Montag, 5. November 2012

Rechnen müsste man können


Predigt im Gottesdienst zum Thema Schöpfung am 4. November 2012 um 17.00 Uhr in der Klosterkirche über Genesis 1,28


Liebe Gemeinde,

“Wir sind Kinder einer Erde, die genug für alle hat. 
Doch zu viele haben Hunger und zu wenige sind satt. 
Einer prasst, die andern zahlen, das war bisher immer gleich. 
Nur weil viele Länder arm sind, sind die reichen Länder reich.”

So heißt es in einem Gedicht von Volker Ludwig. Dieses Gedicht bringt das Problem auf den Punkt, das unsere Gesellschaft hat: Es ist ein Verteilungsproblem. Die Ressourcen dieser Erde, die für alle Menschen reichen würden, sind ungleich verteilt. Manche haben mehr davon - oder alles, andere wenig - oder nichts.

Geld ist der Schlüssel, der die Tür zur Vorratskammer aufschließt. Wer es sich leisten kann, bekommt unbegrenzten Zugang zu frischem Wasser und Energie, zu Bildung und Nahrung, zu Gesundheitsversorgung und Treibstoff. Wer kein Geld hat, hat eben - - - Pech gehabt.

Das Problem unserer heutigen Gesellschaft ist ein Problem der Verteilung der Ressourcen. So ein Verteilungsproblem lässt sich mathematisch lösen; theoretisch ist das gar nicht schwer. Praktisch ist es so gut wie unmöglich.

Was aber hat das mit dem Thema dieses Gottesdienstes zu tun, in dem es um unseren zerstörerischen Umgang mit der Natur und den Lebewesen auf dieser Erde geht?

I
“Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.”

Gott, so stellt es der erste Schöpfungsbericht dar, vertraut den Menschen die Erde an. Damit wird keine Entstehung der Welt erzählt, die im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen steht, die wir über die Entstehung der Welt und der Arten gewonnen haben. Vielmehr wird mit diesen Sätzen das Verhältnis beschrieben, in dem sich der Mensch zu seiner Umwelt findet: Als Herr, der über die Natur herrscht und gebietet.

Das ist zunächst einmal nicht mehr als eine Beschreibung der Realität: Wir Menschen halten uns für die Krone der Schöpfung, für die Herren dieser Erde. Aber während wir für uns selbst die Demokratie als Gesellschaftsform fordern und bevorzugen, bewegen wir uns als “Herren” und “Herrinnen” der Schöpfung noch immer in den Bahnen absolutistischer Herrscher. So, wie z.B. der Sonnenkönig Ludwig der XIV., der von sich sagte: “L’État, c’est moi” - ich bin der Staat, um mich hat sich alles zu drehen und ich kann mit meinem Staat und mit meinen Untertanen lassen und tun, was ich will.

Gesellschaftlich haben wir den Absolutismus hinter uns gelassen. Es hat viel Kraft und Blut, viele Revolutionen gekostet, bis die Gesellschaft so erwachsen wurde, dass sie sich nicht mehr von einem Herrscher tyrannisieren lassen wollte und bereit war, selbst Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. In unserem Verhältnis zur Natur, so scheint es, sind wir noch längst nicht in der Demokratie angelangt.

II
Zum Glück kann die Natur keine Revolution gegen uns machen. Sie würde es, wenn sie könnte. Denn gegenüber unserer Umwelt verhalten wir uns nicht anders als der Sonnenkönig. Wir benehmen uns wie Tyrannen, nehmen uns, was wir kriegen können, verschwenden und vergeuden, was Mensch und Tier zum Leben brauchen. Einfach so, weil wir es können. Oder weil wir der Meinung sind, es stünde uns zu, wir hätten es vielleicht sogar verdient.

Kleine Kinder verhalten sich manchmal wie kleine Tyrannen. Kleine Kinder, die “den Hals nicht voll kriegen können”, wie man sagt. Die alles Spielzeug an sich raffen und den anderen nichts davon abgeben. Die sich die größten Portionen aufschaufeln und hinterher nicht einmal die Hälfte von dem essen, was sie sich aufgeladen haben. Die Wasser und Lebensmittel verschwenden. Kinder sind so. Kinder dürfen so sein.

Wir aber sind keine Kinder mehr. Wir sind Erwachsene, die sich aber trotzdem oft wie Kinder benehmen:
So gierig.
So egoistisch.
So verantwortungslos.
So unbedacht gegenüber den Folgen unseres Handelns.

III
Gott hat die Erde nicht Kindern anvertraut. Auch wenn Herbert Grönemeyer fordert: “Gebt den Kindern das Kommando, sie berechnen nicht, was sie tun”, gehören zum Beherrschen der Welt Fähigkeiten, wie sie erst Erwachsene entwickelt haben. Mathematische Fähigkeiten zum Beispiel. Wenigstens die Grundrechenarten sollte man beherrschen. Dann fällt es leicht zu erkennen, dass die Vorräte an Rohstoffen, aber auch an Trinkwasser und Ackerflächen begrenzt sind und nicht unendlich verschwendet werden können. Dass, wenn man mehr Kohlenstoff verbrennt, auch mehr CO2 entsteht. Dass, wenn man mehr Flächen versiegelt, weniger Lebensraum zur Verfügung steht, usw.

Wenn der erste Schöpfungsbericht davon spricht, dass Gott den Menschen zum Herrn über seine Schöpfung machte, dann wollte er damit nicht sagen, dass Gott dem Menschen einen Freibrief gegeben habe. Gott gab dem Menschen nicht Narrenfreiheit, mit der Erde umzugehen wie ein kleines Kind, das nicht weiß, was es tut.

Gott hat seine Schöpfung Erwachsenen anvertraut, die rechnen können und daher wissen, dass man Ressourcen sparsam verwenden und gerecht verteilen muss. Erwachsenen, die umsichtig und vorsichtig mit der Natur, mit Pflanzen und Tieren umgehen. Die mit dem Leben anderer Lebewesen nicht spielen und wissen, dass alles Leben beseelt ist, weil alles Leben seinen Ursprung und sein Ziel in Gott hat.

IV
Der Schöpfungsbericht der Bibel gibt uns keinen Freibrief, sondern mutet uns eine große Verantwortung zu. Wir sind für diese Erde verantwortlich. Als Herrinnen und Herren nicht nur für uns, für unsere Mitmenschen und unsere Nachkommen, sondern auch für unsere Mitgeschöpfe, für Pflanzen und Tiere.

Da kann einem schon mulmig werden angesichts dieser Verantwortung. Wer will die schon auf sich nehmen?

Gott traut uns das zu. Gott traut uns zu, dass wir seine Welt nicht ausbeuten und verschandeln, nicht verschwenden und zerstören, dass wir seine Geschöpfe nicht quälen und sinnlos töten, sondern vorsichtig und verantwortungsvoll mit ihnen umgehen, mit Weitblick und mit Zurückhaltung.

Gott traut uns das zu, weil er selbst uns dazu befähigt hat: Er hat uns die Gaben der Liebe geschenkt, des Mitgefühls und der Barmherzigkeit. Wir können wissen und berechnen, was wir tun, und die Folgen unseres Handelns abschätzen. Das ist verantwortliches Handeln.

V
“Wir sind Kinder einer Erde die genug für alle hat.” 
Als erwachsene, verantwortungsvolle Menschen erkennen wir, dass diese Erde Ressourcen genug hat für alle und Platz genug für Mensch und Tier, wenn der Mensch sich nicht mehr nimmt, als er wirklich braucht und auch an seine Mitmenschen und Mitgeschöpfe denkt. Der Reichtum der Welt ist riesengroß, wenn wir ihn klug verwalten und gerecht verteilen. Das ist keine zu schwere Aufgabe. Sie müsste sich lösen lassen, wenn wir gemeinsam daran arbeiten. Mit Gottes Hilfe wird es uns gelingen. Amen.