Sonntag, 21. August 2011

Schaffe, schaffe, Häusle baue - Predigt über Matthäus 7,24-27

Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis, 21. August 2011, über Matthäus 7,24-27:

Jesus sprach: Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.


Liebe Gemeinde,

„schaffe, schaffe, Häusle baue“ - die Schwaben, heißt es, seien fleißige Leute. Darum fällt einem als erstes dieser Satz ein, wenn es um die Schwaben geht: Schaffe, schaffe, Häusle baue.
Aber nicht nur die Schwaben legen wert auf ein eigenes Häuschen. Ein eigenes Haus - davon träumt wohl jede und jeder im Laufe des Lebens. Wo immer ich ein leerstehendes Haus entdecke, bleibe ich stehen und überlege mir, ob man es renovieren könnte und wie es wäre, dort zu wohnen. Andere gehen durch die Neubauviertel spazieren, um sich die neuesten Häusermodelle anzusehen. Und wieder andere gestalten ihr Eigenheim, haben gerade gebaut oder sind dabei, zu bauen.

Fast jeder Mensch träumt vom „Häusle baue“, und viele setzen diesen Traum in die Tat um. Dafür nimmt man viele Entbehrungen, viel Arbeit, hohe Schulden auf sich. Es ist schließlich ein Lebenstraum. Das Haus, neben der Haut und der Kleidung unsere dritte Hülle, verkörpert einen wichtigen Teil unseres Lebens - es ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Entsprechend stolz ist man auf das eigene Heim, wenn es erst einmal fertig ist.

Kein Wunder, dass man auf das Haus sehr viel Zeit, Geld, sehr viel Nachdenken und Sorgfalt verwendet. Darum käme niemand, der ein Haus bauen will, auf die Idee, es auf Sand zu bauen. Weder beim Fundament des Hauses noch bei seiner Finanzierung darf etwas wackeln.
Das Gleichnis, das Jesus erzählt, erscheint beim ersten Hören deshalb irgendwie banal: Wer ein Haus baut, verwendet selbstverständlich größte Sorgfalt auf sein Fundament, auf seine Qualität. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, sein Haus auf Sand zu bauen.

II
„Das einzige Haus, das ich je zuvor besessen hatte, war ... ein Zelt, das ich gelegentlich benützte, wenn ich im Sommer Ausflüge machte, und das noch zusammengerollt auf meinem Speicher liegt“, schrieb der amerikanische Philosoph Henry David Thoreau, bevor er seine Holzhütte am Walden-Teich errichtete.
Im Bilderbuch „Petterson zeltet“ entdeckt Findus, der Kater des alten Petterson, dessen Zelt auf dem Dachboden, und der alte Petterson erinnert sich, wie er früher, als er jung war, auf dem Fjell gezeltet hat, und wie schön und aufregend das war.
Das Zelt hat für uns, die wir keine Nomaden sind, keine Beduinen und keine Indianer, etwas Provisorisches - und zugleich den Geruch von Freiheit und Abenteuer. Als Kind oder Jugendlicher zeltet man, des Abenteuers wegen, um einmal die Nacht, den Wind und den Regen hautnah zu erleben - manchmal wird er allerdings zu hautnah. Die Protestierenden auf dem Tahrir-Platz in Kairo und am Rothschild-Boulevard in Tel Aviv zelten. Aber nur zur Not, um besondere Aufmerksamkeit zu erregen, aus Protest.

Ab einem bestimmten Alter übernachtet man nicht mehr im Zelt, sondern logiert in festen Häusern. Das hat nicht nur mit dem Komfort zu tun, den man ab diesem bestimmten Alter braucht, vor allem, was die Schlafstelle angeht, und den ein Zelt nun einmal nicht bieten kann. Ein Zelt ist etwas Provisorisches, nur gerade gut genug, eine kurze Zeit vor Wind und Wetter zu schützen. Lange hält man es dort nicht aus, erst recht nicht, wenn es stürmisch, regnerisch oder gar kalt ist.

Aber das Provisorische hat auch seine Vorteile. Als ich von zuhause auszog, um das Studium zu beginnen, passte mein Hab und Gut in den Kofferraum eines Autos. Ich hatte wenig Geld - trotz der Unterstützung meiner Eltern immer zuwenig, um genau zu sein. Aber es reichte zum Leben, und ich war glücklich, wenn ich mir auch nichts leisten konnte.

Ein Haus erfüllt nicht nur einen Lebenstraum - es ist auch eine Belastung. Man muss Geld verdienen und sparen, um sich ein Haus leisten zu können. Man muss viel Zeit und Arbeit investieren. Man macht sich immer wieder Sorgen, ob man die Schulden zurückzahlen kann. Ob auch nichts kaputtgeht am Haus. Ob jemand einbricht.

III
Der Traum vom eigenen Heim ist ein Lebenstraum - bestimmt nicht unser einziger. Wir hatten und haben auch andere Träume: Eine große Reise. Ein Leben im Ausland. Etwas schaffen, das Dauer hat. Das Engagement für eine gute Sache, für Menschen in Not, für eine Partei, für die Gemeinde. Mehr Zeit für die Kinder, für die Eltern. Ein anderes Leben - bewusster. Ökologischer. Sinnvoller. Viele unserer Träume drehen sich um uns selbst - was wir erleben, was wir machen oder sein wollen. Es geht um Selbstverwirklichung, um Selbstfindung.

Jesus hat auch Träume gehabt. Er hat von einer anderen Welt geträumt, vom Reich Gottes. Er hat von Gerechtigkeit geträumt für Schwächere, von Heilung für Kranke, von Respekt für die, mit denen andere nichts zu tun haben wollen. Von einer liebevollen Haltung, sogar den Feinden gegenüber. Von Verantwortung für die Mitmenschen. Von Frieden auf Erden. Seine Träume drehen sich um andere - um seine Mitmenschen. Es geht um Nächstenliebe, um Barmherzigkeit.

Sind die Träume Jesu auch unsere Träume?
Oder, anders herum gefragt: Hat man, wenn das Eigenheim der Lebenstraum ist, noch Zeit und Phantasie für andere Träume? Hat man die Mitmenschen noch im Blick, oder wird der Blick verengt auf die eigenen vier Wände, die eigene Familie? Zieht das Haus, zieht der Besitz so sehr an einem, dass man keine Kraft mehr für weitere Schritte hat?

Menschen brauchen, so scheint es, ein Haus, brauchen die eigenen vier Wände, als Basis für weitere Unternehmungen. Der Gedanke, obdachlos zu sein, ist ein schrecklicher, beängstigender Gedanke. Deshalb ist das Fundament des Hauses so wichtig: Damit es Dauer hat und auch Stürmen und anderen Gewalten standhält. Erst, wenn man sein Haus bestellt hat, ist man bereit, auch anderes in Angriff zu nehmen, seine Träume zu verwirklichen.

IV
Jesus träumt von Nächstenliebe und Barmherzigkeit: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft, und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Bei uns geraten Gott und die Mitmenschen manchmal aus dem Blick, weil unsere Träume sich zuerst um uns selbst drehen.

Ein Haus bauen - das ist ein Stück Selbstverwirklichung und Lebensgestaltung. Man erfüllt sich einen Traum und hofft, dass man anschließend glücklicher ist. Aber, wenn man ehrlich ist, geht die Rechnung nicht auf. Weder Häuser noch Autos, weder Wissen noch Leistung können uns das Glück geben, das eine simple Begegnung mit einem netten Menschen schenkt; das man durch Zuneigung und Liebe findet, die man verschenkt und die erwidert werden.
Die Hoffnung, durch Besitz, den man sich schafft, auch etwas, auch jemand zu sein, hat auf Sand gebaut. Ein tragfähiges Fundament ist allein das Leben in Beziehungen zu anderen Menschen, nahen und fernen. Besitz ist meistens eine Last, die auch die Beziehungen zu anderen belastet.

Der kluge Mensch ist nach Jesu Worten also nicht der, der sich ein festes Haus aus Stein baut. Sondern eher der, der zur Not im leichten, luftigen Zelt unterwegs ist. Weil das feste, behäbige Haus einen davon abhalten kann, vom Hören des Wortes Jesu zum Tun zu kommen. In den USA, wo es so viele streng gläubige Christen gibt, gibt es auch die größte soziale Ungerechtigkeit. Die Tea-Party-Bewegung - alles gute, gläubige Christen - kämpft mit aller Macht darum, die Steuern für die Wohlhabenden zu senken - und ebenso die Gehälter der Arbeiter und Angestellten. Sie blockiert die allgemeine Gesundheitsversorgung und alle Maßnahmen zum Umweltschutz.
Die Gier nach Besitz und die Angst, ihn zu verlieren, wenn man andere am Wohlstand teilhaben lässt, machen diese Leute blind für die Botschaft Jesu. Sie kämpfen wehement gegen Abtreibung, aber es macht ihnen nichts aus, wenn Menschen auf der Straße leben müssen. Und sie bemerken nicht einmal den Widerspruch in ihrem Handeln.

Bei uns gibt es keine Tea-Party-Bewegung. In unserer Gesellschaft ist die Verantwortung für die Schwächeren zum Glück so tief verwurzelt, dass niemand ernsthaft auf die Idee käme, die Krankenversicherung abzuschaffen, oder die Arbeitslosenunterstützung. Aber auch uns ist in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Hemd näher als die Jacke. Und auch bei uns wird vor allem der etwas, der sich rücksichtslos durchsetzt, der seinen eigenen Vorteil erkennt und wahrt - nicht der, der sich solidarisch mit anderen und rücksichtsvoll verhält.

V
Mancher hat vielleicht noch ein Zelt auf dem Speicher liegen. Vielleicht sollte man es wieder einmal hervorholen und auspacken, am Zeltstoff riechen und sich erinnern an Zeiten, als man viel weniger zum Leben brauchte - und trotzdem ungemein glücklich war.

Wenn es gerecht zugehen soll in der Welt, wenn alle Menschen eine faire Chance bekommen sollen, geht das nur, wenn wir, die wir so viel besitzen, bereit sind, etwas abzugeben. Man muss nicht gleich im Zelt leben. Aber man braucht auch nicht all das, was wir heute zu brauchen meinen.
Wenn wir mit leichtem Gepäck reisen - nicht in jeder Hand einen Koffer, sondern nur einen Rucksack auf den Schultern - können wir einander viel leichter die Hand reichen. Und die Energie, die Zeit und das Geld, die wir sonst ins „Schaffe“ und „Häusle baue“ stecken würden, ist viel besser dort angelegt, wo Hilfe nötig ist. Auf diese Weise bauen wir ein gemeinsames Haus für alle Menschen, auf solidem Fundament. Und kein Sturm, kein Unwetter, nichts wird es umreißen.

Amen.