Samstag, 1. Oktober 2016

Investieren Sie in Früchte der Gerechtigkeit!

Predigt am Erntedanktag, 2. Oktober 2016, über 2.Korinther 9,6-15:

6 Ich bin folgender Meinung: Wer spärlich sät, wird spärlich ernten, und wer mit vollen Händen sät, wird mit vollen Händen ernten.
7 Jeder, wie er es sich vorgenommen hat, bloß nicht aus Unlust oder gezwungen, denn einen fröhlichen Geber liebt Gott.
8 Gott aber kann euch in jeder Weise reichlich beschenken, damit ihr, weil ihr in allem immer volles Auskommen habt, Überfluss habt für jedes gute Werk,
9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9):
„Er hat ausgestreut, er gab den Armen,
seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit“.
10 Der aber dem Sämann Samen gibt und Brot zur Nahrung, der wird euch Samen geben und ihn vermehren und die Frucht eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.
11 Ihr seid in jeder Hinsicht reich gemacht für den Erweis schlichter Güte, die durch uns Dankbarkeit Gott gegenüber bewirkt.
12 Denn der Dienst dieser Kollekte hilft nicht nur den Nöten der Gemeinde in Jerusalem ab, sondern wirkt auch überreich dadurch, dass viele Gott danken werden.
13 Weil sie sich auf eure Kollekte verlassen können, loben sie Gott für den Gehorsam, mit dem ihr euch zum Evangelium von Christus bekennt, und für die Aufrichtigkeit der Gemeinschaft zu ihnen und zu allen,
14 und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der außerordentlichen Gnade Gottes bei euch.
15 Dank sei Gott für sein unbeschreibliches Geschenk.
(Eigene Übersetzung)


Liebe Schwestern und Brüder,

es gibt etwas an Kirche, das gewaltig nervt und das immer wieder für Unsicherheit oder sogar Unmut sorgt: Die Kollekte.
Da kommt man schon in den Gottesdienst, zahlt vielleicht sogar Kirchensteuer, und dann soll man am Ausgang auch noch etwas geben!
Wenn man von vornherein wüsste, dass der Gottesdienst Eintritt kostet, dann würde man ja gar nicht erst kommen. Aber einem am Ausgang den leeren Teller unter die Nase zu halten - das ist ganz schön unverschämt!

I
Ich weiß, dass Sie nicht so denken. Ich habe die Reaktionen, die ich schon am Ausgang erlebt habe, etwas überspitzt und übertrieben. Doch möglicherweise haben Sie sich ja auch schon gefragt, warum in jedem Gottesdienst eine Kollekte gesammelt wird, die zudem meistens nicht für die eigene Gemeinde, sondern für andere Gemeinden oder Einrichtungen bestimmt ist. Oft sagen einem diese Einrichtungen gar nichts, und man fragt sich, warum man denen sein Geld geben soll.

Falls Sie sich so etwas schon einmal gefragt haben, sind Sie in guter Gesellschaft: Die Korinther, an die Paulus schreibt, wissen auch nicht, was das soll mit dieser Kollekte. Paulus bittet sie um Geld für die Jerusalemer Gemeinde - für die Urgemeinde also, die allerersten Christen, die deshalb auch die „Heiligen“ genannt werden. Offenbar haben die „Heiligen“ finanzielle Schwierigkeiten. In Jerusalem fehlen ihnen wohl die Mittel, sich über Wasser zu halten, während die Christen in der reichen Handelsstadt Korinth - unter ihnen Kaufleute wie die Purpurhändlerin Lydia - keine finanziellen Sorgen haben. Trotzdem trennen sie sich nicht gern von ihrem Geld - sonst müsste Paulus wohl nicht so ausführlich für die Kollekte werben, die er persönlich der Jerusalemer Gemeinde überbringen will.
Vielleicht sehen sie nicht ein, schon wieder Geld zu schicken, nachdem sie schon einige Male gespendet haben.
Vielleicht fragen sie sich, was diese Kollekte überhaupt soll.
Vielleicht sind sie der Meinung, jede Gemeinde sollte für sich selbst sorgen können; wer dazu nicht in der Lage ist, der hat eben Pech gehabt.
Vielleicht sind sie auch sauer, weil sie sich von Paulus genötigt fühlen, etwas zu geben; lieber würden sie das Geld für die eigene Gemeinde verwenden - es gibt ja immer etwas zu bauen und zu reparieren und anzuschaffen …

II
Paulus gibt sich große Mühe, sein Anliegen der Kollekte den Korinthern verständlich zu machen.
Ich finde, es lohnt sich, seinen Argumenten zu folgen - vielleicht verstehen wir dann besser, warum wir bis heute eine Kollekte im Gottesdienst einsammeln.

Also:
Paulus beginnt mit einem Vergleich, der unmittelbar einleuchtet:
Wenn jemand etwas aussäen will, und er spart beim Saatgut, dann werden nur wenige Pflanzen wachsen, entsprechend mager wird die Ernte ausfallen.
Wer dagegen beim Säen aus dem Vollen schöpfen kann, der wird auch eine große Ernte einfahren, denn viele Pflanzen bringen nun einmal einen größeren Ertrag als wenige.
So weit, so logisch. Aber was hat das mit der Kollekte zu tun?

Schon damals ließ man Geld für sich arbeiten. Man verlieh es gegen Zinsen, wie es heute die Banken tun, und freute sich, wenn es sich vermehrte. Insofern ist Geld durchaus mit dem Samen vergleichbar, und auch hier gilt: Wer viel anlegt, wird einen größeren Gewinn haben als der, der knausert.
Aber wie kann eine Kollekte eine Geldanlage sein? Man gibt doch Geld weg - und bekommt es nicht wieder; das Geld wird nicht mehr, sondern verschwindet!

Warten wir mal ab, wie Paulus weiter argumentiert; vielleicht erhalten wir eine Antwort auf diese Frage.

Zunächst bewegt Paulus ein anderer Gedanke: Wenn man etwas gibt, meint er, soll man es nicht lustlos tun, und auch nicht gezwungen. Paulus möchte bei der Kollekte also sicher gehen, dass sie aus innerer Überzeugung gegeben wird, gern und freudig. Warum ist ihm das so wichtig? Er kann doch froh sein, wenn er überhaupt Geld bekommt, warum muss er auch noch verlangen, dass man das Geld freiwillig gibt, und aus Überzeugung? - Offensichtlich hat Paulus keine Angst davor, mit leeren Händen oder einem peinlich kleinen Betrag vor der Jerusalemer Gemeinde zu stehen. Wichtiger ist ihm, dass die Gemeinde in Korinth begreift, was die Kollekte bedeutet. Er möchte das Denken der Korinther ändern und sie auf diese Weise dazu bringen, gern zu geben.

III
Das für die Korinther - und wohl auch für uns - Neue ist, dass Paulus davon ausgeht, dass die Korinther von Gott beschenkt sind. Das Geld, das sie so reichlich haben, und von dem sie - wie wir - glauben, sie hätten es sich verdient: dieses Geld wurde ihnen von Gott geschenkt.
Wie kann das sein? Jede und jeder von uns, der berufstätig war oder ist, weiß, dass das Geld vom Arbeitgeber kommt. Auf dem monatlichen Gehaltszettel steht‘s drauf. Man bekommt dieses Geld, weil man ehrlich und sauer dafür gearbeitet hat. Man hat es verdient - und man hat es sich verdient. Davon zu sprechen, dass Gott einem dieses Geld geschenkt hätte, klingt fast zynisch, so, als wollte sich da einer mit fremden Federn schmücken.

Andererseits ist es nicht selbstverständlich, dass wir Arbeit haben. Es gibt viele Menschen, die keinen Job finden; die durch eine Krankheit erwerbsunfähig wurden; die zu wenig bekommen, um davon leben zu können. Es ist nicht, oder zumindest nicht nur, unser Verdienst, dass wir einen Beruf erlernen konnten, eine Stelle fanden, die uns und unsere Familien ernährt, und dass wir gesund geblieben sind. Es hätte auch ganz anders kommen können, und es könnte jederzeit anders kommen.

Deshalb feiern wir ja heute auch Erntedank: Weil es auch nicht selbstverständlich ist, dass wir in einem reichen Land leben, das genug preiswertes Essen für alle produziert. Dass es immer noch genug Jugendliche gibt, die den anstrengenden und unsicheren Beruf des Landwirts ergreifen; dass dank der Imker immer noch Bienen fliegen und unsere Obstbäume bestäuben; dass Eltern und Großeltern im Garten ackern, einmachen und einkochen, damit wir Marmelade, Kompott und Gemüse aus dem Garten essen können.

IV
Paulus möchte das Denken der Korinther und unser Denken verändern. Er möchte, dass wir nicht mehr denken:
Das habe ich geschafft!
Das habe ich verdient!
Das steht mir zu!,
sondern dass wir denken:
Das hat Gott mir geschenkt.
Das habe ich nicht mehr verdient als andere.
Anderen steht das selbe zu wie mir.

Paulus möchte aber nicht nur, dass wir unseren Verdienst nicht als eigenen Verdienst ansehen, er möchte noch mehr:
Er möchte, dass wir lernen, auf Gott zu vertrauen.
Dabei beruft er sich auf das Evangelium von Christus, der gesagt hat (Matthäus 6,25.32-33):
„Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet … Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“.

Damit ist nun nicht gemeint, dass man einfach so in den Tag hinein leben soll. Jesus - und auch Paulus - wissen nur zu gut: Von nichts kommt nichts.
Beide haben ein Handwerk gelernt - Jesus Zimmermann, Paulus Zeltmacher. Paulus legt zudem Wert darauf, dass er immer selbst für seinen Lebensunterhalt aufgekommen ist und sich nicht von den Gemeinden bezahlen ließ.

Man muss also für seinen Lebensunterhalt arbeiten, das ist unbestritten.
Die Frage ist aber, wie man seinen Gewinn investiert. Wenn man Geld so vermehren kann wie Pflanzensamen, indem man es anlegt: Wie soll man es am besten anlegen? So, dass es möglichst viele Zinsen bringt, damit man immer mehr davon hat, immer reicher wird? Oder so, dass es andere Früchte trägt - Paulus nennt sie „Früchte der Gerechtigkeit“. Das sind Früchte, die nicht mir selbst zugute kommen, sondern anderen helfen, das selbe zu haben wie ich - also auch genug zu essen, Kleidung, ein Dach über dem Kopf, einen Arbeitsplatz, Frieden, Schulbildung und eine Zukunft für die Kinder …

V
Ich denke, jetzt verstehen wir, was die Kollekte ist:
Sie ist eine Investition, eine Geldanlage.
Sie bringt nicht mir Gewinn und Zinsen, sondern den Menschen, für die sie bestimmt ist. Insofern ist sie eine Investition in die Zukunft - in die Zukunft dieser Menschen.
Ich persönlich habe nichts davon - diese Menschen erfahren ja nicht einmal, dass das Geld von mir kam.
Und trotzdem ernte ich etwas: ich ernte „Früchte der Gerechtigkeit“.
Davon kann ich mir nichts kaufen. Aber vielleicht meine Kinder und Enkel.
Denn die „Früchte der Gerechtigkeit“ machen unsere Welt menschlicher, weil sie Menschenleben retten oder ermöglichen.
Sie machen sie heil, weil sie Ungerechtigkeiten heilen.
Sie machen sie schön, weil dadurch Menschen glücklich werden.
Ich glaube, diese Investition kann man mit keinem Geld der Welt aufwiegen.

Jetzt ist eigentlich alles zur Kollekte gesagt und bedacht.

Aber Paulus ist noch nicht fertig. Er dreht noch eine letzte gedankliche Kurve, er sagt: die Kollekte bewirkt Dank. Dieser Dank gilt nicht denen, die sie gegeben haben, sondern Gott. Und zwar Gott nicht deshalb, weil Geld zu Leuten kam, die es benötigten - diese Leute wissen ja, von wem es kam: Von den Korinthern, aus ihrem Vermögen, von ihrer Hände Arbeit.

Nein, der Dank gilt Gott deshalb, weil er die Korinther so reich beschenkt hat, dass sie von sich aus etwas von ihrem Besitz abgeben. Die Kollekte ist also ein Zeichen ihres Gottvertrauens, ihres Glaubens: Er ist so groß, dass sie ihr Geld nicht kleinlich einteilen, nicht geizig zurückhalten, sondern großzügig von dem abgeben, was sie haben.

Diese letzte Gedankenbogen des Paulus ist ungemein wichtig.
Denn die Kollekte ist keine moralische Verpflichtung - deshalb betont Paulus auch, dass sie aus freien Stücken und fröhlich gegeben werden soll.
Sie ist vielmehr ein direkter Ausfluss des Glaubens:
Nur, wer sich so bei Gott geborgen und von Gott getragen weiß,
nur wer Gott so dankbar ist für das, was er hat,
nur der kann aus vollem Herzen und mit vollen Händen geben.

Die Kollekte am Ausgang ist keine heimliche zweite Kirchensteuer.
Sie ist die Gelegenheit, unseren Glauben zu überprüfen:
Sind wir dankbar?
Fühlen wir unsere Sorgen bei Gott aufgehoben?
Vertrauen wir Gott?

So, wie wir für uns diese Fragen beantworten können, so sollten wir geben.

Amen.