Samstag, 17. September 2016

Lippenbekenntnis

Predigt zur Jubelkonfirmation am 17. Sonntag nach Trinitatis, 18. September 2016, über Römer 10,9-17:

9 Wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und mit deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckte, wirst du gerettet.
10 Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, mit dem Mund aber bekennt man zur Rettung.
11 Denn die Schrift sagt (Jesaja 28,16):
„Keiner, der an ihn glaubt, wird zuschanden werden“.
12 Denn es gibt keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen. Es ist ein Herr über alle, der seinen Reichtum allen abgibt, die ihn anrufen.
13 Denn „jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“ (Joel 3,5).
14 Wie sollen sie nun anrufen,
an den sie nicht glauben?
Wie sollen sie aber glauben,
von dem sie nichts gehört haben?
Wie sollen sie aber hören ohne Verkündigung?
15 Wie sollen sie aber verkündigen,
wenn sie nicht gesandt sind?
Wie geschrieben steht (Jesaja 52,7):
„Wie rechtzeitig haben sich die Freudenboten eingestellt, die das Gute verkündigen!“.
16 Aber nicht alle gehorchen dem Evangelium. Jesaja sagt deshalb (Jesaja 53,1): „Herr, wer wird unserer Predigt glauben?“.
17 Also kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

wie viele Predigten haben Sie wohl schon gehört in Ihrem Leben?
Sie gehören größtenteils zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden, die noch jeden Sonntag zum Gottesdienst gehen mussten. Also haben Sie allein in Ihrer Konfirmandenzeit wohl an die 100 Predigten gehört.
Und - hat es etwas genutzt?

I
„Der Glaube kommt aus der Predigt“, sagt Paulus.
Aber er verrät nicht, wie er da herauskommen soll.
Als ich Konfirmand war, hatte ich einen lieben, herzensguten Pfarrer, der leider überhaupt nicht predigen konnte. Jedenfalls gelang es mir nicht, einen Sinn oder roten Faden in seinen Worten zu entdecken.
Vielen von Ihnen wird es als Konfirmandinnen und Konfirmanden ähnlich gegangen sein:
Was der Pfarrer auf der Kanzel erzählte, wird Sie selten interessiert und noch seltener angesprochen haben.

Ich denke inzwischen, dass das Konfirmandenalter noch nicht das Alter ist, in dem man Predigten hören kann und will. Man fängt gerade erst an, eigene Schritte ins Leben zu gehen, sich aus der Obhut von Mutter und Vater zu lösen und eigene Erfahrungen und Fehler zu machen. Da will man sich doch nicht ausgerechnet vom Pfarrer etwas sagen lassen!
Und dann die Fragen, mit denen die Predigt sich befasst! Fragen wie die nach Schuld und Vergebung, nach dem Sinn des Lebens und nach dem Tod - Fragen, die Jugendliche noch nicht interessieren.
Schlimme Erlebnisse, Enttäuschungen, der Verlust eines Menschen, den man liebte, falsche Entscheidungen oder Verletzungen sind ihnen hoffentlich noch nicht begegnet und werden, wenn es gut geht, noch eine Weile auf sich warten lassen. Sie bleiben zwar niemandem erspart. Aber die Jugend ist doch meist eine Zeit, in der man unbeschwert das Leben probieren kann und sich noch keine Sorgen und Gedanken machen muss.

II
Wenn der Glaube, wie Paulus schreibt, aus der Predigt kommt, die Jugend aber eine Lebensphase ist, die sich für die Fragen des Glaubens noch nicht interessiert - was soll dann der Konfirmandenunterricht? Er fällt ja genau in die Phase der Abnabelung vom Elternhaus; er kommt zur falschen Zeit, in einer Lebensphase, in der sich niemand für den Glauben interessiert. Also ist es sinnlose, vertane Zeit.
Haben Sie Ihren Konfirmandenunterricht so erlebt?
Empfinden Sie ihn als vertane, sinnlose Zeit?

Wenn man ehemalige Konfirmandinnen und Konfirmanden fragt, welche Erfahrungen sie mit dem Konfirmandenunterricht gemacht haben, fällt den meisten als erstes das Auswendiglernen ein: Lieder aus dem Gesangbuch und das Glaubensbekenntnis, den 23. Psalm und die 10 Gebote mit Erklärungen musste man auswendig können. An zweiter Stelle stehen die Marotten und Schrullen des Pfarrers - und in neuerer Zeit auch der Pfarrerin. Und dann vielleicht die Erinnerung an einen schönen Ausflug, eine gemeinsame Fahrt, eine Konfirmandenrüste.

Alle ehemaligen Konfirmandinnen und Konfirmanden, die ich bisher fragte - mich selbst eingeschlossen - haben ihre Konfirmandenzeit in guter Erinnerung. Trotz Auswendiglernen. Trotz - oder gerade wegen - ihrer Pfarrerin oder ihres Pfarrers. Trotz langweiliger Gottesdienste.
Wie kommt das?

Vielleicht, weil der Konfirmandenunterricht, obwohl er Unterricht heißt, anders ist als der Schulunterricht: Hier gelten andere Regeln, hier wird anderes zum Thema als in der Schule. Im Konfirmandenunterricht fällt man für eine Stunde aus der Welt, wird von Pfarrerin oder Pfarrer mit Fragen und Themen traktiert, die scheinbar so gar nichts mit dem Leben zu tun haben und dem, was Jugendliche interessiert: Das andere Geschlecht; die Veränderungen, die am eigenen Körper vor sich gehen; das, was Erwachsene tun - Alkohol trinken, rauchen, sich lieben …

III
Der Konfirmandenunterricht ist nicht so ganz von dieser Welt, wie auch die Pfarrerinnen und Pfarrer, die ihn halten: Die scheinen manchmal auch ein bisschen weltfremd mit ihrem Glauben, ihren Ideen, ihren Geschichten von Gott und Jesus … Aber wenn man zurückblickt auf die Konfirmandenzeit, kann sie einem wie eine Reise in ein fremdes Land erscheinen, wie ein Urlaub, von dem man manche schöne Erinnerung zurückbringt.

Kommen wir auf die eingangs gestellte Frage nach dem Sinn des Konfirmandenunterrichts zurück, so könnte das eine Antwort sein: Der Konfirmandenunterricht ermöglicht andere Erfahrungen als die, die der Alltag in Schule und Familie bietet. Man lernt hier andere Werte kennen als die, die in Gesellschaft und Wirtschaft vertreten werden. Man erfährt von einer anderen Wirklichkeit als die, der man in der Tagesschau - aber auch in Computerspielen begegnet.

Paulus gibt auch eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Konfirmandenunterrichts, gleich im ersten Satz des Predigttextes, und seine Antwort wirft noch einmal ein anderes Licht auf die Konfirmandenzeit. Sie lautet: „Wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und mit deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckte, wirst du gerettet“.

Wer als Baby oder Kleinkind getauft wurde wie wohl noch die meisten von uns, hat keine Erinnerung mehr daran. Damals bekannten Eltern und Paten stellvertretend für uns den Glauben, den wir erst noch kennen lernen sollten. Deshalb feiern wir Konfirmation und wiederholen dort das Glaubensbekenntnis: Konfirmandinnen und Konfirmanden sollen mit eigenen Lippen bekennen: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn“.

Ich glaube nicht, dass sich irgendeine Konfirmandin oder ein Konfirmand etwas dabei denkt, wenn er oder sie diese Worte spricht. Selbst, wenn man das Glaubensbekenntnis im Unterricht behandelte, bleiben einem diese Worte fremd. Das geht einem auch als Erwachsene noch so. Es ist oft ein bloßes Lippenbekenntnis.
Aber das genügt auch völlig. Es ist nicht nötig, dass wir jedes Wort glauben oder dahinter stehen: „Wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst“, schreibt Paulus, „wirst du gerettet“.

IV
Wer aufgepasst hat, wir mir widersprechen. Es heißt ja bei Paulus: „Wenn du mit deinem Mund bekennst … und mit deinem Herzen glaubst“! Hier ist also gerade nicht von einem Lippenbekenntnis die Rede, sondern von einem Glauben, der von Herzen kommt.

Das stimmt. Und es stimmt auch wieder nicht.

Bekennen und Glauben geschehen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander.
Erst kommt das Bekenntnis. Paulus zitiert dazu den Propheten Joel: „Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“. Zur Rettung ist nicht mehr nötig als dieses Bekenntnis. Mehr wird von uns nicht verlangt, und mehr können wir auch nicht tun. Für uns, die wir schon als Kinder getauft wurden, haben die Eltern und Paten dieses Bekenntnis abgelegt. Wir sind also, was unser Verhältnis zu Gott angeht, quasi arbeitslos: Wir können und brauchen nichts mehr dafür tun.

Erst kommt das Bekenntnis. Dann kommt der Glaube.

Glauben lernt man nicht im Konfirmandenunterricht. Der Glaube ist ein Geschenk, etwas, das von außen zu uns kommt, das wir nicht selbst machen können. Er ist ein Geschenk und eine lebenslange Aufgabe. Bis der Glaube aus dem Herzen kommt, bis er eine Herzensangelegenheit wird, hat man viele Erfahrungen gemacht. Der Kinderglauben ist zerbrochen. Man zweifelte am Glauben, an der Existenz Gottes. Man probierte verschiedene Möglichkeiten aus, doch an Gott zu glauben. Wenn es gut ging, erlebte man irgendwann den Trost, die Freude, die Hoffnung, den Sinn, den man im Glauben findet.

Heute sind Sie hier mit Ihren Glaubenserfahrungen. Sie bringen heute Ihre Glaubensernte ein und vergleichen sie mit dem Glauben, den Sie hatten, als Sie damals hier vor dem Altar standen und als schüchterner Junge oder Mädchen Ihr „Ja“ zum Glauben sagten.
Sie sind noch einmal zurückgekommen, nachdem Sie vielleicht lange nicht mehr hier waren, vielleicht schon lange keinen Gottesdienst mehr gefeiert, keine Predigt mehr gehört haben.
In den 25, 50 oder mehr Jahren seit Ihrer Konfirmation sind Sie Glaubensprofis geworden. Vielleicht würden Sie sich selbst nicht so bezeichnen, aber Sie sind es - weil ich es Ihnen sage.

Darum kommt der Glaube aus der Predigt, weil ich Sie als der, der Ihnen heute predigt, auf Ihren Glauben anspreche. Ich setze Ihren Glauben voraus. Ich zweifle nicht an ihm oder meine, Sie würden zu wenig glauben, weil Sie vielleicht nicht so oft in der Kirche waren. Der Glaube kommt aus der Predigt als Zusage: Ich sage Ihnen Ihren Glauben auf den Kopf zu. Aber nicht meine Zusage ist es, auch wenn ich es bin, der zu Ihnen spricht. Es ist die Zusage des Evangeliums: Die gute Nachricht von Jesus, die Ihnen den Glauben zuspricht, und damit ist der Glaube da.

V
Als Konfirmandinnen und Konfirmanden haben Sie damals, bei Ihrer Konfirmation vor 25, 50 oder mehr Jahren, den Glauben bekannt. Seitdem haben Sie ihn gelebt. Auch, wenn es Ihnen selbst nicht bewusst war, wenn der Glaube bisher in Ihrem Leben keine Rolle spielte: Er war da. Er wuchs mit Ihnen, veränderte sich mit Ihnen. Die Predigt kann diesen Glauben voraussetzen und Sie darauf ansprechen. Und Sie selbst können darauf vertrauen, dass Ihr Leben seit Ihrer Taufe unter einem guten Stern steht. Was immer auch geschah und noch geschehen wird: Sie sind gerettet. Nichts und niemand kann verhindern, dass Ihr Leben gut ist und gelungen, und dass es einen Sinn hat.

Unter dem guten Stern Ihrer Taufe sind Sie bisher durchs Leben gegangen. Unter diesem guten Stern gehen Sie in die Zukunft. Alles, was zum Gelingen Ihres Lebens nötig ist, wurde bereits getan:
„Wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und mit deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckte, wirst du gerettet.“

Amen.