Samstag, 29. September 2012

Geld oder Leben - eine Erntedankpredigt


Predigt am Erntedanktag, 30. September 2012, über 1.Timotheus 4,4–5:
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

Liebe Gemeinde,
Dir ist aber auch gar nichts heilig!” So wird jemand kritisiert, der keinen Respekt zeigt, der keine Scheu und keine Tabus kennt.
Musilime werden mit Karikaturen des Propheten Mohammed und mit einem Film, der ihn verunglimpft, provoziert, und lassen sich provozieren. Für muslimische Terroristen waren diese Tabubrüche willkommene Anlässe für Attentate. Wer dagegen bei uns den christlichen Glauben verächtlich macht, Jesus-Witze reißt oder die Kirche schmäht, erntet dafür im besten Fall Zustimmung. Oft hört man schon gar nicht mehr hin, weil das alles olle Kamellen sind.
Sind wir schon so abgebrüht, dass uns Schmähungen gegen Jesus und gegen unseren Glauben nicht mehr aufregen? Oder haben wir selbst schon das Gespür dafür verloren, was heilig und tabu ist und was man deshalb respektvoll behandeln muss?
Ist das so? Ist uns nichts mehr heilig? Oder ist uns im Gegenteil eher zu viel heilig als zu wenig?
I
Zuviel heilig: Das kann ja gar nicht sein! In unserer säkularen Gesellschaft, die strikt zwischen Kirche und Staat trennt, gibt es nichts Heiliges mehr. Alles darf man kritisieren. Alle Tabus sind gebrochen. Alle, bis auf eines: Die Privatsphäre, die ist noch tabu; noch sind die eigenen vier Wände heilig. Aber auch dieses Tabu fällt allmählich der Neugier der anderen und der eigenen Lust an der Zurschaustellung zum Opfer. Auf allen Kanälen - auf Facebook, Twitter, Instagram und wie die Medien der Vernetzung sonst noch heißen - legen Menschen ihr Innerstes bloß.
Was bedeutet denn eigentlich: “heilig”? “Heilig” ist etwas, das Gott zugeordnet, “geweiht” wird. Es gehört nicht mehr der Welt an, und es gehört auch nicht sich selbst, es gehört jetzt Gott. Das kann man natürlich nicht sehen. Ein Gegenstand, ein Mensch, der “heilig” ist, sieht genauso aus wie alle anderen auch. Wenn man es nicht weiß, erkennt man es nicht. So sagt Jakob, als er von der Himmelsleiter träumt: “Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!” (Genesis 28,16) Und Gott warnt Mose: “Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!” (Exodus 3,5)
Etwas, das “heilig” ist, gehört nicht mehr mir oder dir, es gehört auch nicht mehr sich selbst, es gehört Gott. Deshalb darf man damit nicht machen, was man will. Man darf es nur verwenden, und nur so verwenden, wann und wie es Gott gefällt. Auch das kann man nur wissen, nicht sehen. Es gibt ja bei den meisten Dingen keinen Beipackzettel, der vor Risiken und Nebenwirkungen warnt. Es gibt auch bei Menschen keinen Beipackzettel, auf dem steht, wie man respektvoll, liebevoll und rücksichtsvoll mit ihnen umgeht.
II
Wenn “heilig” also bedeutet, dass etwas Gott geweiht ist und nicht mehr der Welt, aber auch sich selbst nicht mehr gehört, dann gibt es in einer säkularen Gesellschaft, in der Gott und der Glaube Privatsache sind, die den Staat nichts angehen, auch nichts Heiliges mehr.
Und trotzdem behaupte ich, dass uns heute eher zuviel heilig ist als zuwenig. Es geht mir, wie Sie sich denken können, nicht um Dinge oder Personen, die Gott geweiht sind - jedenfalls nicht dem Gott, an den wir glauben und den wir als Schöpfer bekennen.
Es gibt etwas, das in unserer heutigen Welt für alle Menschen fast genauso etwas ist wie Gott. Wir feiern keine Gottesdienste dafür - jedenfalls nicht so, wie wir sonntags Gottesdienst feiern. Wir beten es nicht an - jedenfalls nicht so, wie wir zu Gott beten. Aber auch diesem Etwas gehören wir, ihm ist die Welt, ihm sind wir auf eine Weise geweiht, die uns untrennbar und unentrinnbar mit ihm verbindet.
Diesem Etwas, das fast so etwas wie unser Gott ist, gehört die ganze Welt, und auch wir gehören ihm, mit Haut und Haar. Ich meine das Geld, das in der Bibel mit dem Wort “Mammon” bezeichnet wird. Als “Mammon” steht das Geld wie ein Abgott dem Schöpfer gegenüber, sodass Jesus sagt: “Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon” (Matthäus 6,24)
Geld regiert die Welt”. Nein, es regiert nicht nur die Welt, ihm gehört die Welt. In unserer Zeit ist alles Ware oder kann zu Ware werden. Alles kann man kaufen oder verkaufen, es ist nur eine Frage des Preises. Die erste und wichtigste Frage lautet: Was kostet es? Oder: Was ist es wert? Die meisten unserer Entscheidungen sind davon abhängig, wieviel Geld etwas kostet, oder was es uns finanziell bringt. Immer weniger wird um seiner selbst willen getan, ohne nach dem Preis, nach Gewinn oder Verlust zu fragen. Immer mehr wird den Zwängen des Marktes unterworfen. Selbst Kindergärten, Krankenhäuser, Altersheime, Schulen und Kirchen müssen Kosten-Nutzen-Rechnungen genügen. Wenn sie zu teuer oder zu ineffektiv sind, werden sie geschlossen oder “optimiert”. Die Kosten oder der Preis werden zum alleinigen Kriterium, mit anderen Worten: alles ist Ware.
III
Dieses vom Geld bestimmte Denken hat schon längst unsere Umwelt und unsere Mitgeschöpfe erfasst. Natur ist nicht um ihrer selbst willen da, sie muss Geld verdienen, Profite erwirtschaften. Getreide und andere Nahrungsmittel müssen ertragreicher werden. Dazu werden sie gentechnisch behandelt, damit sie den Dünger besser verwerten, die Spritzmittel besser verkraften. Hähnchen, Schweine und Rinder sollen immer schneller schlachtreif werden. Auf artgerechte Haltung, auf Lebensqualität kommt es dabei schon längst nicht mehr an. Billig muss das Fleisch sein. Und fettarm. Wie die Tiere leben, die dieses Fleisch hervorbringen, und wie sie leiden, muss der Verbraucher nicht wissen.
Alles ist Ware. Dieses Denken macht auch vor uns nicht halt. Auch wir werden wie Waren kalkuliert und behandelt. Leistungsfähigkeit und Arbeitskraft werden eingeschätzt; wer davon nicht genug zu bieten hat, in den wird nicht mehr investiert. Mitt Romney, der republikanische Präsidentschaftskandidat, sprach davon, dass die 47 Prozent der US-Bürger, die keine Steuern zahlen, ihn nicht interessierten. Kranke oder alte Menschen werden nach ihren Kosten für die Sozialsysteme beurteilt, nicht danach, wer sie sind und was sie denen bedeuten, die sie lieben.
Stellen Sie sich mal vor, man würde danach fragen, wer jemand ist, was er oder sie anderen bedeutet. Kommt Ihnen diese Frage auch sinnlos vor? Daran merken Sie, wie sehr das Leistungs- und Warendenken von uns Besitz ergriffen hat.
IV
Etwas, das “heilig” ist, gehört nicht mehr mir oder dir, es gehört sich auch nicht mehr selbst, es gehört Gott. Deshalb darf man damit nicht machen, was man will. Man darf es nur verwenden, und nur so verwenden, wann und wie es Gott gefällt.
Das gilt für Gott, das gilt aber auch für das Geld. Seit wir uns angewöhnt haben, in Geldwerten zu denken, seit wir das Leistungs- und Warendenken angenommen haben und seit vor dem Wort zum Sonntag die Börsenberichte kommen, - obwohl viel weniger Menschen Aktien besitzen, als noch der Kirche angehören -, seitdem gehören wir dem Mammon, dem Geld. Wir haben unsere Freiheit verloren. Und auch die Natur, die Pflanzen und Tiere haben ihre Freiheit verloren. Wir alle sind unentrinnbar in den Verwertungskreislauf, in den Kreislauf des Geldes eingebunden.
Dem Geld gehört die Welt. Deshalb gibt es für uns und für die Schöpfung kein Entrinnen vor der Vermarktung und Verwertung, die keine Rücksicht nimmt auf Verluste an Mensch und Tier, an Wasser und Boden, solange der finanzielle Gewinn stimmt.
Es gibt kein Entrinnen vor dem Geld, das alles bestimmt - es sei denn, wir würden lernen, neu und anders von uns und von der Welt zu denken: Die Welt und uns als Gottes Schöpfung zu sehen, und die Pflanzen und Tiere, Wasser, Wind und Erde als unsere Mitgeschöpfe, mit denen wir nicht machen dürfen, was wir wollen, weil sie nicht uns gehören, sondern Gott.
Was hätten wir damit gewonnen? Wir wären doch nur vom Besitz des einen, des Geldes, in den Besitz des anderen übergegangen, in Gottes Eigentum! Das stimmt. Aber wenn wir Gott gehören, sind wir frei, so widersprüchlich das klingen mag. Denn Gott will uns nicht besitzen, Gott will uns nicht knechten oder versklaven, Gott will, dass wir frei sind. Und glücklich.
Frei und glücklich können wir nicht sein, wenn wir auf Kosten anderer leben, wenn Mitmenschen und Mitgeschöpfe unseretwegen leiden müssen. Frei und glücklich können wir nicht sein, wenn wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen, die Lebensgrundlage für uns und für unsere Nachkommen dauerhaft schädigen und zerstören. Frei und glücklich können wir nur miteinander sein, im gegenseitigen Respekt davor, dass wir alle Geschwister sind, Kinder des einen und einzigen Gottes.
V
Damit uns wieder etwas heilig werden kann, müssen wir die Scheu und den Respekt vor dem Geld verlieren. Erst wenn wir schaffen, nicht mehr in Geldwertevorteilen und Warenwerten zu denken, uns selbst und andere nicht nach Leistung zu bewerten, sondern uns als Gottes Geschöpfe anzunehmen, wird das Geld seine Macht über uns verlieren.
Dann können wir beginnen, unsere Umwelt, unsere Mitgeschöpfe und Mitmenschen als Gottes Schöpfung zu erkennen, als unsere Schwestern und Brüder, und mit ihnen so zusammenleben, wie Gott es sich für seine Welt gewünscht hat.
Wenn wir im Glaubensbekenntnis davon sprechen, dass wir die “Gemeinschaft der Heiligen” sind, dann sprechen wir uns das zu: Wir sind heilig. Wir gehören Gott, der uns liebt, der will, dass wir glücklich sind und dass wir uns am Leben freuen können.
Wir sind heilig. Und unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe sind es auch.
Amen.