Freitag, 6. April 2018

Den Rettungsring ergreifen

Predigt am Sonntag Quasimodogeniti, 8. April 2018, über Kolosser 2,12-14


Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Kolosserbrief im zweiten Kapitel.
Ich lese zunächst einen Vers vor und dann im Laufe der Predigt die weiteren Verse:
„Ihr seid mit Christus zusammen begraben in der Taufe,
in der ihr auch mit auferstanden seid
durch den Glauben an das Eingreifen Gottes,
der ihn von den Toten auferweckte.“


Liebe Schwestern und Brüder,

an die eigene Taufe erinnert man sich i.d.R. nicht.
Die meisten von uns wurden als Kinder,
als Säuglinge sogar, getauft.
Wir konnten unsere Taufe nicht bewusst erleben.

Deshalb wissen wir auch nicht mehr,
was das für ein Gefühl war, als,
während wir von unserer Patin oder unserem Paten
über das Taufbecken gehalten wurden,
plötzlich von hinten eine Hand
kaltes Wasser über unseren Kopf schöpfte,
einmal, zweimal, dreimal.

Aber soviel ist sicher:
Es war bestimmt kein angenehmes Gefühl.
Viele Kinder schreien bei der Taufe – zu recht:
Wer sollte nicht schreien, wenn er so erschreckt wird!
Selbst als Erwachsene schreit man laut auf,
wenn man unerwartet nassgespritzt wird.
Vor allem, wenn das Wasser auch noch kalt ist!


I. Die Taufe, ein gewaltiger Schock!
So war das von den Eltern nicht gemeint.
Die Taufe sollte eigentlich das Willkommensfest für das neue Familienmitglied sein.
Allerdings passt der Schock der Taufe zu dem,
was der Kolosserbrief über die Taufe sagt:
Dass wir in der Taufe mit Christus zusammen begraben werden.

Ein solcher Satz ist schockierend.
Und ein Begräbnis ist das letzte,
woran man bei einer Taufe denken möchte.
Wie soll man sich das überhaupt vorstellen,
und wie soll das gehen,
das „in der Taufe begraben Werden“?

Was die Taufe heute nicht mehr vermittelt
und woran sie lediglich durch den Schock erinnert,
den man erfährt,
wenn man plötzlich Wasser auf seinem Kopf spürt,
ist das Untergetauchtwerden.

Man kennt das aus dem Schwimmbad:
Unerwartet wird man unter Wasser geduckt
und vielleicht sogar festgehalten.
Man schluckt jede Menge Wasser.
Man möchte an die Oberfläche, kann aber nicht.
Man empfindet Panik, vielleicht sogar Todesangst.


II. Genau darauf kam es früher bei der Taufe an:
Das Untertauchen sollte den Tod symbolisieren.
Und es war noch mehr:
Es war der Tod.
Der Tod des Menschen, wie er vor der Taufe war.

Aber warum sollte ein Mensch sterben müssen,
und das bei einem Ritual,
das gerade am Anfang des Lebens stattfindet?

Im Kolosserbrief heißt es dazu weiter:
„Auch euch hat Gott mit Christus zum Leben erweckt.
Ihr wart tot durch die Übertretungen
und die Unbeschnittenheit eures Leibes.
Jetzt hat er uns alle Übertretungen vergeben.“
Bestimmt kennen Sie den Spruch:
„Der (oder die) ist für mich gestorben“.
Vielleicht haben Sie das selbst schon mal über jemanden gesagt.
Vielleicht haben Sie es jemanden über Sie sagen hören müssen.

„Der (oder die) ist für mich gestorben“ -
das ist der Tod mitten im Leben, der Beziehungstod:
Mit einem Menschen, der für mich gestorben ist,
will man nichts mehr zu tun haben.
Man will sie oder ihn nicht mehr sehen,
nicht mehr sprechen, nichts mehr erleben.
Man erwartet nicht mehr,
dass er oder sie sich noch ändern kann,
und man gibt ihr oder ihm auch keine Chance mehr dazu.


III. Was man getan hat,
bestimmt in gewisser Weise über das Leben.

Es sind nicht nur die Entscheidungen,
die das Leben formen und beeinflussen.
Auch, wie man sich gegenüber anderen verhalten hat,
bestimmt darüber, wer und wie man ist.
Hartnäckiger als an eine berufliche Leistung
erinnert man sich an eine Peinlichkeit,
einen Fehler, ein Versagen, eine Gemeinheit.
Selbst wenn viele Jahre darüber hingehen,
kann man es nicht vergessen -
und der oder die, der man es antat, vergisst es auch nicht.
Es steht zwischen uns.
Wie einen Schuldschein kann es der andere jederzeit hervorholen
und einem unter die Nase halten.
Man wird es nicht los.
Es legt einen fest.
Man wird festgelegt auf das,
was man einmal getan hat
und gern ungeschehen machen würde,
wenn man nur könnte.
Man wird festgelegt auf den Menschen,
der man einmal war und nun eigentlich nicht mehr ist
- aber in den Augen des anderen
kann man keine andere, kein anderer mehr werden.

Doch dann geschieht etwas, das diesen Schuldschein,
der zwischen uns und anderen steht, wegnimmt:
„Gott hat den Schuldschein ausgestrichen,
der mit seinen Forderungen gegen uns gerichtet war,
und ihn vernichtet, indem er ihn ans Kreuz nagelte.“
Wenn man etwas irgendwo anpinnt oder annagelt,
dann tut man das, damit es gut gesehen werden kann.
Wie zum Beispiel die Kreuzesinschrift,
die den Grund für den Tod Jesu angibt: INRI -
„Jesus von Nazaret, König der Juden“.

Kann man wirklich wollen,
dass die eigene Schuld,
die man lieber verheimlicht,
weil sie belastend und peinlich ist,
öffentlich gemacht wird?
Soll jede und jeder wissen,
was man getan hat,
was für ein Mensch man ist?


IV. Schuld gedeiht in Heimlichkeit und Verschweigen.
Vergebung sucht und braucht die Öffentlichkeit.
Sie braucht zumindest ein Gegenüber:
Das Gegenüber dessen, dem man sein Herz ausschüttet.
Ohne das Aussprechen, ohne Bekenntnis der Schuld ist Vergebung nicht möglich.

Aber nicht immer gelingt das.
Meistens fehlt einem der Mut,
sich und anderen Schuld einzugestehen.
Manchmal fehlt auch das Vertrauen zu einer Person,
der man sie bekennen könnte.
Oder es fehlt die Gelegenheit zur Beichte,
es fehlt die Person selbst,
die bereit wäre, eine Beichte anzuhören und abzunehmen.

In einem solchen Fall darf man trotzdem darauf vertrauen,
dass die Schuld ausgestrichen ist.
Wohl nicht für die oder den,
an dem man schuldig wurde.
Aber für Gott.
Gott ist bereit, den Schuldschein zu zerreißen.
Gott legt nicht auf das fest, was man tat.
Gott behaftet einen nicht auf dem, die oder der man ist.
Gott sieht nicht unsere Vergangenheit, sondern unsere Zukunft:
Gott sieht uns wie unbeschriebene Blätter an.
Wir erhalten die Chance, andere zu werden,
anders zu handeln.
Und nicht nur diese eine Chance,
sondern so viele, wie wir brauchen.

Das meint der Kolosserbrief,
wenn er von Auferstehung spricht:
Die Möglichkeit eines neuen Lebens jetzt und hier.
Diese Möglichkeit ist uns eröffnet,
weil Christus als erster auferstanden ist.
Er lebt bereits in einem neuen Leben.
Weil wir durch die Taufe zu Christus gehören,
können wir das auch – im doppelten Sinne von „können“:
Wir schaffen es, über unseren Schatten zu springen,
und wir dürfen auch hinter uns lassen,
worauf andere uns nach wie vor festlegen wollen.

Jetzt verstehen wir vielleicht besser,
warum der Glaube an die Auferstehung so wichtig,
ja entscheidend ist:
Gibt es keine Auferstehung,
dann gibt es auch für uns keine Chance auf ein neues Leben.
Wir könnten uns nicht ändern,
wir würden auf das festgenagelt,
was wir taten, wer wir waren.
Wir wären für andere gestorben
und würden jeden Tag ein bisschen mehr sterben.

V. 
„Ihr seid mit Christus zusammen begraben in der Taufe,
in der ihr auch mit auferstanden seid
durch den Glauben an das Eingreifen Gottes,
der ihn von den Toten auferweckte.“
Die Taufe ist eine großartige, eine wunderbare Sache:
Sie eröffnet neues Leben.
Und das nicht nur einmal,
sondern immer dann, wenn man will und es braucht.
Alles, was man dazu tun muss, ist,
sich an die Tatsache der Taufe zu erinnern und sie
- nein, nicht zu be-greifen,
sondern zu er-greifen, wie einen Rettungsring.

Das geht aber meist nicht ohne die unangenehme,
zuweilen beängstigende Erfahrung,
dass man gerade am Schwimmen ist
und den Boden unter den Füßen verloren hat.
Denn oft sucht man erst dann,
wenn kein Land mehr in Sicht ist,
nach einem Rettungsring.
Aber keine Sorge:
Der Rettungsring ist da, die ganze Zeit.
Er muss uns nicht erst zugeworfen werden.
Wir stecken mitten drin, ohne es zu merken:
In unserer Taufe.
Amen.