Samstag, 15. Oktober 2016

There is no way to peace - peace is the way

Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis, 16. Oktober 2016, über Epheser 6,10-17:

10 In Zukunft sollt ihr stark werden im Herrn und in der Stärke seiner Macht.
11 Legt die Vollrüstung Gottes an, damit ihr Widerstand leisten könnt gegen die Machenschaften des Teufels.
12 Denn unser Kampf geht nicht gegen Blut und Fleisch, sondern gegen die Geistermächte, gegen die Dämonen, gegen die Beherrscher dieser Finsternis, gegen die Geister der Bosheit im Himmel.
13 Deshalb tragt die Vollrüstung Gottes, damit ihr widerstehen könnt am bösen Tag und nach dem Sieg über alles den Stand behauptet.
14 Steht also, an euren Hüften umgürtet mit Wahrheit und gewappnet mit dem Brustpanzer der Gerechtigkeit.
15 Unter die Füße habt die Bereitschaft für das Evangelium des Friedens gebunden.
16 Über all dem tragt den Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Pfeile des Bösen auslöschen könnt,
17 und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes.
(Eigene Übersetzung)


Liebe Schwestern und Brüder,


wenn man den Predigttext hört, hat man sie vor Augen, die „Gotteskämpfer“, die mit Feuer und Schwert die Ungläubigen zum wahren Glauben „bekehren“ wollen.
Extremisten, die nur in schwarz-weiß denken und die Vielfalt der Meinungen und des Glaubens nicht aushalten können.
Rechthaber, die nur eine Sicht der Dinge akzeptieren: die ihre.
Gewaltmenschen, die nach dem Motto verfahren: „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein“.
Verlierer der Gesellschaft, die sich stark fühlen, wenn sie auf noch Schwächere einprügeln können.

Zur Zeit tummeln sie sich beim sogenannten „Islamischen Staat“ in Syrien und im Irak, bei „Boko Haram“ in Nigeria oder bei den Taliban in Afghanistan, die „Gotteskämpfer“, die morden und vergewaltigen, stehlen und erpressen, Kunstwerke zerstören und heimlich verschachern. Und das alles im Auftrag Gottes, der das angeblich so will und gut heißt. 

Wir haben aber keinen Grund, uns moralisch zu empören und mit dem Finger auf die Islamisten zu zeigen. Wir Christen haben es ja über Jahrhunderte nicht anders gehalten. Ob in den Kreuzzügen, als es vordergründig um die Befreiung Jerusalems aus der Hand der Muslime ging, in Wahrheit aber, wie immer, um Macht und Geld, bei den Verfolgungen von „Hexen“ und „Ketzern“, oder im Dreißigjährigen Krieg, der offiziell ein Krieg der beiden Konfessionen war. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass sich in Nordirland Katholiken und Protestanten gegenseitig erschossen und in die Luft sprengten.


Immer musste der Glaube, immer musste Gott für die Exzesse der Gewalt herhalten; immer war es angeblich die Verteidigung des wahren, einzigen, richtigen Glaubens, die all das Morden rechtfertigte - als ob Gott unsere „Verteidung“ nötig hätte!


Und nun müssen wir uns vom Epheserbrief einen solchen Gotteskämpfer vor Augen malen und uns von ihm auffordern lassen, aufzurüsten, zu den Waffen zu greifen und gegen feindliche Mächte zu kämpfen.


I
Was der Epheserbrief da beschreibt, ist die Rüstung eines römischen Legionärs, wie er damals nicht nur in Ephesus, sondern in ganz Europa anzutreffen war: Mit Brustpanzer und Gürtel, an dem das Schwert hing, mit einem großen Schild und dem typischen Helm, den Obelix so gern als Trophäe einsammelte.

Einen heutigen Gottesstreiter müsste der Epheserbrief anders beschreiben: Statt des Brustpanzers trüge er eine dicke, kugelsichere Splitterschutzweste, statt des Schwertes ein Sturmgewehr, den Stahlhelm auf dem Kopf, Kampfstiefel an den Füßen und an seinem Gürtel hinge kein Schwert, sondern eine Pistole.


Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Wenn ich irgendwo einen Soldaten oder einen Polizisten in voller Rüstung sehe, dann bekomme ich es mit der Angst zu tun. Und das soll wohl auch so sein. So sehr Helm, Panzerung und Waffe dem Schutz des Trägers dienen, so sehr sollen sie auch abschrecken und einschüchtern.


Es ist beruhigend, dass unsere Polizei so gut ausgerüstet ist, um Hooligans und Neonazis etwas entgegensetzen zu können. Aber wer einmal bei einer friedlichen Demonstration durch ein Spalier von derart gepanzerten und bewaffneten Polizisten laufen musste, konnte nur hoffen, dass alles friedlich bleibt und sich diese martialisch Gekleideten nicht gegen einen wenden.


Nein. Das Bild, das der Epheserbrief da zeichnet, ist alles andere als glücklich. Es ist beängstigend und abschreckend, und man möchte sich am liebsten gar nicht weiter damit beschäftigen.

Warum tue ich‘s dann?

Warum lasse ich Sie und mich nicht damit in Ruhe und wende mich einem anderen Text zu - es ist ja nicht so, als gäbe es nicht genug Auswahl an Predigttexten in der Bibel.


Ich mute Ihnen und mir diesen Text zu, weil ich der Meinung bin, dass jeder Bibeltext es verdient, dass wir uns ernsthaft mit ihm auseinandersetzen. Auch und gerade die, die uns auf den ersten Blick abstoßen. Wenn wir sie gleich beim ersten Hören oder Lesen ablehnen, kommen wir nicht dazu, sie genauer anzusehen und zu verstehen, was sie sagen wollen. Wir übersehen die Details, auf die es oft so ankommt.

Lassen Sie uns also genauer auf das Bild des Gottesstreiters schauen, das der Epheserbrief uns da vor Augen malt.

II
Wenn wir genauer hinsehen, fällt auf, dass der Epheserbrief zwar eine Rüstung beschreibt, wie sie seiner Zeit die Legionäre trugen. Aber die Rüstung, die seine Leser anlegen sollen, ist nicht aus Metall. Es ist überhaupt keine Rüstung, sondern genau das Gegenteil davon. Statt uns zu wappnen und zu bewaffnen, macht der Epheserbrief uns völlig schutzlos. Denn wie sieht die Rüstung aus?

Der Riemen, der verhindert, dass die Hose vor Angst in die Knie rutscht, ist die Wahrheit. Die Wahrheit wird oft über Gebühr gedehnt, aber als Gürtel eignet sie sich trotzdem nicht. Im Gegenteil, wer es mit der Wahrheit hält, der macht sich angreifbar und verletzlich. Man gibt nicht zu, dass man einen Fehler gemacht hat. Man gesteht nicht, dass man etwas nicht weiß, dass man etwas nicht kann oder dass man Angst vor einer Aufgabe hat - das sind Zeichen von Schwäche. Wer ein Macher, ein Manager sein will, darf eigene Schwächen nicht zugeben. Notfalls muss eben die Wahrheit dran glauben.
Nein, die Wahrheit als Gürtel umzulegen, ist kein guter Rat, wenn man vor einem Konflikt steht.

Mit der Gerechtigkeit als Panzer ist es auch nicht besser. Mit Gerechtigkeit kann man nichts gewinnen. Man muss sehen, dass man für sich das Meiste herausholt. Den Rest kann man dann immer noch an die verteilen, die es nötig haben. So funktioniert unsere Wirtschaft, und so haben wir uns bisher gegenüber den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ verhalten - kein Wunder, dass die jetzt zu uns kommen, um sich eine Scheibe von dem Reichtum abzuschneiden, den wir auf ihre Kosten erwirtschaftet haben.
Wer auf Gerechtigkeit setzt, gefährdet das Funktionieren unserer Wirtschaft. Der ist am Ende - Gott bewahre! - vielleicht sogar ein Kommunist!
Gerechtigkeit anzulegen kann man also ebenfalls nicht empfehlen, denn sie wäre kein Panzer, sie würde uns vielmehr zur Zielscheibe machen.


Muss ich die anderen Rüstungsteile noch aufzählen? Es dürfte deutlich geworden sein, dass der Epheserbrief seine Leser nicht rüsten, sondern vielmehr bloßstellen will. Wer tatsächlich die Aufforderung des Epheserbriefes befolgen wollte, machte sich im besten Falle lächerlich; im schlimmsten Falle bekäme er eins aufs Haupt - und wäre auch noch selber schuld!


III
Warum will uns der Epheserbrief zu einem solchen Leichtsinn verleiten?
Er hätte es ja nicht in die Bibel geschafft, wenn er böswillig Gläubige ans Messer liefern, oder den christlichen Glauben mit seinen unsinnigen Ratschlägen diskreditieren und lächerlich machen wollte.
Wir müssen uns ansehen, gegen wen es überhaupt in den Kampf geht, um zu verstehen, warum der Epheserbrief gerade diese Ausrüstung empfiehlt.


Es geht nicht gegen Fleisch und Blut - also nicht gegen menschliche Gegner -, sondern gegen böse Mächte, die ihren Ursprung beim Gegenspieler Gottes haben, dem Teufel.
Der Teufel, auf Griechisch und Hebräisch der „Verleumder“, wird in der Bibel beschrieben als einer, der Gott immer wieder gegen die Menschen aufzuhetzen versucht.
Der Teufel sitzt in den biblischen Geschichten nicht uns im Nacken, sondern Gott.
Der Teufel zweifelt an, dass die Menschen so gut sind, wie Gott denkt - und Gott denkt schon ziemlich realistisch von uns. So haben wir letzten Sonntag in der alttestamentlichen Lesung aus der Sintflutgeschichte gehört, dass Gott über Noahs Opfer zu der Einsicht kommt, dass „das Dichten und Trachten des Menschen böse ist von Jugend auf“, dass es also keinen Sinn hat, die Bösen auslöschen zu wollen, weil der Mensch nun einmal so ist, wie er ist.
Der Teufel aber will Gott dazu provozieren, auch noch das Gute im Menschen in Zweifel zu ziehen
- so bei Hiob, dem er unterstellt, dass seine Frömmigkeit nur auf seinen Reichtum und seinem unverschämtes Glück beruhen würde.
Und dem Menschen flüstert er ein, er könne so schöpferisch, so mächtig, so klug sein wie Gott
- so beim berühmten Biss in die verbotene Frucht im Garten Eden und auch bei der Versuchung Jesu in der Wüste.


Heute müssen wir nicht mehr den Teufel bemühen, um die Einflüsterungen zu enttarnen, die uns das Leben schwer machen.
Wir kennen das Gefühl des Ungenügens und der Ohnmacht - das Gefühl, nicht gut genug, nicht schön genug zu sein, nicht genug zu leisten.
Und wir kennen auch die Phantasien der Allmacht:
wir kriegen das Klima in den Griff - obwohl wir alle weiter Auto fahren;
wir schaffen das mit den Flüchtlingen und der Bankenkrise - obwohl wir eigentlich nur die Augen davor verschließen;
wir halten das Bienensterben auf - obwohl wir weiterhin Gift auf die Äcker spritzen;
mit ferngelenkten Bomben bringen wir den Menschen in Krisengebieten den Frieden.
Und wenn wir die Erde eines Tages kaputtgespielt haben, ziehen wir eben auf den Mars um.


IV
Die Logik der Wirtschaft und der Politik ist das Paradox, der Widerspruch:
Wir schaffen das, obwohl wir es nachweislich nicht schaffen.
Wir schaffen die Flüchtlinge im wahrsten Sinne des Wortes, indem wir erfolgreich verhindern, dass sie überhaupt in unser Land kommen - wir lassen sie lieber im Mittelmeer ertrinken. Das gelingt, weil wir über einen autoritären Herrscher in der Türkei, der die Pressefreiheit mit Füßen tritt und seine Gegner einsperrt, den Mantel der Liebe breiten.
Wir meistern die Bankenkrise, indem wir die belohnen und entlasten, die sie ausgelöst haben und dafür verantwortlich sind.
Wir klären die NSU-Morde auf, indem wir Beweise vernichten oder verschwinden lassen.
Und so weiter.


Politik und Wirtschaft folgen keiner Logik - wenn sie je einer gefolgt sind.
Wir aber verlangen vom Glauben, dass er logisch sein soll und beweisbar und wollen nicht glauben, was wir nicht sehen können, weil das „unwissenschaftlich“ ist.
Was wir Politik und Wirtschaft durchgehen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken, das kreiden wir dem Glauben an: Dass er paradox ist, also etwas behauptet, was dem Augenschein widerspricht, was dem zuwider läuft, was wir für die Realität halten.

So widersprüchlich ist die Rüstung, die uns der Epheserbrief vor Augen malt.
Eine Rüstung, mit der man nichts anfangen kann, die soll uns helfen im Kampf gegen Mächte, die stärker sind als Menschen?
Und offenbar sind sie auch gefährlicher, weil sie hinter den Handlungen derer stehen, die uns - und vor allem anderen - das Leben schwer machen.
Die Gewalt verüben und Verbrechen.
Die ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen.
Die behaupten, das Demütigen und Verletzen von Frauen sei „Locker-room-talk“, also etwas, was Mann angeblich in der Umkleidekabine so macht.


Der Epheserbrief empfiehlt uns, den Widersprüchen in Politik und Wirtschaft, in zwischenmenschlichen Beziehungen und in der Schule, mit seiner widersprüchlichen Rüstung zu begegnen.

Das besondere an dieser Rüstung ist, dass man die Widersprüche aufgibt, wenn man sie anlegt.
Man mauschelt und mogelt sich nicht mehr so durch, sondern bleibt bei der Wahrheit und trägt notfalls die Verantwortung und die Konsequenzen.
Man fragt nicht mehr zuerst: Was kriege ich dafür? Was habe ich davon? Sondern sorgt sich um Gerechtigkeit: Haben alle genug? Fehlt jemandem etwas?
Vor allem aber beantwortet man Gewalt nicht mit Gewalt, Hass nicht mit Hass. „Unter die Füße habt die Bereitschaft für das Evangelium des Friedens gebunden“ - das ist nicht bloß ein frommer Spruch. Damit ist gemeint, was Jesus in der Bergpredigt sagt:
Die Feinde zu lieben.
Der Schwester und dem Bruder zu vergeben.
Dem Übel nicht zu widerstehen, sondern es durch Gewaltlosigkeit zu entwaffnen.


Der Epheserbrief möchte also, dass wir den Widersprüchen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik die Konsequenz unseres Glaubens entgegensetzen.
Eine Konsequenz, die sich nicht darin äußert, dass wir zu Fanatikern werden, die alle Andersgläubigen verfolgen.
Sondern darin, dass wir uns selbst darauf verlassen, dass die scheinbar so schwachen Waffen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Glaubens mächtiger und wirkungsvoller sind als das, was gemeinhin als Waffe gilt.


V
Beim genaueren Hinsehen hat sich gezeigt, dass die Rüstung des Epheserbriefes gar nicht die Zumutung ist, die wir anfangs in ihr gesehen haben - sondern eine noch viel größere!
Denn wozu der Epheserbrief uns überreden will, ist, auf etwas zu vertrauen, mit dem wir uns garantiert lächerlich machen, mit dem wir anecken und nichts als Scherereien haben werden:
Auf die Wahrheit. Auf die Gerechtigkeit. Auf den Glauben. Auf das Wort Gottes.

Dazu kann man niemanden überreden, dazu kann man nicht einmal raten.
Das kann nur jede und jeder für sich selbst entscheiden.
Aber soviel sollte deutlich geworden sein: Wenn sich tatsächlich etwas in der Welt ändern soll, wird es sich nicht ändern, wenn wir selbst nicht bei uns anfangen.

Der amerikanische Friedensaktivist Abraham Johannes Muste hat den Satz geprägt: „There is no way to peace - peace is the way“, zu deutsch: Es gibt keinen Weg zum Frieden als nur der Friede selbst. Wenn wir, wie der Epheserbrief möchte, Botinnen und Boten für das Evangelium des Friedens werden sollen, müssen wir bei uns anfangen.
Gott gebe uns dazu den Willen und die Kraft.
Amen.