Samstag, 15. April 2017

Die christliche Verschwörung


Predigt in der Osternacht, 15. April 2017, über Jesaja 26,  13–14 (15–18) 19
Eine Homilie

HERR, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns als du, aber wir gedenken doch allein deiner und deines Namens. Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf; darum hast du sie heimgesucht und vertilgt und jedes Gedenken an sie zunichte gemacht. Du, HERR, mehrst das Volk, du mehrst das Volk, beweist deine Herrlichkeit und machst weit alle Grenzen des Landes. HERR, wenn Trübsal da ist, so suchen wir dich; wenn du uns züchtigst, sind wir in Angst und Bedrängnis. Gleich wie eine Schwangere, wenn sie bald gebären soll, sich ängstigt und schreit in ihren Schmerzen, so geht's uns auch, HERR, vor deinem Angesicht. Wir sind auch schwanger und uns ist bange, und wenn wir gebären, so ist's Wind. Wir können dem Lande nicht helfen, und Bewohner des Erdkreises können nicht geboren werden. Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Toten herausgeben.


Liebe Schwestern und Brüder,

warum tun wir uns das an?
Warum kommen wir zu einer Zeit,
in der die meisten gemütlich auf dem dem Sofa sitzen und fernsehen,
in dieser kalten Kirche zusammen,
sitzen auf harten Bänken
und nehmen teil an einer Feier,
die den Shows im Fernsehen niemals das Wasser reichen kann?

Sind wir masochistisch veranlagt?
Haben wir es gern unbequem und ungemütlich?
Ist es so, wie manche meinen,
dass dem christlichen Glauben etwas Selbstquälerisches anhaftet,
dass Christinnen und Christen keine fröhlichen Menschen sind,
sondern mit schlechtem Gewissen und permanenten Schuldgefühl durchs Leben schleichen?

Warum sind wir nicht auch über Ostern in Urlaub gefahren?
Warum machen wir uns nicht auch einen netten Abend in der Kneipe, bei Freunden oder auf dem heimischen Sofa?

HERR, unser Gott,
es herrschen wohl andere Herren über uns als du,
aber wir gedenken doch allein deiner
und deines Namens.
Wir kommen heute Abend zusammen,
weil wir Verschwörer sind.
Das waren die Christen schon immer:
eine verschworene Gemeinschaft,
kritisch beäugt vom Staat und seinen Organen.
Weil Christen den Staat nicht als höchste Autorität anerkennen,
sind sie dem Staat suspekte Subjekte.
Deshalb treffen wir uns in kalten, ungemütlichen Kirchen.
Hier sind wir unter uns.
Hier trauen sich die anderen nicht hinein:
Der Gedanke schreckt sie ab,
sich vom bequemen Sofa zu erheben,
um stundenlang auf harten Bänken in einem unbeheizten Raum zu sitzen.
Hier stärken wir einander in der Überzeugung,
dass die sogenannten Herren dieser Welt
einen Herren über sich haben.
Und dass dieser Herr unser Herr ist,
zu dem wir gehören,
der auf unserer Seite ist.
Das macht uns fähig und ermutigt uns,
kritisch zu sein dem Staat gegenüber.
Dinge beim Namen zu nennen, die faul sind im Staate.
Ein Wort für Schwache und Benachteiligte einzulegen.
Und den sogenannten Herren deutlich zu machen,
dass sie auch nur einfache Sterbliche sind,
wie wir alle.

Tote werden nicht lebendig,
Schatten stehen nicht auf;
darum hast du sie heimgesucht und vertilgt
und jedes Gedenken an sie zunichte gemacht.
Wir kommen heute Abend zusammen,
weil wir uns keine Illusionen machen.
Wir brauchen keine Show, keine Lichteffekte, keine Stars.
Wir wagen es, den Tod beim Namen zu nennen,
über den andere ängstlich schweigen;
den sie verdrängen, so lange es irgend geht.
Und wir wissen, dass Ruhm vergänglich ist.
Standbilder der ach so Mächtigen werden gestürzt.
Portraits der Führer und großen Vorsitzenden abgehängt und in den Müll geworfen.
Wer fragt heute noch nach ihnen?

Du, HERR, mehrst das Volk,
du mehrst das Volk,
beweist deine Herrlichkeit
und machst weit alle Grenzen des Landes.
Wir kommen heute Abend zusammen,
weil wir nicht glauben, dass die Deutschen aussterben.
Wir glauben nicht an den Untergang des christlichen Abendlandes.
Wir glauben nicht, dass wir unsere Grenzen schließen müssen vor denen,
die um Asyl bei uns und um Hilfe bitten.

Gott fragt nicht danach, welchen Pass wir besitzen.
Gott fragt danach, was wir für unsere Mitmenschen tun,
unsere Schwestern und Brüder.
Nicht nur die Leiblichen Geschwister.
Auch in der Gemeinde sprechen wir uns als Schwestern und Brüder an.
Denn wir sind Geschwister Jesu, der unser Bruder wurde;
wir nennen Gott unseren Vater und sind seine Kinder.
Das gilt für alle Christen in der ganzen Welt,
nicht nur für die in unserem Land.

Du, Gott, sorgst für uns.
Du nimmst uns die Angst vor dem Fremden.
Du zeigst uns, wie wir unseren Reichtum teilen können,
so dass noch mehr als genug für uns übrig bleibt.
Wir entdecken, in wie vielen Sprachen man dich loben kann,
auf wie viele unterschiedliche Weisen.
Dass das keine Bedrohung ist für unsere Art, Gottesdienst zu feiern,
sondern eine Bereicherung.

HERR, wenn Trübsal da ist,
so suchen wir dich;
wenn du uns züchtigst,
sind wir in Angst und Bedrängnis.
Wir kommen heute Abend zusammen,
weil wir bei dir, Gott, Trost suchen.
Du kennst unseren Kummer und unsere Sorgen.
Dir können wir sie mitteilen;
mit dir können wir sie teilen.
Du trägst sie für uns ein Stückchen,
nimmst sie uns für einen Augenblick ab,
dass wir verschnaufen können.
Wenn wir dann unsere Lasten wieder schultern,
scheinen sie uns etwas leichter geworden zu sein.

Wenn wir zu dir kommen, Gott,
sehen wir aber auch, wie wir wirklich sind.
Da geht es nicht um Bauchansatz oder Orangenhaut,
nicht um die 5 in der Physikklausur
oder den Stinkefinger,
dem wir dem Drängler auf der Autobahn zeigten.

Uns wird bewusst, wo wir dir ausgewichen sind.
Wo wir dir nicht unter die Augen treten konnten oder wollten.
Uns wird bewusst, wo wir dir die Tür vor der Nase zuschlugen.
Wo wir dir unversöhnlich ein Gespräch verweigerten oder eine Gabe,
uns nicht entschuldigen wollten oder konnten.

Plötzlich denken wir:
Der Bettler, der uns seine schmutzige Hand entgegenstreckte, das warst vielleicht du.
Du warst die nervige Nachbarin,
die wir abwimmelten, weil wir uns nicht schon wieder ihr Gejammer anhören wollten.
Du warst der Punk, der uns um einen Euro anschnorrte.
Du bist uns in so vielen Menschen begegnet.
Oft haben wir die Gelegenheit verpasst,
uns dir zuzuwenden, dir etwas Gutes zu tun.

Wie eine Schwangere, wenn sie bald gebären soll,
sich ängstigt und schreit in ihren Schmerzen,
so geht's uns auch, HERR, vor deinem Angesicht.
Wir sind auch schwanger und uns ist bange,
und wenn wir gebären, so ist's Wind.
Wir können dem Lande nicht helfen,
und Bewohner des Erdkreises können nicht geboren werden.
Wir kommen heute Abend auch zusammen,
weil wir um unsere Grenzen und unsere Ohnmacht wissen.
Die Probleme der Menschheit sind zu groß
und zu sehr miteinander verknüpft,
als dass sie sich mit einem Schlag lösen ließen.
Der Terror des "Islamischen Staates" lässt sich nicht mit dem Abwurf einer Bombe stoppen,
und sei sie noch so groß.
Die Klimaerwärmung verzögert sich nicht,
wenn man die Heizung um eine Stufe herunter dreht.
Die soziale Ungerechtigkeit wird nicht dadurch abgeschafft,
dass man den Ausländern die Schuld daran gibt.

Wir wissen um die Grenzen unserer Möglichkeiten,
die Grenzen unseres Wissens.
Darum misstrauen wir den einfachen Lösungen.
Wir misstrauen auch den Versprechungen der Industrie,
sie könne unser Leben verbessern und vereinfachen und verlängern,
und die Lösung für alle Probleme der Menschheit wäre nur eine Frage der Zeit und des Geldes.

Aber deine Toten werden leben,
deine Leichname werden auferstehen.
Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde
Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau,
und die Erde wird die Toten herausgeben.
Vor allem kommen wir heute Abend zusammen,
weil wir eine gemeinsame Hoffnung haben
und einen Traum miteinander teilen.
Die Schönheit dieser Hoffnung ergreift uns,
so dass wir sie fast nicht bemerken,
die harten Bänke und die kalte Kirche.

Wir feiern, dass dieser Traum heute Nacht wahr wird.
Wir feiern die Auferstehung Jesu:
Den Sieg der Liebe über alle Mächte des Todes
- und über den Tod selbst.

Die Liebe besiegt den Tod.
Sie wird uns helfen,
Gewalt, Krieg und Terror zu beenden.

Die Liebe sucht Gerechtigkeit für alle.
Sie wird uns helfen,
die Güter dieser Erde an alle zu verteilen.

Die Liebe erkennt den Schöpfer in jedem Geschöpf.
Sie wird uns helfen,
unsere Erde zu schützen und zu bewahren.

Jesus ist auferstanden.
Darum können wir aufstehen, jeden Tag neu.
Aufstehen nach jeder Niederlage, jeder Enttäuschung.
Aufstehen nach jedem Fehler, jeder Kränkung.
Aufstehen nach jedem Irrtum, jeder Verletzung.

Heute Abend kommen wir zusammen,
weil wir Verschwörer sind.
Wir haben uns der Liebe verschworen.
Der Liebe, die heute Nacht den Tod besiegt
und ihre wahre Macht zeigt.
Wir werden sie heute Abend mit nach Haus nehmen.
Verletzlich, wie die Flamme des Osterlichtes.
Aber so mächtig,
dass sie uns, unsere Mitmenschen und die ganze Welt verändert.
Amen.