Sonntag, 1. Mai 2011

Ihr seid Engel!

Engel aus Pappmaché, hergestellt von Konfirmanden


Predigt zur Konfirmation am 1. Mai 2011 in der Klosterkirche Riddagshausen über Matthäus 28,18-20


Liebe Konfirmandinnen,
liebe Konfirmanden,
liebe Gemeinde,

Sie haben schon eine Weile die Figuren aus Draht und Pappmachée betrachtet,
die wir hier in der Kirche aufgebaut haben.
Sie sind sehr schön geworden, finde ich,
und man erkennt auf den ersten Blick,
was sie darstellen:
Es sind Engel.
Engel, die Ihr, die Konfirmandinnen und Konfirmanden, geschaffen habt in vielen Stunden,
vor und nach Weihnachten,
mit mal mehr, mal weniger Lust.
Mit mal mehr, mal weniger Mühe und Sorgfalt
sind sie doch irgendwann fertig geworden
und stehen nun hier.

Ich will sie jetzt nicht erklären,
keine Deutung geben über das, was sie darstellen.
Für mich ist im Moment wichtig,
dass Ihr sie gemacht habt
und dass dadurch etwas von Euch hier steht.
Diese Engel stehen für Euch,
sozusagen als Eure Stellvertreter.
Es steckt viel von Euch in diesen Figuren,
mehr, als man auf den ersten Blick erkennt.
Aber natürlich seid Ihr nicht so,
wie diese Engel:
Noch etwas unvollkommen,
an manchen Stellen nicht ganz fertig.
Etwas wild und ungewohnt und "anders".
Ihr seid nicht so - vielmehr seid ihr so wie das,
was diese Figuren darstellen:

Ihr seid selber Engel.

Ein Engel - das ist jedes Kind für seine Eltern.
Jede Mutter, jeder Vater ist stolz auf die Tochter, auf den Sohn.
Heute ist eine Gelegenheit,
wo Eure Eltern,
Eure Großeltern, Eure Paten und Verwandten
Euch das besonders deutlich zeigen können.
Auch wenn es Euch peinlich ist,
heute könnt Ihr Euch nicht dagegen wehren,
dass Ihr im Mittelpunkt steht.
Heute wird deutlich, dass Ihr in den Augen Eurer Eltern
die beste, schönste, begabteste auf der ganzen Welt seid;
der netteste, liebenswerteste, freundlichste,
den man sich nur denken kann.
Heute ist jede und jeder von Euch
ein Engel.

Das muss so sein.
Und es ist gut, wenn es so ist.
Es gibt einem unglaublich viel Kraft,
wenn man fühlt und weiß,
dass die Eltern stolz auf einen sind,
und wie sehr sie es sind.
Solz - nicht so sehr wegen der guten Noten in der Schule,
der sportlichen oder musikalischen Leistungen;
stolz nicht nur, weil man zuhause mithilft
oder sich gut benehmen kann.
Sondern auch und überhaupt und vor allem,
weil man da ist,
weil man einzigartig, besonders ist.
Weil man so ist, wie man ist.

Manchmal wird Eltern das bewusst.
Manchmal wird ihnen bewusst,
dass sie einen - oder mehrere -
Engel unter ihrem Dach beherbergen.

Heute im Laufe des Tages geschieht des Unvermeidliche,
das manche von Euch insgeheim fürchten:
Heute werden die Fotos herausgeholt,
die Euch als Baby zeigen, als Kleinkind,
im Kindergarten oder bei der Einschulung,
auf dem Kindergeburtstag oder im Urlaub.
Wenn die Bilder von Hand zu Hand gehen
oder an die Wand geworfen werden,
dann sagt bestimmt irgendjemand:
"Sieht sie, sieht er da nicht aus wie ein Engel!"
Und es stimmt.

Die Fotos, auf denen Ihr ausseht wie Engel
sind oft Fotos, die Euch schlafend zeigen.
Fast alle Kinder sind Engel, wenn sie schlafen.
Denn es ist für ein Kind ziemlich schwierig,
im wachen Zustand ein Engel zu sein.
Da braucht es nur eine winzige Gelegenheit,
einen einzigen Buchstaben,
damit aus einem "Engel" das Gegenteil, ein "Bengel", wird.
Nicht nur bei den Jungen, den "Bengeln";
bei Mädchen ist das ebenso.

Auch diese Momente gab es und gibt es,
wo der Engel sich in sein Gegenteil verkehrt:
wo es Streit gibt. Wo Ihr Eure Eltern ganz schön nervt.
Ihnen weh tut, ihnen Sorgen macht.
Momente, in denen sie Angst um Euch haben,
oder richtig sauer auf Euch sind.
Die spielen heute keine Rolle, diese Momente.
Aber es gibt sie, und sie kommen wieder.

Ebenso wie die Momente,
in denen Eure Eltern Euch nicht sahen.
In denen sie nicht sehen konnten oder nicht sehen wollten,
dass Ihr Engel seid.
Momente, in denen sie ungeduldig, unzufrieden waren mit Euch und vor allem das sahen,
was manche vielleicht auch in Euren Engelskulpturen sehen:
das Unvollkommene,
das nicht ganz Fertige.
Das Wilde und Ungewohnte und "Andere".


II
In der nächten Zeit werdet Ihr die Entdeckung machen,
wie besonders und einzigartig Ihr seid.
Dass niemand so denkt, niemand so fühlt wie Ihr.
Und weil ihr so einzigartig seid,
weil es niemand vergleichbaren gibt,
kann Euch niemand verstehen.
Kein Erwachsener jedenfalls.
Nicht einmal Eure Eltern
- schon gar nicht Eure Eltern.
Dabei haben die das selbe durchgemacht wie Ihr:
Haben auch ihre Einzigartigkeit entdeckt
und sich ebenso wenig verstanden gefühlt wie Ihr
von ihren Eltern
- schon gar nicht von ihren Eltern.

Aber selbst die Tatsache, dass es so ist,
dass jede Generation dasselbe erlebt und durchmacht wie die vorige und dass unsere Eltern genauso ratlos vor uns standen
wie wir vor Euch,
ändert nichts daran, dass auch Ihr und wir da durch müssen.
Dass es Streit geben wird und Tränen
auf beiden Seiten.

Wichtig ist nur, dass wir Eltern dabei nie verlernen,
den Engel in Euch zu sehen
und Euch spüren zu lassen,
dass Ihr in unseren Augen Engel seid.

Gott jedenfalls sieht Euch so.
Und Gott nimmt es ernst, dass Ihr Engel seid.
Gott macht Euch zu seinen Botschaftern.
Wir haben das eben in der Lesung gehört:
"Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker.
Tauft sie ...
und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe."

Die wenigsten richten Gottes Botschaft durch Taufen und Predigen aus.
Wir Christinnen und Christen sind Boten vor allem durch unser Leben.
Die Art, wie wir leben,
das, was uns wichtig ist,
das, was unser Handeln bestimmt,
das ist unsere Botschaft.
Damit zeigen wir, was wir glauben,
damit zeigen wir, was und wie Gott ist.

Eben probiert Ihr noch aus,
was das sein könnte
- man probiert wahrscheinlich sein ganzes Leben,
was das sein könnte.
Aber sehr bald schon weiß man,
was gut ist und was nicht;
was menschlich ist und was unmenschlich ist;
was fair ist und was unfair.
Eigentlich weiß das jedes Kind ...

"Lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe", sagt Jesus.
Es ist nicht viel, was man da wissen muss.
Man braucht sich nicht so viele Gebote und Verbote einzuprägen
wie später bei der Führerscheinprüfung.
Im Prinzip ist es nur eins:
"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst."

"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst."
Wer versucht, dieses Gebot zu befolgen,
dem wird es nicht gelingen,
seine Mitmenschen zu belügen;
sie zu bestehlen oder auszunutzen;
sie zu verletzten oder zu quälen.

Wer versucht, dieses Gebot zu befolgen,
dem wird Gerechtigkeit wichtig sein.
Fairness. Aufrichtigkeit. Mitgefühl.

Und schließlich wird jemand,
dem der Mitmensch nicht weniger wichtig ist als er selbst,
eine Hoffnung haben.
Eine Hoffnung, die nicht nur um ihn selbst und seinen Vorteil, seine Karriere kreist,
nicht nur um seine Familie oder seine Freunde.
Eine Hoffnung vielmehr, die alle Menschen einschließt.
Eine Hoffnung, die die Welt verändern will
und verändern kann.

Wer versucht, das Gebot der Nächstenliebe zu befolgen,
der wird nicht zufrieden sein,
dass es ihm und seiner Familie gut geht,
sondern wollen, dass alle Menschen das erleben können.
Er oder sie wird sich fragen, was er dazu beitragen kann.
Wer das versucht, die oder der
wird ein Engel sein.


III
Gott sieht Euch als Engel an,
als seine Botinnen und Boten.
Wenn Gott Euch etwas bedeutet,
wenn es Euch etwas bedeutet
"zu halten, was Jesus befohlen hat",
dann werdet Ihr Engel sein.

Engel - das sind Wesen,
die ganz nah bei Gott sind,
sozusagen per Du mit Gott.
In direktem Kontakt mit ihm.
Jesus sagt: "Siehe,
ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Jesus ist bei Euch.
Auch deshalb seid Ihr Engel.
Jesus ist bei uns
- deshalb bekreuzigen sich manche Menschen
oder tragen ein Kreuz als Anhänger um den Hals:
Als Zeichen, dass Jesus bei ihnen ist.
Denn sein Zeichen ist das Kreuz.

Jesus aber ist noch anders bei Euch
als ein Kreuz es sein kann.
Er steht hinter Euch. Ihr steht auf seiner Seite.
Auf der guten Seite.

Ihr habt einen Verbündeten.
Einen, der bedingungslos für Euch ist
- auch wenn andere gegen Euch sind.
Einer, der keinen Gefallen von Euch verlangt,
damit er sich für Euch einsetzt.
Der für Euch ist, ohne Euch in eine Richtung zu drängen
oder dafür etwas von Euch zu erwarten.

Man kann das nicht sehen oder fühlen.
Man kann das nur glauben.

Man kann ja oft auch nicht sehen oder fühlen,
wie sehr die eigenen Eltern einen lieben
- gerade, wenn man sich nicht versteht
oder wenn es Streit gegeben hat.
Dann kann man das auch nur glauben.
Und trotzdem ist es wahr:
Eure Eltern werden Euch immer lieben,
und sie werden immer in Euch den Engel entdecken,
der Ihr seid.

Mindestens ebenso liebt Gott Euch.
Und der Sinn der Konfirmation ist eigentlich,
Euch das zu sagen und zu zeigen:
Dass Gott Euch über die Maßen liebt
und dass Ihr Engel seid.
Weil Gott Euch über alle Maßen liebt,
weil Ihr Engel seid,
könnt Ihr auch Botinnen und Boten sein
für das, was wirklich wichtig ist und zählt.

Und so freuen wir uns heute mit Euch
über die Geschenke, die Ihr bekommen habt,
oder die Euch noch erwarten;
über Besuch, der gekommen ist,
vor allem Eure Patinnen und Paten
- Menschen, die Ihr gern habt,
die Euch etwas bedeuten,
die von weit her angereist sind,
die Ihr lange nicht gesehen habt.

Wir freuen uns mit Euch, dass Ihr etwas geschafft habt:
Eure Konfirmation.
Dass mit dem heutigen Tag ein Abschnitt Eures Lebens hinter Euch liegt, und ein neuer, spannender Abschnitt beginnt.

Wir freuen uns als Kirchengemeinde,
dass Ihr Gottes Botschaft weiter tragt
und die Hoffnung aufrecht erhaltet
auf Gerechtigkeit und Frieden,
auf Gottes Reich.

Und als Eltern freuen wir uns über Euch,
einfach und überhaupt und vor allem,
weil Ihr da seid.
Weil Ihr so seid, wie Ihr seid.

Bleibt so:
So seid Ihr gut und richtig,
Ihr Engel!

Amen.