Samstag, 8. September 2018

Auf den Geist säen

Predigt am 15. Sonntag n.Trin., 9.9.2018, über Galater 5, 25–26; 6, 1–3. 7–10:

Wenn wir im Geist Gottes leben, 
wollen wir uns auch so verhalten, 
damit wir nicht solche werden, 
die eingebildet sind, die sich gegenseitig provozieren 
oder einander beneiden.
Liebe Geschwister, 
wenn auch jemand bei einem Verstoß erwischt wird, 
dann sollt ihr, die ihr geistlich seid, 
ihn mit Milde zurechtbringen. 
Jeder achte auf sich selbst, damit nicht auch du verleitet wirst. 
Einer trage für den anderen, was ihn beschwert, 
so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. 
Denn wenn jemand meint, er sei etwas, 
obwohl er doch nichts ist, 
betrügt er sich selbst.

Täuscht euch nicht, Gott kann man nichts vormachen! 
Was der Mensch sät, wird er auch ernten. 
Denn wer auf seinen Körper sät, 
wird von seinem Körper Verderben ernten; 
wer aber auf den Geist sät, 
wird vom Geist ewiges Leben ernten. 
Wir werden nicht nachlässig darin, Gutes zu tun; 
zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum lasst uns allen Gutes tun, 
solange wir dazu Gelegenheit haben, 
besonders unseren Glaubensgenossen.


Liebe Schwestern und Brüder,

es ist Erntezeit. 
Noch ist nicht alles eingebracht. 
Es ist noch zu früh, um Rückschau zu halten; 
Erntedank ist erst in vier Wochen. 
Aber schon jetzt kann man sagen, 
dass die Ernte magerer ausgefallen ist als sonst. 
Das lag an der großen Trockenheit. 
Sie ließ das Getreide reif werden, 
bevor es richtig ausgewachsen war. 
Andere Pflanzen konnten sich gar nicht entwickeln 
oder verdorrten.

Es ist Erntezeit. 
Die Ernte, von der Paulus spricht, 
hat nichts mit Pflanzen, mit Getreide oder Gemüse zu tun. 
Sie hängt auch nicht vom Regen ab, 
sondern allein vom Untergrund. 
Worauf man gesät hat, das ist entscheidend. 
Für Paulus kommen da auch nur zwei Substrate infrage, 
der Körper oder der Geist. 
Damit trennt Paulus nicht den Menschen in zwei Teile, 
in seinen Körper und in seinen Verstand. 
Der Körper, das ist der ganze Mensch 
mit all seinen Gedanken und Gefühlen, 
seinen Erinnerungen und Wünschen. 
Der Geist dagegen ist der Geist Gottes, 
der seit unserer Taufe in uns wohnt.

So, wie Paulus es sieht, 
gibt es auch nicht nur eine Erntezeit, sondern viele. 
Das Schlechte, das erntet man jeden Tag; 
das Gute aber erst zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt irgendwann in der Zukunft. 
Diese Zukunft liegt unerreichbar fern, jenseits unseres Todes. Es ist das ewige Leben.

I. Was Paulus uns da vorstellt, wirft einige Fragen auf.

1) Wie kann man auf den Körper etwas säen?
2) Warum erntet man nur Schlechtes, 
wenn man auf den Körper sät? 
3) Wie soll man etwas auf den Geist Gottes säen können, 
der zwar in uns sein soll, 
den man aber weder sehen noch spüren kann? 
Und
4) was nützt uns das Gute, das wir ernten, 
wenn wir es doch nicht mehr erleben - 
jedenfalls nicht in diesem Leben, in unserer Welt?

Fangen wir mit der ersten Frage an:
Wie kann man auf den Körper etwas säen?
Paulus meint sicherlich nicht, 
dass man sich ein Samenkorn in den Bauchnabel 
oder ins Ohr steckt und wartet, 
dass da ein Radieschen sprießt, 
oder sogar eine Sonnenblume. 
Obwohl es vielleicht lustig aussähe, 
wenn uns der Sellerie zu den Ohren heraushinge, 
oder statt Ohrringen kleine Tomaten an den Ohrläppchen baumelten.

Paulus hat die Landwirte und Gärtnerinnen beobachtet, 
wie sie etwas aussäen, 
um ein paar Wochen oder Monate später etwas zu ernten. 
Das Säen ist ein geplanter Vorgang: 
Man sät, weil man etwas ernten will. 
Diesen Vorgang kann man übertragen auf alles, was man - mehr oder weniger planvoll - tut. 
Denn alles, was man tut, hat Konsequenzen. 
Nicht alle sind beabsichtigt. 
Man rechnet nicht immer mit den Folgen seines Handelns. 
Aber es hat Folgen, ob man will oder nicht. 
Insofern kann man das, was man tut, 
durchaus mit dem Säen von Samenkörnern vergleichen: 
Wenn man etwas tut - und auch, wenn man etwas nicht tut - wirft man sozusagen Samen aus, 
der keimt und wächst und irgendwann Früchte trägt. 
Die Früchte, das sind die Folgen unserer Handlungen. 
Manchmal reifen diese Früchte unglaublich schnell. 
Wenn ich z.B. jemanden ärgere, 
bekomme ich die Reaktion meist sofort zu spüren. 
Und manchmal dauert es sehr, sehr lange, 
bis die Konsequenz einer Handlung eintritt. 
Wenn man z.B. etwas ausgeliehen hat, 
ein Buch, oder ein Werkzeug, 
und der Besitzer es eines Tages zurückhaben will.

Alles, was man tut, hat Folgen. 
Und auch alles, was man zu tun unterlässt, hat Folgen. 
Insofern erntet man täglich, ja, in jedem Augenblick 
die Folgen seines Handelns. 
Man erntet Schlechtes - 
wenn man sich mit dem Hammer auf den Finger haut 
oder sich die Hand in der Tür klemmt; 
wenn man vergisst, eine Rechnung zu bezahlen; 
wenn man die Hausaufgaben nicht gemacht hat. 
Man erntet aber auch Gutes - 
für eine nette Geste ein Lächeln, 
für ein Geschenk ein Dankeschön; 
für einen Kuss bekommt man manchmal einen Kuss zurück.

II. Damit sind wir bei der zweiten Frage angelangt:
Warum erntet man nur Schlechtes, 
wenn man auf den Körper sät?
Wenn das Säen ein Bild für planvolles (oder auch ungeplantes) Handeln sein soll, 
dann sind ja auch unsere guten Taten ein Säen. 
Die Erfahrung lehrt dass, wer Gutes tut, 
nicht immer, aber oft auch Gutes erntet.
Das reicht von Dankbarkeit 
bis zu Gegenleistungen, die man erhält oder einfordern kann, 
weil man jemandem einen Gefallen getan hat.

Schon die alten Römer haben das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung auf eine griffige Formel gebracht, sie lautet: 
„Do ut des“, zu deutsch: 
Ich gebe dir etwas, damit du mir etwas gibst. 
Auf diesem Prinzip kann man ein Miteinander, 
eine Gesellschaft aufbauen,
weil man sich darauf verlassen kann, 
dass ein Gefallen den man getan, 
Hilfe, die man angeboten hat, 
eines Tages eingefordert werden können. 
Ich helfe dir, dein Haus zu bauen, du hilfst mir bei meinem. 
Ich helfe dir mit meinen Fähigkeiten, 
dafür kann ich auf deine zurückgreifen, 
wenn ich sie brauchen sollte. 
Ein ziemlich gutes Prinzip, eigentlich;
es hat sich in der Vergangenheit oft bewährt.

Es funktioniert aber nur, wenn Gebender und Empfangender gleichwertig sind. 
Wer nichts zu bieten, nichts zu geben hat, 
kommt beim Do ut des zu kurz. 
Der wird entweder gar nicht gefragt 
oder bleibt ewig in der Schuld des anderen, 
wenn er nichts zurückgeben kann.
Und dann gibt es da noch die Gefallen, 
um die man gar nicht gebeten hat. 
Der extremste Auswuchs ist die Mafia, 
die gegen Geldzahlung „Schutz“ vor sich selbst gewährt.

Das Do ut des ist nützlich, 
wenn es sich zwischen gleichwertigen Partnern abspielt; 
es wird zur Falle, 
wenn es einen Unterschied zwischen den beiden Seiten gibt und eine Seite stärker ist. 
Wir Menschen sind aber selten gleich. 
Selbst, wenn es so scheint, 
wird doch unterschiedlich bewertet, 
was ein anderer tut oder hat. 
Ist das, was der andere getan hat, 
wirklich so gut wie das, was ich tue? 
Ist das, was ich besitze, so viel wert wie das, 
was der andere besitzt?
Die Folge dieser unterschiedlichen Bewertungen beschreibt Paulus am Anfang des Predigttextes: 
eingebildet sein, sich gegenseitig provozieren oder einander beneiden.

III. Sobald Menschen zusammenkommen, vergleichen sie sich. 
Das scheint in unserer Natur zu liegen; 
scheint so tief in uns verwurzelt zu sein, 
dass wir gar nicht anders können. 
Dadurch ist alles, was man tut, mit diesem Vergleich behaftet. 
Immer fragt man sich, 
wie gut es ist, was man tut; 
was es wert ist und was man dafür bekommt. 
Wenn man „auf seinen Körper sät“, wie Paulus es ausdrückt - mit anderen Worten: 
bei allem, was man tut oder zu tun unterlässt - 
dann erntet man immer diesen Vergleich mit. 
Die Ernte ist verdorben dadurch, 
dass nichts um seiner selbst willen getan wird, 
sondern immer mit der Frage nach dem Wert und dem Nutzen verbunden ist. 
Das ist bei bezahlter Arbeit völlig in Ordnung. 
Aber wenn es um die Liebe geht, ist es Gift für die Beziehung. 
Das Zusammenleben von Menschen wird vergiftet, 
sobald man anfängt, einander zu bewerten. 
Weil wir aber nicht anders können, 
darum erntet man beim „Säen auf den Leib“ letztlich nur Schlechtes, 
selbst, wenn man es gut meint.

Wie könnte es denn aber anders gehen, 
wenn wir gar nicht anders können? 
Hier kommt das „Säen auf den Geist“ ins Spiel, 
von dem Paulus spricht. 
Ein sehr kompliziertes Bild, 
denn wie soll man auf etwas säen, das man nicht sehen kann?
Wenn das „Säen auf den Leib“ ein Bild für all das ist, 
was wir mit unserem Körper tun oder nicht tun, 
dann muss das „Säen auf den Geist“ 
offenbar ein Bild für alles das sein, 
was wir im Namen Gottes tun. 
Das ist erst einmal nicht viel. 
Wir feiern Gottesdienst im Namen Gottes. Aber sonst?

Doch Paulus spricht nicht vom Gottesdienst. 
Er spricht von der Erfüllung des Gesetzes Christi. 
Das Gesetz Christi, das ist das 
„Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen … 
und deinen Nächsten wie dich selbst“. 
Immer dann, wenn man versucht, so zu leben und zu handeln, 
wie Christus es uns vorgelebt hat, 
dann geschieht, was man tut, im Namen Gottes. 
Dann geht es nicht um Wert und Gewinn, 
um Do ut des
Dann geht es nur um den anderen. 
Es ist ein selbstloses, selbstvergessenes Tun, 
dieses Handeln im Namen Gottes.

IV. Damit kommen wir zur letzten Frage:
Was hat man davon, 
nach dem Gesetz Christi zu leben und zu handeln, 
wenn man den Lohn erst in einer fernen und ungewissen Zukunft erhält? 
Da ist es doch besser, 
sich ans Do ut des zu halten: 
Da wird der Lohn der Arbeit prompt ausbezahlt.

Auf dem Do ut des lässt sich keine Gemeinschaft gründen, 
in der alle gleich behandelt werden, 
obwohl sie unterschiedlich sind. 
In einer solchen Gesellschaft wird es immer Starke und Schwache geben, 
Gewinner und Verlierer, 
Überheblichkeit, Provokation und Neid. 
So erlebt man ja auch oft die Gesellschaft, in der wir leben. 
Die Gemeinde, die nach dem Gesetz Christi lebt, 
ist Teil dieser Gesellschaft. 
Und zugleich ist sie es nicht, 
weil sie nach anderen Regeln lebt als dem Do ut des
Hier, in der Gemeinde, haben wir die Möglichkeit, 
anders zu sein und anders zu handeln. 
Wir haben diese Möglichkeit, 
weil wir anders sind: 
Christus hat uns zu seinen Geschwistern gemacht, 
und als Schwestern und Brüder sind wir gleich, 
trotz aller Unterschiede, die uns auszeichnen. 
Gleich gut, gleich geliebt, gleich viel wert.

V. Die Gemeinde ist ein besonderer Raum. 
Hier können wir als Gleiche unter Gleichen, 
als Geschwister und durch Christus Befreite 
einen Traum verwirklichen, 
der in der Gesellschaft bisher immer gescheitert ist 
und immer scheitern muss, 
solange Menschen auf ihren Leib säen. 
Für Momente erleben wir hier etwas vom Reich Gottes, 
das uns erwartet, wenn die Zeit sich erfüllt haben wird. 
Für Momente können wir auch Menschen außerhalb der Gemeinde 
etwas von diesem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit sehen und erleben lassen, 
wenn wir „allen Gutes tun, solange wir dazu Gelegenheit haben, 
besonders unseren Glaubensgenossen“. 

Amen.