Freitag, 23. Dezember 2011

Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2011

Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2011, über Jesaja 9,5-6:

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.


Liebe Gemeinde,

ein Kind ist geboren!
Das ist eine gute Nachricht!
Eine Nachricht, die Freude auslöst in der Familie
und in der engeren Verwandtschaft.
Eine Nachricht, die einen sofort gut gelaunt sein lässt,
wenn man sie erfährt.
Und für einen Moment ist man ganz bewegt,
denkt an die Mutter und hofft, dass sie alles gut überstanden hat.
Vor allem wünscht man dem Kind alles erdenkliche Gute.

Dann kommen die Fragen:
ist es ein Junge oder ein Mädchen?
Wie groß ist es, und wie schwer?
Wie soll es heißen?

"Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben;
und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst."
Ein Junge also.
Ein ganz besonderes Kind, offensichtlich -
es hat so ungewöhnliche Namen:
"Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst."
- So nennt man doch kein Kind.

"Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst"
sind ja auch nicht seine richtigen Namen.
Es sind sprechende Namen.
Sie reden davon, wofür dieses Kind steht,
sozusagen das Programm,
das diesem Kind bereits in die Wiege gelegt wird.

II
"Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben."
Was für eine gute Nachricht!
Ein neu geborenes Kind ist ein Wunder:
Es hat schon alles, was einen Menschen ausmacht,
aber alles ist noch winzig klein,
es muss sich erst noch entfalten.
Die Fingerchen mit winzigen Fingernägeln,
so klein, dass sie meinen kleinen Finger gerade so umschließen.
Aber sie können schon richtig zufassen.

Ein Kind - ein Wunder, das sich erst noch entfaltet.
Was könnte nicht alles aus diesem Kind werden?
Die Hoffnungen und Erwartungen an ein Neugeborenes sind grenzenlos.
Weil noch alles aus diesem Kind werden kann.
Weil es noch nicht festgelegt wurde auf eine Herkunft,
noch nicht einsortiert wurde in eine Schublade.

Das das wird gleich passieren.
Sobald das Kind zuhause ist, wird es losgehen.
Dann wird nicht mehr alles möglich sein,
dann wird nicht mehr alles aus ihm werden können.
Dann wird es eine Herkunft bekommen, eine Geschichte
und wird einsortiert werden.

Aber noch ist alles offen.
Noch darf man träumen,
dass dieses Kind einmal anders werden,
es einmal anders machen könnte als wir,
dass es die Welt verändern könnte.

III
Das Kind, das heute geboren wird,
tritt an, die Welt zu verändern.
So muss man seine Namen wohl verstehen:
"Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst".
Vor allem seinen letzten Namen: "Friede-Fürst".
Dieses Kind bringt Frieden.
Haben das in der Weihnachtsgeschichte nicht auch die Engel den Hirten verkündigt, "Frieden auf Erden"?

Frieden. Ein großes Wort.
Frieden war auch einmal eine große Hoffnung.
Aber wenn das Kind uns heute den Frieden bringen will,
sagen wir: danke, haben wir schon.
Wir leben seit über 60 Jahren im Frieden.
Seit dem Fall der Mauer brauchen wir auch keine Angst mehr davor zu haben, dass sich für uns etwas daran ändert.
Im Gegenteil: Die Bundeswehr wird verkleinert.
Wir benötigen keine Armee zur Abschreckung mehr.
Die Soldaten sind bloß noch zur Sicherheit da
und für Einsätze im Ausland.

Wir brauchen keinen Frieden.
Den haben wir schon,
wie die doppelten Weihnachtsgeschenke
- aber die kann man wenigstens umtauschen.
Was sollen wir mit dem Frieden anfangen,
den uns das Christkind bringt?

IV
Das Christkind bringt Frieden,
wir aber warten auf andere, auf bessere Geschenke.
Wir warten darauf, dass die Konjunktur wieder anzieht,
dass der Euro sich erholt, die Wirtschaft weiter wächst
und sich die Hiobsbotschaften vom Klimawandel
als heiße Luft erweisen.

Dabei wissen wir eigentlich schon lange,
dass es so nicht weitergehen kann.
Nichts kann ewig weiter wachsen,
auch die Wirtschaft nicht.
Irgendwann ist jedes Wachstum zuende,
weil die Ressourcen aufgebraucht sind.
Es ist abzusehen, wann das sein wird.
Aber wir wachsen weiter, wir wachsen auf Pump
und nehmen neue Kredite auf, um die alten abzulösen
- dabei können wir schon jetzt unsere Schulden nicht bezahlen.

Wir wachsen, wir müssen wachsen,
wir sind wie gefangen in dieser Wachstumsideologie,
zu der auch das Kaufen gehört, der Konsum,
und das Wegschmeißen,
damit wir schnell wieder neue Sachen kaufen können.

Wir selbst müssen immer weiter wachsen,
ein Leben lang besser werden,
auch unser Körper kann besser werden,
selbst, wenn er alt ist.
Es gibt keine Atempause und auch kein Ziel.
Wir laufen im Rad,
sind gefangen in einem Wachstumsprozess,
der immer weiter, immer weiter geht, ohne Ziel.

Wir sind Gefangene der Wachstumsideologie,
aber es geht uns gut damit,
wir wollen nicht heraus.
Wir möchten, dass alles so bleibt, wie es ist.
Wir möchten unseren Lebensstil nicht ändern,
auch wenn er zu Lasten unserer Umwelt
und zu Lasten der ärmeren Länder geht.
Wir möchten behalten, was wir haben - naja,
wenn wir ehrlich sind: Wir hätten gern noch ein bisschen mehr ...

V
Sollte das wirklich unsere Antwort auf die Weihnachtsbotschaft sein?
Wenn man der Werbung glaubt,
dann scheint es fast so:
"Weihnachten wird unterm Baum entschieden", heißt es da.
Ist das so? Geht es auch an Weihnachten
nur um die Geschenke, um Konsum und Wachstum?

Die Tatsache, dass Sie heute hierher in die Kirche gekommen sind,
zeigt, dass es an Weihnachten noch um etwas anderes geht.
Zum Beispiel um unsere Erwartungen,
dass es in der Welt gerecht zugehen sollte und ehrlich.
Dass die, die abschreiben,
die, die einen lässigen Umgang mit der Wahrheit pflegen
nicht jedes Mal ungestraft davonkommen.
Dass die, die sich von Geschäftsfreunden einladen lassen,
die, die Geld zum Fenster herauswerfen, das ihnen nicht gehört,
dafür bezahlen müssen.

Es geht um unsere Hoffnungen,
dass das Leben mehr ist als arbeiten und kaufen,
mehr zu bieten hat als Fernsehen und Autofahren.

Und schließlich und vor allem geht es um Frieden.
Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg.
Kriege werden um Märkte geführt, um Bodenschätze
und um Handelswege - so der Versprecher von Horst Köhler,
der ihn das Amt des Bundespräsidenten kostete.
Mit der Art, wie wir wirtschaften,
tragen wir zum Krieg bei - oder zum Frieden.

Es geht um Frieden in der Welt,
und um Frieden für uns.
Denn es ist deutlich zu spüren,
dass der Zwang zu immer mehr Leistung,
zu immer mehr Wachstum,
der schon im Kindergarten eingeübt wird,
Menschen nicht gut tut.
Er macht uns krank.

VI
Das Kind kommt zu uns,
wird unter uns geboren.
Dadurch kommt etwas Neues in die Welt.
Und das bedeutet,
dass wir nicht mehr so weitermachen können wie bisher.
Dass sich etwas ändern muss an unserer Art zu wirtschaften,
an unserer Art, diese Welt zu benutzen.
Es bedeutet,
dass wir uns werden ändern müssen.

Das Kind, das heute Nacht geboren wird, bringt Frieden.
Frieden für uns, und Frieden für die Welt.
Damit der Frieden zu uns kommen kann,
müssen wir anhalten
- innehalten, hat man früher gesagt,
ein schönes Wort. Es bedeutet:
Pause machen. Nachdenken.
Wohin bin ich unterwegs?
Und will ich da wirklich hin?

Ein Kind ist uns geboren,
das uns Frieden bringt.
Frieden für die Welt und Frieden für unsere Herzen.
Es ist ein Frieden, der uns unruhig macht.
Wenn man diesen Frieden gefunden hat,
kann man den Unfrieden nicht mehr übersehen,
den unsere Art zu leben und zu wirtschaften über die Welt bringt.

Zugleich ist es ein Frieden,
der unser Herz ganz ruhig werden lässt.
Weil er uns mit Gott verbindet
und uns wissen lässt:
Wir müssen nicht immer weiter wachsen,
wir sind doch bereits wer.
Denn das größte Geschenk haben wir ja schon bekommen:
Gott hat uns seinen Sohn geschenkt.
Er ist unser Bruder geworden,
wir seine Schwestern und Brüder.
Wir sind eine große Familie,
geborgen und zuhause bei Gott.

Ein Kind wird geboren,
und ein Wunder entfaltet sich:
das Wunder des Friedens,
der unter uns beginnt
und ausstrahlt auf unsere Art zu leben,
auf unseren Umgang mit unseren Mitmenschen,
auf die ganze Welt.
Amen.