Liebe
Kinder,
wenn
ihr dies lesen könnt, seid ihr alt genug, um die Wahrheit zu
erfahren.
Nicht
darüber, wer Euch in der Nacht zum 6. Dezember die Süßigkeiten in
die Schuhe legt. Dass eure Eltern dahinter stecken, habt ihr
natürlich längst herausgefunden. Ihr tut so als ob, um ihnen die
Freude an der Überraschung nicht zu verderben. Das rechne ich Euch
hoch an. Schön, wenn man anderen die Überraschung nicht
verdirbt! Als ich den drei Töchtern eines armen Witwers half, indem
ich jeder von ihnen nachts heimlich Geld durchs Fenster warf, lauerte
mir ihr Vater auf, um herauszufinden, von wem das Geld stammte. Damit
verdarb er mir meine Freude und die Überraschung. Dass ihr neugierig
seid, vor allem auf die Weihnachtsgeschenke, kann ich gut verstehen.
Darum bin ich stolz auf euch, dass ihr eure Neugier im Zaum haltet
und euren Eltern die Freude gönnt, euch überrascht zu haben.
Die
Wahrheit, für die ihr alt genug seid, ist die Wahrheit über mich:
ich
bin nicht der dicke, freundliche, kitschig-gemütliche Herr im roten
Mantel mit weißem Rauschebart, den ihr als Schokoladennikolaus
in euren Schuhen findet. Das habt ihr euch wahrscheinlich auch
gedacht. Ebenso, wie ihr wisst, das ich keine Geschenke bringe und
auch nicht mit der Rute drohe. Ich bin anders: ich bin ein Heiliger.
Was nicht bedeutet, dass ich keinen Humor verstünde oder mich etwa
über die roten Nikoläuse ärgern würde. Ganz im Gegenteil: die
finde ich nett! Aber ich war nie so harmlos, wie ich dargestellt
werde. Ich konnte aufmüpfig und unbequem sein, wenn es nötig wurde.
Als z.B. bei uns eine Hungersnot herrschte, da habe ich von einem
Schiff der Regierung Getreide stehlen lassen, das für Rom bestimmt
war, damit die Menschen nicht verhungern mussten. Nur durch ein
Wunder kam das nicht heraus. Ich hatte auch keine Angst, drei zu
Unrecht verurteilten Soldaten beizustehen und ihnen das Leben zu
retten: Ich stahl einfach das Schwert des Scharfrichters. Mein Glaube
half mir, aufmerksam zu werden für die Not anderer Menschen. Durch
ihn wusste ich, wo und wie ich helfen konnte. Mein Glaube gab mir
Mut, zu tun, was andere nicht wagten.
Es
freut mich sehr, wenn ihr zu Nikolaus und zum Weihnachtsfest einander
mit Geschenken überrascht, und es ist schön, wenn ihr anderen die
Freude nicht verderbt. Aber die heile Welt der Festtage ist nicht die
Wirklichkeit. Genießt sie, aber lasst euch nichts vormachen. Bleibt
aufmerksam und wachsam für die Ungereimtheiten und Unwahrheiten
in der Welt, für die Not der Menschen in eurer Nähe und in der
Ferne. Wenn es nötig und die Zeit reif ist, werdet auch ihr Heilige
werden. Ihr werdet euch, wie ich, vom Glauben leiten lassen. Euer
Glaube zeigt euch, wann und wofür ihr Regeln brechen und im
richtigen Moment aufmüpfig sein müsst. Gott wird euch helfen zu
sehen, wo eure Hilfe nötig ist, und euch im richtigen Augenblick den
Mut und die Kraft zum Handeln geben.
In
diesem Sinne wünscht euch einen schönen Nikolaustag und frohe
Weihnachten!
Euer
Bischof
Nikolaus von Myra