Samstag, 16. Februar 2013

Fürbitte


Predigt am Sonntag Invokavit, 17. Februar 2013, über Lukas 22,31-34:

Jesus sprach: Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.
(Luther 1984)

Liebe Gemeinde,

trübe Tage, trübe Stimmung - die Passionszeit hat angefangen.
Nach den drei tollen Tagen und dem Valentinstag,
unterbrochen von der Katerstimmung des Aschermittwoch,
kommt nun die Zeit der Leiden,
die Zeit voll Blut und Wunden,
eine Zeit, in der einem - zumindest im Gottesdienst -
nach Lachen nicht zumute ist.
Büßerhaltung ist angesagt, Trauer und Melancholie.
Wie nähme sich das denn auch aus,
wollte man die Wochen, in denen Jesus auf sein Leiden zugeht,
ausgelassen und fröhlich zubringen!

So pietätlos und unangemessen es wäre,
wenn man über die Angst, das Leid und den Schmerz,
die Jesus ertragen musste,
hinweglachen oder gar seine Witzchen machen würde,
so sehr ist doch gerade sein schrecklicher Tod am Kreuz
für uns das Beste, was uns passieren konnte:
Jesus hat sich für uns am Kreuz geopfert,
damit wir uns nicht opfern müssen
und damit kein Mensch mehr für einen anderen,
für eine Sache, ein Idol, eine Ideologie geopfert werden muss.
Jesus hat als Sündenbock unsere Schuld auf sich genommen,
damit uns das, was wir getan haben, nicht mehr belasten muss,
sondern wir jeden Tag, jeden Augenblick neu anfangen,
neue, andere Menschen werden,
neu und anders aufeinander zugehen können.
Jesus hat bis zum bitteren Ende auf Gewalt und Gegenwehr verzichtet,
weil er fest an die Macht der Liebe glaubte -
daran, dass die Liebe Hass, Leid und Tod besiegt.
Seine Auferstehung hat bewiesen,
dass es stimmt: dass die Liebe tatsächlich siegt,
dass es einen anderen Weg gibt als die Gewalt,
auf dem sich das Leben gegen den Tod
und das Gute gegen das Böse durchsetzt.

Eigentlich hätten wir also allen Grund zur Freude,
zu einer ausgelassenen, fröhlichen Passionszeit,
weil in dieser Zeit das geschieht,
was unser Leben frei macht und uns lebendig und unbeschwert.
Wir aber gehen gesenkten Hauptes in die Kirche,
sitzen im Gottesdienst mit einem diffusen Schuldgefühl
und wagen es nicht, fröhlich zu sein.

I
Das kann doch nicht nur am Wetter liegen!
Schuld an dieser Stimmung ist wahrscheinlich der Predigttext.
Die Ankündigung der Verleugnung des Petrus
handelt von Schuld und Versagen,
von vollmundigen Versprechungen, die nicht gehalten werden,
vom Abfall vom Glauben und von der Macht des Bösen.
Es ist dieser Jünger Petrus, ausgerechnet,
für den man sich immer wieder schämen muss,
weil er jedes Mal, wenn er in den Evangelien auftaucht, so peinlich ist.
Wenn man sich fragt, was dieses Peinliche ist,
kommt man schnell darauf:
er ist so menschlich, so allzu menschlich: Er ist wie wir.
Petrus ist überhaupt kein Held, kein Vorbild,
sondern uns auf beinah unerträgliche Weise ähnlich.

Auch wir kennen das:
Im Brustton der Überzeugung schwören wir heilige Eide,
dass wir ewig Freunde bleiben wollen;
dass Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht;
dass wir gut auf das aufpassen werden, was wir uns ausliehen;
dass wir aber diesmal ganz bestimmt
den Geburtstag nicht vergessen werden, usw.

Aber wie Petrus halten wir unsere Versprechen nicht ein.
Die Freundschaft zerbricht an einem Streit oder an der Entfernung;
die Liebe kommt uns abhanden;
das, worauf wir ganz besonders achten wollten, geht kaputt;
den Geburtstag haben wir schon wieder vergessen, usw.

Jede und jeder von uns hat so etwas erlebt, und nicht nur einmal.
Manchen passiert es seltener, manchen häufiger.
Aber dass wir Versprechen nicht halten
ist ebenso sicher, wie morgens der Hahn kräht.

II
Daher also die gedrückte Stimmung:
Die Verleugnung des Petrus erinnert uns an unsere eigene Unzulänglichkeit,
an unsere Fehlerhaftigkeit, unsere Schuld.
An den Sonntagen der Passionszeit
führen wir uns unsere Schuld, unser Versagen vor Augen,
gestehen sie ein und bekennen, dass wir Sünder sind,
damit wir das Opfer, das Jesus für uns am Kreuz bringt,
auf rechte Weise würdigen.

Nein!

Es ist ein groteskes Missverständnis dieses Predigttextes,
wenn wir in ihm einen Spiegel unserer Schuld sehen würden.
Es geht hier ja gar nicht um Schuld, sondern um etwas ganz anderes.
Es geht um Fürbitte:
"Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."

Jesus betet für Petrus, er bittet Gott für Petrus.
Und schon ist man wieder versucht zu denken,
klar, Jesus bittet Gott für Petrus um Vergebung,
Jesus bittet für diesen Wortbrüchigen, diesen Versager, diesen Looser,
diesen - - - Sünder!

Aber darum bittet Jesus nicht.
Jesus bittet, dass Petrus' Glaube nicht aufhört.
- Ist das nicht eine eigenartige Bitte?
Man bittet Gott um Vergebung.
Um Hilfe allgemein, z.B. für Menschen in Not.
Aber darum, dass der Glaube nicht aufhört?

Wenn man auf sein Leben zurückblickt, finden sich Momente,
wo der Glaube schwer fiel oder vielleicht sogar ganz verloren ging.
Oft sind das Momente persönlicher Krisen -
der Tod eines Menschen, den man sehr lieb hatte;
eine schwere Krankheit, eine einschneidende Veränderung im Leben,
die alles bisherige auf den Kopf stellt;
der Verlust des Arbeitsplatzes, die Erfahrung von Ungerechtigkeit.

In solchen Momenten kann einem der Glauben abhanden kommen.
Das fühlt sich dann an,
als würde einem auch noch der letzte Halt genommen,
als sei man nun tatsächlich von allen guten Geistern verlassen.
Eine sehr bedrückende, oft schreckliche Erfahrung ist das,
an der Menschen schwer tragen, sogar zerbrechen können.

Darum bittet Jesus, dass Petrus' Glaube nicht aufhört.
Er bittet wohlgemerkt nicht darum,
dass ihm diese schweren Erfahrungen erspart bleiben,
sondern dass er, wenn er sie durchleiden muss,
den Halt nicht verliert.

III
"Der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen."
Dieses Bild vom siebenden Teufel ist für uns eine ziemliche Zumutung.
Hölle und Teufelsglaube gehören dem Mittelalter an;
wir sehen sie als das an, was sie sind: Bilder,
die Erfahrungen, Gefühle zum Ausdruck bringen sollen.
Darum sagen wir auch heute noch, dass etwas "die Hölle" ist.
Und ebenso könnte man die Erfahrung,
dass einem das Leben manchmal übel mitspielt,
mit dem Bild des siebenden Teufels ausdrücken.
Es ist nur ein Bild; aber eines, das man sofort versteht.

Oft verwendet die Bibel Bilder solcher Auswahlvorgänge -
die Gläubigen werden geläutert wie das Silber im Feuer,
geworfelt wie das Getreide, das hochgeworfen wird,
um die Spreu vom Weizen zu trennen, oder eben gesiebt,
damit aus dem Getreide die Samen vom Unkraut herausfallen.
Steckt etwa hinter den Schicksalsschlägen, die wir einstecken,
hinter Leiden und Schmerzen, die wir erdulden müssen,
ein Wille, eine böse Macht?
Ist der Teufel im Auftrag des Herrn unterwegs,
spielt Schicksal und überprüft damit, sozusagen als Gottes TÜV,
wie es um unseren Glauben bestellt ist?

Man kommt in Teufels Küche,
wenn man in diese Richtung weiter denkt
und das Bild mehr sein lässt als ein Bild,
das eine Erfahrung, ein Gefühl auf den Punkt bringt:
das Gefühl, dass man zu Unrecht leidet,
dass dieses Leiden ungerecht ist und unerklärlich -
so, als ob eine böse, übelwollende Macht dahinter stünde.
Der Versuch, dem Bösen, das einem widerfährt,
einen Sinn zu geben, indem man es als Prüfung betrachtet,
ist ein Versuch, es zu verstehen und dadurch für sich zu verarbeiten.

Aber Leid, Schmerz, Krankheit und Verlust haben keinen Sinn.
Das Böse ist einfach böse, es dient zu nichts und führt zu nichts.
Indem man versucht, ihm einen Sinn zu geben,
tut man ihm zuviel Ehre an. Es ist sinnlos.
Das ist schwer auszuhalten.
Da kommt man sich noch einsamer, noch verlorener vor.

Darum bittet Jesus, dass unser Glaube nicht aufhört.
Jesus bittet darum, dass wir nicht versuchen,
Gott das Böse in die Schuhe zu schieben
und damit möglicherweise den einzigen Halt verlieren, den wir haben.
Sondern er bittet darum, dass wir erkennen,
dass Gott über das Böse ebenso verzweifelt ist wie wir.
Dass er in allem Schweren auf unserer Seite steht
und uns helfen will, dieses Schwere zu überstehen,
indem er an unserer Seite stehen bleibt.
Gott weicht nicht von unserer Seite,
schlüpft nicht in die Rolle eines Schiedsrichters,
der uns Noten gibt dafür, wie gut wir diese "Versuchung" überstehen.

IV
Es geht also nicht um Schuld, sondern um Fürbitte.
Aber was ist das, "Fürbitte"?
Ist es der Versuch einer Beschwörung, der Versuch,
das Böse mit diesen Worten abzuwenden?
Ist es das Heraufbeschwören göttlicher Macht -
"möge die Macht mit dir sein" -,
die einen befähigt, das Böse auszuhalten?
Ist es der Versuch, Gott zu beeinflussen,
ihn dazu zu bringen, es sich noch einmal anders zu überlegen
und einem das Böse zu ersparen?

Ich meine, es ist nichts von alledem.
Fürbitte ist nicht mehr und nicht weniger,
als sich an die Seite dessen zu stellen, für die oder den man bittet.
Fürbitte heißt zunächst nichts anderes als: "Ich bin bei dir."
Oft kann es nur bedeuten, dass man in Gedanken bei jemandem ist.
Und das auch nicht die ganze Zeit,
sondern für den Moment, in dem man an den anderen denkt.

Aber ist das nicht ungeheuer viel?
Was tröstet uns denn, wenn es uns schlecht geht?
Es ist ein Besuch im Krankenhaus oder Zuhause,
es ist ein Anruf oder ein Brief,
es sind ermutigende Worte,
ein kleines Geschenk als Zeichen der Zuneigung,
eine herzliche Umarmung oder die Hand auf der Schulter.
Sie machen uns nicht gesund,
sie nehmen uns nicht den Kummer weg -
das müssen wir allein schaffen.
Aber diese unscheinbaren Taten und Gesten ermutigen,
geben Kraft und Zuversicht, weil sie zeigen:
Du bist nicht allein. Da gibt es Menschen, denen liegt an dir,
die möchten, dass du wieder gesung wirst,
dass es dir wieder gut geht, weil sie dich lieben.
Weil sie dich brauchen. Weil sie dich vermissen.

V
"Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."
Jesus bittet für Petrus darum,
dass er niemals vergisst, dass er bei ihm ist -
nichts anderes meinen die Worte "dass dein Glaube nicht aufhöre."
Jesus möchte, dass Petrus selbst dann, wenn er mutterseelenallein ist,
wenn er sich gottverlassen glaubt, spürt,
dass die Hand eines Freundes auf seiner Schulter liegt.
Dass Augen voller Zuneigung und Liebe ihn sehen.
Dass da jemand ist, der mit ihm fühlt und mit ihm leidet.

Denn auch dafür ist Jesus gestorben und auferstanden,
und das ist vielleicht größer als alles andere, was er für uns getan hat:
damit er uns seinen Geist, den Heiligen Geist Gottes schicken konnte,
den Tröster, der uns an alles erinnert, was er gesagt hat.
Der uns an seine bedingungslose Liebe erinnert
und der uns nah ist, - selbst dann,
wenn uns der Glauben abhanden kommt.

Das Leben schüttelt einen ganz schön durch,
wirft einen mal hierhin und mal dorthin,
so dass man sich fühlt, als piesackte einen ein gemeiner Teufel.
Und das Leben hält Schmerz und Kummer für uns bereit -
manchmal so schwer, dass wir uns von allen guten Geistern
und sogar von Gott verlassen glauben.
Das Leben ist so. Es ist nicht anders zu haben.
Es kennt kein Mitleid und keine Rücksicht;
es kennt keine Gerechtigkeit und kein Erbarmen.
Aber Gott kennt Mitleid und Rücksicht,
er ist gerecht und barmherzig.
Gott hilft uns, das Leben zu bestehen,
indem er sich uns zur Seite stellt
und unter allen Umständen an unserer Seite bleibt.

Gott verlässt uns nie.
Darum ist er nicht unser Richter,
der über uns und unser Handeln urteilt,
sondern unser Beschützer: Gott ist unser guter Vater.
So hat Jesus uns gelehrt, ihn anzureden.
Wenn wir Gott "Vater unser" nennen, werden wir spüren,
dass er an unserer Seite ist.
Und wenn wir für andere bitten,
werden auch sie spüren, dass sie nicht allein sind.
Amen.