Freitag, 23. Dezember 2011

Predigt in der Christnacht, 24.12.2011

Predigt in der Christnacht, 24.12.2011, über Jesaja 7,14:

Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel - Gott ist mit uns.


Liebe Gemeinde der Christnacht,

durch Dunkelheit hat Sie der Weg in die Kirche geführt.
Sie haben die wohlige Wärme des Weihnachtszimmers,
den Schein der Christbaumkerzen verlassen
und sind in die Nacht hinaus gegangen.

Eine laue Sommernacht kann sehr romantisch sein.
In einer nass-kalten Winternacht wie dieser
zeigt die Nacht sich von ihrer düsteren, unheimlichen Seite.
Man verlässt ungern das schützende Haus
und beeilt sich, wieder ins Licht zu kommen.

Die unheimliche Dunkelheit ist zum Symbol geworden
für alles, was bedrohlich, gefährlich ist.
Wenn sie in einem Krimi auftaucht ahnen wir:
gleich wird etwas Schlimmes passieren.
Ist vom Schatten die Rede, in dem sich etwas regt
oder der auf einen Menschen fällt, ist der Möder nicht weit.

Dunkelheit kann sich auf einzelne Menschen legen,
wenn sie die Hoffnung verlieren,
aber auch auf ganze Gesellschaften und Völker.
Vom Volk, das im Finstern wandelt, spricht der Prophet Jesaja.
Und auch wir leben in finsteren Zeiten.

Das Klima ist nicht gut.
Damit meine ich nicht nur das Wetter,
das sich so gar nicht weihnachtlich verhalten will.
Es ist das Weltklima, das uns Sorgen macht,
die globale Erwärmung,
und die Unfähigkeit der Staaten,
sich über den Schutz des Klimas einig zu werden.

Auch das soziale Klima bietet Anlass zur Sorge,
weil die Schere zwischen Reichen und Armen
immer weiter auseinandergeht.

Man muss sich Sorgen um das Wirtschaftsklima machen,
um den Euro, ja vielleicht sogar um unser ganzes Wirtschaftssystem,
weil es fraglich ist, ob der Aufschwung anhält
- und was dann kommt.
Vielleicht können wir uns diese Art des Wirtschaftens nicht mehr lange leisten. Wir können unsere Staatsschulden nicht mehr bezahlen - und unsere Umweltschulden erst recht nicht.

Muss ich da noch erwähnen,
dass auch das Klima in der Kirche nicht gut ist?
Auch hier gehen wir harten Zeiten entgegen:
Weil der Kirche das Geld ausgeht,
werden Gemeinden zusammengelegt,
Kirchgebäude geschlossen und aufgegeben werden müssen.

Mit einem Wort:
Die Großwetterlage ist katastrophal.
Wir gehen finsteren Zeiten entgegen.

II
Heute feiern wir Weihnachten und zünden Lichter an.
Lichter, die die Finsternis vertreiben sollen.
Aber so leicht lässt sich die Dunkelheit nicht vertreiben.
Wir haben sie hierher mitgebracht,
wir haben sie eigentlich immer dabei.
In Form beruflicher oder privater Sorgen,
als Angst um den Arbeitsplatz,
Angst vor den Folgen einer Krankheit.
Und auch als Angst vor der Zukunft,
als Sorge, wie es weitergeht
mit unserer Gemeinde, mit unserem Land,
mit unserer Welt.

Wir wandeln im Dunkeln
wie weiland das Volk Israel, von dem der Prophet Jesaja spricht.
Das ist schon eine ganze Weile her. Menschenalter.
Dunkelheit und finstere Zeiten hat es wohl schon immer gegeben.
Seit Menschengedenken machen Menschen sich Sorgen,
kleine und große,
Sorgen über private Dinge
und Sorgen über die politische, die wirtschaftliche Großwetterlage.
Seit Menschengedenken kämpfen Menschen gegen überwältigende Probleme, die sich wie eine Dunkelheit auf sie legen.
Und seit Menschengedenken warten sie darauf,
dass einer die Probleme löst
und sie von ihren Sorgen befreit.

Konzepte sind gefragt. Strategien.
Fallschirme und Rettungsfonds.
Krisengipfel und Konferenzen,
auf denen versucht wird,
eine Lösung zu finden.

III
Gottes Lösung sieht ganz anders aus.
"Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel - Gott ist mit uns."
Gott bietet keine fertige Problemlösung an,
keine Handlungsanweisung, die man nur noch befolgen müsste,
damit alles gut wird.
Gott wirkt an den Politikern, den Managern, den Machern vorbei
auf eigene, geheimnisvolle Weise.
"Eine Jungfrau ist schwanger"
- das neue, das Gott kommen lässt,
geschieht ohne menschliches Zutun,
abseits politischer Netzwerke,
ohne die Kniffe und Regeln des Managements.
Es geschieht einfach von sich aus,
wie ein Kind im Bauch einer Mutter eben wächst.

Es geschieht einfach ...
Kann es sein, dass sich Probleme auf so simple Weise lösen,
indem man es einfach geschehen lässt?
Man darf dieses Geschehenlassen nicht verwechseln
mit dem Aussitzen mancher Politiker und Funktionäre.
Auch ist damit nicht gemeint, die Hände in den Schoß zu legen.

Seit dem 17. September hat sich eine neue Bewegung gegründet,
Sie haben sicher schon davon gehört:
"Occupy Wallstreet" ist das Motto dieser Bewegung,
besetzt die Wallstreet.
Die Occupy-Bewegung will nicht zulassen,
dass die Wallstreet von Bankern und Börsianern dominiert wird.
Sie will das Gebaren der Banken ins Licht der Öffentlichkeit zerren.
Sie will nicht, dass einzelne Banken und Rating-Agenturen
Menschen und ganze Staaten in den Ruin stoßen können.

Die Occupy-Bewegung hat sich ausgebreitet.
Sie ist eine Macht geworden.
Und schon fangen die ersten an zu fragen, was denn die Ziele sind.
Die Occupyer sollen Forderungen aufstellen,
ein Programm, einen Plan.
Aber das tun sie nicht. Sie protestieren.
Sie sagen, was ihnen nicht gefällt.

Occupy-Bewegungen hat es schon früher gegeben,
auch wenn sie sich nicht so nannten.
Da gab es z.B. die, die das Gelände über dem Salzstock von Gorleben besetzten und eine "Republik freies Wendland" ausriefen.
Oder die, die leerstehende Häuser besetzten,
um damit günstigen Wohnraum zu erhalten.

Früher hat man diesen Leuten vorgehalten:
Dann geht doch nach drüben!
Aber "drüben" gibt es nicht mehr.
Man hat ihnen vorgehalten,
sie seien nur "dagegen",
sie wüssten selbst nicht, wie es besser geht.
Aber man darf trotzdem protestieren,
auch wenn man nicht weiß, wie es anders oder besser geht.
Vielleicht ist es genau richtig,
nicht schon wieder zu wissen,
wie's gemacht wird,
nicht schon einen fertigen Plan zu haben.
Sondern erst einmal abzustellen, was falsch ist,
und zu beobachten, was sich statt dessen entwickelt.

IV
Neun Monate wächst ein Kind im Bauch der Mutter.
Neun Monate, die eine Mutter abwarten und aushalten muss,
die sie nicht verkürzen kann.
Ganz schön anstrengend, diese Warterei!
Aber nicht zu ändern.
Warum nehmen wir uns nicht die Zeit abzuwarten,
bis die Zeit für Veränderungen reif ist?
Warum nehmen wir uns nicht die Zeit, abzuwarten,
ob etwas geschieht, und was geschieht?

Vielleicht, weil wir kein Vertrauen haben?
Vertrauen darauf, dass etwas wachsen wird,
auch wenn wir erst einmal nichts tun.
Vertrauen darauf, dass wir ihn schon nicht verpassen werden,
den Augenblick, in dem wir gefragt sind.
Eine Schwangere kann den Augenblick der Geburt nicht verpassen.
Er kündigt sich unmissverständlich an,
und dann ist ihr Einsatz gefragt
- und in begrenztem Maße auch der des Vaters.

V
Das Neue, das durch Gott auf die Welt kommt,
ist ein Kind, das einen ganz besonderen Namen trägt:
Immanuel.
Wir kennen es unter einem anderen Namen:
Jesus.
Immanuel, das ist Gottes Plan gegen unsere Sorgen,
Gottes Programm zur Rettung seiner und unserer Welt:
Gott ist mit uns.

Gott ist mit uns
- nicht so, wie es die Soldaten früherer Zeiten
auf der Koppel ihres Gürtels stehen hatten,
zur Selbstvergewisserung,
auf der richtigen, der guten Seite zu stehen.

Gott ist mit uns in einem ganz anderen,
einem viel umfassenderen Sinn.
Gott ist mit uns in einer Weise, wie es Paulus formuliert hat:
"In ihm weben, leben und sind wir." (Apostelgeschichte 17,28)
Wir sind so eins mit Gott,
wie ein Fisch es mit dem Wasser ist,
in dem er schwimmt,
oder ein Kind im Mutterleib mit seiner Mutter.

So mit Gott verbunden, sitzen wir an der Quelle,
am Ursprung allen Seins.
Wenn wir Gott vertrauen, können wir ihm alles zutrauen.
Wir können gar nicht maßlos genug sein
in unserem Durst nach Freiheit, nach Glück,
nach Nähe, nach Liebe,
nach Erkenntnis, nach Frieden
- solange wir all das bei Gott suchen
und nicht in unserem Leben, bei unseren Mitmenschen.
Bei Gott finden wir die Erfüllung aller unserer Sehnsüchte,
wenn wir Vertrauen wagen
- den Absprung aus unserer begrenzten Wirklichkeit
hinein in Gottes unendliche, unergründliche Fülle.

VI
Gottes Sohn kommt zur Welt,
um uns zum Vertrauen,
zu diesem Sprung in Gottes Fülle, zu überreden.
Es ist ein Sprung mit Netz, Fallschirm und doppeltem Boden,
denn Gott ist mit uns.
Wir springen nicht ins Nichts.
Wir springen nur heraus aus allem,
was uns fesseln und zwingen will
hinein in die Freiheit der Kinder Gottes.
In eine Freiheit, in der wir alles von Gott erwarten
und skeptisch sein können gegenüber den Rezepten
der Wissenschaftler, Wirtschaftsweisen,
Politiker und Manager.

Wir leben ins finsteren Zeiten,
und wir tragen die Dunkelheit auch in uns.
Doch das Licht von Weihnachten scheint in die Dunkelheit.
Der Sohn Gottes erleuchtet uns als Stern den Weg,
auf dem wir gehen können.
Sein Licht vertreibt die Dunkelheit,
vertreibt Angst und Sorgen
und schenkt uns das Vertrauen:
Wir werden mit Gottes Hilfe den Weg schon finden.
Amen.