Sonntag, 22. Mai 2011

Predigt zum Friedenssonntag 2011-05-22


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Predigt am Friedenssonntag Kantate, 22. Mai 2011 über Epheser 2,14-22:

Christus selbst ist unser Frieden. Er hat die Zweiteilung überwunden und hat aus Juden und Nichtjuden eine Einheit gemacht. Er hat die Mauer niedergerissen, die zwischen ihnen stand, und hat ihre Feindschaft beendet. Denn durch die Hingabe seines eigenen Lebens hat er das Gesetz mit seinen zahlreichen Geboten und Anordnungen außer Kraft gesetzt. Sein Ziel war es, Juden und Nichtjuden durch die Verbindung mit ihm selbst zu einem neuen Menschen zu machen und auf diese Weise Frieden zu schaffen. Dadurch, dass er am Kreuz starb, hat er sowohl Juden als auch Nichtjuden mit Gott versöhnt und zu einem einzigen Leib, der Gemeinde, zusammengefügt; durch seinen eigenen Tod hat er die Feindschaft getötet. Er ist in diese Welt gekommen und hat Frieden verkündet – Frieden für euch, die ihr fern von Gott wart, und Frieden für die, die das Vorrecht hatten, in seiner Nähe zu sein. Denn dank Jesus Christus haben wir alle – Juden wie Nichtjuden – durch ein und denselben Geist freien Zutritt zum Vater.
Ihr seid jetzt also nicht länger Fremde ohne Bürgerrecht, sondern seid – zusammen mit allen anderen, die zu seinem heiligem Volk gehören – Bürger des Himmels; ihr gehört zu Gottes Haus, zu Gottes Familie. Das Fundament des Hauses, in das ihr eingefügt seid, sind die Apostel und Propheten, und der Eckstein dieses Gebäudes ist Jesus Christus selbst. Er hält den ganzen Bau zusammen; durch ihn wächst er und wird ein heiliger, dem Herrn geweihter Tempel. Durch Christus seid auch ihr in dieses Bauwerk eingefügt, in dem Gott durch seinen Geist wohnt.


(Neue Genfer Übersetzung)


Liebe Gemeinde,

lang, lang ist's her ...

Wer erinnert sich noch an die lila Halstücher vom Kirchentag 1983 in Hannover mit dem Motto "Umkehr zum Leben - Die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen"? Anfang der 80er Jahre waren sie überall zu sehen. Anfang der 80er gab es auch die großen Friedensdemonstrationen, überhaupt gingen in diesen Jahren unglaublich viele Menschen auf die Straße - so, wie in den letzten Monaten in den arabischen Staaten, oder diese Woche in Spanien.
Was die Demonstrationen damals von den heutigen unterschied, waren die Beweggründe:
Damals ging es um den Frieden.
Heute geht es um Demokratie.
Das eine schließt das andere nicht aus.
Aber das Thema "Frieden" ist in den Jahren seither in den Hintergrund getreten. Mit dem Fall der Mauer, dem Zerfall des "Ostblocks" war der "Kalte Krieg" auf friedliche Weise beendet worden, und die Welt steuerte einer friedlichen Zukunft entgegen.
So schien es.
Doch schon der Krieg nach dem Zerfall Jugoslawiens,
das Massaker von Srebrenicza,
der Völkermord der Hutu an den Tutsi in Ruanda,
der Krieg um den Kosovo,
der Einmarsch des Irak nach Kuwait
und der darauf folgende Golfkrieg,
das Morden im Südsudan,
der 11. September mit dem auf ihn folgenden Krieg gegen die Taliban in Afghanistan,
der Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern
und viele andere Kriege mehr zeigen,
dass die Welt von einem Frieden genau so weit entfernt ist wie damals, Anfang der 80er.
Nur wir, die wir in den wohlhabenden Staaten der nördlichen Halbkugel leben, wir sind nicht mehr so akut bedroht, wie wir es Anfang der 80er Jahre waren. Auf uns sind keine Atomsprengköpfe mehr gerichtet - und wenn sie es doch noch sind, dann glauben wir nicht, dass noch jemand auf den berüchtigten "roten Knopf" drückt. Frieden, das ist nicht mehr unser Thema. Das betrifft andere, und die sollen sich selbst darum kümmern. Es genügt, dass unser Land Soldaten auf "Friedensmissionen" schickt. Der Beitrag zum Weltfrieden, den wir damit leisten, ist groß genug.

II
"Ihr seid jetzt nicht länger Fremde ohne Bürgerrecht, sondern seid – zusammen mit allen anderen, die zu seinem heiligem Volk gehören – Bürger des Himmels; ihr gehört zu Gottes Haus, zu Gottes Familie."

Lang, lang ist's her, dass Christen sich als Fremde ohne Bürgerrecht fühlten. Es ist schon gar nicht mehr wahr. Und ohne Rückgriff auf die Geschichte verstehen wir auch nicht, was der Predigttext aus dem Epheserbrief meint.
Am Anfang der Christenheit, in den ersten Jahrzehnten der noch jungen Kirche, wurden Christen vom römischen Staat verfolgt. Sie wurden damals als kriminelle Vereinigung angesehen, die den Staat untergraben und destabilisieren wollte.
Auch zwischen Christen und Juden gab es Streit: In der jüdischen Gemeinde hatten die Christen keinen Platz mehr.
Vom Staat verfolgt und der Bürgerrechte beraubt, aus der Gemeinde, aus dem Volk Gottes ausgeschlossen, hatte die junge Kirche keinen Ort, an dem sie erwünscht war, keinen Ort, den sie ihr Zuhause hätte nennen können.

Wir können nicht mehr nachempfinden, wie das ist. Wir sind im christlichen Abendland aufgewachsen, in dem die Kirche ganz selbstverständlich ihren Ort in der Gesellschaft hat,
eine tragende Säule des Staates ist, und wir nicht befürchten müssen, als Christinnen und Christen ausgegrenzt oder gar verfolgt zu werden. Wir können nicht mehr nachempfinden, wie das ist - oder können wir es vielleicht doch?

Manche der Älteren, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat flohen oder vertrieben wurden, die wissen noch, wie misstrauisch man ihnen begegnet ist. Wie man ihnen das Nötigste zum Leben missgönnte, wie man sie ausgrenzte und ihnen deutlich zu verstehen gab, dass sie unerwünscht waren. Fremde, die unter den Einheimischen nichts verloren hatten.

Und manch eine oder einer der Jüngeren erlebt, von der Klasse, von der Clique ausgegrenzt zu werden. Nicht dazugehören, nicht dabeisein zu dürfen.
Menschen machen noch heute die Erfahrung, Fremde zu sein, die man nicht dabeihaben will.

III
"Christus ist in diese Welt gekommen und hat Frieden verkündet."

Christus ist in diese Welt gekommen - "Welt" heißt auf Griechisch "Ökumene", und dieses Wort stammt von dem Verb "oikéo" ab, "wohnen". Die Welt, das ist der Ort, an dem Menschen zusammen wohnen: Ein Zuhause. Unser Zuhause.
Die kleine Welt unserer Gemeinde vor Ort, die größere unserer Stadt, unseres Landes, bis hin zur Ökumene, dem ganzen Erdenrund.

Die Ökumenische Bewegung war es, die hinter den lila Halstüchern von 1983 stand, die 1987 einen konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ausrief und die die heute zuende gehende Friedensdekade ins Leben rief. Getragen ist diese Ökumenische Bewegung von dem Gedanken, dass unsere Welt eine Ökumene ist, ein gemeinsames Zuhause für alle Menschen.

Ein Ort ist ein Zuhause, wenn die Menschen, die ihn bewohnen,in Frieden miteinander leben.
Frieden - das bedeutet nicht, dass sich alle mögen oder gar lieben müssen. Dass man niemals unterschiedlicher Meinung ist, sich niemals streitet. Dass man immer nur lächelt, immer vergnügt ist.

Ein Ort ist ein Zuhause, wenn die Menschen, die ihn bewohnen, einander Mensch sein lassen. Einander mit Respekt und Achtung begegnen. Einander Gerechtigkeit widerfahren lassen, und das heißt: Einander das Leben gönnen und darauf achten, dass jede und jeder leben und glücklich werden kann.

Deshalb gehören Gerechtigkeit und Frieden untrennbar zusammen.
Tatsächlich lassen sich viele, wenn nicht sogar alle Kriege und Konflikte erklären und verstehen als Aufstand gegen erlittenes oder gefühltes Unrecht, als der Versuch, sich mit Gewalt Gerechtigkeit zu verschaffen. Und meistens, wenn nicht immer kann Frieden nur hergestellt werden, wenn auch Gerechtigkeit geschaffen wird.

IV
"Christi Ziel war es, Juden und Nichtjuden durch die Verbindung mit ihm selbst zu einem neuen Menschen zu machen und auf diese Weise Frieden zu schaffen. Dadurch, dass er am Kreuz starb, hat er sowohl Juden als auch Nichtjuden mit Gott versöhnt und zu einem einzigen Leib, der Gemeinde, zusammengefügt; durch seinen eigenen Tod hat er die Feindschaft getötet."

Unsere Welt ist ein Zuhause, eine Ökumene. Wir leben alle unter einem Dach. Im Zeitalter des Internet wird uns mehr und mehr bewusst, dass wir in einem "global village" leben, einem Welt-Dorf: Ein Mensch in Japan oder Nordamerika ist durch das Internet nicht weiter entfernt
als mein Nachbar. Freundschaften werden nicht mehr nur unter Menschen geschlossen, die sich täglich begegnen, sondern weltweit zwischen Menschen, die sich möglicherweise niemals persönlich kennen lernen werden.

Und in diesem „global village“, diesem Welt-Dorf nehmen Menschen Anteil aneinander. Wir erfahren von den Protesten in Spanien, bevor darüber in der Tagesschau oder in der Zeitung berichtet wird, über Menschen, mit denen wir uns im Internet austauschen. Wir hören von den Sorgen und Nöten von Menschen, die weit weg von uns leben, die wir noch nie zuvor gesehen haben,
und wahrscheinlich niemals persönlich kennen lernen werden.
Und wir fühlen mit ihnen.
Sie tun uns leid.
Wir überlegen, wie wir ihnen helfen können.

Das ist Ökumene:
Das Bewusstsein, dass wir Schwestern und Brüder sind auf diesem Planeten.
Ja, genau: Nicht nur die Familie, nicht nur der engste Freundeskreis oder die Nachbarschaft,
die ganze Welt ist unser Zuhause, alle Menschen sind unsere Nächsten und verdienen unser Mitgefühl, unsere Sorge und Rücksichtnahme.

Dieses Bewusstsein schafft der Glaube.
Der Glaube Jesu, der den Tod am Kreuz erlitt, damit wir Frieden hätten. Er gab sein Leben dafür, dass wir keine Unterschiede machen, dafür, dass wir jedem Menschen, wer es auch ist,
das Leben gönnen, Gesundheit und Glück. Es ihr oder ihm nicht nur gönnen.
Sondern unseren Beitrag dazu leisten, dass es nicht nur beim frommen Wunsch bleibt.

V
Wie das geht?
Martin Luther King wird der Ausspruch zugeschrieben:
There is no way to peace. Peace is the way.
Zu deutsch: Es gibt keinen Weg zum Frieden.
Der Friede selbst ist der Weg.
Wenn uns der Friede am Herzen liegt, der nicht nur die Stille am Sonntagmorgen ist, nicht nur das Heucheln von Freundlichkeit, nicht nur das „Kinder, nun seid mal friedlich“; wenn uns der Friede am Herzen liegt, den Jesus der Welt gebracht hat, dann werden wir solche Menschen sein,
die Jesus selig gepriesen hat:
„Selig sind die Friedensstifter,
denn sie werden Gottes Kinder heißen.“


Noch einmal: Wie geht das?
Vielleicht so, wie es in einer modernen Übertragung des 1.Psalms heißt:

Die nach Gott fragen,
werden es gut machen.
Gott ist Gerechtigkeit und Güte,
Friede für die ganze Welt.
Die auf Gewalt bauen,
machen noch mehr kaputt.
Die groß herauskommen wollen,
bringen nichts.
Die es allen recht machen,
verwaschen die Unterschiede.
Und es bleibt, wie es ist.

Die aber Frieden wollen,
gehen vom anderen aus.
Sie nehmen die Geschichte ernst
und haben langen Atem.
Sie machen sich nichts vor
und behalten die Hoffnung.
Sie können zugeben
und verkürzen doch nicht das Ziel.
Sie verstehen sich auf Güte,
stecken Verdächtigungen ein.
Das bringt die Welt vom Tod zum Leben.


(Friedrich Karl Barth)

Amen.