Sonntag, 20. Januar 2013

Kinder des Lichts


Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 20.1.2013, über Johannes 12,34-36:

Das Volk antwortete Jesus:
Wir haben aus dem Gesetz gehört,
dass der Christus in Ewigkeit bleibt,
wieso sagst du, dass der Menschensohn erhöht werden muss?
Wer ist überhaupt dieser Menschensohn?
Da sprach Jesus zu ihnen:
Noch eine kleine Weile ist das Licht bei euch.
Geht euren Weg, solange es hell ist,
damit euch die Finsternis nicht überfällt.
Wer im Finstern geht, weiß nicht, wohin er geht.
Glaubt an das Licht, solange ihr es habt,
damit ihr Kinder des Lichts werdet.
Das sagte Jesus,
dann ging er weg und verbarg sich vor ihnen.
(Eigene Übersetzung)


Liebe Gemeinde,

„wer ist dieser Menschensohn?“
Wir hören und gebrauchen eigenartige Worte im Gottesdienst.
Worte, die man auf der Straße nicht hört;
Worte, die man im Alltag nicht gebraucht.
Sonntagsworte, Gottesdienstworte, Glaubensworte, wie z.B.:
Kyrie. Christus. Reich Gottes. Sohn Gottes.
Oder eben: Menschensohn.

Wir gebrauchen sie im Gottesdienst
und schaffen damit eine Art Code,
eine Sprache, die nur für Insider, für Eingeweihte verständlich ist.
Ist es überhaupt eine Sprache?
Sind es überhaupt Worte,
wie unsere einfachen Worte, die wir normalerweise benutzen,
Worte wie „Tisch“, „Haus“, „Baum“?
Wissen wir, was wir sagen, wenn wir diese Worte aussprechen?
Sind es magische Worte, eine Art Hokuspokus,
der zum Ritual des Gottesdienstes scheinbar dazugehört?
So zumindest ist das Wort „Hokuspokus“ entstanden:
Aus den lateinisch gesprochenen Einsetzungsworten.
Das Brotwort „Dies ist mein Leib“ lautet auf Latein:
„Hoc est corpus meum“.
Wenn der Priester leise die lateinischen Einsetzungsworte murmelte,
verstand man selbst in der ersten Reihe oft nur „Hokuspokus“.

I
„Wer ist dieser Menschensohn?“
Wenn man das so einfach sagen könnte!
Bei der Prüfung zum 1.Theologischen Examen
pflegte ein Prüfer die Kandidaten damit zu erschrecken,
dass er begann:
„Erklären Sie mal Lieschen Müller in einem Satz, was Auferstehung ist!“
Diese Aufforderung machte einen so verdattert,
dass man zunächst gar nichts herausbrachte, kein einziges Wort.
Weil der christliche Glaube nicht so einfach ist.
Nicht so einfach jedenfalls,
als dass man „Lieschen Müller“ oder jemand anderem
in einem Satz erklären könnte, was Auferstehung ist.
Oder wer überhaupt dieser Menschensohn ist.
Und selbst wenn man es in einem Satz schaffte: es wäre ein Satz,
der weitere Fragen geradezu herausfordern würde.

Offenbar muss man Vieles wissen,
um Worte des christlichen Glaubens zu verstehen.
„Verstehst du auch, was du liest?“,
fragt der Apostel Philippus den Kämmerer aus Äthiopien,
der im Buch des Propheten Jesaja liest.
- „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“,
antwortet der
(Apostelgeschichte 8,30f).

Das Volk, das Jesus fragt, ist gelehrt und angeleitet, und es ist bibelfest:
„Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt“.
So steht es z.B. im Buch des Propheten Ezechiel:
„Mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein“
(Ezechiel 37,25),
oder im 89. Psalm:
„Sein Geschlecht soll ewig bestehen
und sein Thron vor mir wie die Sonne,
wie der Mond, der ewiglich bleibt.“
(Psalm 89,37f)

Das Volk ist bibelfest.
Und es hat sich eine feste Meinung gebildet über den Christus, den Messias:
Der Christus „bleibt in Ewigkeit“.
Er stirbt also nicht,
und schon gar nicht wird er „erhöht“, mit anderen Worten:
Ans Kreuz geschlagen.

II
Offenbar kann zuviel Vorwissen auch schädlich sein.
Das Volk erkennt den Christus nicht, der mit ihnen spricht,
weil sie ihn anders erwarten, als er ihnen gegenübersteht.
Denn in der biblischen Tradition wird versprochen,
dass mit dem Kommen des Messias Gottes Friedensreich anbricht.
Das Volk glaubt, dass der Messias die Welt zum Guten ändern wird.
Jesus aber ist nicht gekommen, die Welt zu ändern,
sondern die Menschen.

Die Bibel erzählt von einer Katastrophe ganz im Anfang der Schöpfung:
Weil der Mensch tut, was nicht gut ist,
vernichtet Gott die Welt, die er geschaffen hat
und fängt mit wenigen Menschen und Tieren
noch einmal ganz von vorne an.
Das ist die Sintflut, nach der Gott Noah ein Versprechen gibt:
"Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte,
Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
(Genesis 8,22)
Nie wieder, schwört Gott, soll die Welt
durch eine Katastrophe "besser" gemacht werden.
In diesen Worten schwingt die Einsicht mit,
dass der Mensch nun einmal so ist, wie er ist,
und dass selbst die Beste aller Welten
den Menschen nicht daran hindern kann,
gemein zu anderen zu sein.

III
Jesus kommt nicht, die Welt zu ändern,
sondern den Menschen.
Darum wird Gottes Sohn selbst Mensch,
er wird zum Menschensohn,
was man auch übersetzen könnte mit: Menschenkind.
Damit wird klar,
dass das nicht eine geheimnisvolle Amtsbezeichnung ist,
sondern schlicht bedeutet:
Jesus ist das Kind einer Mutter, genau wie wir alle auch.
Einer menschlichen Mutter,
keiner übermenschlichen, übernatürlichen, göttlichen.

Gott kommt auf die Welt - damit bricht Gottes Reich an.
Jesus sagt ja auch immer wieder:
"Das Reich Gottes ist mitten unter euch".
(Lukas 17,21)
Wer erwartet, dass nun alle Waffen schweigen,
die Löwen nur noch Stroh fressen
und der Mensch endlich edel ist, hilfreich und gut,
der sieht sich bitter enttäuscht.
Der Welt scheint es völlig gleichgültig zu sein,
dass Gott auf Erden wandelt.
Die Erde dreht sich ungerührt weiter,
die Sonne geht auf und unter, wie sie es jeden Tag tut,
und die Menschen gehen ihren Geschäften nach.
Nichts hat sich geändert.

Und doch ist alles anders.
Gott ist bei den Menschen,
und damit ist alles gut.
Das ist so, wie wenn früher nach längerer Abwesenheit
Mutter oder Vater endlich wieder nach Hause kamen:
dann fühlte man sich wieder sicher und geborgen,
dann konnte nichts mehr passieren, alles war gut.
So ist auch Gott in Jesus Christus
nach langer Abwesenheit endlich wieder nach Haus gekommen.

Jesus benutzt ein anderes Bild, er sagt:
Ich bin das Licht.
Solange ich da bin,
könnt ihr mit Hilfe dieses Lichtes euren Weg sehen.
Ich werde aber eines Tages nicht mehr da sein;
dann müsst ihr euren Weg im Dunkeln selbst finden.
Ohne Licht werdet ihr euch verlaufen.
Darum geht mit mir, solange ihr mich, das Licht, habt,
damit ihr, wenn ich fort bin, euren Weg auch ohne mich findet.

IV
Als Kinder waren wir froh,
wenn Mutter oder Vater endlich wieder zuhause waren,
wenn alle zusammen waren und alles gut war.
Eines Tages aber werden Kinder erwachsen und gehen aus dem Haus.
Und die ersten Tage und Wochen auf eigenen Beinen,
die erste Zeit in der eigenen, leeren Wohnung sind ungewohnt.
Plötztlich ist man ganz auf sich allein gestellt.
Aber man erinnert sich daran, wie es zuhause war.
Man hat etwas Geschirr von zuhause mitgebracht.
Man deckt den Tisch, wie man es von zuhause gewohnt ist,
isst Mutters selbstgemachte Marmelade,
übernimmt eine der zahllosen Angewohnheiten,
die man sich von seinen Eltern abgeschaut hat.
Und dadurch sind sie bei einem,
man ist mit ihnen verbunden, über die Entfernung hinweg.

Jesus geht weg, damit wir, die wir an ihn glauben,
erwachsen werden können.
Jesus will uns nicht in Abhängigkeit von sich halten.
Er möchte, dass wir auf eigenen Füßen stehen,
unsere eigenen Wege gehen können.

Damit wir unseren Weg sehen können,
brauchen wir Licht.
Wenn aber Jesus, das Licht, nicht mehr da ist,
der unser Licht auf dem Weg ist,
woher sollen wir das Licht nehmen?
Jesus sagt: wir müssen Kinder des Lichts werden.
Und weil er das Licht ist, heißt das nichts anderes als:
wir müssen seine Kinder werden.
Wie wir als Kinder von unseren Eltern lernen,
unsere eigenen Wege zu gehen,
so lernen wir es auch von ihm.

V
Wie aber wird man ein Kind des Lichts?
Jesus, das Licht, ist ja nicht mehr da.
Der heutige Predigttext steht im Johannesevangelium
unmittelbar vor den Abschiedsreden Jesu.
Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern,
bevor er seinen Weg ans Kreuz antritt -
das werden wir an den Sonntagen der nächsten Wochen bedenken.
Bei seinem Abschied verspricht er ihnen etwas:
er wird ihnen den Tröster senden, den Heiligen Geist.
Der wird sie an alles erinnern, was er gesagt hat.
Mit unserer Taufe haben auch wir den Heiligen Geist bekommen.
Er ist bei uns und macht uns zu Kindern des Lichtes.
Er spricht zu uns aus jedem Wort der Bibel.
Das ist kein Hokuspokus.
Die Worte der Bibel haben Macht,
uns zu ergreifen und zu verändern,
weil Jesus selbst Gottes Wort ist,
das er vor aller Zeit gesprochen hat
und das immer zu uns spricht.

Es spricht zu uns und sagt uns,
dass wir Gottes Kinder sind,
von Gott angenommen und geliebt.
Von Gott gerecht gesprochen und für gut befunden.
Wenn wir das glauben können,
dann sind wir Kinder des Lichts.
Dann leuchten wir in der Dunkelheit,
so dass nicht nur wir den Weg finden,
sondern viele andere durch uns sehen,
wo sie gehen können.

Wenn wir das doch annehmen und glauben könnten,
dass wir bereits Kinder des Lichtes sind
und keine komplizierten moralischen Verrenkungen,
keine mühevollen Selbskasteiungen
und keine endlosen Arbeiten auf uns nehmen müssen,
um es zu werden!

Amen.