Samstag, 7. April 2012

Auferstehung - es lebe die Revolution! - Osterpredigt



Predigt am Ostersonntag, 8. April 2012, über 1.Samuel 2,1-2.6-8a:

Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn,
mein Haupt ist erhöht in dem Herrn.
Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,
denn ich freue mich deines Heils.
Es ist niemand heilig wie der Herr,
außer dir ist keiner,
und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
Der Herr tötet und macht lebendig,
führt hinab zu den Toten und wieder herauf.
Der Herr macht arm und macht reich;
er erniedrigt und erhöht.
Er hebt den Dürftigen aus dem Staub
und erhöht den Armen aus der Asche,
dass er ihn setzte unter die Fürsten
und den Thron der Ehre erben lasse.


Liebe Gemeinde,

vom Tellerwäscher zum Millionär -
das ist der amerikanische Traum.
Die Aussicht, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
eine Möglichkeit zu finden, der Armut,
der Perspektivlosigkeit zu entkommen,
hat Scharen von Auswanderern angezogen.
Für viele von ihnen ist der amerikanische Traum wahr geworden.
Nicht jeder wurde ein Rockefeller,
doch die meisten Auswanderer konnten für sich
oder spätestens für ihre Kinder Dinge erreichen,
die ihnen in ihrer Heimat verwehrt gewesen wären:
Bildung. Land, das ihnen gehörte, und von dem sie leben konnten.
Die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg,
bis hin zum Amt des Präsidenten.

Der amerikanische Traum klingt
wie eine moderne Form des Lobgesangs,
den wir zu Beginn des Gottesdienstes gebetet haben:
"Er hebt den Dürftigen aus dem Staub
und erhöht den Armen aus der Asche,
dass er ihn setzte unter die Fürsten
und den Thron der Ehre erben lasse."
Wer einen solchen Aufstieg erlebt hat,
den Aufstieg aus der Gosse,
aus armen, unwürdigen Verhältnissen bis nach ganz oben,
für den mag sich das wie Auferstehung anfühlen.

I
Hanna, aus deren Mund dieser Lobgesang stammt,
hat einen solchen Aufstieg,
eine Auferstehung aus Niedrigkeit und Wertlosigkeit erlebt.
Sie kam zwar nicht aus der Gosse,
sondern lebte in geeordneten Verhältnissen,
ihr Mann war wohl sogar einigermaßen wohlhabend.
Aber sie war gesellschaftlich ein Niemand.
Denn sie hatte keine Kinder.

Frauen hatten zur Zeit der Bibel
und noch über Jahrhunderte, Jahrtausende danach
keine Rechte, keine Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs,
keine Chance, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen,
es selbst zu gestalten - sieht man von wenigen Ausnahmen ab.
Frauen schrieben selten Geschichte.
Was zu sagen war, das wurde von Männern gesagt und aufgeschrieben.
Auch die Bibel gibt überwiegend die männliche Perspektive wieder.
Die Rolle der Frau wurde in dieser Sicht der Männer
als die der Hausfrau und Mutter definiert.

Hanna aber füllt diese Rolle nicht aus.
Sie kann es nicht: Sie hat keine Kinder.
Ihre Kinderlosigkeit macht sie zur Außenseiterin,
zu einem gesellschaftlichen Niemand.
In ihrem Kummer, ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Gott
und verspricht ihm, sollte sie schwanger werden,
ihren Sohn Gott zu weihen:
Er soll als Prophet im Tempel leben,
er soll sozusagen Mönch werden.

Hannas Wunsch nach einem Kind erfüllt sich.
Sie wird schwanger und bringt einen Sohn zur Welt,
Samuel nennt sie ihn, "von Gott erbeten".
Und sie hält ihr Versprechen:
Als ihr Sohn alt genug ist, bringt sie ihn zum Tempel,
damit er dort für immer bei Gott bleibt.
Dort, im Tempel, singt sie das Lied von Gott,
der arm macht und reich,
erniedrigt und erhöht,
das wir eingangs gebetet haben.

II
Wie sehr manche Menschen sich ein Kind wünschen
und darin die Erfüllung ihres Lebens erfahren,
kann man sich vorstellen.
Und man kann sich auch vorstellen,
wie es sich anfühlen muss,
wenn man etwas nicht hat, das andere haben;
wie man sich ausgegrenzt, gebrandmarkt fühlt.
Man meint, fehlerhaft, mangelhaft zu sein,
weil man nicht so ist wie alle anderen;
und die anderen meinen das meistens auch.

Hannas Geschichte könnte auch in unserer Zeit spielen.
Aber was an dieser Geschichte schwer fällt,
ist, dass Hanna ihr Kind, das sie sich so sehr ersehnte,
wieder hergibt und es sozusagen Gott schenkt.
Nach unseren heutigen moralischen Maßstäben
müsste man fragen, was Hanna ihrem Kind damit antut,
wenn sie es weggibt;
man müsste fragen, ob Hanna gar nichts an ihrem Kind liegt.
Doch unsere modernen Fragen sind Fragen,
die dieser Geschichte, die der Zeit, in der Hanna lebte, fremd sind.

Die Geschichte wird ja nicht ihres Kinderwunsches wegen,
sondern wegen des Lobgesangs der Hanna erzählt.
Um ihren Sohn Samuel geht es dann auch,
viel ausführlicher als um seine Mutter.
Aber jetzt hat zunächst einmal Hanna das Wort.
Das ist ähnlich wie später im Neuen Testament,
wo es am Anfang des Lukasevangeliums
auch zunächst nicht um den Sohn, Jesus,
sondern um seine Mutter Maria geht,
die ein ähnliches Loblied wie Hanna singt, das Magnificat,
um danach völlig hinter ihrem Sohn zu verschwinden.
Auch das Lied der Maria singt davon,
dass Gott die Mächtigen vom Thron stürzt
und die Niedrigen erhebt,
die Hungrigen mit Gütern füllt
und die Reichen leer ausgehen lässt.

III
Beide Frauen, Hanna und Maria,
singen revolutionäre Lieder,
nachdem sie Gottes Eingreifen in ihrem Leben,
nachdem sie einen gesellschaftlichen Aufstieg,
so etwas wie eine Auferstehung erfahren haben.
Sie singen von der Umkehrung der Verhältnisse -
Arme werden reich, Reiche werden arm,
Mächtige verlieren ihre Macht,
die jetzt die vorher Ohnmächtigen erhalten.
Es lebe die Revolution!
Wer hätte gedacht, dass im Christentum
solch revolutionäres Potential steckt.
Und wer hätte gedacht, dass es Frauen sind
- Frauen, die in der Gesellschaft der Männer
kein Recht, keine Stimme, nichts zu sagen haben -,
die diese Revolution in ihrem Lied besingen?

Auch die Auferstehung ist eine Revolution, eine Umwälzung.
Zunächst im wörtlichen Sinne:
Der Stein, der vor dem Grab Jesu lag, ist weggewälzt.
Ein offenes Grab - entweder gruselt's einen
bei dem Gedanken daran,
oder man erregt sich über dieses Ärgernis.
Aber das Grab ist leer.
Und das ist das eigentlich Revolutionäre.
Bis heute wird die Botschaft von der Auferstehung
zwar als befreiend empfunden -
nach der Trauer, der düsteren Stimmung des Karfreitags
kann man endlich wieder lachen und fröhlich sein.
Aber dass tatsächlich jemand, der tot war,
auferstanden und auf neue Weise lebendig geworden ist -
das ist doch wohl ein bisschen zu viel verlangt.

Genau dieses "Zuviel": Das ist das Revolutionäre.
Dass man sich nicht damit zufrieden gibt,
dass Jesus ein guter Mensch war,
der vielen geholfen und der bedenkenswerte Dinge gesagt hat,
der als gewaltloser Friedensbewegter ans Kreuz geschlagen wurde
und gestorben ist.
Sondern darauf besteht, dass Jesus lebt
- und mit ihm seine Tat und seine Botschaft.

IV
Seine Tat, das war,
stellvertretend für alle, die von anderen zu Opfern gemacht werden,
die Opferrolle anzunehmen
und sie bis zum bitteren und endgültigen Ende durchzuhalten,
bis zu seinem Tod am Kreuz.
Er hat sich selbst geopfert
und damit alle anderen Opfer überflüssig gemacht.
Wir brauchen uns nicht mehr zu opfern
- weder müssen wir uns für einen anderen Menschen aufopfern,
noch für eine Überzeugung, eine Ideologie, einen Staat.

Und wir brauchen niemanden mehr zu opfern
- ja, wir dürfen niemanden mehr opfern.
Wer das Geschehen von Karfreitag wirklich verstanden hat,
der will nicht, dass jemals wieder Menschen geopfert werden,
der findet es unerträglich,
dass es überall auf der Welt weiterhin im Stunden-
ja, im Minutentakt geschieht.

Die Botschaft, die Jesus verbreitet hat
- nicht so sehr mit Worten, sondern mit seinem Leben -,
war die unbedingte Solidarität mit allen,
die zu Opfern werden.
Die Hinwendung, besonders zu denen aus der Gosse,
zu Prostituierten, Kranken,
Kollaborateuren, äußerlich Entstellten und - Frauen.
Jesus hat das Reich Gottes unters Volk gebracht.
Er hat den Traum von einer gerechten Welt mit allen geteilt.
Das war revolutionär,
und das ist es bis heute.

Der amerikanische Traum sieht dem Traum vom Reich Gottes verblüffend ähnlich:
Jede und jeder soll die Chance haben,
etwas aus sich zu machen,
aus der Gosse aufzusteigen bis nach ganz oben.
Das ist die Freiheit, die viele meinen.
Aber es ist die Freiheit des Individuums,
die Freiheit von Einzelnen.
Je radikaler man sich diese Freiheit denkt,
desto einsamer wird man dabei.
Denn wenn man seinen Lebenstraum wirklich konsequent verwirklichen will,
verliert man mehr und mehr Menschen,
die diesen Weg nicht mitgehen können
oder die auf diesem Weg nur stören.
Am Ende ist man ganz oben, aber auch ganz allein.

Der Traum vom Reich Gottes,
den Jesus träumte
und seinen Zuhörerinnen und Zuhörern ans Herz legte,
war ein Traum von Gerechtigkeit für alle Menschen.
Keine verordnete Gerechtigkeit
wie in den totalitären Regimen unserer Zeit,
die Menschen zum besseren Leben zwingen wollten
mit Gewalt und dem Entzug ihrer Freiheit.
Sondern eine Gerechtigkeit,
die aus der Liebe zu den Opfern kommt,
aus Solidarität mit denen, die ganz unten sind.
Jesus hat seinen Jüngern die Füße gewaschen,
um uns damit ein Beispiel zu geben,
wo unser Platz ist.

V
Jesus hat in Wort und Tat
den Menschen die revolutionäre Idee
vom Reich Gottes ins Herz gepflanzt.
Durch seine Auferstehung ist es nicht bei der Idee geblieben.
Der Same, den er damals eingepflanzt hat, wächst
und ist ein riesiger Baum geworden,
unter dem die komischsten Vögel Schatten finden.
Das kleine Stückchen Sauerteig,
das Jesus damals unter die Leute warf,
ist nicht von ihren Füßen zertreten worden,
sondern hat eine ungeheure Gärung entfaltet,
die bis heute Menschen in Bewegung hält.

All das wäre nicht geschehen,
wenn Jesus nicht auferstanden wäre.
Jesus, sein Leben, seine Ideen wären längst vergessen.
Weil er lebt, lebt auch die Hoffnung auf das Reich Gottes.
Weil er lebt, ereignet sich tagtäglich die Revolution
der Auferstehung,
in der Arme reich werden
und Erniedrigte ihre Chance erhalten,
in der totgesagte länger leben, als gedacht,
und Schwachheit zur Stärke wird.

Weil Jesus lebt,
ist das alles nicht nur ein schöner Traum,
sondern eine Wirklichkeit,
die unser Leben auf den Kopf stellt -
so sehr, dass am Ende der Tod nicht mehr weiß,
wo oben und unten ist.

Am Ende wird die Wirklichkeit greifbar.
Wenn wir scheinbar den Halt verlieren
und aus dem Leben fallen,
wachen wir erst richtig auf zum wahren Leben.
Das ist Auferstehung.
Das ist Revolution.
Darum: Es lebe die Revolution!
Amen