Predigt
am Erntedanktag, 30. September 2012, über 1.Timotheus 4,4–5:
Alles,
was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit
Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort
Gottes und Gebet.
Liebe
Gemeinde,
“Dir
ist aber auch gar nichts heilig!” So wird jemand kritisiert, der
keinen Respekt zeigt, der keine Scheu und keine Tabus kennt.
Musilime
werden mit Karikaturen des Propheten Mohammed und mit einem Film, der
ihn verunglimpft, provoziert, und lassen sich provozieren. Für
muslimische Terroristen waren diese Tabubrüche willkommene Anlässe
für Attentate. Wer dagegen bei uns den christlichen Glauben
verächtlich macht, Jesus-Witze reißt oder die Kirche schmäht,
erntet dafür im besten Fall Zustimmung. Oft hört man schon gar
nicht mehr hin, weil das alles olle Kamellen sind.
Sind
wir schon so abgebrüht, dass uns Schmähungen gegen Jesus und gegen
unseren Glauben nicht mehr aufregen? Oder haben wir selbst schon das
Gespür dafür verloren, was heilig und tabu ist und was man deshalb
respektvoll behandeln muss?
Ist
das so? Ist uns nichts mehr heilig? Oder ist uns im Gegenteil eher zu
viel heilig als zu wenig?
I
Zuviel heilig: Das kann ja gar nicht sein! In unserer säkularen
Gesellschaft, die strikt zwischen Kirche und Staat trennt, gibt es
nichts Heiliges mehr. Alles darf man kritisieren. Alle Tabus sind
gebrochen. Alle, bis auf eines: Die Privatsphäre, die ist noch tabu;
noch sind die eigenen vier Wände heilig. Aber auch dieses Tabu fällt
allmählich der Neugier der anderen und der eigenen Lust an der
Zurschaustellung zum Opfer. Auf allen Kanälen - auf Facebook,
Twitter, Instagram und wie die Medien der Vernetzung sonst noch
heißen - legen Menschen ihr Innerstes bloß.
Was
bedeutet denn eigentlich: “heilig”? “Heilig” ist etwas, das
Gott zugeordnet, “geweiht” wird. Es gehört nicht mehr der Welt
an, und es gehört auch nicht sich selbst, es gehört jetzt Gott. Das
kann man natürlich nicht sehen. Ein Gegenstand, ein Mensch, der
“heilig” ist, sieht genauso aus wie alle anderen auch. Wenn man
es nicht weiß, erkennt man es nicht. So sagt Jakob, als er von der
Himmelsleiter träumt: “Fürwahr,
der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!”
(Genesis 28,16) Und Gott warnt Mose: “Zieh
deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist
heiliges Land!”
(Exodus 3,5)
Etwas,
das “heilig” ist, gehört nicht mehr mir oder dir, es gehört
auch nicht mehr sich selbst, es gehört Gott. Deshalb darf man damit
nicht machen, was man will. Man darf es nur verwenden, und nur so
verwenden, wann und wie es Gott gefällt. Auch das kann man nur
wissen, nicht sehen. Es gibt ja bei den meisten Dingen keinen
Beipackzettel, der vor Risiken und Nebenwirkungen warnt. Es gibt auch
bei Menschen keinen Beipackzettel, auf dem steht, wie man
respektvoll, liebevoll und rücksichtsvoll mit ihnen umgeht.
II
Wenn “heilig” also bedeutet, dass etwas Gott geweiht ist und
nicht mehr der Welt, aber auch sich selbst nicht mehr gehört, dann
gibt es in einer säkularen Gesellschaft, in der Gott und der Glaube
Privatsache sind, die den Staat nichts angehen, auch nichts Heiliges
mehr.
Und
trotzdem behaupte ich, dass uns heute eher zuviel heilig ist als
zuwenig. Es geht mir, wie Sie sich denken können, nicht um Dinge
oder Personen, die Gott geweiht sind - jedenfalls nicht dem Gott, an
den wir glauben und den wir als Schöpfer bekennen.
Es
gibt etwas, das in unserer heutigen Welt für alle Menschen fast
genauso etwas ist wie Gott. Wir feiern keine Gottesdienste dafür -
jedenfalls nicht so, wie wir sonntags Gottesdienst feiern. Wir beten
es nicht an - jedenfalls nicht so, wie wir zu Gott beten. Aber auch
diesem Etwas gehören wir, ihm ist die Welt, ihm sind wir auf eine
Weise geweiht, die uns untrennbar und unentrinnbar mit ihm verbindet.
Diesem
Etwas, das fast so etwas wie unser Gott ist, gehört die ganze Welt,
und auch wir gehören ihm, mit Haut und Haar. Ich meine das Geld, das
in der Bibel mit dem Wort “Mammon”
bezeichnet wird. Als “Mammon”
steht das Geld wie ein Abgott dem Schöpfer gegenüber, sodass Jesus
sagt: “Ihr könnt
nicht Gott dienen und dem Mammon”
(Matthäus 6,24)
“Geld
regiert die Welt”. Nein, es regiert nicht nur die Welt, ihm gehört
die Welt. In unserer Zeit ist alles Ware oder kann zu Ware werden.
Alles kann man kaufen oder verkaufen, es ist nur eine Frage des
Preises. Die erste und wichtigste Frage lautet: Was kostet es? Oder:
Was ist es wert? Die meisten unserer Entscheidungen sind davon
abhängig, wieviel Geld etwas kostet, oder was es uns finanziell
bringt. Immer weniger wird um seiner selbst willen getan, ohne nach
dem Preis, nach Gewinn oder Verlust zu fragen. Immer mehr wird den
Zwängen des Marktes unterworfen. Selbst Kindergärten,
Krankenhäuser, Altersheime, Schulen und Kirchen müssen
Kosten-Nutzen-Rechnungen genügen. Wenn sie zu teuer oder zu
ineffektiv sind, werden sie geschlossen oder “optimiert”. Die
Kosten oder der Preis werden zum alleinigen Kriterium, mit anderen
Worten: alles ist Ware.
III
Dieses vom Geld bestimmte Denken hat schon längst unsere Umwelt und
unsere Mitgeschöpfe erfasst. Natur ist nicht um ihrer selbst willen
da, sie muss Geld verdienen, Profite erwirtschaften. Getreide und
andere Nahrungsmittel müssen ertragreicher werden. Dazu werden sie
gentechnisch behandelt, damit sie den Dünger besser verwerten, die
Spritzmittel besser verkraften. Hähnchen, Schweine und Rinder sollen
immer schneller schlachtreif werden. Auf artgerechte Haltung, auf
Lebensqualität kommt es dabei schon längst nicht mehr an. Billig
muss das Fleisch sein. Und fettarm. Wie die Tiere leben, die dieses
Fleisch hervorbringen, und wie sie leiden, muss der Verbraucher nicht
wissen.
Alles
ist Ware. Dieses Denken macht auch vor uns nicht halt. Auch wir
werden wie Waren kalkuliert und behandelt. Leistungsfähigkeit und
Arbeitskraft werden eingeschätzt; wer davon nicht genug zu bieten
hat, in den wird nicht mehr investiert. Mitt Romney, der
republikanische Präsidentschaftskandidat, sprach davon, dass die 47
Prozent der US-Bürger, die keine Steuern zahlen, ihn nicht
interessierten. Kranke oder alte Menschen werden nach ihren Kosten
für die Sozialsysteme beurteilt, nicht danach, wer sie sind und was
sie denen bedeuten, die sie lieben.
Stellen
Sie sich mal vor, man würde danach fragen, wer jemand ist, was er
oder sie anderen bedeutet. Kommt Ihnen diese Frage auch sinnlos vor?
Daran merken Sie, wie sehr das Leistungs- und Warendenken von uns
Besitz ergriffen hat.
IV
Etwas, das “heilig” ist, gehört nicht mehr mir oder dir, es
gehört sich auch nicht mehr selbst, es gehört Gott. Deshalb darf
man damit nicht machen, was man will. Man darf es nur verwenden, und
nur so verwenden, wann und wie es Gott gefällt.
Das
gilt für Gott, das gilt aber auch für das Geld. Seit wir uns
angewöhnt haben, in Geldwerten zu denken, seit wir das Leistungs-
und Warendenken angenommen haben und seit vor dem Wort zum Sonntag
die Börsenberichte kommen, - obwohl viel weniger Menschen Aktien
besitzen, als noch der Kirche angehören -, seitdem gehören wir dem
Mammon, dem Geld. Wir haben unsere Freiheit verloren. Und auch die
Natur, die Pflanzen und Tiere haben ihre Freiheit verloren. Wir alle
sind unentrinnbar in den Verwertungskreislauf, in den Kreislauf des
Geldes eingebunden.
Dem
Geld gehört die Welt. Deshalb gibt es für uns und für die
Schöpfung kein Entrinnen vor der Vermarktung und Verwertung, die
keine Rücksicht nimmt auf Verluste an Mensch und Tier, an Wasser und
Boden, solange der finanzielle Gewinn stimmt.
Es
gibt kein Entrinnen vor dem Geld, das alles bestimmt - es sei denn,
wir würden lernen, neu und anders von uns und von der Welt zu
denken: Die Welt und uns als Gottes Schöpfung zu sehen, und die
Pflanzen und Tiere, Wasser, Wind und Erde als unsere Mitgeschöpfe,
mit denen wir nicht machen dürfen, was wir wollen, weil sie nicht
uns gehören, sondern Gott.
Was
hätten wir damit gewonnen? Wir wären doch nur vom Besitz des einen,
des Geldes, in den Besitz des anderen übergegangen, in Gottes
Eigentum! Das stimmt. Aber wenn wir Gott gehören, sind wir frei, so
widersprüchlich das klingen mag. Denn Gott will uns nicht besitzen,
Gott will uns nicht knechten oder versklaven, Gott will, dass wir
frei sind. Und glücklich.
Frei
und glücklich können wir nicht sein, wenn wir auf Kosten anderer
leben, wenn Mitmenschen und Mitgeschöpfe unseretwegen leiden müssen.
Frei und glücklich können wir nicht sein, wenn wir den Ast absägen,
auf dem wir sitzen, die Lebensgrundlage für uns und für unsere
Nachkommen dauerhaft schädigen und zerstören. Frei und glücklich
können wir nur miteinander sein, im gegenseitigen Respekt davor,
dass wir alle Geschwister sind, Kinder des einen und einzigen Gottes.
V
Damit uns wieder etwas heilig werden kann, müssen wir die Scheu und
den Respekt vor dem Geld verlieren. Erst wenn wir schaffen, nicht
mehr in Geldwertevorteilen und Warenwerten zu denken, uns selbst und
andere nicht nach Leistung zu bewerten, sondern uns als Gottes
Geschöpfe anzunehmen, wird das Geld seine Macht über uns verlieren.
Dann
können wir beginnen, unsere Umwelt, unsere Mitgeschöpfe und
Mitmenschen als Gottes Schöpfung zu erkennen, als unsere Schwestern
und Brüder, und mit ihnen so zusammenleben, wie Gott es sich für
seine Welt gewünscht hat.
Wenn
wir im Glaubensbekenntnis davon sprechen, dass wir die “Gemeinschaft
der Heiligen” sind, dann sprechen wir uns das zu: Wir sind heilig.
Wir gehören Gott, der uns liebt, der will, dass wir glücklich sind
und dass wir uns am Leben freuen können.
Wir
sind heilig. Und unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe sind es auch.
Amen.