Samstag, 10. Juni 2017

Mammon

Predigt am Sonntag Trinitatis, 11. Juni 2017, über Jesaja 6,1-13

Liebe Schwestern und Brüder,

„Gott, du bist groß.
Du bist so groß, dass ich schon nicht mehr bin,
wenn ich mich nur in deine Nähe stelle.
Du bist so dunkel; meine kleine Helle
an deinem Saum hat keinen Sinn.
Dein Wille geht wie eine Welle
und jeder Tag ertrinkt darin.“
So schwärmerisch spricht Rainer Maria Rilke in seinem „Stundenbuch“ von Gott.
Mich erinnern diese Zeilen an die Worte Jesajas:
So, wie Rilke sich als Lichtpunkt am Saum von Gottes Gewand fühlt, so sieht Jesaja diesen Saum, also nur den unteren Rand des Gewandes, den ganzen Tempel ausfüllen.

„Gott, du bist groß“.
Empfinden auch wir das so?
In einem anderen Text, den Herman van Veen geschrieben hat, wird Gott als einer geschildert, der nach langer Abwesenheit nach Haus kommt und sieht, das sich etwas verändert hat, was er nicht versteht:
Während er weg war, wurde eine Kirche gebaut - aber, das ist die Ironie dieses Textes -, Gott erkennt „sein Haus“, die Kirche, nicht. Auf die Frage, warum es so leer in der Kirche ist, bekommt er zur Antwort: Die Menschen glauben, dass sie selber Gott sind, und sitzen lieber faul in der Sonne. Es wundert Gott nicht, dass keiner in die Kirche will, denn es fehlen die Blumen, die Vögel und frisches Wasser. So nimmt er am Ende neben einem, der sich auf einer Parkbank sonnt, Platz, und begrüßt ihn mit den Worten: „Kollege!“

Gott, wie Hermann van Veen ihn beschreibt, ist der „liebe Gott“, den man wohl am liebsten hat. Gott soll nicht so furchtbar groß sein, dass man Angst vor ihm bekommt wie Jesaja, sondern ein netter Kumpel, mit dem man auf Augenhöhe reden kann.
Aber vielleicht ist es dann so, wie aus Hermann van Veens Geschichte auch herausklingt, dass wir glauben, selbst Gott zu sein, wenn wir Gott zu einem von uns machen.

Aber ist Gott nicht genau das geworden: Einer von uns?
War Jesus nicht einer von uns? Und war es nicht sein Anliegen, so sehr einer von uns zu sein, dass er alle Schranken niederriss und sich gerade und besonders bei denen einlud, mit denen sonst niemand etwas zu tun haben wollte? Prostituierten. Kollaborateuren. Aus der Gemeinde Geworfenen.

Jesus hat sich selbst nie als Gott bezeichnet. Er hat sich Gottes Sohn genannt, oder Menschensohn. Aber von Gott hat er immer als seinem „Vater im Himmel“ gesprochen.
Wir feiern heute das Fest Trinitatis.
Wir bedenken dabei, dass Gott einer ist,
der sich uns aber in verschiedener Gestalt zeigt.
In Jesus wurde Gott unser Bruder.
Und trotzdem bleibt Gott auch der ganz Andere:
Gott, der Vater, der so groß ist, dass der Saum seines Mantels den ganzen Tempel ausfüllt.
Gott, der Vater, der so dunkel, so fremd, so unbegreiflich ist, wie es auch ein Vater oder eine Mutter zuweilen für ihr Kind sein kann.

Jesaja nennt dieses Dunkle, Fremde, Unbegreifliche an Gott das Heilige. Das Heilige ist etwas Überwältigendes, manchmal auch Beängstigendes. Jesaja muss sich den Mund verbrennen, um als Bote des Heiligen zu taugen. Moses, als er den brennenden Dornbusch sieht, zieht sich die Schuhe aus, weil der Boden, auf dem er steht, heilig ist. Das Heilige gehört auch zu Gott, und auch daran denken wir an diesem Fest Trinitatis: An den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist kein Gespenst, auch kein Geist aus der Flasche. Er ist die überwältigende, manchmal auch beängstigende oder verstörende Gegenwart Gottes. Manchmal erlebt man sie. Wenn man sich das Panorama der Berge anschaut, z.B., und sich angesichts ihrer schieren Größe so klein fühlt wie ein Lichtpunkt am Saum des Gewandes.
Wenn man am Meer steht und vom seinem Rauschen ganz erfüllt wird, wie der Saum des Gewandes den Tempel ausfüllt.
Manchmal erlebt man Gottes Gegenwart auch in der Kirche, dem Haus Gottes, das Herman van Veen so kritisch beurteilt, weil darin keine Blumen blühen, keine Vögel singen und kein Wasser fließt. Andere würden vielleicht an der Kirche kritisieren, dass es hier kein WLAN gibt.

Dabei sind die Kirchen der letzte Rückzugsort in einer Welt, der nichts mehr heilig ist, weil alles heilig geworden ist.

Alles ist heilig? Was soll das bedeuten?
In unserer Gesellschaft dreht sich alles ums Geld. Das Geld, der Mammon, wie Jesus ihn nennt, wird quasi als Gott verehrt. Es geht nicht ohne Geld, und nichts geht ohne Geld. Geld ist an die Stelle Gottes getreten. Und so, wie König Midas einst alles, was er berührte, zu Gold machte, so wird alles, was mit Geld in Berührung kommt, zur Ware. Alles ist Ware - alles kann man kaufen oder verkaufen. Es gibt nichts mehr - kein Ding, kein Fleckchen Land, kein Lebewesen -, dass man nicht kaufen oder verkaufen könnte. Deshalb ist alles heilig, weil alles zu Geld gemacht und damit dem Gott Mammon geweiht werden kann. Es gibt nur noch einen Ort, an den man sich vor dem allgegenwärtigen Geld zurückziehen kann: Die Kirchen.

Nicht die Gebäude, die wir mit viel Geld erhalten und unterhalten müssen. Auch nicht die Institution, die das Geld zusammenhalten und sorgen muss, woher sie das Geld nimmt, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bezahlen. Sondern die Kirche als Gemeinde, als Leib Christi.
Die Kirchen sind die wenigen Orte, an denen die Macht des Geldes machtlos ist. Der Glaube lässt sich nicht zu Geld machen, weil er auf Ohnmacht und Schwachheit vertraut. Weil er sich den Hilflosen, Ausgegrenzten und Ausgenutzten zuwendet. Weil er das Heil nicht im Kaufen, Raffen, Gewinnen sieht, sondern im Geben und Verschenken - so, wie Jesus nichts daraus gemacht hat, Gottes Sohn zu sein, sondern sein Leben verschenkte.

Wenn alles dem Gott Mammon geweiht ist, weil alles verkauft oder gekauft werden kann; wenn dem Geld alles heilig ist, dann sind die Kirchen paradoxerweise die letzten Inseln der Profanität, die letzten unheiligen Orte, an denen nichts irgendwem gehört, aber jede und jeder zu Gott gehört und damit ganz sich selbst. Gott schützt uns vor dem Zugriff des Geldes, das alles zur Ware macht. Gott beschützt auch die, die uns lieb sind und das, was uns wichtig ist, davor, zur Ware zu werden.

Es sind nicht viele, die sich der Religion des Geldes entziehen konnten. Zu viele sind davon überzeugt, dass Geld alles ist und ohne Geld nichts.
Die Städte sind verödet, weil nur noch die großen Kaufhausketten und Supermärkte das Stadtbild prägen. In jeder größeren Stadt steht das gleiche Einkaufszentrum; wenn man erst einmal drinnen ist, weiß man nicht mehr, in welcher Stadt man sich befindet.
Und auch das Land ist verödet, weil unser Konsum breite Verkehrswege braucht und Stromtrassen; weil die Landwirtschaft kostengünstig und wirtschaftlich produzieren muss und die Felder deshalb immer größer werden - und die Landschaft immer eintöniger.
Und das ist immer noch nicht genug.
Unsere Gier verändert nun auch das Klima.
Dadurch wird das Zerstörungswerk vollendet, das wir mit der Vermarktung unserer Umwelt begonnen haben.

Sind das die „blühenden Landschaften“, die wir uns erhofften? Der Begriff ist irreführend. Wir denken an Blumen, wie sie gerade jetzt die Wege und Ackerränder zieren, aber gemeint war etwas anderes: Autobahnen, Strommasten, rauchende Schlote und rotierende Windräder. Denn die verheißen Arbeit und Wohlstand, während sich für Blumen am Wegrand niemand etwas kaufen kann.

Wir sind Gefangene unseres Wirtschaftssystems, wir sind Weggeführte, wie sie Jesaja beschreibt. Und wir können nicht zurück, denn es geht nichts ohne Geld, und ohne Geld geht es nicht. Wir sind dazu gezwungen, unsere Städte und Landschaften weiter veröden zu lassen, unsere Umwelt noch mehr kaputt zu machen, denn wir können ja nicht einfach von heute auf morgen aufs Auto verzichten. Wir machen so lange weiter, bis es nicht mehr geht - und es wird noch lange weitergehen. Denn wir sind ja nicht die ersten, die nasse Füsse bekommen werden. Das sind die Menschen in Bangladesh. Wir sind auch nicht die ersten, die unter Trockenheit und Dürre werden leiden müssen. Das sind die Menschen im Sahel.

Uns ist nichts mehr heilig, weil alles heilig geworden ist. Und im Rausch der Machbarkeit, im Kaufrausch halten wir uns selbst für Götter, denen nichts unmöglich ist. Gott ist für uns nur noch ein alter Mann auf einer Parkbank.

Jesaja erinnert uns daran, dass Gott groß ist.
Diese Größe Gottes soll uns Ehrfurcht einflößen.
Ehrfurcht hat nichts mit der Angst zu tun,
dass Gott alles sieht und alles bestraft.
Ehrfurcht hat mit dem Wissen zu tun, dass uns etwas heilig ist. Dass es etwas Unbegreifliches, Überwältigendes gibt, manchmal auch Beängstigendes.
Im Wissen um dieses Heilige erkennen wir unsere Begrenztheit: erkennen wir, dass wir keine Göttinnen und Götter sind, sondern „nur“ Menschen.
Wie wir einen Vater und eine Mutter haben, deren Kinder wir zeitlebens bleiben, auch wenn wir selbst Vater oder Mutter sind, so sind wir Kinder unseres Vaters im Himmel. Wir bleiben zeitlebens Gottes Kinder, kleine Lichtflecke am weiten Saum seines oder ihres Gewandes.

Die Kirche als Gemeinde, als Leib Christi, ist ein sonderbarer Ort. Als Ort, der für das Geld nicht interessant ist, fällt sie aus der Welt. Und als Haus Gottes eröffnet sie uns eine Welt, in der wir nicht nach unserem Wert gemessen und beurteilt werden. Hier können wir uns besinnen, und hier können wir zur Besinnung kommen. Hier kann das Heilige uns berühren und ergreifen, Gottes Heiliger Geist, der uns die Augen öffnet, die Ohren und das Herz.