Sonntag, 25. Dezember 2016

Sein Antlitz leuchten lassen

Predigt am 2. Weihnachtstag, 26.12.2016, über Johannes 8,12:
Jesus spricht:
Ich bin das Licht der Welt.
Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht des Lebens haben.

Liebe Schwestern und Brüder,

in den dunkelsten Zeit des Jahres,
zur Zeit der Wintersonnenwende,
zur Zeit der längsten Nacht und des kürzesten Tages,
feiern wir Weihnachten.
Ein Fest des Lichtes mit vielen Kerzen,
weil an diesem Tag der zur Welt kam,
der später von sich sagte:
„Ich bin das Licht der Welt.
Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht des Lebens haben.“
Schon vor Christi Geburt wurde zur Zeit der Wintersonnenwende ein großes Fest gefeiert,
das Fest des Sol invictus, der unbesiegbaren Sonne.
Denn nachdem die Dunkelheit scheinbar über das Licht triumphiert hat
am Tag der längsten Nacht und des kürzesten Tages,
kehrt die Sonne doch zurück,
die Tage werden wieder länger.

Die ersten Christen haben frech und subversiv
diesen Termin aus dem staatlichen Festkalender
zum Geburtstermin des Gottessohnes gemacht.
So, wie sie auch die Anrufung, die allein dem Kaiser vorbehalten war:
„Kyrie, eleison!“
zur Anrufung Christi im Gottesdienst umfunktioniert hatten.
Damals war das keine bloße Laune, kein harmloser Streich.
Es war ein Akt des Ungehorsams und des Widerstands;
wer so etwas tat, brachte sich in Lebensgefahr.

Aber die ersten Christen fühlten sich dazu angestiftet von Jesus,
der auch immer wieder kleine oder große Taten des Ungehorsams
und des Widerstands beging,
wenn er Kranke am Sabbat heilte
oder von sich selber behauptete:
„Ich bin das Licht der Welt“.

Vielleicht hat Jesus selbst auf den Sonnengott angespielt.
Aber er hat sich sicherlich nicht an seine Stelle setzen wollen.
Wenn Jesus von sich als „Licht der Welt“ spricht,
setzt er sich nicht mit der Sonne gleich
und will auch nicht als neuer Sonnengott verehrt werden.

Aber es ist auch kein bloßer Scherz, kein Wortspiel.
Jesus meint es ernst, wenn er sagt:
“Ich bin das Licht der Welt“.
Er fügt ja noch ein Versprechen an:
„Wer mir nachfolgt,
wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht des Lebens haben“.
Jesus fordert zur Nachfolge auf,
fordert auf, in seine Fußtapfen zu treten,
so zu leben und zu handeln wie er.
Weil man dadurch das Licht des Lebens hat.

Das würde bedeuten:
Ohne ihn hat man das Licht des Lebens nicht,
sondern ist im Finstern.
Wir merken schon:
Es geht hier nicht um das Tages- oder Sonnenlicht,
es geht hier überhaupt nicht um Licht im eigentlichen Sinne.
„Licht“ und „Finsternis“ sind Metaphern,
sind Bilder, die für etwas anderes stehen.

Wenn ein Mensch geboren wird,
so sagen wir häufig: Sie oder er hat das Licht der Welt erblickt.
Und tatsächlich ist wohl das erste, was ein Neugeborenes sieht,
das Licht im Kreißsaal.
Aber ich glaube nicht,
dass ein Neugeborenes dieses Licht schon wahrnimmt,
wie wir Licht wahrnehmen.
Es lernt ja erst zu sehen,
und erst sehr viel später wird es lernen,
dass man zu diesem Hellen „Licht“ sagt.

Was aber jedes Neugeborenes zuerst sieht
und auch sehr schnell zu erkennen lernt,
ist ein Gesicht, das über ihm leuchtet,
weil es vor Freude und Glück strahlt:
Das Gesicht der Mutter.
Über jedem Kind geht das Gesicht der Mutter wie eine Sonne auf.
Und aus diesem leuchtenden Gesicht der Mutter und des Vaters
bekommt das Kind,
was es neben Nahrung und Wärme am meisten zum Leben braucht:
Liebe.
Erkannt werden als eine Person.
Sich im freundlichen Blick eines anderen spiegeln,
der damit sagt:
Du bist gut.
Du bist mir etwas wert.
Daher heißt es auch im Segen:
„Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir“.

Ich würde sagen,
dass Jesus in diesem Sinne „Licht der Welt“ ist.
Denn kurz vor diesem Satz wird im Johannesevangelium
die Geschichte von der Ehebrecherin erzählt,
die gesteinigt werden soll,
und Jesus, um sein Urteil gefragt, sagt:
„Wer von euch ohne Sünde ist,
der werfe den ersten Stein auf sie“.
Jesus hat diese Frau angesehen
und sie nicht verdammt.
Mehr noch: er hatte Mitgefühl mit ihr.
So sieht Jesus jeden Menschen an:
Er richtet nicht.
Er verdammt nicht.
Er ist voller Mitgefühl.

Darin sollen wir ihm nachfolgen.
Im Mitfühlen mit anderen Menschen.
Das fängt zuerst damit an,
dass man nicht meint,
man wäre besser als andere.
Niemand ist ohne Fehler,
und darum hat niemand das Recht,
andere Menschen wegen ihrer Fehler,
wegen ihres Andersseins zu verurteilen.

Allerdings ist der Weg des Mitfühlens kein einfacher Weg.
Er ist sogar sehr, sehr schwierig.
Jesus hat ihn als „enge Pforte“ und „schmalen Weg“ beschrieben,
den nur wenige finden.
Aber es ist der Weg zum Leben.

Der Weg des Mitfühlens ist deshalb so schwer,
weil einem in dem Moment, wo man es versucht,
bewusst wird, wie viel Leid und Elend,
wie viel Dunkelheit es in der Welt gibt.
In Ländern der sogenannten „Dritten Welt“,
in Krisen- und Kriegsgebieten,
aber auch direkt neben unserer Haustür,
in unserer Nachbarschaft, in unserem Ort.
Man schläft dann nicht mehr so gut;
man genießt nicht mehr so ungezwungen;
man ist nicht mehr so unbeschwert,
wenn man weiß und sich dafür interessiert,
wie es anderen geht.
Wenn man sich fragt:
Wie würde ich empfinden, wenn es mir so ginge wie diesem Menschen?
Was würde ich brauchen, was würde mir helfen?
Und: kann ich diese Hilfe geben?

Einfacher und bequemer ist es da doch,
wenn jeder sein Leben lebt
und jeder selber sieht, wie er zurecht kommt.
Es ist ja trotzdem jedem freigestellt,
mal mitzuhelfen oder etwas zu spenden.

Warum soll man sich mit der Frage belasten,
was in den Ländern, die in Deutschland produzierte Waffen kaufen,
dort damit angestellt wird.
Das ist ja nicht mehr unsere Sache.
Hier wird damit Geld verdient - und es gibt Arbeitsplätze.

Warum soll man sich Gedanken machen über die Hähnchen,
die mit viel Antibiotika in Rekordzeit herangemästet werden,
und wie sie geschlachtet werden.
Das verdirbt einem doch bloß den Appetit.

Warum sollte es einen interessieren,
wie die Menschen in den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ leben,
in Syrien, im Irak, in Afghanistan,
und was unsere Art zu wirtschaften, unsere Politik mit ihrem Elend zu tun hat.
Hauptsache, sie bleiben schön da, wo sie sind.
Sie sollen bloß nicht zu uns kommen und uns auf der Tasche liegen.

Ich übertreibe.
Aber im Grunde ist das doch eine Lebenseinstellung,
die wir im Prinzip alle mehr oder weniger teilen.
Sie steht auch völlig im Einklang mit unseren Gesetzen.
Es gilt: Was nicht strafbar ist, ist erlaubt.
Das ist der breite Weg, auf dem unsere Gesellschaft unterwegs ist.
Und, soviel kann man doch sagen, ohne allzu schwarz zu malen:
Er führt nicht ins Licht.

Jesus dagegen möchte, dass wir uns zuerst fragen:
Welche Folgen hat mein Tun für meine Mitmenschen?
Das ist der schmale, beschwerliche Weg.
Es ist der Weg des Lebens.

Es muss sich vieles ändern in unserer Gesellschaft und in der Welt.
Es ist ein zäher, langwieriger Weg.
Das kann man sehr gut an den Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll studieren.
Wahrscheinlich geht es nicht anders,
wenn viele unterschiedliche und sich widersprechende Interessen
ausgeglichen werden müssen.

Aber Veränderungen wird es nur geben, wenn wir uns ändern.
Der erste Schritt liegt bei uns.
Es ist die Frage,
ob wir dem Licht der Welt nachfolgen wollen.
Ob wir, wie er, unser Angesicht über anderen Menschen leuchten lassen wollen,
uns ihnen zuwenden wollen und mit ihnen fühlen wollen.
Nicht nur mit unseren Familien und Verwandten,
auch mit uns unbekannten, mit wildfremden Menschen.
Dann nämlich beginnt sich etwas zu verändern.
Und je mehr Menschen ihr Angesicht für andere leuchten lassen,
desto größer wird die Kraft der Veränderung sein:
Ein Licht, das die Finsternis überstrahlt.
So, wie es in einer Weissagung des Propheten Jesaja heißt:
„Mache dich auf, werde licht;
denn dein Licht kommt,
und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!
Denn siehe,
Finsternis bedeckt das Erdreich
und Dunkel die Völker;
aber über dir geht auf der Herr,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“
(Jesaja 60,1-3)
Ich sagte vorhin,
der Weg des Mitfühlens sei kein einfacher Weg.
Das stimmt so nicht.
Denn uns hat Jesus ja bereits angesehen.
Mit liebevollem Blick,
mit leuchtenden Augen hat er uns gezeigt,
wie lieb er uns hat,
wie stolz er auf uns ist,
wie sehr er an uns glaubt.
Wenn wir daran denken,
strahlt sein Leuchten von selbst aus unserem Gesicht.
Wir sind dann ein Abglanz seines Lichtes,
leuchten ganz von selbst,
und von uns zu unserem Mitmenschen
ist es dann nur noch ein winziger Schritt.
Amen.