Liebe Schwestern und Brüder,
wer schreibt heute noch Briefe?
Man schreibt eMails, SMS und WhatsApp-Nachrichten -
wenn man überhaupt noch schreibt und nicht „Snaps“ über Snapchat verschickt
oder Bilder vom Mittagessen auf Instagram oder Facebook postet.
Keine Sorge: Ich werde keine Klage über den Verlust einer Kultur anstimmen,
auch nicht über die sozialen Medien
und das ständige Gucken aufs Smartphone lamentieren.
Ich besitze selbst ein Smartphone und benutze es dauernd,
und ich möchte es nicht mehr missen.
Welche ungeheuren Möglichkeiten die neuen Medien bieten,
fangen wir gerade erst an zu entdecken,
und es ist spannend, herauszufinden,
wieviel Unnützes da gerade erfunden wird
- und wie viel die neuen Apps können und ermöglichen.
An der rasanten Entwicklung des Internets und der sozialen Medien
bemerken die, die noch mit Wählscheibentelefon,
Telefonzelle und Briefkasten aufgewachsen sind,
wie schnell die Zeit vergeht - und wie alt sie inzwischen geworden sind.
In diesem rasanten Prozess stellt der Brief so etwas wie die Zeitlupe dar.
Er verlangsamt die Zeit,
weil man sich Zeit nehmen muss, ihn zu schreiben.
Beim Schreiben muss mitbedacht werden,
dass der Brief einige Tage unterwegs ist
und den Empfänger wahrscheinlich zu einer anderen Tageszeit
und in einer anderen Stimmung erreicht als der, in der er geschrieben wurde.
Und schließlich muss man sich auch noch Zeit nehmen, ihn zu lesen.
Und auch da spielen Stimmung, Tageszeit und Umgebung eine wichtige Rolle.
Deshalb ist der Brief - trotz seiner viel schnelleren modernen Geschwister -
eine besondere und einzigartige Weise der Mitteilung.
Besonders auch deshalb, weil er noch nach Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten
gelesen werden kann und lesenswert bleibt.
Ein Brief beschäftigt uns auch heute.
Vor gut 2.000 Jahren ist er geschrieben worden,
heute erreicht er uns.
Er ist zu lang, um ihn ganz vorzulesen;
schon der Anfang ist länger als die meisten Nachrichten,
die wir heute auf dem Smartphone verschicken:
„Gelobt sei Gott,
der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der uns in Christus mit allem geistlichen Segen im Himmel gesegnet hat.
Denn in ihm hat er uns erwählt vor Anbeginn der Welt,
dass wir vor ihm in der Liebe heilig und untadelig seien.
Er bestimmte uns durch Jesus Christus zu seinen Kindern,
wie es seine gute Absicht war,
damit wir freudig von der reichen Fülle seiner Gnade sprechen,
die er uns in dem Geliebten schenkt.
In ihm besitzen wir die Erlösung durch sein Blut,
die Vergebung der Schuld aus seiner reichen Gnade,
die er für uns überreich machte,
indem er uns auch noch Weisheit und Einsicht schenkte.
Er offenbarte uns nämlich das Geheimnis seines Willens,
wie es seine gute Absicht war, die er in Christus hegte,
um seinen Heilsplan am Ende der Zeiten zu verwirklichen,
nämlich alles in Christus zusammenzufassen;
das, was im Himmel und auf der Erde ist, in ihm.
In ihm fiel auch das Los auf uns.
Wir wurden dazu bestimmt nach dem Willen dessen, der alles bewirkt,
wie es sein Wille beschlossen hatte,
damit wir, die wir schon vorher auf Christus gehofft hatten,
freudig von seiner Herrlichkeit sprechen sollen.
In ihm habt ihr das Wort der Wahrheit gehört,
das Evangelium eurer Rettung.
An ihn glaubt ihr auch
und wurdet bezeichnet mit dem Heiligen Geist der Verheißung.
Er ist eine Anzahlung auf das, was wir erwarten
bis zur Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden,
zum Lob seiner Herrlichkeit.“
I. Wenn man sich daran macht, einen Brief zu schreiben,
ist der Anfang das Schwerste - es sei denn, man hat einen Anlass,
wie z.B. einen Geburtstag, oder ein Anliegen.
Aber wenn man den nicht hat,
kaut man an seinem Stift und fragt sich: Womit soll man beginnen?
Gerade, wenn man die Empfängerin nicht oder nicht gut genug kennt,
fällt einem wenig ein. Und man ist zudem vorsichtig -
wer weiß, wie die Empfängerin aufnimmt, was man schreibt?
Deshalb versucht man, die Empfängerin erst einmal für sich einzunehmen,
indem man ihr freundliche Worte schreibt.
Der Brief an die Gemeinde in Ephesus richtet sich an eine ganze Gruppe von Menschen.
Wieviel schwerer ist es, einen Ton zu treffen, der sie alle anspricht!
Wahrscheinlich wurde der Brief nicht von einer zur nächsten herumgereicht,
sondern allen auf einmal vorgelesen, z.B. im Gottesdienst.
Dafür spricht, dass der Verfasser mit einer Formulierung beginnt,
die im Gottesdienst üblich ist und erwartet wird:
„Gelobt sei Gott“.
Aber was dann kommt, ist kaum zu verstehen.
Selbst, wenn man es sich mehrere Male anhört oder durchliest,
begreift man immer noch nicht, was da eigentlich gesagt werden soll.
Vielleicht kommt es ja auch gar nicht so sehr auf den Inhalt an -
zumal sich da manches auch wiederholt -,
sondern auf die „Stimmung“, die diese Worte hervorrufen.
Wie soll man diese Stimmung beschreiben?
Vielleicht als Zufriedenheit und als Gefühl der Zugehörigkeit.
Zufrieden sein und dazugehören:
Das sind zwei wichtige Zutaten für ein glückliches Leben.
II. Zur Zufriedenheit gehört ein gewisser Wohlstand
- dass man sich etwas leisten kann und nicht jeden Cent umdrehen muss -
und ein gewisser Besitz:
Ein eigenes Haus mit Garten ist nicht zu verachten,
ein Auto, sowie die vielen kleinen Dinge,
die das Leben einfacher und angenehmer machen
und ohne die wir heute gar nicht mehr leben möchten
und vielleicht auch nicht mehr könnten,
wie Smartphone, Fernseher, Rasenmäher, Kühlschrank, Waschmaschine usw.
Zur Zufriedenheit gehört auch, dass man sich keine Sorgen ums Alter machen muss
und dass im Falle einer Krankheit Hilfe gleich zu Stelle ist.
Diese für unsere Zufriedenheit wichtigen, ja unentbehrlichen Dinge
nennt der Epheserbrief aber nicht.
Die Dinge, von denen er spricht, sind gar keine solchen Dinge.
Es ist nichts, was einen beschäftigt oder überhaupt interessiert.
Der Epheserbrief spricht von Gottes freier Gnadenwahl, Gottes Heilsplan, der Erlösung -
böhmische Dörfer, Begriffe, die an einem vorbeirauschen,
weil sie im Alltag nichts bedeuten.
In einem Brief kann es schon mal vorkommen,
dass man nicht weiß, wovon die andere redet oder worauf sie hinauswill.
Wenn die Verfasserin eines Briefes berichtet, was sie beschäftigt,
muss man sich da erst einmal hineindenken.
Gerade, wenn man sich längere Zeit nicht gesehen hat,
ist das gar nicht so einfach.
In den sozialen Medien klickt man einfach weg,
was man nicht versteht oder was einen nicht interessiert.
Bei einem Brief geht das nicht, der ist nun einmal da.
Man kann ihn liegen lassen, ihn vergessen.
Aber sobald man auf ihn antworten will oder muss,
hilft es alles nichts: Man muss sich mit dem beschäftigen,
was die andere da geschrieben hat.
III. Der Epheserbrief wirbt um seine Leserinnen mit Zufriedenheit und Zugehörigkeit.
Zusammengefasst findet sich das im letzten Absatz des Briefanfangs,
wo zum ersten Mal die Epheser direkt angesprochen werden.
Vorher hat der Verfasser von „uns“ und „wir“ gesprochen.
Jetzt schreibt er:
„In Jesus Christus habt ihr das Wort der Wahrheit gehört,
das Evangelium eurer Rettung.
An ihn glaubt ihr auch
und wurdet bezeichnet mit dem Heiligen Geist der Verheißung.
Er ist eine Anzahlung auf das, was wir erwarten
bis zur Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden,
zum Lob seiner Herrlichkeit.“
Das Evangelium, von dem hier die Rede ist,
kann man jeden Sonntag im Gottesdienst hören.
Aber inwiefern ist es Wahrheit, wo wir doch gerade erleben,
dass alle Wahrheiten beliebig geworden sind
und jede denken, glauben und behaupten kann, was sie will?
Das Evangelium ist Wahrheit, weil es von unserer Rettung erzählt.
Diese Wahrheit kann man nicht auf herkömmliche Art beweisen oder widerlegen,
indem man sie an den Tatsachen misst.
Man kann sie nur glauben.
Und nur die kann und wird sie glauben,
die jemals nach Rettung Ausschau gehalten hat.
Wer zufrieden ist und sich zugehörig fühlt,
wem nichts fehlt an Geld, Gesundheit oder Anerkennung,
hat kein Bedürfnis nach Rettung,
würde vielmehr verwundert fragen: Rettung woraus? Und wozu?
Erst, wenn einem Zufriedenheit oder Zugehörigkeit fehlen;
wenn man das Gefühl hat, sie durch eigene Schuld vertan zu haben,
macht man sich auf die Suche nach Hilfe.
Diese Hilfe dann ausgerechnet bei Jesus zu finden,
ist schon ein ziemlicher Glücksfall,
fast so unwahrscheinlich wie ein Lottogewinn.
Deshalb spricht der Epheserbrief vom „Los“, das auf uns gefallen ist.
Deshalb spricht er von „Erwählung“ und „Vorbestimmung“,
von Gottes guter Absicht und von Gottes Willen:
Weil es etwas Besonders und Einzigartiges ist,
wenn man zu Gott findet.
Und weil es etwas Besonderes und Einzigartiges ist,
zu Gott zu gehören.
IV. Wer ein gutes Navi oder ein Smartphone besitzt,
hat kein Problem damit, den Weg zu finden.
Deshalb haben unsere Kirchen einen so auffälligen Turm:
Damit man weiß, wo man geistliche Hilfe finden kann, wenn man sie braucht.
Denn hier, unter diesem Turm, werden allsonntäglich Texte vorgelesen,
die von unserer Rettung erzählen.
Hier, unter diesem Turm, wurden Sie getauft
und mit dem Heiligen Geist bezeichnet.
Hier wurde Ihnen gesagt, dass Sie dazugehören
zur Gemeinde und zur großen Familie Gottes.
Es ist eine Zugehörigkeit, die Sie sich nicht verdienen müssen
und die Sie nicht verlieren können.
Eine Zugehörigkeit, die unabhängig ist
von Ihrer Herkunft, Ihren Leistungen, Ihrem Aussehen, Ihrem Einsatz.
Es ist das flüchtigste aller Zeichen,
das uns diese Zugehörigkeit verbürgt:
ein wenig Wasser auf unserer Stirn.
Niemand kann es sehen, nicht einmal wir selbst.
Und wenn unsere Patinnen nicht bei unserer Taufe dabei gewesen wären,
hätten wir keinen Beweis dafür, dass es stimmt.
Aber gerade dieses unscheinbarste und flüchtigste aller Zeichen,
das Wasser, das verschwindet, sobald es verdunstet ist
- und das doch allgegenwärtig ist in der Luft, die uns umgibt,
und ohne das wir keinen Tag überleben würden:
dieses Wasser vergewissert uns,
dass wir Gottes Kinder sind.
Dieses flüchtige Zeichen erinnert uns auch daran,
dass wir etwas erhalten haben,
das wertvoller ist als alles, was wir jemals besitzen könnten.
Wertvoller sogar als unsere Freiheit, unsere Ehre, unsere Gesundheit.
Es ist die Tatsache, dass wir zu Gott gehören.
Und dass dadurch unser Leben wertvoll und sinnvoll ist,
ganz gleich, wie wenig oder wie viel wir erreicht,
wie wenig oder viel wir daraus gemacht,
wie viele unserer Träume und Wünsche sich erfüllt haben.
Weil wir zu Gott gehören, ist unser Leben auch nicht allein unsere Sache.
Das war noch nicht alles, da wartet noch etwas auf uns,
und was hier unvollendet, abgebrochen oder misslungen ist,
muss es nicht bleiben.
Unser Leben wird erlöst - wir werden erlöst
von Irrtümern, Fehlern, Verletzungen und Schmerzen.
Und dadurch hat schließlich auch der Tod nicht mehr das letzte Wort,
denn weil wir zu Gott gehören,
kann uns der Tod nicht vernichten.
V. Wir haben einen Brief erhalten.
Einen eigenartigen Brief,
der uns von unserer Rettung erzählt.
Er war nicht leicht zu verstehen,
aber mit etwas Geduld hat uns sein Anliegen erreicht.
Wie werden wir darauf antworten - und wann?
Werden wir den Brief erst eine Weile liegen lassen?
Wird er vielleicht verschütt gehen unter all der Post,
die sich auf dem Schreibtisch stapelt?
Oder sind wir froh, dass sich jemand bei uns gemeldet hat,
weil wir so selten Post bekommen?
Gott wartet geduldig auf unsere Antwort.
Jeden Sonntag begegnet er uns hier,
hören wir seine Worte, seine Briefe an uns.
Jeden Tag auf Neue haben wir Gelegenheit, ihm zu antworten.
Dazu braucht es keinen Stift und kein Papier.
Gott liest in unseren Herzen.
Amen.