Samstag, 8. Oktober 2016

Let's talk about Sex!

Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis, 9. Oktober 2016, über 1.Thessalonicher 4,1-8

für Georg Renz
Ein Krokodil tief im Nil tut es,
bitte, frag' mich nicht, wie.
Nerz mit viel Herz tut es
für die Pelzindustrie.  
Von Tetuan bis Luzern tun sie's,
und ich möchte sagen:
Gern tun sie's. Tu du es:
Sei mal verliebt. 
Ein jeder Goldfisch im Glas macht es,
ein Betriebsausflug im Gras macht es.
Spaß macht es!
Sei mal verliebt! 
Quelle: http://lyrics.wikia.com/wiki/Hildegard_Knef:Sei_Mal_Verliebt_(Let's_Do_It)

Liebe Schwestern und Brüder,

tun wir's: Reden wir über Sex!

Denn darum geht es doch eigentlich in dem scheinbar harmlosen Lied, das Hildegard Knef gesungen hat. Sie singt davon, "es" zu tun, und nicht nur Männer denken dabei sofort an das Eine. 
Das macht ja den Reiz dieses Liedes aus, dass es den Gedanken an Sex provoziert und darauf zielt, aber dann ganz harmlos vom Verliebtsein singt.

Sex - dieses Wort wirkt in einer Kirche deplaziert, dazu noch von einer Kanzel! 
Auch im Alltag nehmen wir es nicht in den Mund, obwohl es uns von jeder Litfasssäule, jedem Werbespot geradezu anspringt. Denken Sie nur an die „Almased“-Werbung im Fernsehen. Da lässt man für die, die es gar nicht kapieren können oder wollen, sogar noch einen Mops durchs Bild laufen.

Sex und Kirche passen nach unserem Gefühl nicht zusammen. Und doch mischt Kirche sich fleißig in das Sexualleben ihrer Schäfchen ein - bis heute. 
Nicht nur die römisch-katholische Kirche. 
Die tut sich noch immer schwer mit Sexualität aus reiner Lust und erlaubt deshalb offiziell keine Verhütung. 
Auch in der Evangelischen Kirche ist es noch nicht überall so, dass andere Lebensgemeinschaften als die Ehe anerkannt und gesegnet werden.

Sex und Kirche - ein schwieriges Thema. 
Das war es offenbar schon in den Anfängen der Kirche. So lesen wir im Predigttext im 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher im 4. Kapitel:
1 Schließlich, liebe Geschwister, bitten und drängen wir euch im Herrn Jesus, dass ihr so lebt, wie ihr von uns gelernt habt, wie man leben und Gott gefallen soll - und so lebt ihr ja auch -, damit ihr euch immer mehr hervortut.
2 Ihr wisst ja, welche Verheißungen wir euch durch den Herrn Jesus gaben.
3 Denn das ist der Wille Gottes: Eure Heiligung, dass ihr euch von der Unzucht enthaltet,
4 und dass ihr jeder seine eigene Frau zu gewinnen wisst in Heiligung und Ehre,
5 nicht in leidenschaftlicher Begierde wie die Heiden, die Gott nicht kennen,
6 und dass man sich nicht in die Angelegenheiten seines Bruders oder seiner Schwester einmischt, und dass man ihn oder sie nicht übervorteilt, weil der Herr es denen heimzahlt, die dies tun, wie wir es euch vorhergesagt und bezeugt haben.
7 Denn Gott hat uns nicht zur Unreinheit berufen, sondern zur Heiligung.
8 Wer also das verachtet, verachtet nicht einen Menschen, sondern Gott, der uns seinen Heiligen Geist gegeben hat.
(Eigene Übersetzung)
II
Man hat das Gefühl, Sex und Kirche passen nicht zusammen. 
Paulus sagt uns auch, warum. Er stellt sie in einen Gegensatz zueinander: 
Heiligung und Unreinheit.

Heiligung gehört auf die Seite der Kirche, also gehört die Unreinheit … Genau. 
Das Wort „Unzucht“ hat ja schon die selbe Vorsilbe wie die Unreinheit, dieses Un-, das ganz klar macht, dass das etwas Unmögliches, Unsittliches und Unpassendes für einen Christenmenschen ist. 
Und erst das griechische Wort, das hinter der „Unzucht“ steht: πορνεία (porneia) - da fällt einem sofort der Porno ein. Im Wörterbuch steht zu πορνεία: „jede Art von illegitimem Geschlechtsverkehr“
Diese Definition ist nicht gerade hilfreich. 
Denn was illegitim ist oder nicht, liegt im Auge des Betrachters. Es wird von der Gesellschaft vorgegeben, oder von einer Institution wie der Kirche. 
Bei den alten Griechen z.B. waren homosexuelle Beziehungen älterer Männer und Frauen mit Jugendlichen absolut üblich und gesellschaftlich akzeptiert. 
Aber für unsere Vorfahren galt schon Sex vor der Ehe als illegitim - obwohl er natürlich trotzdem stattfand. 
In der Regel treibt man es um so doller, je stärker nach außen hin Anstand und Sittlichkeit gewahrt werden. Und Schwule oder Lesben erst - ogottogott! 
Eine „andersartige“ sexuelle Orientierung eines Menschen - also z.B. die gleichgeschlechtliche Liebe - löst bis heute z.T. heftige Ablehung aus.

III
Warum mischt Paulus sich überhaupt in diesen intimsten Bereich eines Menschen ein? 
Was geht ihn, was geht es die Kirche an, wer mit wem Sex hat?

Das ist eine rhetorische Frage. 
Es geht ihn, es geht die Kirche gar nichts an. 
Niemand hat sich da einzumischen, wie Menschen ihre Sexualität leben - solange dies nicht gegen den Willen eines Menschen geschieht, oder wenn dieser Mensch sich nicht wehren oder nicht einwilligen kann in das, was da mit ihm geschieht. 
Bei allem, was Menschen miteinander tun können, ist Sex das, was ohne das ausdrückliche Ja beider nicht gehen kann und nicht sein darf. Wenn da ein Nein nicht beachtet wird - oder wenn gar nicht erst das Einverständnis gesucht wird -, dann muss man einschreiten. Nicht um irgendeine „Unzucht“ zu verhindern. Sondern um einem Menschen beizustehen, der sich nicht wehren kann.
Aber abgesehen von solchen schlimmen Fällen hat niemand etwas im Schlafzimmer eines anderen zu suchen.
Paulus will uns auch gar nicht vorschreiben, wie wir unsere Sexualität zu leben haben.

Natürlich ist er ein Kind seiner Zeit. 
Er teilt die Vorurteile und die Ablehung seiner jüdischen Glaubensgeschwister gegenüber der Homosexualität. 
Er teilt auch die theologische Auffassung von einer Ordnung, die Gott seiner Schöpfung gegeben hat. 
In der jüdischen Theologie ist Heiligung der Versuch, sein Leben nach dieser Ordnung Gottes - nach den Geboten - auszurichten.

Auf der anderen Seite hat Paulus einen neuen Weg entdeckt, der die Heiligung nicht mehr durch das Befolgen der Gebote erreicht. Paulus hat erkannt, dass der Versuch, sein Leben nach einer göttlichen Ordnung auszurichten, in eine Aporie führt: Man muss daran scheitern. Was den Menschen rettet, ist, sich dieses Scheitern einzugestehen und alles auf eine Karte, auf Christus, zu setzen. In der Gemeinschaft mit Christus ist man geheiligt, weil niemand heiliger als Christus sein kann. Das gibt dem Menschen die Freiheit, als Mensch zu leben, weil er nicht mehr wie Gott werden muss. 
In Christus ist er das ja schon. 

Diese Freiheit bedeutet auch, neue, andere Ordnungen auszuprobieren, oder einmal ganz „un-ordentlich“ zu sein. 
So waren in den christlichen Gemeinden die Sklaven gleichberechtigt mit den Freien, während sie in der Gesellschaft nicht als Menschen, sondern als „Dinge“ galten. 
So predigten und lehrten bei den Christen Frauen und Männer gleichberechtigt nebeneinander, während die Frau in der antiken Gesellschaft nichts zu sagen und ohne Mann keine Rechte hatte.

IV
Für die ersten Christen war das eine aufregende Entdeckung: Frei sein von den strengen Zwängen des Gesetzes, frei von den Geboten! Frei sein auch vom Staat, von den Zwängen und Regeln der Gesellschaft. Die hatten ja keine wirkliche Macht mehr über einen Christenmenschen.

Frei sein! High sein!
Ich denke, man kann sich die ersten Christinnen und Christen wie Hippies oder Punks vorstellen, wie die Stundentinnen und Studenten der 68er-Bewegung. Ihr Motto: „Make love, not war!“ hätte auch gut das Motto der ersten Christen sein können.
Im Rausch dieser Freiheit fielen manche Grenzen und Tabus - und mancher schoss dabei über das Ziel hinaus: Erkannte keine Grenzen mehr an und verachtete die „Spießer“, die Wert auf so reaktionäe Konstrukte wie „Besitz“ oder „Ehe“ legten - auch darin nicht unähnlich den späteren 68ern.

In einem anderen Brief, dem 1. Brief an die Korinther, beschäftigt sich Paulus ausführlich mit diesen „Starken“, wie sie sich selbst nennen (1.Korinther 8,7-13). Beachtlich ist dabei, dass er ihnen nicht widerspricht; er bezeichnet sich sogar als einer von ihnen und gibt ihnen recht. 
Aber er bittet sie um Rücksicht - Rücksicht auf die „Schwachen“, denen diese neue Freiheit der Christen Angst macht. 
Er bittet sie um Rücksicht, damit die Gemeinde nicht zerstört wird. Um der Gemeinschaft willen bittet er die Starken, darauf zu verzichten, ihre Freiheit voll auszuleben. Sie sollen sich selbst beschränken, damit die Gemeinde nicht auseinanderbricht.

V
Es gibt also noch ein zweites Gegensatzpaar, das Paulus in unserem Predigttext nicht explizit benennt, das aber dessen Hintergrund bildet: 
Den Gegensatz zwischen Selbstverwirklichung und Gemeinschaft, 
zwischen meinen Bedürfnissen, meinen Wünschen und denen der anderen. 
Dieser Gegensatz bildet den Hintergrund der „Unzucht“. Denn was geschieht da? 
Wer „Unzucht“ treibt, der setzt seine Bedürfnisse und Wünsche über die anderer. 
Auf diese Weise werden Menschen für Sex bezahlt oder sogar zum Sex gezwungen. 
Auf diese Weise zerbrechen Beziehungen, die auf Vertrauen, Treue und gegenseitiges Einvernehmen gegründet sind. 
Und auf diese Weise zerbricht auch eine Gemeinschaft, weil ehemalige Paare nun getrennte Wege gehen, oder weil sie ihren Beziehungskrach in die Gemeinde hinein tragen, wo die einen Partei für die eine, die anderen für die andere Seite ergreifen.

Deshalb führt Paulus auch noch ein zweites Beispiel an, das gar nichts mit Sex zu tun hat: Die Einmischung in anderer Leute Angelegenheiten, und das Über-den-Tisch-ziehen. Auch die zerstören Gemeinschaft: Wer das einmal erlebt hat, will mit dem, der einem das antat, nichts mehr zu tun haben.

VI
Paulus geht es also nicht um „Moral“, wie wir im ersten Augenblick vielleicht dachten. Ihm geht es um die Gemeinde. Darum besteht die „Heiligung“, die er meint, auch nicht im Befolgen der göttlichen Gebote. „Heiligung“, wie Paulus sie versteht, bedeutet, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse in Beziehung zu setzen - in Beziehung zur Partnerin, zum Partner, und in Beziehung zur Gemeinde.

Darauf wollen auch die Gebote Gottes hinaus. 
Auch sie setzen in Beziehung zu Gott und zum Mitmenschen; auch sie stiften Gemeinschaft; auch sie führen dazu, dass man seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse in Beziehung zu seinen Mitmenschen sieht und nicht mehr absolut setzt.

Es sind zwei Wege, die beide zum selben Ziel führen: 
In eine Beziehung zu Gott, die auf dem Weg über Beziehungen zu den Mitmenschen, über Gemeinschaft erreicht wird. 
Die Gebote geben dabei ein Geländer vor, an dem man sich festhalten und entlanghangeln, das manchem aber auch wie ein Käfig oder Gefängnis erscheinen kann.
Der Weg, den Paulus geht, ist der Weg der Liebe. Dieser Weg schenkt Freiheit, die man aber auch missverstehen und missbrauchen kann: Die Freiheit, die Christus uns gibt, ist nicht die Freiheit, auf unseren Mitmenschen herumzutrampeln. 

VII
Paulus warnt in seinem Brief vor der Beziehungslosigkeit, in die das egoistische Streben nach der Erfüllung nur der eigenen Wünsche und Bedürfnisse führt, das rücksichtslose Ausnutzen und Ausspähen des anderen um des eigenen Vorteils willen.
Statt dessen ermutigt er uns zur Heiligung als Leben in Beziehungen. Zu diesen Beziehungen gehört natürlich auch die schönste Nebensache der Welt.
Darum darf man auch in der Kirche mal über Sex reden.
Amen.