Freitag, 20. Juli 2018

Wem wir gehören

Predigt am 8. Sonntag nach Trinitatis, 22. Juli 2018, über 1.Korinther 6,9-20:

Wisst ihr nicht, dass Sünder das Gottesreich nicht erben werden?
Macht euch nichts vor: Niemand, der seinen Körper verkauft oder Götzen anbetet, weder Ehebrecher, noch Lustknaben, noch Kinderschänder, auch nicht Diebe, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes erben. Manches davon seid ihr gewesen. Aber ihr wurdet befreit. Ihr wurdet geheiligt. Ihr wurdet gerechtfertigt durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
Ich darf alles, aber nicht alles tut gut.
Ich darf alles, aber Macht habe ich über nichts.
Das Essen ist für den Bauch und der Bauch für das Essen da. Gott wird diesen und jenes zunichte machen.
Der Körper ist nicht dafür da, gegen Geld verkauft zu werden, sondern er ist für den Herrn [Jesus Christus] da, und der Herr ist für den Körper da. Gott aber, der den Herrn auferweckt  hat, wird durch seine Macht auch uns auferwecken. Wisst ihr nicht, dass eure Körper Teile des Leibes Christi sind? Nimmt man denn Teile des Leibes Christi, um sie für Geld zu verkaufen? Undenkbar!
Oder wisst ihr nicht, dass, wer sich mit einer Prostituierten einlässt, ein Leib mit ihr wird? Denn es heißt: „Die zwei werden ein Leib sein“ (1.Mose 2,24).
Wer sich auf Gott einlässt, ist eines Geistes mit ihm.
Hütet euch davor, euren Körper zu verkaufen! Jede Sünde, die der Mensch tut, geschieht außerhalb des Körpers. Wer aber seinen Körper verkauft, sündigt im eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist? Ihr habt ihn von Gott; er gehört euch nicht. Ihr wurdet gegen Bezahlung gekauft. Ehrt also Gott mit eurem Körper.


Liebe Schwestern und Brüder,

bei manchen Bibeltexten fragt man sich, was sie einem sagen wollen und warum man sich ausgerechnet mit diesem Text beschäftigen soll. Prostitution ist, das kann man wohl behaupten, nun wirklich nicht unser Problem. Für Pauulus dagegen war es eins. Während wiederum die Korinther, an die er schreibt, darin offenbar kein Problem sahen. Das veranlasst Paulus dazu, sich so ausführlich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
Aber muss man sich wirklich mit dieser Geschichte befassen? Sollte man wirklich die knapp 2.000 Jahre zurückreisen in die damalige Weltstadt Korinth, eine bedeutende Hafenstadt wie heute Hamburg? Wie in Hamburg gab es auch in Korinth eine „Reeperbahn“, auch wenn die natürlich nicht so hieß. Man sprach und spricht bis heute Griechisch in Korinth. Viele von denen, die auf der Korinther Reeperbahn arbeiteten und verkehrten, hatten das Herz auf dem rechten Fleck. Denn mit dem horizontalen Gewerbe geht oft ein großes Herz, große Einfühlsamkeit einher. Und auf Seiten der Freier ein Bewusstsein der eigenen Grenzen, der eigenen Endlichkeit. Beides macht empfänglich für den christlichen Glauben. Kein Wunder also, dass damals in Korinth manches Gemeindeglied aus diesem Kiez stammte. Schon Jesus hatte sich mit Prostituierten getroffen - und sich nichts dabei gedacht. Vielleicht deshalb sahen Prostituierte wie Freier kein Problem darin, ihr Gewerbe und ihren Glauben miteinander zu vereinbaren. Sonst müsste Paulus sich nicht so anstrengen, ihnen zu erklären, warum beides nicht zusammengeht.

Ich möchte heute nicht mit Ihnen über das Für und Wider der Prostitution nachdenken. Wie man sich dazu stellt, ist eine moralische Frage. Der Glaube hat aber nichts mit Moral zu tun. Jesus ging es nie um „Sitte“ und „Anstand”. Sonst hätte er sich wohl nicht mit Menschen getroffen und sehen lassen, die seinen Zeitgenossen als unanständig und moralisch fragwürdig galten.
Dem Glauben geht es nicht um Moral, aber sehr wohl darum, wie wir uns und andere beurteilen und behandeln. Der christliche Glaube hat dabei ein ganz bestimmtes Bild vom Menschen entwickelt. Paulus, als erster und sehr wichtiger Theologe des Christentums, entwirft in diesem Abschnitt des 1.Korintherbriefes ein ganz besonders interessantes Bild vom Menschen. Das möchte ich mit Ihnen genauer anschauen. Es findet sich im letzten Satz seiner Ausführungen über die Prostitution: „Ihr wurdet gegen Bezahlung gekauft. Ehrt also Gott mit eurem Körper.“

Um diesen Satz zu verstehen, muss man wissen, dass es zur Zeit des Paulus noch die Sklaverei gab. Sklave zu sein bedeutete, einem anderen Menschen zu gehören. Und zwar im wortwörtlichen Sinn: Ein Sklave wurde als Eigentum angesehen, wie ein Stück Vieh, ein Tisch oder ein Stuhl. Manche Besitzer gingen mit ihren Sklaven auch genau so um. Sie behandelten sie nicht wie Menschen, sondern wie Tiere oder Möbel. Einen Sklaven zu verletzen oder gar zu töten war nicht Mord, sondern Sachbeschädigung. Für uns klingt das heute zynisch; für die Menschen der Antike war es Normalität. Und man muss nur über den großen Teich schauen: In den USA herrscht bei vielen Menschen dieses Denken noch immer vor, obwohl die Sklaverei dort vor 150 Jahren abgeschafft wurde.
Paulus behauptet also, wir seien gekauft worden - wie man damals Sklaven kaufte. Eine groteske, geradezu unerträgliche Vorstellung! Aber Paulus will uns nicht beleidigen. Er will vielmehr erklären, in welchem Verhältnis wir zu Gott stehen. Paulus selbst nennt sich in seinen Briefen δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ, Sklave Christi Jesu. Er sagt von sich, dass er Christus gehört, wie ein Sklave seinem Herrn gehört, weil er von ihm gekauft wurde. Womit hat Jesus bezahlt? Die Antwort liegt auf der Hand: Mit seinem Leben.
Jesus gab sein Leben für Paulus.
Jesus gab sein Leben für uns.
Wenn jemand sein Leben aufs Spiel setzt, um einen anderen zu retten, begründet das ein ganz besonderes Verhältnis, eine Lebensschuld. Man ist seinem Lebensretter ewig dankbar, steht ein Leben lang in dessen Schuld.
Paulus aber spricht nicht von Schuld. Von Schuld hat Jesus uns doch gerade befreit! Wir sind Jesus nichts schuldig, obwohl er sein Leben für uns gab. Trotzdem - oder gerade deshalb - haben wir ein ganz besonderes Verhältnis zu ihm. Dieses besondere Verhältnis beschreibt Paulus als Eigentumsverhältnis: Wir gehören Jesus, sind sein Eigentum.
Sich nicht selbst zu gehören - das kann man sich nicht vorstellen. Unsere Freiheit ist unser höchstes Gut. Niemand würde diese Freiheit aufgeben wollen, nicht einmal um Gottes Willen.
Aber wer verliebt ist, singt lauthals mit Heinz Rudolf Kunze: „Dein ist mein ganzes Herz …“. Wenn man verliebt ist, will man dem anderen gehören, mit Haut und Haar, und es macht einem gar nichts aus. Im Gegenteil, man sucht es, dieses Einssein mit dem anderen und wünscht sich, es möge niemals enden.

Jesus, dem wir gehören, ist kein zynischer Sklavenhalter. Er ist eher so etwas wie ein Liebhaber. Denn Liebe war es, aus der er sein Leben für uns gab.
Die eine Seite der Tatsache, dass wir Jesus gehören, bedeutet demnach, dass wir eins mit ihm sind, weil er eins mit Gott ist. Weil wir Jesus gehören - und nur, weil wir Jesus gehören - sind wir Gott ganz nah. So nah, wie uns nur der Liebste oder die Liebste kommen kann.
Die andere Seite der Tatsache, dass wir Jesus gehören, sind all die anderen, denen wir nicht gehören. Etwas oder jemand kann ja nur einem gehören. Weil wir Eigentum Christi sind, gehören wir nicht dem Staat. Wir gehören auch keinem anderen Menschen - weder unserem Partner oder unserer Partnerin, noch unseren Eltern oder unseren Kindern. Nicht dem Arbeitgeber oder irgendeinem Chef, noch einem sonstigen Vorgesetzten.
Paradoxerweise schenkt uns also gerade die Tatsache, dass wir Jesus gehören, wie früher ein Sklave seinem Herrn gehörte, mit Haut und Haar, die größte Freiheit. Eine Freiheit, die so umfassend ist, dass man sie leicht verspielen kann. Denn im Alltag merken wir es nicht, dass wir Jesus gehören. Die Sklavenmarke, die uns zu seinem Eigentum macht, besteht aus Wasser - das Wasser, mit dem wir getauft wurden. Niemand kann sie sehen. Auch wir selbst vergessen leicht, dass wir sie tragen. Weil wir so vergesslich sind, warnt Paulus uns davor, uns zu verkaufen. Da geht es nicht nur um Prostitution. Man kann sich auch auf andere Weise verkaufen. Man verkauft sich immer dann, wenn man sich anderen wider besseres Wissen für deren Absichten zur Verfügung stellt. Wenn man nicht Nein sagt, obwohl man fühlt, dass man es sagen sollte. Wenn man kein Rückgrat zeigt, sein Fähnchen nach dem Wind dreht - aus Angst, oder aus Opportunimus.
Wir wurden gegen Bezahlung gekauft, um in der Freiheit der Kinder Gottes zu leben.
Gebe Gott, dass wir unsere Freiheit recht gebrauchen!