Donnerstag, 13. April 2017

Verräter wie Judas

Predigt am Gründonnerstag, 13. April 2017, über Markus 14,17-26



Sie sitzen zu zwölft an einer langen Tafel.
Sie sitzen nicht um den Tisch herum, wie wir.
Sie haben sich alle auf einer Seite versammelt,
damit wir in ihre Gesichter sehen können.
Der Tisch, vielleicht ein paar lange Bohlen,
die über zwei Böcke gelegt wurden,
ist mit einem Damasttuch bedeckt.
Das Essen darauf wirkt nicht sehr üppig:
Kleine Brote, eher Brötchen.
Zwei Platten mit Fleisch, Schalen mit Tunke.
Kleine Gläser, halb gefüllt mit Wein.
Keine Lichter, kein Besteck, keine Deko.
Ein bescheidenes Mahl.

Aber das Essen scheint für die Zwölf,
die am Tisch sitzen, Nebensache zu sein.
Sie diskutieren aufgeregt.
Einige sind vor Erregung aufgesprungen.
Ans Essen denkt keiner von ihnen.
In Dreiergruppen stehen oder sitzen sie zusammen.
Alles dreht sich um den Dreizehnten,
der seelenruhig in ihrer Mitte sitzt.
Über ihn diskutieren sie,
an ihn wenden sie sich,
vorwurfsvoll, abwehrend, oder flehend.

Aber der in der Mitte achtet nicht auf sie.
Er ist ganz in sein Tun versunken.
Die Rechte greift nach einem Brot,
die Linke zeigt auf eines:
„Das ist mein Leib.“

Die Zwölf hören es nicht.
Sie sind zu sehr beschäftigt mit dem,
was er kurz zuvor gesagt hat:
„Wahrlich, ich sage euch:
Einer unter euch, der mit mir isst,
wird mich verraten.“

Leonardo da Vinci hat auf seinem Abendmahlsbild diesen Moment festgehalten:
Den Augenblick, in dem die Jünger begreifen,
was Jesus da gerade gesagt hat:
„Einer unter euch, der mit mir isst,
wird mich verraten.“

An den Gesten der Jünger können wir ihre Reaktion auf diese Worte erkennen.
Auf der linken Seite erhebt einer im gelben Hemd die Hände:
„Ich auf keinen Fall!“, scheint er zu sagen.
Ganz rechts diskutieren drei über das Gehörte.
Sie wirken verstört, verständnislos:
„Wie kann er nur so etwas von uns denken?“
Die Dreiergruppe rechts von Jesus reagiert am heftigsten:
Einer droht ihm mit dem Zeigefinger:
„Das lasse ich mir nicht von dir gefallen!“;
ein anderer breitet die Arme aus,
als wolle er seine Unschuld beteuern.
Ein dritter fasst sich kummervoll an die Brust:
„Du meinst doch nicht etwa mich?!“

Am interessantesten aber ist die Gruppe links von Jesus.
Da lehnt sich ein weißbärtiger Mann zu einem Jüngling hinüber, als wollte er ihm etwas zuflüstern.
Was er ihm wohl sagt?
Die Antwort darauf finden wir nicht im Markusevangelium,
sondern bei Johannes,
der die Szene der Ankündigung des Verrats ebenfals beschreibt.
Dort heißt es:
„Es war aber einer unter seinen Jüngern,
den Jesus lieb hatte.
Der lag bei Tisch an der Brust Jesu.
Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte,
wer es wäre, von dem er redete.“

Jesus aber verrät den Verräter nicht.
Seine Antwort:
„Einer von den Zwölfen,
der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht“,
stellt niemanden bloß.
Sie alle werden im Laufe das Essens ihr Brot mit ihm zusammen eintunken,
sie essen alle aus einer gemeinsamen Schüssel.
Aber wir kennen den Verräter.
Wir haben ihn längst erkannt
- daran, dass er sich im Vordergrund befindet;
- daran, dass er gleichzeitig mit Jesus nach dem Brot greift;
- daran, dass er als einziger unbeteiligt scheint;
- daran, dass sein Gesicht im Dunkeln liegt.
„Denn man sieht nur die im Lichte,
die im Dunkeln sieht man nicht.“
- Vor allem aber daran,
dass seine rechte Hand einen Beutel umklammert hält.
Judas ist es.
Judas, der Kassenwart der Jünger.
Judas hält den Beutel,
in dem sich jetzt vermutlich 30 Silberlinge befinden …

Da sitzt er, Judas, der Verräter.
Wir sehen ihn, die meistgehasste Person der ganzen Passionsgeschichte.
Geschenkt, dass Jesus sterben musste.
Dass deshalb einer nötig war, der ihn verriet.
Geschenkt, dass Judas keine Wahl hatte,
nachdem die Wahl auf ihn gefallen war.
Er hat Jesus verraten.
Und hatte Jesus nicht gesagt:
„Weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird!
Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre“?

Verrat. Eines der schlimmsten Verbrechen überhaupt.
Trotzdem kein Grund, dem Verrat in der Schilderung des letzten Abendmahls so viel Raum zu geben.
Gibt es nicht Wichtigeres als Judas, den Verräter?
Auch Leonardo scheint sich auf seinem Bild mit dieser Frage auseinanderzusetzen:
Während die Jünger noch diskutieren und gestikulieren,
ist Jesus längst weiter, bei den Einsetzungsworten:
„Das ist mein Leib“, scheint er gerade zu sagen.
Die Jünger aber achten gar nicht auf ihn.
Allenfalls der im grünen Hemd rechts von ihm,
der so unschuldig die Arme ausbreitet,
ist mitten in seiner Bewegung erstarrt
und blickt gebannt auf die linke Hand Jesu.
Er hat ihn gehört - und verstanden.

Warum spielt der Verrat beim letzten Abendmahl eine so große Rolle,
und warum beschäftigen wir uns heute Abend damit,
wo wir doch Abendmahl feiern wollen?

Judas ist der Kassenwart der Jünger.
Er hat den Beutel mit den Spenden, den Almosen,
aus dem er die Miete für diesen Saal bezahlt.
Er hat auch das Essen bezahlt.
Zwischen den Spenden und Almosen befinden sich die 30 Silberlinge,
die er für das Versprechen bekam,
Jesus auszuliefern.
Er wird es später, als er bereut und es zu spät ist,
denen vor die Füße werfen, die ihn bestachen,
und sie werden es „Blutgeld“ nennen.
Judas steht in diesem Bild und im Evangelium stellvertretend für --- uns,
die wir auch zwischen Geld und Gott hin- und hergerissen sind.

Wie sollten wir wie Judas sein!?!
Diese Unterstellung weisen wir ebenso empört ab wie die Jünger die Worte Jesu,
dass einer von ihnen ihn verraten würde.
Wir sind doch keine Verräter!?!

Erinnern wir uns an ein anderes Wort Jesu:
„Niemand kann zwei Herren dienen:
entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben,
oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten.
Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“.

Auch wir verraten Gott, immer wieder.
Wir verraten Gott an das Geld.
Im Kleinen unseres privaten Lebens wie im Großen der Kirche.
An der Kirche wird es besonders deutlich,
wie sehr wir uns dem Geld unterworfen haben:
Fast alles, was wir tun,
richtet sich nach dem Geld,
dreht sich ums Geld,
wird vom Geld bestimmt.
Und auch im Privaten sind wir nicht so frei,
wie wir zu sein glauben:
Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes;
die Sorge um die Zukunft, um unsere Altersversorgung hat uns fest im Griff -
und damit hat das Geld, der Mammon uns fest im Griff.
Es geht nicht ohne Geld.
Wir können uns ein Leben ohne Geld nicht vorstellen.
Wir können uns nicht einmal ein Leben mit weniger Geld vorstellen.
Dadurch verraten wir Gott, jeden Tag, immer wieder.
Dadurch sind wir nicht besser als Judas:
Auch wir liefern um ein paar Silberlinge andere ans Kreuz.
Oder meinen Sie, die Menschen aus dem Süden würden die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer antreten,
wenn sie es in ihrer Heimat so gut hätten wie wir hier bei uns?
Meinen Sie, Kinder müssten noch arbeiten,
wenn wir gerechte Preise für unsere Kleidung bezahlen würden?
Meinen Sie, chinesische Arbeiter, die unsere Smartphones zusammenbauen,
würden noch zu Tode kommen,
wenn sie gerecht behandelt und bezahlt werden würden?

Wir sind alle Judasse.
Nicht die Jünger, sondern er, der Verräter,
ist unser Stellvertreter auf dem Bild und im Evangelium.
Aber anders als für Judas,
der sich aus Reue über seinen Verrat das Leben nahm,
gibt es für uns ein Happy End.
Die gute Nachricht, die schon Judas galt, lautet:
Jesus verurteilt uns nicht,
wie er Judas nicht verurteilte.
Judas, der Verräter, durfte am Abendmahl teilnehmen.
Er hatte Anteil an Jesus wie die elf anderen.
Jesus vergab ihm ebenso wie seinen anderen Jüngern.
Wie Jakobus und Johannes,
die im Garten Gethesemane einschliefen,
obwohl er sie gebeten hatte, zu wachen.
Wie Petrus, der dreimal leugnete, ihn zu kennen.

Jesus vergibt auch uns.
Er weiß, wie wir sind.
Er weiß, dass wir oft nicht anders können,
dass wir nicht aus unserer Haut können.
Er weiß, wie sehr das Geld uns im Griff hat.
Er will uns aus dieser Umklammerung des Geldes befreien.
Ein erster Schritt dazu wäre,
sich diese Abhängigkeit vom Geld einzugestehen.
Zu gestehen: „Ja, Herr. Ich bin's, der dich verrät.“

Gebe uns Gott den Mut dazu.
Amen.