Landessuperintendenten, dann kommen die Pröpste, die in Hannover "Superintendent" heißen. Das war's.

Diese wichtigen Posten in der katholischen Kirche haben Männer inne. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Frauen sind zum Priesteramt nicht zugelassen, und das Priestertum ist die Voraussetzung für's Amt.
Aber auch in der Evangelischen Kirche sind die meisten Amtsträger Männer. Auch wenn die Hannoversche Landeskirche mit Margot Käßmann eine Bischöfin hatte und die Mitteldeutsche Kirche jetzt auch von einer Bischöfin geleitet wird; auch wenn vier der dreizehn Braunschweiger Propsteien von Pröpstinnen geleitet werden - Männer sind auf den Leitungsposten auch der Evangelischen Kirche in der Überzahl.

Wer sind die Wichtigsten in der Kirche?
Sind es die Amtsträger, die mit den großen silbernen Kreuzen auf der Brust?
Oder sind es die, die vor Ort ihren Mann - pardon, in aller Regel: ihre Frau stehen? Sind es die zahllosen, namenlosen kirchlichen Mitarbeiterinnen, die ohne Bezahlung - und oft auch ohne Anerkennung und Dank - dafür sorgen, dass der Laden läuft?
Kirche ist ja nicht da, wo Herren in Talaren amtieren.

Kirche ist da, wo eine Gemeinde sich versammelt und gemeinsam Gottesdienst feiert. Und damit eine Gemeinde sich versammeln kann, muss eine Kirche gereinigt, hergerichtet, geschmückt werden. Frauenarbeit. Die wenigsten Gemeinden haben wie wir einen hauptamtlichen Kirchenvogt, der sich verlässlich darum kümmert. In den meisten Gemeinden, auch in unserem Gemeindeteil Gliesmarode, gibt es keine ganzen Stellen für Küster mehr, sondern nur noch ein paar Stunden. Stunden, die von Frauen übernommen werden, die verlässlich - oft über Jahre und Jahrzehnte - dafür sorgen, dass am Sonntag Gottesdienst gefeiert werden kann.

Was hat das mit Ostern, was hat das mit der Auferstehung zu tun?

Bevor ich auf diese Frage antworte, kurz noch eine andere Frage:
Wer hat bei Ihnen die Ostervorbereitungen übernommen?
Wer hat das Haus für die Ostertage geputzt,
wer hat für das leckere Essen heute Mittag eingekauft und es vorbereitet?
Wer hat für Osterschmuck gesorgt, für kleine Überraschungen, für Osterzopf und Osterbrot?
Auch in unseren Familien ist es noch oft so, dass all diese Dinge von Frauen übernommen werden. Frauen halten auch zuhause den Laden am laufen.

So, und jetzt komme ich zur Antwort auf die Frage, was all das mit Auferstehung und Ostern zu tun hat.

Sie haben zwei biblische Texte über das selbe Geschehen, die Auferstehung Jesu, gehört. In der Epistel aus dem 1.Korintherbrief (1.Kor 15,1-11) berichtet Paulus von den Gewährsmännern der Auferstehung: Kephas (ein anderer Name für den Jünger Petrus), die zwölf Jünger, dann 500 Brüder auf einmal, dann Jakobus, alle Apostel auf einmal, und schließlich Paulus selbst. Sie alle haben den Auferstandenen gesehen, sie alle sind Zeugen der Auferstehung. Gewährsmänner - Frauen tauchen da nicht auf.

Aber im Evangelium.
Da ist von zwei Marias die Rede, die nach dem Grab Jesu sehen wollen und einen Engel treffen, der ihnen die Botschaft von der Auferstehung übermittelt. Dann treffen sie sogar Jesus selbst.
Sie sind die ersten, die Jesus gesehen haben.
Warum stehen sie nicht in der Liste des Paulus?
Warum erinnern wir uns nicht an sie als erste Zeuginnen der Auferstehung?
Warum ist aus ihnen in der jungen Kirche nichts geworden - Apostelinnen, Theologinnen wie Paulus, Kirchenleiterinnen wie Petrus, auf den sich das Papsttum zurückführt?

Ich weiß es nicht.
Es gibt nirgendwo eine Erklärung dafür.
Aber die katholische Kirche führt das Fehlen der Frauen in Ämtern der noch jungen Kirche bis heute als Argument dafür an, dass Frauen keine Ämter in der Kirche übernehmen dürfen. Jesus hatte keine Jüngerinnen, also dürfen Frauen auch nicht Priester werden.

Und dann hören wir heute von zwei Frauen, die sich als erste zum Grab trauen; die offensichtlich Jesus so gern hatten, dass sie sein Grab nochmal besuchen, und die deshalb als erste die Botschaft von der Auferstehung hören.
Von einem Engel persönlich.
Und was gibt ihnen der Engel für einen Auftrag? "Geht und sagt seinen Jüngern ..."
Sie sollen Botinnen, auf griechisch: Apostel, der Auferstehung sein.
Und dann treffen sie Jesus persönlich - was für ein Wunder, was für eine Freude! Jesus gibt ihnen den selben Auftrag: "Geht und verkündigt es meinen Brüdern ..."
Auch Jesus macht die beiden Frauen zu Apostelinnen, wie Paulus oder Kephas einer war.

Die Frauen sind hingegangen.
Sie haben ihren Auftrag ausgeführt.
Sonst wären wir heute vielleicht nicht hier.
Sonst gäbe es vielleicht keine christliche Kirche, hätten sie die Botschaft der Auferstehung für sich behalten.
Die Jünger wären dann womöglich traurig zuhause gesessen, während Jesus in Galiläa vergeblich auf sie gewartet hätte ...
Nein, diese Vorstellung geht dann doch zu weit.

Warum halte ich mich als Pfarrer überhaupt so bei den Frauen auf? 
Ich bin ein Mann, mich geht's nichts an und kann mir auch egal sein.

Es ist mir aber nicht gleichgültig.
Weil es ungerecht ist.
Und weil diese Ungerechtigkeit bis heute fortdauert.
Jesus aber ist nicht für eine Kirche gestorben, in der die Frauen die Arbeit tun, und die Männer die Leitungsjobs innehaben.

Jesus ist auferstanden. In diesem Wort "auferstehen" steckt im Deutschen wie im griechischen Original das Wort "aufstehen" - im Griechischen ist es sogar dasselbe. Jeder Morgen ist für uns auch eine kleine Auferstehung, nachdem wir uns in der Nacht der Ohnmacht und Bewusstlosigkeit des Schlafes anvertraut haben. Manchmal wird einem bewusst, dass man sich aus der Hand gibt, wenn man einschläft: Dann, wenn man sich fragt, ob man am nächsten Morgen wieder aufwachen wird.

Auch wer ausrutscht und hinfällt, steht wieder auf.
Das Aufstehen nach einem Fall, der Neuanfang nach dem Ende einer Beziehung, die Vergebung nach einem schweren Fehler, der neue Arbeitsplatz, nachdem man arbeitslos war, ein Neubeginn nach einem Scheitern kann auch als Auferstehung empfunden und erlebt werden.
"Auferstanden aus Ruinen", so begann die Becher-Hymne, die ehemalige Nationalhymne der DDR, deren Text man bald nicht mehr singen durfte, weil im Wort "Auferstehung" auch das Wort "Aufstand" mitschwang, das die Oberen gar nicht gern hörten.

Auferstehung ist nicht nur etwas, das uns nach unserem Tod erwartet. Weil Jesus auferstanden ist und weil uns die Auferstehung erwartet, deshalb können wir auch aus den vielen kleinen Toden im Leben auferstehen - aus dem Schlaf, dem Bruder des Todes. Aus dem Tod einer Beziehung, aus dem toten Winkel, in den wir gestellt wurden oder uns selbst gestellt haben, und aus dem uns niemand erlösen will.

Jesus hat das getan, Menschen aus dem toten Winkel geholt:
indem er sich beim Zöllner Zachäus zum Essen einlud, indem er mit Prostituierten, Kollaborateuren, Kranken oder aus der Gemeinde Ausgeschlossenen sprach und aß und so die zu seinen Freunden machte, die die Gesellschaft seiner Zeit ins Abseits verbannt hatte.
Jesus hat diesen Menschen ermöglicht, wieder aufzustehen, ihr Haupt zu erheben und sich nicht mehr schämen zu müssen. Er hat ihnen Mut gemacht, ihren Platz in der Gemeinde einzunehmen und zu behaupten.

Deshalb ist, wenn wir an die Auferstehung glauben, enorm wichtig, wer bei uns in der Kirche die Arbeit macht und wer bei uns Gemeinden und Kirche leitet - und wie das geschieht.
Wenn wir dabei nach dem Willen Jesu fragen, dann müssen wir uns immer wieder bücken - nicht vor Scham oder ehrfürchtiger Scheu. Sondern um zu denen zu gelangen, die unter uns sind. Denn diese Letzten werden die Ersten sein.
Und weil sie es sein werden, haben sie schon jetzt einen Platz in unserer Mitte verdient.

Für eine Kirche, die an die Auferstehung glaubt und aus der Auferstehung lebt, muss es die größte Sorge sein, dass sie niemanden klein macht, niemanden zurücksetzt, sondern allen die gleichen Rechte und Chancen gibt. Davon sind wir in unserer Kirche noch weit entfernt.

Ostern erinnert uns daran, dass die Auferstehung nicht erst nach dem Tod kommt, sondern das wir schon jetzt aufstehen können.
Aufstehen aus ungerechten Verhältnissen.
Aufstehen aus Schuld und Scham.
Aufstehen aus Irrtum und Niederlage
in ein neues Leben.
Amen.