Mittwoch, 16. November 2011

Predigt zum Buss- und Bettag

Predigt am Buss- und Bettag, 16.11.2011, über Matthäus 12,33-37:

Jesus sprach zu den Pharisäern: Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum. Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz. Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.


Liebe Gemeinde,

"wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?"
Über diese Frage möchte ich mit Ihnen heute nachdenken.
Mich hat sie nicht mehr losgelassen beim Lesen des Predigttextes.
Nicht beim ersten Mal, und auch nicht beim zweiten.
Erst, nachdem ich den Text wieder und wieder gelesen hatte,
wurde mir klar, woran ich hängen geblieben war.
Man hört leicht hinweg über diese Frage,
denn sie wird mit einem Schimpfwort eingeleitet:
"Ihr Schlangenbrut".
"Ihr Schlangenbrut" - das lässt man sich nicht gern sagen.
Wir haben es nicht verdient, so abgekanzelt zu werden.
Indem man innerlich gegen dieses Beschimpfung aufbegehrt,
bekommt man den Rest des Satzes nicht mehr mit.
"Wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?"

Es ist eine ganz eigene Logik, die Jesus da entwickelt.
Das fängt schon mit den Bäumen an:
Ein fauler Baum bringt faule Früchte,
ein guter Baum bringt gute Früchte.
Das ist so. Wenn eine Pflanze faul ist,
also von einer Krankheit befallen,
braucht sie alle Kraft, um diese Fäulnis abzuwehren.
Sie hat dann keine Kraft mehr übrig für die Früchte.
Bei der wird nichts zu ernten sein,
und wenn, dann nur minderwertige, faule Früchte.
An der Frucht erkennt man den Baum,
die Güte der Frucht lässt Rückschlüsse auf die Gesundheit des Baumes zu.

Jesus wendet dieses Beispiel von den Bäumen und ihren Früchten auf den Menschen an.
Die Frucht des Menschen kommt aus seinem Herzen.
Ein gutes Herz bringt gute Früchte,
ein böses Herz bringt böse Früchte.
Wir müssen uns hier für einen Moment von unserem Wissen über die menschliche Anatomie verabschieden: Gemeint ist nicht das Herz als Organ,
das schlecht durchblutet sein oder unter Herzrhythmusstörungen leiden kann.
Gemeint ist das Herz im übertragenen Sinne als Sitz dessen,
was den Menschen ausmacht, sein "Ich".
Wir verbinden ja auch das überwältigende Gefühl der Liebe mit dem Herz,
obwohl es sehr wahrscheinlich dort nicht sitzt,
aber das ist uns egal: Wir malen ein Herz, wenn wir verliebt sind,
und uns ist das Herz gebrochen, wenn unsere Liebe nicht mehr erwidert wird.

Also, das Herz des Menschen bringt Früchte hervor,
gute und schlechte.
Früchte, die es nicht nur zu einer bestimmten Jahreszeit gibt,
sondern die das ganze Jahr über reifen,
jeden Augenblick sogar. Es sind die Worte, die wir sprechen.
Gute Worte können nur aus einem guten Herzen kommen,
böse kommen aus einem bösen.
Jesus geht sogar noch weiter, wenn er sagt:
"wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?"
Das soll doch wohl bedeuten,
dass ein böser Mensch gar nichts Gutes sagen kann.

Ist das so?
Gemeinhin wird doch behauptet,
dass gerade die größten Halunken besonders gut mit Worten umzugehen wissen.
Sie gehen einem um den Bart, sie schmeicheln sich ein,
sie reden so lange auf einen ein, bis man nachgibt
und ihnen die völlig überflüssige Versicherung abkauft,
den überteuerten Staubsauger oder den nach Kork schmeckenden Wein.
Und haben wir es nicht auch erlebt,
dass Menschen, die wir für unsere Freunde hielten,
uns gut zugeredet haben, während sie hinter unserem Rücken über uns herzogen?
Machen wir das nicht auch ab und zu:
einem Menschen freundlich, sogar herzlich begegnen
und dann, wenn er nicht dabei ist, über ihn lästern?
Sagen, was er für ein guter Kerl ist, wenn er zuhört,
über ihn schimpfen, wenn er abwesend ist?
Aber das sind offenbar nicht die guten Worte, die Jesus meint.
Was sind denn dann gute Worte, und wo kommen sie her?

"Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über."
Dieser Satz hat es zur Redensart gebracht.
Eine ziemlich altertümliche Redewendung;
in modernem Deutsch müsste es heißen:
Wessen Herz voll ist, dessen Mund läuft über.
Aber das würde so keiner sagen.

Schon wieder eine so eigenartige Vorstellung vom Herzen,
als wäre es ein Gefäß, das überlaufen könnte,
und dann kommt's zum Mund heraus ...
Wir müssen wieder unser Wissen über die menschliche Anatomie vergessen:
Es gibt keine direkte Verbindung zwischen Herz und Mund;
Blutbahn und Speiseröhre sind zum Glück fein säuberlich getrennt.
Auch hier müssen wir uns wieder das Herz im übertragenen Sinn vorstellen,
und zwar diesmal als Lagerraum - Jesus nennt es: Schatzkammer.
Im Herzen wird etwas eingelagert, Gutes und Böses.
Und wenn zuviel eingelagert wird,
wenn das Herz voll ist,
dann kommt es aus dem Mund wieder heraus.

Was kann das sein, das da im Herzen eingelagert wird?
Doch wohl nur etwas, das uns zu Herzen gegangen ist:
Erlebnisse und Gefühle.
Wenn wir z.B. vom Schicksal eines anderen Menschen so ergriffen werden,
dass es uns zu Herzen geht.
Es scheint nicht viel zu geben, was uns so zu Herzen geht.
Vielleicht ist das ja gut so - wer weiß,
ob unsere Herzen das aushalten würden?
Zu einer anderen Zeit unseres Lebens war das jedenfalls noch anders.
Kleine Kinder, wenn sie Beeindruckendes erlebt haben,
erzählen davon mit Worten wie ein Wasserfall.
Ein besonderes, aufregendes Erlebnis,
ein Besuch auf dem Rummel oder im Zoo,
das Miterleben von etwas Außergewöhnlichem
kann zu wahren Wortkaskaden führen.
Da stimmt der Satz: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Die kleinen Kinderherzen,
die noch nicht so abgebrüht sind wie unsere,
und noch nicht so abgehärtet,
die können noch nicht so viel fassen,
die quellen über bereits bei einem Erlebnis,
und dann quillt es heraus aus ihnen in Worten ohne Ende.

Was lagern wir in unseren Herzen,
und wovon quellen sie über?
Wann war es zum letzten Mal,
dass unser Herz so übergequollen ist,
dass wir unseren Mund nicht mehr halten konnten?
Wovon schwärmen wir?
Was begeistert uns?
Martin Luther sagt: "Wo dein Schatz ist,
da ist recht eigentlich dein Herz."
Haben wir Schätze oder Schätzchen,
die uns begeistern,
oder geht es uns wie dem Kohlenmunk-Peter in der Erzählung vom "Kalten Herz",
das unser Herz versteinert ist, sich nicht mehr rühren lässt,
dass wir zu keiner Begeisterung mehr fähig sind,
die uns mitteilungsbedürftig macht?

In der Geschichte, an deren Ende der Predigttext steht,
treibt Jesus einen Dämon aus einem Menschen aus.
Ein Dämon, das bezeichnet etwas, das einen Menschen besetzt.
Er besetzt das Herz, so dass nichts anderes mehr herein kann.
Deshalb war der Besessene, den Jesus heilte, auch taub und stumm:
Es kam nichts mehr herein ins Herz
und deshalb auch nichts mehr heraus aus seinem Mund.
Das Herz dieses armen Menschen
war ein Stein geworden.
Mit der Austreibung des Dämon war es wieder aufnahmebereit.
Offen für alles, was einem Menschen zu Herzen gehen kann.

Gott möchte unser Herz für sich gewinnen.
Er möchte es besetzen.
Darum wird Gott Mensch.
Gott inkarniert sich. Das Wort wird Fleisch.
Darauf gehen wir zu.
Das feiern wir bald wieder, an Weihnachten.
Das Wort wird aber nicht nur einmal Fleisch.
Gott inkarniert sich in uns.
Das Wort Gottes will immer wieder Fleisch werden in uns.
Es wird Fleisch, indem es unser Herz ergreift und besetzt
und für das, was dieses Wort Gottes sagt, entfacht.
Für Gottes Gerechtigkeit. Für Gottes Frieden. Für Gottes Liebe.

Das Wort Gottes ist unser Schatz.
Und wenn es unser Herz anfüllt,
dann drängt es heraus aus uns,
nicht nur in anderen, neuen Worten aus dem Mund.
Es drängt heraus aus unseren Augen in freundlichen Blicken,
im Ansehen und Hinsehen, im Wahrnehmen und in teilnehmender Freude.
Es drängt heraus aus Armen und Händen
im Helfen und Heilen, im Tragen und Trösten.
Aus jedem Menschen drängt es heraus,
dieses Wort Gottes, um Gestalt zu gewinnen
in der Art und Weise, wie wir unser Miteinander gestalten.

Von Gottes Wort ergriffen,
von Gottes Wort besessen,
können wir nicht böse sein.
Wir können Gutes reden.
Wir können Gutes tun.

Wenn Gott sich so in unser Leben einmischt,
dann mischt er sich durch uns auch in die Welt ein, die uns umgibt:
in die Politik, in die Wirtschaft,
in unsere Art, mit Armen, Alten oder Kranken umzugehen.

Gott mischt sich durch uns in die Welt ein.
Gott will mit uns und unseren Fähigkeiten etwas produzieren.
Gott fängt an, mit uns zusammen etwas herzustellen,
etwas Neues, das wir Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit nennen,
oder, wie Jesus es genannt hat: Reich Gottes.

Wir selbst wirken daran mit, jede und jeder von uns,
in den Gott sich eingemischt hat,
in den Gott sich einmischt,
wenn wir nachher Abendmahl feiern
und Gott in uns aufnehmen.
Jede und jeder von uns kann daran mitwirken,
dass das Reich Gottes unter uns Raum gewinnt.
Ohne unsere Kooperation kommt Gott da nicht weiter.
Weil er sich aber eingemischt hat in unser Leben,
darum können auch wir uns einmischen
und daran mitarbeiten, dass Gottes Reich kommt.
Jeden Tag neu.

Amen.