Freitag, 13. Mai 2016

Dies ist unser Haus!

Predigt am Pfingstsonntag, 15. Mai 2016, über Apostelgeschichte 2,1-18
(erstmals gehalten am 23. Mai 2010)

Liebe Gemeinde,

draußen ist draußen
und drinnen ist drinnen.
Wir sind hier zusammen in einem Raum;
wir singen und beten miteinander,
hören Gottes Wort, essen und trinken
und erinnern uns an Jesus.
Hier ist gut sein.

Und draußen?
Da sind andere, Fremde.
Da herrschen andere Regeln,
da herrscht ein anderer Geist.

I
So werden die Menschen gedacht haben,
die in einem Haus in Jerusalem versammelt waren:
die Jünger Jesu, Männer und Frauen,
die Jesus nachgefolgt waren,
darunter die 12 Apostel mit Maria, seiner Mutter
und seinen Brüdern.
Zusammen in einem kleinen Raum,
so groß wie ein Wohnzimmer.
Eine kleine Gemeinschaft,
verbunden durch das,
was sie gemeinsam erlebt hatten.
Verbunden durch die Angst, aufzufallen,
Ärger zu bekommen,
verfolgt, verhaftet zu werden.
Hier, im Haus, fühlten sie sich sicher.
Hier konnten sie abwarten,
wie die Sache Jesu weiter gehen würde.
Er hatte ihnen versprochen:
Ich will auf euch senden, was mein Vater verheißen hat.
Ihr sollt in der Stadt bleiben,
bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.“

Und plötzlich geschah ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.“
Da kommt etwas vom Himmel.
Die Verheißung des Vaters.
Kraft aus der Höhe.
Und verändert diese eingeschlossene,
in sich gekehrte,
ängstliche Gemeinschaft.
Von außen kommt etwas nach innen,
dringt in ihre Runde ein.
Was ist das?
Ein Wind ist zu hören, ein unheimliches Brausen.
Auch zu sehen ist etwas:
Es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer;
und er setzte sich auf einen jeden von ihnen.“

Weißer Mann sprechen mit gespaltener Zunge“,
das kennen wir aus Indianerfilmen,
und es bedeutet nichts Gutes:
Wem das ins Gesicht gesagt wird, der lügt.
Hier aber weisen die gespaltenen Zungen auf die Fähigkeit hin,
in mehr als einer Zunge,
mehr als einer Sprache sprechen zu können:
Sie wurden alle erfüllt vom heiligen Geist
und fingen an, zu predigen in andern Sprachen,
wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“

Eine Kraft, ein neuer Geist
breitet sich aus im Haus,
und plötzlich fliegen die Türen auf.
Die ängstlichen Jüngerinnen und Jünger gehen nach draußen, denn die neue Sprache
kann man nur außerhalb des Hauses sprechen.
Die Jünger fallen auf durch ihre Fremdsprachen­kenntnis,
durch ihr Einfühlungsvermögen,
und sie haben keine Angst.
Andere Leute können sie verstehen.
Sie finden Worte,
mit denen sie anderen klar machen können,
worum es geht.
Die hören erstaunt, wie die Jünger
in ihren Zungen von den großen Taten Gottes reden.“

II
Draußen ist draußen
und drinnen ist drinnen.
Der Geist kommt von außen zu denen innen
und weht dann mit ihnen nach außen.
Grenzen werden überwunden.
Grenzen der Sprache:
Menschen reden miteinander,
die sich bis dahin nicht verständigen konnten.

Fast 2000 Jahre sind seither vergangen.
Die Jüngerinnen und Jünger
sind von drinnen nach draußen gegangen
und haben, getrieben von Gottes Geist,
von Gottes großen Taten erzählt,
haben Mission betrieben
und das Evangelium verkündet.
Gemeinden sind entstanden und Kirchen,
das Christentum hat sich über die ganze Erde ausgebreitet
- eine Erfolgsgeschichte.
Auch eine Geschichte der Fehler und Irrtümer,
der Verbrechen und der Grausamkeiten.

Fast 2000 Jahre sind vergangen,
und der Glaube hat sich über die Welt ausgebreitet.
Aber die Welt hat sich verändert.
Heute würde der brausende Pfingstgeist
wohl niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken
– da müssen schon ganz andere „Events“ her.

Heute geht es um die Frage,
wie Gottes Geist Menschen erreicht,
die schon Christinnen und Christen sind,
die Gottes Geist bei der Taufe empfangen haben,
aber von ihm nicht mehr bewegt werden.

III
Draußen ist draußen
und drinnen ist drinnen.
Kirche spielt nicht nur in der Gesellschaft
eine immer geringere Rolle.
Kirche ist auch vielen getauften Christinnen und Christen egal.
Kirche hat zu den großen Problemen unserer Zeit
keine einfachen Lösungen,
keine einprägsamen Sprüche.
Sie hat den Menschen von heute nichts mehr zu sagen,
oder wird nicht mehr gehört.

Woran liegt das?
Sind wir nicht mehr so eine Gemeinschaft,
wie es damals die Jüngerinnen und Jünger Jesu waren?
Sind wir nicht mehr vom Heiligen Geist beseelt?
Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche,
die Pastorinnen und Pastoren,
nicht einfallsreich, nicht fleißig genug?
Sind wir als Kirche nicht einladend genug,
gehen wir zu wenig auf andere zu?

Es liegt nicht an unserem Machen, Wollen oder Tun,
wenn Menschen sich fragen,
wozu Kirche gut sein soll.
Es liegt an unserem Selbstbewusstsein.
Es ist uns nicht bewusst,
und wir sind uns selbst nicht bewusst,
dass dies unser Haus,
dass dies unsere Gemeinde, unsere Kirche ist.
Dass wir alle Kirche sind und Kirche gestalten,
dass wir alle Verantwortung dafür tragen
und nicht nur die,
die von unseren Kirchensteuern dafür bezahlt werden.

Es liegt an unserem Kirche-Sein,
ob Kirche noch etwas bedeutet oder nicht.
Wieso sollten andere in die Kirche kommen,
wenn wir selbst nicht hingehen?
Wieso sollten andere etwas mit dem Glauben anfangen,
wenn wir selbst nicht viel damit anfangen können?
Wieso überlassen wir die Kirche und den Glauben
den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Pfingsten ist das Fest,
das uns daran erinnert,
dass Kirche keine Veranstaltung ist,
kein Event, und auch kein Museum.
Kirche lebt von denen und durch die,
die Kirche sein wollen.
Man nennt das „Priestertum aller Gläubigen“.
Und das Pfingstfest erinnert uns daran:
an das Priestertum aller Gläubigen.
Es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott,
da will ich ausgießen von meinem Geist auf alle Menschen;
und eure Söhne und Töchter sollen weissagen,
und eure Jugendlichen sollen Gesichte sehen,
und eure Alten sollen Träume haben.“

IV
Draußen ist draußen
und drinnen ist drinnen.
Dass der heilige Geist das verändert hat,
ist schwer zu glauben.
Nicht nur für die, die drinnen sind,
sondern auch für die draußen.

Jesus hat den Armen das Evangelium verkündigt;
er hat den Gefangenen gepredigt, dass sie frei sein sollen,
den Blinden, dass sie sehen sollen,
den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen.
Er hat uns die Gnade Gottes zugesagt.
Von nun an sind wir frei von Ansprüchen anderer;
niemand darf uns sagen,
so und so musst du sein,
damit Gott und die Menschen dich lieben.
Wir sind frei, weil Gott uns mit seinem Geist anspricht.
Wir sind frei und gerade deshalb in der Lage,
anderen Menschen das weiter zu geben,
was wir selbst bekommen haben,
selbst denen, die uns fremd sind
und die wir nicht leiden können.
Wir selbst waren arm, gefangen,
blind und zerschlagen,
und wir sind es immer wieder.
Wir leben aus der Kraft des Heiligen Geistes,
der uns hilft, unsere Hilflosigkeit, unser Leid zu tragen.
Wir leben aus der Kraft dieser Gemeinde,
in der wir einander tragen,
in der wir uns gemeinsam versichern,
dass Gottes Geist unter uns ist.
Wir leben davon,
dass Gott uns mit seiner Fülle beschenkt
– vielleicht fehlt uns nur, das zu erkennen,
und vielleicht müssen auch andere das zu sehen lernen,
um selbst zu schenkenden,
hilfsbereiten Menschen zu werden.

Nach süßem Wein, so klingen diese Worte
- so wie damals, als man Petrus vorwarf, betrunken zu sein.
Der Geist macht Mut,
Rechenschaft zu geben von der Hoffnung,
die seit Jesu Auferstehung in uns ist:
Der Hoffnung,
dass wir nicht auf Kosten anderer leben müssen,
sondern das eigene Leben
und das Leben der Gesellschaft
auf Gerechtigkeit aufbauen können.

Der Geist ermutigt uns dazu,
die Grenzen zwischen Drinnen und Draußen zu öffnen:
Fremde und Fremdes hereinzulassen,
und zu den Fremden hinauszugehen.
Das Fremde, die Fremden,
das sind immer weniger exotische Menschen
aus fernen Ländern,
deren Sprache wir nicht sprechen.
Fremde Menschen,
das sind immer mehr die Menschen,
die manchmal nur ein paar Straßen von uns entfernt leben,
in einem anderen Stadtteil.
Menschen, die scheinbar eine andere Sprache sprechen,
weil sie ihre Muttersprache
auf der Schule nicht richtig lernen konnten.
Vielleicht, weil sie nicht wollten.
Vielleicht, weil sie nicht konnten.
Vielleicht, weil man ihnen keine Chance gab.

Gottes Geist schickt uns von drinnen nach draußen,
aus unseren guten Stuben
hinaus auf die Straße, wo wir Menschen begegnen;
aus unserer bürgerlichen Sattheit, unserem Wohlstand
zu denen, die Hunger haben nach Bildung,
nach Arbeit, nach Respekt und Anerkennung.

Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“

Innen und außen
- ein neuer Geist und viele, vielfältige Gaben.
Und die Predigt nicht so sehr mit Worten,
sondern vor allem mit Taten
- Taten der Mitmenschlichkeit
und der Liebe.

Amen.