Sonntag, 3. Juli 2016

Sünde, Tod und Taufe

Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis, 3. Juli 2016, über Römer 6,3-11:

3 Oder wisst ihr nicht, dass, die wir auf Christus Jesus getauft sind, sind in seinen Tod getauft?
4 Wir sind nun durch die Taufe mit ihm zusammen begraben in den Tod, damit, wie Christus auferstand von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir ein neues Leben führen.
5 Denn wenn wir mit ihm zusammengewachsen sind in der Gleichheit seines Todes, dann werden wir es auch in seiner Auferstehung sein.
6 Dies wissen wir: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der Sündenleib vergeht und wir der Sünde nicht mehr dienen.
7 Denn wer starb, ist frei von der Sünde.
8 Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden,
9 denn wir wissen, dass Christus, da er von den Toten auferweckt wurde, dann also nicht stirbt; der Tod herrscht nicht mehr über ihn.
10 Was er gestorben ist, das ist er ein für allemal der Sünde wegen gestorben. Was er aber lebt, das lebt er für Gott.
11 So haltet auch euch für tot für die Sünde, lebendig aber für Gott in Christus Jesus.
(Eigene Übersetzung)


Liebe Schwestern und Brüder,

„wisst ihr nicht, dass, die wir auf Christus Jesus getauft sind, sind in seinen Tod getauft?“
Nein, das wussten wir nicht.
Vielleicht wissen wir es, wie man weiß, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist. Aber was einem als letztes bei einer Taufe in den Sinn käme, ist der Tod. Die Taufe geschieht bei den meisten am Beginn des Lebens. Mit ihr wird die Ankunft eines neuen Erdenbürgers gefeiert; das Wunder, das so ein kleines Kind ist; der manchmal lang ersehnte Nachwuchs. Das letzte, an das man dabei denken möchte, ist der Tod - im Gegenteil: Von vielen wird die Taufe als eine Art Beschwörung und Schutz vor den Unbilden des Lebens, vor Unfällen und Krankheiten und vor einem frühzeitigen Tod angesehen.

I
Von der Taufe lernt man, dass sie ein symbolischer Tod sein soll: Indem der Mensch im Wasser untergetaucht wird, stirbt das, was man früher war, und aus der Taufe steigt ein neuer Mensch. Martin Luther schreibt im Kleinen Katechismus über die Taufe: Sie 
„bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten;
und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gottes Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.“
Davon schreibt auch Paulus:
„Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der Sündenleib vergeht und wir der Sünde nicht mehr dienen. Denn wer starb, ist frei von der Sünde.“

Sünde - dieses Wort klingt dunkel und düster. Aber was bedeutet es? Wir tun uns schwer mit dieser Bezeichnung „Sünde“. Zwar sind wir alle kleine Sünderlein, irgendwie. Aber dass wir einen „Sündenleib“ haben, dass wir der Sünde „dienen“, das denken wir doch nicht wirklich. Zwar sind die wenigsten zufrieden mit ihrem Körper, so, wie er ist. Man hätte ihn gern anders - schlanker, vor allem um die Mitte herum, sportlicher, wohlgeformter. Aber darum ist er doch kein „Sündenleib“. Und dass dieser Leib sterben soll: Das wollen wir auf gar keinen Fall!

II
Es fällt uns schwer, Sünde und Tod zusammen zu denken. Aber man macht Erfahrungen im Leben, die in die Nähe dessen kommen, was Paulus meint. Wenn z.B. jemand in einer Beziehung einen Seitensprung begeht, sehen die meisten das als so großen Vertrauensbruch an, dass man es auch als „Sünde“ bezeichnen könnte. Nicht selten hat so ein Seitensprung zur Folge, dass die Beziehung daran zerbricht. Da ist etwas gestorben - das Vertrauen; das Gefühl, zusammenzugehören, füreinander bestimmt zu sein.

Sünde und Tod gehen also doch zusammen: Es gibt Dinge, die, wenn man sie getan hat, etwas zerstören, zerbrechen, eben: sterben lassen - im Verhältnis zu den Eltern, den Geschwistern, den Freunden, der Partnerin oder dem Partner. Als nach der Wende herauskam, wer Spitzel der Staatssicherheit war, hat das viele Freundschaften für immer zerstört. Auch der unerlaubte Griff ins Portemonaie kann Vertrauen zerstören, der heimliche Blick ins Tagebuch, der Verrat eines Geheimnisses, das einem anvertraut wurde … Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Beispiele fallen einem ein, und desto deutlicher wird, dass es durchaus einen Zusammenhang zwischen Sünde und Tod gibt.

Und manchmal, da möchte man selbst - vielleicht nicht gleich sterben, aber - vor Scham vergehen, wenn einem bewusst wird, was man getan hat. Man weiß nicht, wie man dem anderen jemals wieder unter die Augen treten kann, was man tun kann, um den Schaden, den man angerichtet hat, wieder gut zu machen.

III
„Wer starb, ist frei von der Sünde“.
Wir leben zwar nicht mehr im Mittelalter, aber der Ruf nach Vergeltung liegt trotzdem nahe, gerade, wenn etwas Schlimmes passiert. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ - mit kühlem Kopf lässt man das hinter sich. Aber im Moment der bösen Tat denkt man nur an eines: Rache!

Taten, unter denen wir leiden und denen wir das Etikett „Sünde“ anheften würden, haben den Tod zur Folge. Nicht den leiblichen Tod, aber den Tod einer Beziehung, einer Freundschaft. Das Ende des Vertrauens, das Ende der Gutgläubigkeit, das Ende einer Selbstverständlichkeit.
Auf der anderen Seite möchte man als Täter am liebsten weg sein, um nicht an die Tat erinnert zu werden, um nicht dem unter die Augen treten zu müssen, dem man das angetan hat. Auch das ist eine Art Tod. 

Mit Rache wird nichts wieder gut. Deshalb wissen wir, dass „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ keine Lösung ist. Aber wer gerade etwas Schlimmes erleidet, kann keinen kühlen Kopf bewahren; der will es dem anderen heimzahlen. Darum ist Jesus gestorben: Er hat unsere Rachegelüste auf sich genommen, er hat alle Vergeltung auf sich genommen, damit wir es niemandem mehr heimzahlen müssen.

Durch die Taufe werden wir mit Jesus gekreuzigt, das heißt: Sein Tod wird unserer. Wir sterben für das, was wir getan haben. Weil aber Jesus schon für uns gestorben ist, müssen wir nicht wirklich sterben. Der symbolische Tod durch das gespielte Ertränken im Wasser genügt, damit sein Tod unser Tod wird. Aus dem Wasser steigt ein neuer Mensch, von dem all das abgewaschen ist, was ihn als Sünde belastete.
Das gilt nicht nur rückwirkend, das gilt auch im Voraus - ein kleines Kind hat ja noch nichts Böses getan. Und es gilt immer wieder. Martin Luther sagte, man könne täglich in die Taufe zurückkriechen: Jeden Tag neu das Alte abwaschen.

IV
In der Theorie klingt das ja ganz schön. 
Aber mit der Wirklichkeit hat es nichts zu tun: Was man tat, das haftet einem an. Besonders ein Dorf vergisst niemals, was jemand einmal getan hat, auch wenn es Jahre oder Jahrzehnte her ist. Und auch die Mitmenschen vergessen nicht: Eine zerstörte Freundschaft oder Beziehung bleibt zerstört - wenn die oder der andere nicht will, helfen alle Entschuldigungen der Welt nichts.

Jesus hat sich am Kreuz geopfert, damit wir unsere Schuld loswerden können. Er konnte mit seinem jedoch Opfer nicht erreichen, dass die, an der wir schuldig wurden, sein Opfer stellvertretend für unseres annimmt und so ihre Rache bekommt. Man kann also nicht sagen: Jesus ist ja für meine Sünde gestorben, also sei mir wieder gut, vertragen wir uns wieder. Die andere wird einem den Vogel zeigen, mindestens - erst recht, wenn ihr der Glaube nichts bedeutet.

Aber für uns ändert sich alles.
Wir können das, was wir taten, zwar nicht ungeschehen machen. Aber wir können es hinter uns lassen. Das, was wir taten, bestimmt nicht darüber, wer wir jetzt sind, auch wenn ein ganzes Dorf das anders sehen mag. In Gottes Augen sind wir neue Menschen, gute Menschen. Menschen, die es verdienen, zu leben, fröhlich und glücklich zu sein, wie schlimm auch das gewesen sein mag, was wir getan haben.
So können wir leben.
Wir werden vielleicht die Beziehung, die Freundschaft nicht retten, die wir zerstörten. Wir werden vielleicht nicht bleiben können, wer und wo wir sind, weil wir uns ändern müssen, oder weil andere uns nicht vergeben können. Aber wir können und dürfen neu anfangen, neue Freundschaften und Beziehungen eingehen, andere Menschen werden und sein.

V
„So haltet auch euch für tot für die Sünde, lebendig aber für Gott in Christus Jesus“.
Die Taufe vermittelt eine Lebenshaltung - ist das nicht ein bisschen wenig? Was ändert es denn, wenn man sich selbst für gut hält, alle anderen aber schlecht von einem denken?
Es ändert nichts - und alles. Natürlich kann man niemanden dazu bringen, einen in neuem Licht zu sehen, wenn man als Sünder abgestempelt und verworfen wurde. Aber - so dumm dieser Satz klingt: Wir sind tatsächlich alle kleine Sünderlein, und manchmal gar nicht so kleine, sondern ziemlich große. Bei mancher reift vielleicht die Einsicht, dass es auch bei ihr so ist, sie steigt von ihrem hohen Ross herab und geht auf den Sünder, die Sünderin zu, nimmt eine Entschuldigung an.

Die Möglichkeit zum Neuanfang, die uns die Taufe mit jedem Tag neu schenkt, haben wir nicht exklusiv für uns. Jede und jeder Getaufte hat sie. Wir nutzen sie vielleicht nur in den seltensten Fällen. Aber allein die Tatsache, dass wir sie haben, dass wir andere sein, anders handeln können, gibt uns die Freiheit, es auch zu tun. Diese Freiheit haben auch unsere Mitmenschen. Allmählich lernen wir, dass auch sie jeden Tag neue Menschen sein können. 
Je mehr wir das begreifen, je mehr wir es ihnen zutrauen, desto mehr geben wir ihnen die Chance, es auch wirklich zu werden.
Je mehr wir lernen, einander als Getaufte anzusehen, denen Jesus die Schuld abgenommen hat und die neue Menschen geworden sind, desto größer wird die Freiheit unter uns. Wenn wir uns nicht mehr auf das festlegen, was wir einmal waren, sondern uns die Freiheit geben, andere und anders zu werden, können wir tatsächlich andere Menschen sein. Wäre das nicht schön?
Amen.