Dienstag, 12. Februar 2013

Glauben und Handeln


Predigt am Aschermittwoch, 13. Februar 2013, über Matthäus 7,21-23:

Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen tut meines Vaters im Himmel.
Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen prophezeit? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wundertaten getan? Aber dann werde ich ihnen gestehen: Ich habe euch noch nie gekannt; "weicht von mir, die ihr Unrecht tut!" (Psalm 6,9).


Liebe Gemeinde,

Glaube ist Privatsache, oder?

Diesem Satz würden hier, im Braunschweigischen, viele zustimmen.
In meinem Heimatdorf galt und gilt er bis heute. Ich habe dort gelernt:
Das Verhältnis zu seinem Herrgott macht man mit sich selbst aus.
Darüber spricht man nicht, und das zeigt man auch nicht öffentlich -
im Gegenteil: Jeder, der sich öffentlich als "fromm" darstellt
- ob er nun betet oder in der Bibel liest,
als Kirchenvorsteherin oder Kirchenvorsteher amtiert
oder auch nur regelmäßig in die Kirche geht -,
setzt sich dem Verdacht aus, es nur um der Außenwirkung willen zu tun,
um für fromm gehalten zu werden, ohne es wirklich zu sein,
kurz: eine Heuchlerin, ein Heuchler zu sein.


Die wahre Fromme, der wahre Gläubige macht seinen Glauben mit sich selbst aus.
Glaube ist Privatsache.
Darüber spricht man nicht. Den zeigt man nicht.
Man zieht sich zurück, wenn man mit Gott etwas zu besprechen hat.
In die Verschwiegenheit eines stillen Kämmerleins
oder in die Einsamkeit der Natur.
Aber man tut das nicht in der Kirche, nicht unter Menschen.

All jenen, die den Glauben als Privatsache ansehen,
müsste das Jesuswort von den "Herr, Herr"-Sagern sehr sympathisch sein.
"Da sieht man's", könnten sie sagen, "auch Jesus hat was gegen die,
die öffentlich ihren Glauben zeigen und damit hantieren müssen.
Auch er hat es lieber, wenn der Glaube im Verborgenen bleibt."
Propheten, Exorzisten, Wundertäter -
all jene, die uns suspekt sind und die wir für Scharlatane halten,
aber auch all jene, für die wir uns wegen ihres religiösen Eifers fremdschämen -
all die waren auch Jesus schon nicht recht.
Jesus will mit denen nichts zu tun haben,
die ihm wie ein Händler auf dem Markt ihren Glauben andrehen wollen,
sondern hat die lieb, die Gottes Willen im Verborgenen tun.

So gesehen wiederspricht diese Aschermittwochsandacht, die wir feiern, den Worten Jesu:
wenn wir nachher mit einem Aschekreuz auf der Stirn aus der Frauenkapelle hinaustreten,
dann zeigen wir ja öffentlich unseren Glauben,
wenigstens auf dem Weg nach Hause outen wir uns als Christen
- und machen uns auf diese Weise sofort der Heuchelei verdächtig.
Denn, wie gesagt, kein einigermaßen gläubiger Mensch würde seinen Glauben öffentlich zeigen.
Das tut nur jemand, der für fromm gehalten werden will.

II
Gegen diese Argumentation kommt man nicht an; sie bestätigt sich selbst.
Sobald man sich in unseren Breiten öffentlich als Christin oder Christ zeigt,
macht man sich automatisch verdächtig, es auch irgendwie zu wollen und zu genießen,
dass man als solche erkannt wird
- und schon ist man eine Heuchlerin, der es gar nicht auf den Glauben,
sondern aufs Gesehenwerden ankommt.
Aus dieser Nummer kommen Sie nicht heraus,
Sie können das Gegenteil nicht beweisen,
ohne sich noch tiefer in das Totschlagargument der Heuchelei zu verstricken.

Dabei gibt es durchaus gute Gründe, sich öffentlich als Christin oder Christ zu zeigen.
Mir fällt ein Beispiel ein:

Neulich ist am Bohlweg ein Mann zusammengeschlagen worden,
der sich vor ein paar junge Mädchen gestellt hat,
die von Halbstarken angepöbelt wurden.
Obwohl viele Menschen in der Nähe waren,
ist ihm niemand zu seiner Verteidigung beigesprungen.
Es hätte nur fünf, sechs Menschen bedurft, die sich ihm an die Seite gestellt hätten,
und die Halbstarken wären abgezogen.
Es traute sich aber niemand.
Sie sahen untätig zu, statt ihm beizustehen.
Der Mann sagte übrigens, er würde es jederzeit wieder tun,
obwohl man ihm dringend davon abrät,
sich selbst in Gefahr zu begeben, um jemand anderem zu helfen.
Ich weiß nicht, ob dieser Mann Christ war.
Aber wenn sich Christen in der Öffentlichkeit zeigen würden,
hätte er es vielleicht leichter gehabt, Hilfe zu finden.

Dieses Beispiel zeigt gleich den wahren Grund,
warum wir uns nicht so gern als Christen "outen"
- ich bin da keine Ausnahme:
Man möchte nicht auf seine christliche Gesinnung angesprochen
und eventuell zur Hilfe verpflichtet werden.
Sicher, man fasst gern mal an, wenn es einem passt;
man ist hilfsbereit, wenn man dazu Zeit oder Lust hat.
Aber einfach so, von einem wildfremden Menschen angesprochen werden, der Hilfe braucht,
wenn man vielleicht gerade etwas anderes, wichtiges vorhat
- nein, das möchte man dann doch lieber nicht.
Das ist die eigentliche Heuchelei:
seinen Glauben zu verstecken, um nicht darauf angesprochen,
um nicht darauf behaftet zu werden.

Das bedeutet nicht, dass man immer helfen muss.
Jeder Mensch hat ein Recht darauf, Nein zu sagen,
und auch Hilfe, so nötig sie sein kann,
darf man nicht jedem zu jeder Zeit zumuten.
Aber Jesus hat den Glauben nie als eine Lebenseinstellung aufgefasst,
nie als Privatsache, die man für sich allein hat.
Glaube war für ihn untrennbar verbunden mit Handeln.
Deshalb hat er die Geschichte vom Barmherzigen Samariter erzählt:
um zu zeigen, dass es nicht auf fromme Gesinnung,
sondern auf die Tat der Nächstenliebe ankommt.

III
Wir können und wir müssen nicht tagein, tagaus
als Samariter durch die Straßen ziehen
auf der Suche nach einem Opfer, dem wir helfen können.
Aber wenn uns der Glaube wirklich etwas bedeutet,
dann muss er in unserem Handeln seinen Ausdruck finden.
Nicht so sehr, dass wir mit leicht gebeugtem Haupt,
mit zum Himmel schielenden Augen und gefalteten Händen durch die Gegend laufen.
Sondern so, dass wir, manchmal wenigstens, ansprechbar sind auf menschliches Leid und Elend.
So ansprechbar, dass es uns nicht egal ist,
sondern uns zum Handeln, zum Eingreifen, zur Veränderung bewegt.
Wann das sein wird, kann niemand sagen.
Wir werden es merken:
In diesem Moment wird unser Gewissen schlagen
und wir spüren: Jetzt bist du gefragt.

Dann sollten wir es wagen, so leichtsinnig zu sein,
der Stimme unseres Gewissens zu gehorchen
und zu tun, was es von uns verlangt:
Dem Bettler eine Münze in den Becher legen.
Den einsamen Nachbarn in seiner Wohnung,
die Nachbarin im Krankenhaus besuchen.
Der Lehrerin, die die Schüler zu noch mehr Leistung antreiben will, widersprechen.
Dem Chef, der seinen Mitarbeiter anschreit, in die Parade fahren.
Der Ausländerin, die von anderen ausgegrenzt wird, zeigen, dass sie willkommen ist.
Und manchmal vielleicht sogar etwas so Gefährliches wie das Dazwischengehen,
wenn ein Einzelner von vielen bedrängt wird.

Wie gesagt: man kann das niemandem vorschreiben.
Man kann und darf keine Regel aufstellen,
was eine Christin, ein Christ tun muss und was nicht.
Aber wenn wir auf unser Gewissen hören,
spüren wir selbst, was es von uns verlangt.
Wenn wir ihm manchmal nachgeben und es tun,
dann leben wir unseren Glauben so,
wie Jesus es sich von uns wünscht.
Amen.