Freitag, 16. Oktober 2015

Predigt und Gebete zum Kirmesgottesdienst Eckardtsleben

Predigt zum Kirmesgottesdienst in Eckardtsleben am 16.10.2015 über Lukas 19,1-10

Liebe Festgemeinde,

“über Geld spricht man nicht; Geld hat man”, sagt eine Redensart. Man spricht über alles mögliche gern - über die Familie, über den Nachbarn, über die Arbeitskollegen, sogar über etwas sehr Persönliches wie die eigene Krankengeschichte. An diesem Kirmeswochenende wird es reichlich Gelegenheit für Gespräche geben. Aber über eines wird dabei ganz bestimmt nicht gesprochen werden: Über's Geld. Beim Geld hört die Freundschaft auf. Selbst die eigenen Kinder wissen nicht, was ihre Eltern verdienen. Wie viel man verdient, und wie viel man auf der hohen Kante hat - das sind Tabuthemen, über die man keine Auskunft gibt.

Manchmal muss man aber doch Auskunft geben: bei der jährlichen Steuererklärung. Entsprechend unbeliebt machen sich die Leute, die einem von Berufs wegen ins Portemonaie schauen. Finanzbeamter ist ein guter, sicherer Beruf. Aber man erzählt nicht, dass man beim Finanzamt arbeitet; das behält man lieber für sich. Denn wer anderen Leuten etwas von ihrem Geld wegnimmt, macht sich unbeliebt. Das war immer so, auch schon zur Zeit Jesu. Damals kam der Steuerbescheid noch nicht per Post, sondern in Person des Steuereintreibers. Und der ließ auch keine mindernden Umstände gelten, sondern wollte Geld - am besten gleich, bar auf die Hand.

Nun kann man fragen, ob so eine halbe Portion wie Zachäus ernst genommen wird, wenn sie vor der Haustür steht und die Hand aufhält. Aber die Steuereintreiber damals wussten sich zu helfen: Sie hatten stets eine schlagkräftige Truppe bei sich, die ihrer Forderung Gehör verschaffte.
Solche Auftritte vergrößerten nicht gerade die Beliebtheit der Steuereintreiber und Zöllner. Noch schlimmer war, dass sie für die römische Besatzungsmacht arbeiteten. Die Steuereintreiber waren Kollaborateure, sie arbeiteten mit dem Feind zusammen - und wer mit dem Feind zusammenarbeitete, war selbst einer.

Bei so einem Volksfeind, bei Zachäus, lädt Jesus sich zum Essen ein. Kein Wunder, dass die Leute sich über Jesus ärgern: Hat er denn keine Ahnung, mit wem er sich da einlässt? Will er sie provozieren? Gibt er nichts auf die Meinung der anderen? Wenn ihm daran liegt, vom Volk gemocht und anerkannt zu werden, hält er sich von so einem besser fern. Wer sich mit einem Feind des Volkes befreundet, wird selbst zum Feind. Wozu dieses Verhalten geführt hat, wissen wir: Jesus war beim Volk unten durch. Die, die ihn als Erlöser und Held begrüßten, forderten bald seinen Tod.

Eine alte Geschichte aus längst vergangenen Tagen. Fast 2.000 Jahre sind vergangen, seit Lukas diese Geschichte über Jesus aufgeschrieben hat, eine unglaublich lange Zeit: In 2.000 Jahren hat sich unsere Welt vollkommen verändert. Wir wissen unendlich viel mehr als die Menschen damals. Wir können Dinge tun, die man selbst vor 200 oder 100 Jahren noch für unmöglich hielt. Wir leben in einer Demokratie, sind aufgeklärte Menschen, frei von Vorurteilen.

Unsere Welt hat sich grundlegend geändert in 2.000 Jahren. Aber wir - wir sind eigenartigerweise nicht anders als die Menschen damals. Die Geschichte von Zachäus, die verstehen wir, auch wenn es bei uns keine Zolleintreiber mehr gibt. Denn Menschen, die bei allen unten durch sind, die gibt es auch bei uns. Menschen, mit denen man sich nicht abgibt, mit denen man nichts zu tun hat, wenn man nicht die Freundschaft der anderen verlieren will.

Gerade auf dem Dorf, wo jede jeden kennt, wo man Dinge voneinander weiß, die man lieber vor den anderen verbergen würde - gerade auf dem Dorf ist es besonders schmerzlich, wenn man in die Rolle des Zachäus gerät. Weil man sich kaum aus dem Weg gehen kann, und weil man täglich daran erinnert wird, was die anderen von einem halten. 
Gerade bei einer Kirmes, die ja ein Fest des ganzen Dorfes, der Dorfgemeinschaft ist, fällt es auf, wenn jemand nicht kommt, dieses Fest nicht mitfeiert. Und es fällt auch auf, wenn jemand, der gekommen ist, abseits steht, keinen Gesprächspartner findet, sein Bier allein trinken muss.

Zum Zachäus wird man nicht von ungefähr. Es ist etwas vorgefallen, etwas Schwerwiegendes. Es gab einen Streit, man war gemein, man hat jemanden beleidigt, man verweigerte Hilfe, hat jemanden über's Ohr gehauen oder sogar verraten. Die anderen sind oft zu recht böse auf so einen Zachäus. 
Manchmal bekommt man diese Rolle auch durch ein Missverständnis, das nie aufgeklärt wurde. Man bekommt sie, weil man nicht mitmachen wollte, weil man anders ist, andere Interessen hat. Manchmal reicht schon der Besuch der falschen Schule aus, um einen zum Außenseiter werden zu lassen.
Dagegen kann man nichts machen. Was passiert ist, ist nun mal passiert. Man muss seine Rolle als Außenseiter annehmen und lernen, damit zu leben.

Eigenartigerweise will Jesus das nicht. Er akzeptiert nicht die Rolle, die man Zachäus zugewiesen hat. Dabei wohnt er nicht einmal im Ort; er ist bloß auf der Durchreise. Warum mischt er sich in fremde Angelegenheiten ein, und warum ergreift er dann auch noch die Partei des Schuldigen, des verhassten Zöllners?
Weil nur er, der Außenstehende, sieht, was los ist. Alle anderen haben sich mit den Verhältnissen arrangiert: die Leute haben akzeptiert, dass man sich mit diesem Zöllner nicht einlässt. Und Zachäus hat sich damit abgefunden, dass niemand etwas mit ihm zu tun haben will. Er unternimmt ja nicht einmal den Versuch, durch die Menschenmenge nach vorn durchzukommen, wo Jesus ist, denn er weiß: es würde ihn sowieso keiner durchlassen. Er läuft voraus, solange der Weg noch frei ist, und klettert auf einen Baum.

Jesus durchschaut, dass Zachäus nicht wegen seiner geringen Körpergröße auf dem Baum sitzt. Sondern weil es für ihn die einzige Möglichkeit ist, mit Jesus in Kontakt zu treten - dem einzigen, der noch keine Meinung über ihn hat; dem einzigen, der vielleicht noch mit ihm reden würde. Jesus sieht, was Zachäus unternimmt, um diese Chance zu erhalten.

Das ist es, worum es in dieser Geschichte geht: um Chancen, um Gelegenheiten. Um den winzigen Augenblick, in dem etwas möglich ist, was vorher nicht ging und nachher nicht mehr gehen wird. Zachäus ist mit viel Mühe auf den Baum geklettert. Er macht sich lächerlich dort oben. Die Leute werden mit dem Finger auf ihn zeigen und sich köstlich amüsieren. In diesem Augenblick ist Zachäus das alles aber vollkommen gleichgültig. Denn in diesem Augenblick hat er die Chance, mit einem zu reden, der ihn nicht so sieht wie alle anderen, weil er ihn noch nicht kennt.

Jesus erkennt, was der Zöllner auf sich nimmt, um ihn zu sehen; deshalb spricht er ihn an. Jesus erkennt die einmalige Gelegenheit, die sich da eröffnet hat, und ergreift sie: er lädt sich bei Zachäus zum Essen ein. Das ist kein Schnorren, wie wir es heute vielleicht empfinden würden. Damals war es eine große Ehre, wenn man einen so berühmten Menschen wie Jesus beherbergen durfte. Eine Ehre, um die sich viele gerissen hätten. Zachäus wird diese Ehre zuteil, und davon ist er so überrascht, dass er sein Leben ändert: Das, womit er sich andere zu Feinden gemacht hat, lässt er bleiben. Und was er auf unrechte Weise erworben hat, gibt er mit Zinsen zurück.

Ich höre diese Geschichte als Mutmachgeschichte: Es ist möglich, alte Feindschaften zu überwinden. Es funktioniert nicht einseitig, und nicht mit Gewalt. Es geht auch nicht, ohne dass man falsches Verhalten aufgibt und sich ändert. 
Vor allem aber geht es nicht ohne den richtigen Augenblick. Es kommt vor allem darauf an, im entscheidenden Moment aufzupassen, dass man die Hand nicht übersieht, die einem zur Versöhnung entgegengestreckt wird, sondern sie ergreift, bevor sie wieder zurückgezogen wird. Dass man die Entschuldigung nicht überhört, sondern sie wahrnimmt, bevor der andere für immer verstummt - auch wenn sie nicht so klingt, wie man es erwartet hatte. Dass man zulässt, dass jemand einem etwas Gutes tun will, und den anderen nicht dadurch kränkt, dass man ihn abweist.

Eine Gemeinschaft, wie die Gemeinschaft dieses Dorfes, lebt davon, dass es Menschen gibt, die solche kostbaren Momente erkennen und nicht verstreichen lassen. Eine Gemeinschaft lebt von der Bereitschaft Einiger, ihr Denken zu ändern und ihre Urteile zu überdenken, Dinge neu und anders zu sehen. Dazu bedarf es oft eines Anstoßes von außen, wie ihn Jesus dem Zachäus und seinen Mitbürgern gab.

Im Moment kommen viele Menschen aus fremden Ländern zu uns. Manche sehen in ihnen eine Bedrohung unserer Kultur, unserer Lebensweise, unseres Wohlstands, unserer Arbeitsplätze. So werden sie für manche zu Ausgestoßenen, wie Zachäus einer war. Versuchen wir, unser Denken beweglich zu halten und die Chancen zu erkennen, die in ihrem Kommen liegen. 

Versuchen wir auch, im täglichen Miteinander ab und an aus den Bahnen unseres Denkens und unserer Gewohnheiten auszubrechen und einen neuen Blick auf alte Feinde zu werfen. Vielleicht gewinnen wir auf diese Weise neue Freunde. Denn: wer weiß, wer zu uns unterwegs ist. Gott und das Glück kommen inkognito. 

An diesem Wochenende der Kirmes wird es viele solcher Momente geben: Momente, in denen wir über unseren Schatten springen und unseren Blick auf die anderen ändern können. Momente, in denen wir Menschen aus der Ecke holen können, in die wir sie gestellt, oder in die sie sich selbst gestellt haben. Gebe Gott, dass wir diese Momente nicht verpassen, wenn sie da sind.
Amen.


Eingangsgebet

Gott, du lädst uns ein in die Kirche,
in dein Haus, in dem wir dir begegnen können.
Wir feiern Gottesdienst.
Unser Glaube lebt von Festen,
von der Gemeinschaft, vom Teilen.
Das gibt uns Ideen für unser Leben im Alltag,
im Dorf, auf der Arbeit, für die Feier der Kirmes heute.
Dafür danken wir dir und bitten dich:
Hilf uns, zu erkennen,
dass ein Gottesdienst keine Trauerfeier ist,
sondern ein Fest wie die Kirmes;
dass die Kirche kein Museum ist,
sondern ein Ort, an dem Menschen sich begegnen;
und dass du kein Märchen aus alter Zeit bist,
sondern unser lebendiges Gegenüber,
damit deine Kirche der Mittelpunkt unseres Dorfes bleibt
und von der Gemeinde gute Ideen für unseren Ort ausgehen.
Das bitten wir dich durch Jesus Christus,
deinen Sohn, unseren Bruder,
der sich mit dir und dem Heiligen Geist an unserem Leben freut 
und unser Leben begleitet. Amen.

Fürbitten

Jesus, unser Bruder,
auch du hast gern gefeiert. "Fresser und Weinsäufer" haben dich die Leute genannt. Du hast dich des Lebens gefreut und du willst, dass auch wir uns unseres Lebens freuen können. Allen Menschen gönnst du Glück und Gutes in ihrem Leben. Darum hast du uns aufgetragen, vor Gott an andere Menschen zu denken. Das wollen wir jetzt tun und dabei zu Gott rufen: Erhöre uns, Gott.

Jesus, du hast mit deinen Jüngern das Abendmahl gefeiert.
Wir danken dir, dass wir heute Kirmes im Dorf feiern.
Wir danken dir für all die vielen Helfer, die das möglich gemacht haben, und bitten dich:
Lass uns ein fröhliches Fest feiern, das allen in guter Erinnerung bleibt.
Gib, dass die, die dafür die Verantwortung tragen, Dank für ihre Mühe erfahren.
Lass viele im Dorf angesteckt werden von Fröhlichkeit und guter Laune und gib, dass die Kirmes gute Auswirkungen auf unsere Dorfgemeinschaft hat.
Wir rufen zu dir: Erhöre uns, Gott.

Jesus, du hast dich beim Oberzöllner Zachäus eingeladen. Wir danken dir, dass du auf die Menschen zugehst, die von anderen ausgegrenzt werden. Du bist auch auf uns zugegangen und hast uns in deine Gemeinde geholt.
Wir bitten dich: Bewahre uns davor, andere abzustempeln und auszugrenzen. Hilf, dass niemand in unserem Ort sich ausgeschlossen fühlen und dass niemand sich ausschließen muss. Lass uns respektieren, dass Menschen unterschiedlich sind, und hilf uns, ihre Eigenheiten mit Humor zu ertragen und ihnen zu vergeben.
Wir rufen zu dir: Erhöre uns, Gott.

Jesus, du hast nicht zwischen Einheimischen und Fremden unterschieden. Wir danken dir, dass du nicht auf die Herkunft, auf das Geschlecht oder die Würdigkeit siehst, und bitten dich:
Nimm uns die Angst und die Sorgen vor dem Fremden. So, wie deine Kirche ein offenes Haus für alle Menschen ist, so lass auch unser Dorf offen sein für alle, die hierher kommen. Lass uns vergessen, wer alteingesessen und wer zugezogen ist. Lass uns Menschen vielmehr danach beurteilen, wie hilfsbereit sie sind, wie freundlich, wie zupackend, und lass uns selbst so hilfsbereit, freundlich und zupackend sein.
Wir rufen zu dir: Erhöre uns, Gott.

Jesus, unser Bruder, wir danken dir, dass wir heute feiern können. Lass uns für eine Weile unsere Sorgen vergessen, unseren Kummer und unseren Ärger - im Wissen, dass du dich darum kümmern wirst, dass sie bei dir gut aufgehoben sind und dass wir alle geborgen sind bei dir.
Was wir dich sonst noch bitten wollen oder was wir im Herzen tragen und nicht aussprechen können, das legen wir in die Worte des Gebetes, das du uns lehrtest:

Vater unser