Montag, 7. November 2011

Hubertuspredigt, 6.11.2011

Predigt zur Hubertusmesse am 6. November 2011 um 17.00 Uhr in der Klosterkirche Riddagshausen über Jesaja 55, 8-13:

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln. Und dem Herrn soll es zum Ruhm geschehen und zum ewigen Zeichen, das nicht vergehen wird.


Liebe Gemeinde,

"ihr geht mit der Erde um, als hättet ihr eine zweite im Keller".
Dieser Spruch klebte in den 80er Jahren auf vielen Autohecks,
oft zusammen mit der Weissagung der Cree, einem nordamerikanischen Indianerstamm:
"Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann."
Sprüche aus den 80er Jahren, wie gesagt, die meist auf R4s oder "Enten" klebten, auf VW-Käfern oder alten VW-Bussen. Umweltschutz war Anfang der 80er Jahre in der öffentlichen Meinung eine Sache der langhaarigen, latzhosentragenden "Alternativen" und "Ökos", aus denen dann bald die "Grünen" wurden.

Aber damals gab es noch andere "Grüne", die sich auch als Natur- und Umweltschützer verstanden, die aber, wenn überhaupt, dann meist andere Aufkleber auf ihrem Auto hatten: "Jäger - Heger", zum Beispiel. Diese anderen "Grünen" orientierten sich dabei an der "Waidgerechtigkeit", die der "Blase", das Handbuch für Jäger, beschreibt als Ausgleich "der jagdlichen Interessen mit den sonstigen öffentlichen Belangen, insbesondere mit den Belangen ... des Naturschutzes ...". (Blase, Richard, Die Jägerprüfung in Frage und Antwort. Ein Handbuch für Jäger, 21. Aufl., Melsungen 1979, S. 269)

Bereits in der Auflage von 1979 steht dort unter der Überschrift "Natur- und Umweltschutz":
"Für jeden Waidmann gilt ... durch Vermeidung der Überhege, gezielte Bejagung bestimmter Wildarten und durch freiwilligen Verzicht auf die Bejagung gefährdeten Wildes den Fortbestand einer großen Vielfalt von Tierarten in einem gesicherten und gesunden Lebensraum (Biotop) zu sichern. Merke: Erst Heger und Umweltpfleger - dann Jäger!" (Blase, S. 363)

Und im nächsten Absatz heißt es nach der Aufzählung von Umweltschäden:
"Die Folgen dieser Umweltverschmutzung in gesundheitsschädlicher Hinsicht sind bekannt und bereits so augenscheinlich, dass endlich Einhalt geboten werden muss. Der Jäger hat deshalb ... die Aufgabe, ... sich als aktiver Helfer im Umweltschutz zu betätigen ... und den Menschen seines Wirkungskreises die große Bedeutung des Natur- und Umweltschutzes bewusst zu machen und bei ihnen die Einsicht zu wecken, dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen heute bereits überbeansprucht sind und der Schutz der Umwelt zu einem Weltproblem erster Ordnung geworden ist." (Blase, S. 363f)

Das sind, wie gesagt, Sätze aus dem Jahre 1979. Wenn man das Fazit aus ihnen zieht - so viel anders als die Sprüche auf den Aufklebern ist es nicht, wenn den Mitmenschen eingeschärft werden soll, wie bedroht unsere Umwelt ist.
Heutzutage gibt es daran auch keinen Zweifel mehr. Über alle Parteien hinweg besteht die Einsicht, dass die Welt in großer Gefahr ist. Nur über den Weg, diese Gefahr abzuwenden, herrscht nach wie vor Uneinigkeit.

Man könnte - ja, man muss eigentlich sagen, dass die Jäger - und, nebenbei bemerkt, auch die Land- und Forstwirte, die ja oft auch Jäger sind -, die ersten "Grünen" waren und immer noch "Grüne" sind - nicht nur wegen ihrer grünen Kleidung. Gemeinsam mit den Land- und Forstwirten setzen sich die Jäger für den Landschafts- und Naturschutz ein. Im strengen, schneereichen Winter Ende der 70er Jahre fuhr mein Vater mit dem Traktor Heubunde in die Feldmark, damit das Rehwild, das unter dem Schnee und Eis keine Äsung mehr fand, nicht verhungerte. Gräben werden sauber gehalten, Müll eingesammelt und Wege ausgebessert. Hecken als Deckung für das Wild und Brutplatz für Singvögel werden gepflanzt. Oft genug werden Spaziergänger angesprochen, die fröhlich zur Brutzeit abseits der Wege durch Wald und Wiesen stromern, sie möchten doch bitte auf den Wegen bleiben und ihre Hunde anleinen - selten erntet man dafür Verständnis, sondern meist böse Worte.
Jäger setzen sich für den Natur- und Umweltschutz ein.
Warum aber gibt es dann gerade zwischen den Umwelt- und Naturschützern auf der einen und Landwirten und Jägern auf der anderen Seite so oft Spannungen und Konflikte, warum können die einen den anderen nicht auf Fell gucken, wenn doch beide am selben Strang ziehen?

Ich habe als Pastor eigentlich gar nicht das Recht, diese Frage zu stellen. Denn unter Christenmenschen geht es ja nicht anders zu: Evangelische und Katholische Kirche liegen im Dauerclinch. Wenn wir uns unter den ev. und kath. Kollegen auch gut verstehen, wenn wir hier in der Klosterkirche auch ökumenische Trauungen feiern - im Großen gibt es nach wie vor keine Einigung, und es wird auf absehbare Zeit wohl auch keine geben.
Aber vielleicht hilft das Beispiel der beiden Kirchen zu verstehen, warum der Dialog zwischen Naturschützern und Jägern so oft misslingt:

Evangelische und Katholische Kirche haben ihre Glaubenswahrheiten, die sie nicht aufgeben können und wollen - zwei Sakramente gegen sieben; Priestertum aller Gläubigen gegen Primat des Papstes; Verständnis der kirchlichen Trauung als Segnung der Brautleute, die auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften möglich macht, gegen die Unauflöslichkeit der Ehe, und so weiter.

So haben auch Land-, Forstwirte und Jäger auf der einen, Naturschützer auf der anderen unterschiedliche Auffassungen von Umwelt- und Naturschutz, die sich zum Teil gegenseitig ausschließen. Auf der einen Seite steht die Nutzung von Feld, Wald und Wild, bei der die Landschaft als Kulturlandschaft betrachtet wird. Auf der anderen Seite der Wunsch, Pflanzen und Tiere vor dem Zugriff des Menschen zu schützen und Lebensräume zu schaffen, die durch die land- und forstwirtschaftliche Nutzung verloren gingen.

Neben diesen Differenzen über das Wie gibt es aber noch etwas anderes, das vielleicht noch mehr trennt als die unterschiedlichen Ansichten, und das ist die Tradition.
In Nordirland haben sich evangelische und katholische Christen nicht wegen der Zahl der Sakramente die Köpfe eingeschlagen, sondern wegen der unterschiedlichen Traditionen, für die jede Konfession stand und steht. In allen Konflikten, die sich vordergründig um den Glauben drehen, geht es neben Macht und Geld immer um Traditionen, die man nicht aufgeben will. Sie feuern den Konflikt an und halten ihn am kochen.

Bei den Jägern ist die Tradition ganz offensichtlich, nicht nur durch ihre Kleidung. Das jagdliche Brauchtum gehört wesentlich zur Identität, von der Waidmannssprache über die Jagdsignale bis hin zur Waidgerechtigkeit. Und es gehört zu unserer Kultur, wie die kirchlichen Traditionen und Feiertage. Aber auch die Umweltschutz-, die Friedens- und die Anti-Atomkraftbewegung hat eine Tradition, wenn sie auch viel jünger ist. Sie drückt sich ebenfalls in der Kleidung aus, im Liedgut, in der Lebensart.

Bei so viel Unterschieden, bei so viel Trennendem ist es kein Wunder, dass sich Naturschützer und Jäger oft wie Katze und Hund gegenüberstehen. Und wie bei den beiden christlichen Kirchen ist nicht in Sicht, dass das jemals anders werden könnte.

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken, hieß es in der Lesung, die wir vorhin gehört haben. Wenn wir nur auf Äußerlichkeiten achten, wenn jeder nur am Eigenen festhält, wird es nie zu einer Einigung kommen. Möglicherweise aber können wir uns diesen Luxus nicht mehr lange leisten, weder bei der Kirche mit ihren sinkenden Mitgliederzahlen, noch bei denen, die unsere Umwelt schützen wollen. Wie der Blase schon 1979 feststellt und den Jägern einschärft, "dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen heute bereits überbeansprucht sind und der Schutz der Umwelt zu einem Weltproblem erster Ordnung geworden ist", - heute ist es in unserem Land zwar besser, dafür weltweit gesehen dramatischer geworden.

Sind wir in der Lage, in der Kirche und im Naturschutz, von den Streitereien um das Wie auf das gemeinsame Ziel zu schauen, das so unterschiedlich gar nicht ist? Sind wir bereit, über unseren Schatten zu springen und zunächst einmal die unterschiedlichen Sichtweisen und Traditionen des jeweils anderen nicht abzulehnen, sondern als etwas anzuerkennen, das seine Berechtigung hat, seinen Wert - auch wenn wir ihn nicht teilen? Sind wir schließlich bereit und in der Lage, uns auf Gottes Gedanken einzulassen und von unseren kleinmütigen und kleingläubigen Gedanken wegzukommen?

Gottes Gedanken kreisen um das Wohl für alle Menschen und für seine ganze Schöpfung. Wir sind nur eine Spezies auf diesem Planeten, aber wir haben bereits 20% seiner Oberfläche für uns beansprucht. Wir sind 80 Millionen Bundesbürger, aber die Erde beherbergt bereits 7 Milliarden Menschen. Wenn alle 7 Milliarden so lebten wie wir, gäbe es unseren Planeten schon lange nicht mehr.

Zum Jägersein gehört die Waidgerechtigkeit, wie sie in einem Merkvers ihren Ausdruck findet:
"Das ist des Jägers Ehrenschild,
dass er beschützt und hegt sein Wild,
waidmännisch jagt, wie sich's gehört,
den Schöpfer im Geschöpfe ehrt."

Wir müssen heute lernen, dass in diesem Wort "Waidgerechtigkeit" auch die Gerechtigkeit steckt. Wenn wir den Schöpfer im Geschöpfe ehren wollen, dann müssen wir dem Geschöpf Gerechtigkeit widerfahren lassen - dem Wild ebenso wie unseren Mitmenschen. Und wenn es gerecht zugehen soll in der Welt, wird es nicht gehen, ohne dass wir auf vieles verzichten, das wir lieb gewonnen haben und das uns unverzichtbar erscheint.

Wir haben keine zweite Erde im Keller.
Aber wir alle, die wir heute hier versammelt sind, haben einen Traum von der Erde. Und wie auch immer der für jeden einzelnen aussehen mag, es sind Szenen aus der Natur. Es sind Momente, die man auf dem Ansitz erlebt und die oft schöner und intensiver sind als die eigentliche Jagd und ihr Erfolg.

Der Traum, von dem der Prophet Jesaja spricht, ist ein ganz ähnlicher Traum. Dort heißt es: "Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln."
Die Träume der Bibel haben immer einen Überschuss, etwas, das von der Wirklichkeit nicht eingelöst werden kann. Aber gerade dadurch geben sie uns Antrieb und Kraft, die Wirklichkeit zu verändern. Indem wir unsere Erde erhalten und bewahren. Indem wir die Schönheit und die Gaben, die sie zu bieten hat, gerecht verteilen.
Amen.