Montag, 14. September 2015

… und zittert da heute noch

Predigt zur Jubelkonfirmation am 15. September 2015 über Josua 4,1-9:

Als nun das Volk ganz über den Jordan gegangen war, sprach der Herr zu Josua: Nehmt euch aus dem Volk zwölf Männer, aus jedem Stamm einen, und gebietet ihnen: Hebt mitten aus dem Jordan zwölf Steine auf von der Stelle, wo die Füße der Priester stillstehen, und bringt sie mit euch hinüber und legt sie in dem Lager nieder, wo ihr diese Nacht bleiben werdet. Da rief Josua die zwölf Männer, die er bestellt hatte aus Israel, aus jedem Stamm einen, und sprach zu ihnen: Geht hinüber vor der Lade des Herrn, eures Gottes, mitten in den Jordan und ein jeder hebe einen Stein auf seine Schulter, nach der Zahl der Stämme Israels, damit sie ein Zeichen seien unter euch. Wenn eure Kinder später einmal fragen: Was bedeuten euch diese Steine?, so sollt ihr ihnen sagen: Weil das Wasser des Jordans weggeflossen ist vor der Lade des Bundes des Herrn, als sie durch den Jordan ging, sollen diese Steine für Israel ein ewiges Andenken sein. Da taten die Israeliten, wie ihnen Josua geboten hatte, und trugen zwölf Steine mitten aus dem Jordan, wie der Herr zu Josua gesagt hatte, nach der Zahl der Stämme Israels, und brachten sie mit sich hinüber in das Lager und legten sie dort nieder. Und Josua richtete zwölf Steine auf mitten im Jordan, wo die Füße der Priester gestanden hatten, die die Bundeslade trugen; diese sind noch dort bis auf den heutigen Tag.


Liebe Jubelkonfirmanden,
liebe Gemeinde!

"Als das Kind Kind war, 
ging es mit hängenden Armen, 
wollte der Bach sei ein Fluss, 
der Fluss sei ein Strom, 
und diese Pfütze das Meer.

Als das Kind Kind war, 
hatte es von nichts eine Meinung, 
hatte keine Gewohnheit, 
saß oft im Schneidersitz, 
lief aus dem Stand, 
hatte einen Wirbel im Haar 
und machte kein Gesicht beim Fotografieren.

Als das Kind Kind war, 
würgte es am Spinat, an den Erbsen, am Milchreis, 
und am gedünsteten Blumenkohl. 
und isst jetzt das alles und nicht nur zur Not.

Als das Kind Kind war, 
genügten ihm als Nahrung Apfel, Brot, 
und so ist es immer noch.

Als das Kind Kind war, 
warf es einen Stock als Lanze gegen den Baum, 
und sie zittert da heute noch."

(Peter Handke, Lied vom Kindsein)


Als das Kind Kind war … - wie lange ist das her?
Wie lange liegt es zurück,
dass Sie als Konfirmandinnen und Konfirmanden im Gottesdienst saßen,
nicht freiwillig, wie heute, sondern weil Sie mussten.
Weil der Pastor das so verlangte, die Eltern darauf achteten,
die Großmutter Sie am Sonntag Morgen daran erinnerte
und Sie mit sanfter Unnachgiebigkeit auf den Weg schickte.
Ganz so schlimm war der Gottesdienst dann aber doch nicht.
Man konnte mit seinen Freundinnen oder Freunden zusammensitzen,
sich unterhalten, bis irgendein Älterer zischte oder grimmig guckte,
konnte vielleicht sogar durch einen Streich glänzen
und den steifen Ernst des Gottesdienstes aufbrechen,
dass sogar die Erwachsenen schmunzeln mussten.

Als das Kind Kind war …
Irgendwann ist das Kind kein Kind mehr.
Nicht vom einen Tag auf den anderen,
nicht gestern noch Kind, und heute Erwachsener.
Aber irgendwann ... Irgendwann ist man zum Spielen zu alt,
irgendwann verlockt es nicht mehr, Eltern, Lehrer, den Pastor zu ärgern.
Und wenn man im Gottesdienst sitzt,
dann bei den Erwachsenen,
die Konfirmanden anzischen, weil sie so laut sind.
Man legt das Kindsein ab,
wie man irgendwann die kurzen Hosen ablegt
und die langen Zöpfe.

Irgendwann ist man kein Kind mehr.
Wenn das auch nicht von einem Tag auf den anderen geschieht:
Einen Einschnitt gibt es doch,
der das Ablegen der Kindheit markiert,
den Übergang vom Kindsein zum Erwachsenen.
Es ist die Konfirmation.

Zur Konfirmation legte man die Kinderkleidung ab
und zog, oft zum ersten Mal, die Kleidung der Erwachsenen an:
schwarzer Anzug für die Jungs,
Rock und Bluse für die Mädchen.

Und noch etwas markierte diesen Einschnitt:
die Erwartungen wurden größer
und die Verantwortung, die man nun übernehmen sollte.
Auch der Pastor erwartete etwas
- nicht nur, dass man sich bei der Konfirmation benahm,
dass man ordentlich gelernt hatte und ihn bei der Prüfung nicht blamierte.

Was der Pastor noch erwartete,
schildert ein Pastor in seinen eigenen Erlebnissen aus der Konfirmandenzeit:
"Als ich konfirmiert wurde,
da hatte uns unser Pastor einige Tage vorher in die Kirche, in die Sakristei bestellt.
Er hatte den Talar angezogen und saß da am Tisch.
Wir gingen einzeln rein.
Ich weiß nicht mehr viel davon, nur dies:
dass er sehr ernst war,
und dass er mich fragte, ob ich mit dem Glaubensbekenntnis klar wäre,
ob ich wüsste, welche Bedeutung die Konfirmation hätte.
Ich war ein wenig beklommen
und atmete auf, als ich wieder draußen war.
Irgendwie muss ich damals wohl gefühlt haben:
der will mich festkriegen.
Der greift nach mir, um mich festzubinden an die Kirche".

Die Konfirmation markiert einen Übergang.
Einen Übergang auch dafür,
dass man irgendwann den Glauben der Kinderzeit verliert.
Zuerst den Glauben an Osterhase und Weihnachtsmann,
später auch den an den lieben Gott mit Rauschebart.
Der Glaube verändert sich. Wird nüchterner.
Vielleicht nebensächlich, unbedeutend, nichtssagend.
Vielleicht wie ein Erinnerungsstück,
das man manchmal liebevoll hervorholt und gern ansieht.
Vielleicht ergeht es dem Glauben auch wie der Kindheit:
Man lässt ihn hinter sich, legt ihn ab.
Mit der Konfirmation hat sich das mit dem Glauben erledigt.

Die Konfirmation, ein Übergang.
Von Übergängen ist auch in der Bibel des öfteren die Rede.
Als das Volk Israel nach seiner Flucht aus Ägypten,
nach einer ermüdenden und verzehrenden Wanderung durch die Wüste
endlich das Land Kanaan erreicht, das heutige Israel,
da wird auch ein Übergang markiert:
Nachdem das Volk den Jordan überschriten hat,
lässt Moses' Nachfolger Josua zwölf Denksteine aufrichten.
Zwölf Denksteine zur Erinnerung an den Übergang.

Ein Übergang wird markiert.
Die Konfirmation ist nicht der einzige Übergang im Leben.
Es gibt viele Übergänge,
die zwölf Steine könnte man auch als Meilensteine verstehen.
Meilensteine, die Übergänge auf dem Lebensweg markieren.
Die für Ereignisse stehen,
die einschneidend waren, die besonders waren,
die den Lebensweg veränderten, Pläne vereitelten,
großes Glück bescherten oder großes Leid.
Beim Rückblick auf ein Leben gleitet der Blick von Meilenstein zu Meilenstein.
Über manchen schmerzhaften geht er schnell hinweg,
bei manch schönem bleibt er hängen.

Es gibt mehrere Übergänge im Leben.
Die Konfirmation ist nur einer davon
- wenn auch vielleicht ein sehr wichtiger.
Und bei jedem Übergang bleibt etwas zurück,
verändert sich etwas.

Beim Übergang ins Erwachsenenleben
möchte man die Kindheit möglichst schnell hinter sich lassen.
Nur die wenigsten wollen die Kindheit festhalten,
machen sich, wie Pippi Langstrumpf, auf die Suche nach der "Krummelnuss", die das Großwerden verhindert:
"liebe, kleine Krummelnuss,
lass mich niemals werden gruß".
Astrid Lindgren, die Dichterin von Pippi Langstrumpf, hat diese Nuss gefunden.
Aber sie ist eine Ausnahme.
Für die meisten kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem Erwachsenwerden.
Da ist man froh über die Konfirmation,
diesen Übergang, bei dem man die Kindheit zurücklassen kann.

Aber die Kindheit kann man nicht zurücklassen.
Man wird zwar erwachsen,
doch die Kindheit trägt man weiter mit sich.
Je älter man wird, desto stärker erinnert man sich an die Kindertage
und staunt, wieviel von dem,
was man vergessen zu haben glaubte,
doch noch da ist.

"Als das Kind Kind war, 
warf es einen Stock als Lanze gegen den Baum, 
und sie zittert da heute noch."

Erlebnisse der Kindheit prägen uns.
Es sind nicht nur die schlimmen Erlebnisse,
es ist nicht nur das, was wir erlitten haben,
was uns angetan wurde,
was uns fürs Leben prägt.
Es sind auch unsere Hoffnungen und Träume,
unsere Wünsche, das, was uns wichtig war und wichtig blieb:
Der Stock, für uns die Lanze eines Ritters,
den wir gegen den Baum warfen,
der zittert da heute noch,
obwohl der Stock längst vergangen und der Baum gefällt ist.

Und so ist es auch mit dem Glauben aus Kindertagen.
Er gehört zu dem, was wichtig ist.
Denn er hat mit unserer Hoffnung auf Liebe und Glück zu tun,
mit unseren Träumen von Gerechtigkeit und Frieden,
die wir einmal geträumt haben.

Der Glaube hält Hoffnung und Träume wach.
Indem uns die alten Geschichten des Glaubens,
wie die zwölf Steine im Jordan,
zu Merkzeichen werden.
Merkzeichen, die uns an das erinnern,
was alle Menschen erhoffen und erträumen.

Mehr noch: Der Glaube gibt uns Halt
und die alten Geschichten des Glaubens haben die Kraft,
Hoffnung in uns zu wecken,
uns zu trösten, uns heil zu machen und glücklich.
Sie sind wie der Stock,
gegen den Baum geworfen.
Nur ein einfacher Stock,
aber für uns war er die Lanze eines großen Kriegers
Achill, Odysseus oder Chingagkook.
Und sie zittert noch immer in dem Baum
und erinnert uns daran,
dass wir einmal mehr sein wollten als scheinen,
dass wir mehr erreichen wollten, als etwas zu besitzen,
dass wir die Welt verändern wollten.

Zwölf Steine als Merkzeichen, zwölf Meilensteine.
Es können auch Trittsteine sein:
Trittsteine des Glaubens,
die uns einen Weg durchs Leben finden lassen
und uns sicher über seine Abgründe führen.
Amen.