Donnerstag, 10. Mai 2018

Schreib's dir hinter die Ohren!

Predigt am Sonntag Exaudi, 13. Mai 2018, über Jeremia 31,31-34:

Sieh, eine Zeit wird kommen, Spruch des Herrn,
da werde ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen.
Nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern schloss,
als ich ihre Hand ergriff und sie aus dem Land Ägypten führte.
Sie brachen meinen Bund, dabei war ich doch quasi mit ihnen verheiratet, Spruch des Herrn.
Denn das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel schlißen werde nach jenen Tagen, Spruch des Herrn:
Ich werde meine Weisung in ihr Inneres legen,
auf ihr Herz werde ich sie schreiben.
Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.
Und es wird nicht mehr einer seinen Freund lehren,
noch einer seinen Bruder: „Erkenne den Herrn!”,
denn alle werden mich erkennen,
vom Kleinsten bis zum Größten, Spruch des Herrn.
Denn ich werde ihre Schuld vergeben,
ihrer Sünden nicht mehr gedenken.


Liebe Schwestern und Brüder,

haben Sie schon mal daran gedacht, sich eine Tätowierung stechen zu lassen?
Vielleicht haben Sie ja sogar eine - oder mehrere?
Früher waren Tätowierungen nur etwas für harte Kerle -
Seefahrer oder Gefängnisinsassen -
oder für Frauen von eher zweifelhaftem Ruf.
Früher hätte es mächtigen Ärger gegeben,
wenn man mit einer Tätowierung nach Hause gekommen wäre.
Heute ist es eher umgekehrt:
Da fällt man beinahe schon auf, wenn man keine Tätowierung hat,
so allgegenwärtig sind sie inzwischen.
Deshalb ist es nicht so abwegig,
einmal mit dem Gedanken an eine Tätowierung zu spielen.


I. So eine Tätowierung will allerdings gut überlegt sein -
schließlich hat man sein Leben lang etwas davon!
Heute kann man sie zwar weglasern
oder von einem Profi ändern lassen,
aber im Grunde lässt man sich darauf ein,
dass man die Tätowierung ein Leben lang behält.
Deshalb kann man davon ausgehen,
dass sich jemand Gedanken über seine Tätowierung gemacht hat,
weil es eben „für immer“ ist.

Wenn Sie sich einmal für einen Moment auf dieses Gedankenspiel einlassen:
Was würden Sie sich auf die Haut schreiben lassen?
Wäre es ein Name, ein Wort,
ein Datum oder ein Symbol?
Manche lassen sich den Namen des Liebsten auf die Haut schreiben;
den Geburtstag der Kinder;
ein Wort oder einen Satz, der ihnen Mut machen, Kraft geben soll;
das Symbol dessen, woran sie glauben oder das für sie das Wichtigste im Leben ist.
Durch die Tätowierung wird es zu etwas ganz Besonderem,
weil es „für immer“ ist,
weil es im Wortsinn „unter die Haut“ geht
und man es ständig bei sich trägt.

Im heutigen Predigttext heißt es:
„Ich werde meine Weisung in ihr Inneres legen,
auf ihr Herz werde ich sie schreiben.“
Gott schreibt seine Weisung auf das Herz.
Ich stelle mir das wie eine Tätowierung vor.
Nur eben nicht auf der äußeren Haut,
sondern auf der Haut des Herzens.
Man darf sich aber das nicht zu wörtlich vorstellen -
es ist ja ein Bild.
Ein Bild, das uns allerdings vertraut ist:
Man sagt z.B., man solle sich etwas „hinter die Ohren schreiben“.
Auch das ist bildlich, nicht wörtlich gemeint -
wie soll man lesen können, was hinter den eigenen Ohren geschrieben steht?
Im Adventslied „Wie soll ich dich empfangen“ heißt es:
„Das schreib dir in dein Herze, du hochbetrübtes Heer,
bei denen Gram und Schmerze sich häuft je mehr und mehr;
seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür,
der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier“ (EG 11,6).

Was man sich hinter die Ohren oder ins Herz schreibt, ist wichtig.
Das will man nicht vergessen. Das soll bleiben.


II. Beim hinter-die-Ohren-Schreiben
oder dem ins-Herz-Schreiben schreibt man selbst:
Man schreibt sich etwas hinter die Ohren oder ins Herz,
das einem wichtig ist und an das man sich erinnern möchte.
Im Predigttext aber ist es Gott, der schreibt:
„Ich werde meine Weisung auf ihr Herz schreiben“.
Was man selbst schreibt, hat man sich selbst ausgesucht und überlegt.
Wenn aber Gott aufs Herz schreibt, kann man sich da aussuchen, was er schreibt?
Wohl eher nicht.
Da kann einem schon etwas mulmig werden bei dem Gedanken,
dass ein Fremder - und wenn es auch Gott ist - einem etwas aufs Herz schreibt,
was man vielleicht gar nicht will, und ohne dass man vorher gefragt wird.
Und wenn Gott aufs Herz schreibt,
kann man das ja auch nicht so ohne weiteres entfernen.
Wenn schon eine Tätowierung „für immer“ ist,
dann ist es etwas, das aufs Herz geschrieben wurde, erst recht.

Was ist es denn, das Gott aufs Herz schreibt?
Es ist die Weisung, auf Hebräisch: Die Tora.
Mit der Tora oder Weisung sind die Gebote Gottes gemeint,
zu denen die bekannten Zehn Gebote gehören.
Oder das Liebesgebot, das Jesus zitiert,
als er gefragt wird, welches das höchste Gebot sei:
„Du soll Gott lieben von ganzem Herzen …
und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Markus 12,28).

Diese Gebote sind die Grundlage unserer Beziehung zu Gott,
seines „Bundes“, wie es im Predigttext heißt.
Wenn man eine besonders enge Beziehung eingeht,
spricht man ja auch vom „Bund der Ehe“.
An manchen Stellen der Bibel sieht sich Gott als Ehepartner Israels.
Wer mit Gott im Bund ist, für die oder den beeinflussen Gottes Gebote das Leben.
Die Entscheidungen, die man trifft, misst man an ihnen;
was man tut, wird von den Geboten beeinflusst oder sogar bestimmt.

Nun ist es nicht so, dass man ständig seine Bibel dabei hat,
wenn man im Alltag Entscheidungen treffen muss.
Auch vor den wichtigen Entscheidungen des Lebens -
z.B. wenn man sich verliebt - konsultiert man nicht die Bibel,
sondern entscheidet „aus dem Bauch heraus“
oder lässt sich von seinem Herzen leiten.


III. Bauch - oder Inneres - und Herz,
das sind die Orte, in die Gott seine Weisung legt bzw. schreibt.
Wer Gottes Tora verinnerlicht hat, braucht nicht in der Bibel nachzuschlagen;
der oder die kann „aus dem Bauch heraus“ entscheiden.
Und wem das Herz etwas zu tun befiehlt,
auf das Gott seine Weisung schrieb,
die oder der wird nach dieser Weisung handeln.

Aber wie kommt die Weisung ins Innere,
wie schreibt Gott auf das Herz?

Wie ist es sonst mit dem „Bauchgefühl“ und den Herzensentscheidungen?
Woran orientiert man sich da?
Wenn man sich z.B. verliebt,
ist das ja keine rationale, bewusste Entscheidung.
Man geht ja auch nicht los und sucht sich eine Partnerin, einen Partner aus.
Man bildet sich zwar ein, man würde das tun.
Manche Ehefrau lässt ihren Mann in dem Glauben,
er hätte sie sich ausgesucht - dabei hat sie ihn um den Finger gewickelt.
Man bildet sich auch ein, man hätte bei der Partnersuche die Wahl,
als könne man den Richtigen oder die Richtige
unter den jeweils drei Milliarden Männern und Frauen auf dieser Welt finden.
Theoretisch kann man das auch.
Aber tatsächlich ist es der Zufall oder das Schicksal oder Gottes Fügung,
die zwei Menschen dazu bringt, einander als Liebsten zu erkennen.
Als Außenstehender wundert man sich manchmal,
welche zwei sich da gefunden haben.
Sie scheinen überhaupt nicht zueinander zu passen,
einer scheint dem anderen haushoch überlegen zu sein
an Schönheit, an Klugheit oder Wohlstand.
Aber die beiden sehen diesen Unterschied nicht.
Sie haben das Gefühl, sie seien füreinander geschaffen.
Sie haben sich erkannt:
Sie erkannten, dass sie zueinander gehören.

So ähnlich ist das, wenn man Gott „erkennt“.
Es ist ein bisschen wie sich zu verlieben.
Auch der Glaube ist keine rationale, bewusste Entscheidung.
Manche können zwar angeben, wann sie sich bewusst Gott zugewendet haben.
Aber da war der Glaube schon lange da.
Gott hat sich bereits für uns entschieden,
als wir noch gar nicht zu einer Entscheidung fähig waren.
Deshalb hat man wie bei der Liebe auch beim Glauben keine Wahl -
auch wenn man sich einbildet, man hätte sie.
Der Glaube ist Zufall oder Schicksal oder Gottes Fügung, wie die Liebe.
Darum können wir uns nicht aussuchen,
was Gott uns aufs Herz schreibt.
Wenn wir merken, dass wir an Gott glauben, ist es bereits zu spät:
Da hat Gott uns seine Weisung schon aufs Herz geschrieben.

Wenn man einen Menschen liebt,
will man tun, was dem anderen gefällt,
was ihr oder ihm gut tut, ihr Freude macht oder sie glücklich macht.
Man verinnerlicht das, was dem anderen gefällt,
man weiß es „aus dem Bauch heraus“.
Auf dieselbe Weise kommt die Weisung Gottes in uns hinein:
Wer Gott erkannt hat, will tun, was Gott gefällt,
und verinnerlicht das so sehr,
dass man nicht mehr in der Bibel nachschlagen muss,
um zu wissen, was Gott von uns will.


IV. Woran aber „erkennen“ sich zwei Liebende,
wenn doch das Verlieben selbst Zufall oder Schicksal oder Gottes Fügung ist?
Das Erkennen ist die Folge,
ist die Antwort auf etwas, das vorher geschah.
Beim Verlieben ist es die Tatsache,
dass ein anderer Mensch mich genau so mag, wie ich bin -
trotz aller meiner Schwächen, um die ich weiß,
trotz aller Fehler, die ich mir nicht vergeben kann,
trotz aller Unzulänglichkeiten, für die ich mich schäme.
In den Augen der Liebsten, des Liebsten bin ich schön,
bin ich richtig und bin ich gut.
Er oder sie hat sozusagen vergeben,
was ich mir selbst nicht vergeben kann.
Er oder sie hilft mir dabei, mich selbst anzunehmen,
mich selbst zu erkennen als der oder die, die ich bin:
Eine Geliebte, ein Geliebter.

Wenn man Gott erkennt,
ist das ebenfalls die Antwort auf eine Vergebung,
die zuvor geschah:
Die Tatsache, dass Gott nicht mehr daran denkt,
wer wir waren und was wir getan haben.
Es ist nicht gleichgültig, und es ist Gott nicht gleichgültig.
Aber Gott mag uns trotzdem - und gibt uns die Möglichkeit,
uns anzunehmen und zu mögen, wie wir sind:
als eine über alles Geliebte, ein über alles Geliebter.
Wer sich selbst in dieser Weise erkannt hat:
in seinen engen Grenzen und Einschränkungen, mit seinen Fehlern,
und trotzdem von Gott über alles geliebt,
wird erkennen, dass das auch für jeden anderen Menschen gilt,
ja, gelten muss.
Das ist das „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“.
Wen diese Erkenntnis - man könnte auch sagen: diese Liebe -
einmal gepackt hat, der hat die Weisungen auf sein Herz geschrieben.
Man weiß nicht, wie es kam, aber sie sind da,
und man möchte nicht mehr anders leben.


V. Man muss wahrscheinlich ein wenig leichtsinnig sein,
wenn man sich eine Tätowierung stechen lässt,
weil man ja nicht ahnen kann,
ob man sie in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren immer noch mag.
Ich wollte Sie mit meiner Predigt keinesfalls animieren, sich tätowieren zu lassen.
Aber zu diesem Leichtsinn möchte ich Sie animieren.
Er könnte dazu führen, dass man sich verliebt.
Er könnte dazu führen, dass man mit einem Mal
Gottes Weisung auf sein Herz geschrieben findet
und dann nicht mehr anders leben will.

Amen.