Samstag, 13. Oktober 2018

So tun, als ob #nicht

Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis, 14.10.2018, über 1.Korinther 7,29-31:

Das will ich euch aber sagen, liebe Geschwister:
Die Zeit drängt.
In Zukunft soll,
wer einen Partner hat, sein, als hätte er keinen.
Und wer weint, als weinte er nicht.
Und wer fröhlich ist, als wäre er es nicht.
Und wer etwas kauft, als besäße er es nicht.
Und wer die Welt gebraucht, als verbrauche er die Welt nicht.
Denn diese Welt vergeht.


Liebe Schwestern und Brüder,

die Zeit drängt.
Fällt dieser Satz, vielleicht noch voller Ungeduld,
dann wird es hektisch.
In der Eile des Aufbruchs geht schon mal etwas schief:
Man wirft den Kaffeebecher um,
vergisst Schlüssel, Handy oder Portemonnaie,
oder zieht sich eine Laufmasche.

Ruhe und Gelassenheit täten da gut.
Wenn jemand drängelt und es hektisch wird,
einfach tief durchatmen
und jetzt erst recht alles langsam und mit Bedacht tun.

I. Die Zeit drängt.
Paulus ist nicht im Aufbruch begriffen.
Trotzdem drängelt er, als ginge die Welt unter.
Und tatsächlich scheint es so,
als spräche Paulus vom Weltuntergang, wenn er schreibt:
„diese Welt vergeht”.

Der Weltuntergang, wieder und wieder wird er vorausgesagt,
wieder und wieder erweist sich die Vorhersage als falsch.
Der Weltuntergang wird unter Christen mit der Wiederkunft Christi in Verbindung gebracht,
wie es in einem alten Kirchenlied heißt:
„Es ist gewisslich an der Zeit,
dass Gottes Sohn wird kommen
in seiner großen Herrlichkeit,
zu richten Bös’ und Fromme.
Da wird das Lachen werden teur,
wenn alles wird vergehn im Feur,
wie Petrus davon schreibet” (EG 149,1).

„Es ist gewisslich an der Zeit”.
Aber offensichlich lässt Jesus sich Zeit, wiederzukommen.
Bald sind es 2.000 Jahre, die im Warten auf seine Wiederkunft vergangen sind.
Die Hektik, die Paulus entfacht, scheint daher ganz und gar unnötig.
Die Christen haben das Warten sowieso längst aufgegeben
und sich in der Welt eingerichtet.
So gut, dass sie ihre unsteten und gefährdeten Ursprünge vergaßen
und sich mit den Fürsten dieser Welt gemein machten -
ja, selbst zu Fürsten dieser Welt wurden.
Noch heute kämpft die Kirche mit der Tatsache,
dass sie nicht mehr Staatskirche ist,
wie sie es über viele Jahrhunderte war.
Und dass also nicht automatisch jede Bürgerin, jeder Bürger auch Christ ist.
Sondern nur der, der das auch wirklich sein will.
Oder, besser gesagt: Der von Gott dazu berufen wird, Christ zu sein.

Anfangs mieden und misstrauten die Christen den Fürsten dieser Welt.
Sie hatten von ihnen schließlich nichts Gutes zu erwarten.
Manche Christen zogen sich ganz aus dieser Welt zurück,
wurden Einsiedler in der Wüste -
Vorläuferinnen und Vorläufer der Nonnen und Mönche.
Es war aber nicht so sehr die Angst vor den Fürsten dieser Welt
oder das Misstrauen ihnen gegenüber, das sie in die Wüste
und später in den von Mauern umfriedeten Bereich des Klosters trieb.
Es war das Wissen darum, dass diese Welt vergeht.

II. Wie - ist etwa das Ende der Welt gekommen,
und wir haben es gar nicht gemerkt?!
Nein, die Welt ist noch da, und sie ist noch die alte.
Dieselbe, die sie schon zur Zeit von Jesus war.
Aber Jesus sagte etwas sehr Aufregendes und Unerhörtes über die Welt.
Er sagt: „Ich habe die Welt überwunden” (Joh 16,33).

Zu allen Zeiten und in allen Religionen kämpfen Menschen mit dem Problem,
dass diese Welt, so schön, lebendig und üppig sie ist,
zugleich auch sehr gefährlich ist - lebensgefährlich sogar.
Dass niedliche kleine Vögel im Nest verhungern
oder von einem gefräßigen Marder gefressen werden;
dass der Löwe die elegante Gazelle schlägt und frisst
und die Hyänen sich mit den Geiern um die Reste streiten.
Wir bringen es nicht zusammen, dass das Leben,
das uns so viel Glück, Erfüllung und Schönheit beschert,
immer auch Leid und Schmerz für uns bereithält.
Das Taijitu, in dem das weiße Yang und das schwarze Yin gegenüberstehend dargestellt werden.
Symbol von Yin und Yang
Der Taoismus hat dafür das Symbol des Yin und Yang gefunden.
Das Licht enthält immer auch etwas Dunkeles;
in jeder Dunkelheit gibt es immer auch ein Licht.

Buddha wiederum lehrte, dass es so etwas wie Gut und Böse gar nicht gibt,
sondern alles nur Einbildung sei.
Man entkommt dem Leid nur dadurch, dass man den Schleier der Einbildung zerreißt
und zum wahren Kern allen Seins, zum Nichts, dem Nirvana, vordringt.

Und Jesus behauptet, er habe die Welt überwunden.
Leid, Schmerz und sogar der Tod lägen hinter ihm
und damit auch hinter jedem, der an ihn glaubt.
Durch seine Auferstehung hat er die Mächte der Welt
und sogar den Tod besiegt.

Wir Christen leben aus der Auferstehung.
Sie liegt vor uns als etwas, das nach unserem Tod auch auf uns wartet,
wodurch der Tod nicht das Ende für uns ist,
sondern der Anfang von etwas Neuem.
Sie liegt aber auch bereits hinter uns,
weil Jesus auferstanden ist, woran wir uns an jedem Sonntag erinnern.
Wir stehen quasi mit einem Bein, mit dem Standbein,
in der Tür zur zukünftigen Welt.
Mit einem sicheren Stand im Reich Gottes sind wir in der Lage,
mit der Welt spielerisch umzugehen.
Wir müssen sie nicht mehr so ernst nehmen,
weil sie uns nicht mehr ernsthaft gefährlich werden kann.

III. Paulus will uns also nicht die Welt verbieten
oder uns den Spaß an ihr verderben.
Er will uns nur darüber aufklären,
in welchem Verhältnis wir zur Welt stehen,
eben in einem spielerischen Verhältnis.

Kleine Kinder backen gern Kuchen im Sandkasten,
aus feuchtem Sand, gemischt mit Grashalmen,
garniert mit Gänseblümchen und Blättern.
Sie drängen uns dazu, den Kuchen zu probieren.
Und wir spielen mit, tun so, als ob wir ihn kosten
und loben dann lautstark, wie lecker er war.
Wir tun so, als ob. Es ist ein Spiel.

Paulus möchte uns zu einem Spiel animieren,
bei dem wir so tun, als ob nicht.
Statt des schönen Hauses, in dem wir wohnen,
sollen wir so tun, als hätten wir kein Dach über dem Kopf.
Statt der Partnerin, des Partners, den wir lieben,
sollen wir so tun, als wären wir allein.
Wenn wir Wasser, Luft, Erde und was darin wächst und lebt gebrauchen,
sollen wir so tun, als gehöre uns das alles nicht,
als müssten wir jemandem gegenüber Rechenschaft darüber ablegen.

Was soll diese Spielerei?
Sind wir dafür nicht zu alt,
ist das Leben nicht zu ernst,
als dass man so spielerisch damit umgeht?
Ja, gerade weil das Leben so ernst und leidvoll ist,
sollen wir spielerisch damit umgehen.
Wenn wir gut aufgepasst und von Jesus gelernt haben,
wenn wir uns von seiner Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit haben anstecken lassen,
dann wissen wir besser als jeder andere,
wie schnell sich das Leben ändern kann.
Wie leicht man sein Haus, seine Heimat verlieren kann.
Wie plötzlich man daraus vertrieben werden, es einem weggenommen werden kann.
Wir wissen darum, wie zerbrechlich eine Beziehung ist.
Dass die Partnerin, der Partner sterben
oder sich so verändern kann,
dass man in ihm nicht mehr den Menschen wiedererkennt,
in den man einmal verliebt war.
Und dass unsere Welt bedroht ist, z.B. durch den Klimawandel,
daran zweifeln nur noch ganz Hartgesottene.

Wie leicht man verlieren kann, was man hat,
wie gefährdet das Leben, wie zerbrechlich jede Beziehung ist,
wie nahe wir dem Tod sind,
das hört man nicht gern.
Man denkt auch nicht gern darüber nach.
Aber wer, wenn nicht wir, die wir mit einem Bein im Reich Gottes stehen
und von der Welt nichts mehr zu befürchten haben,
hätte den Mut, dieser Wahrheit ins Auge zu sehen,
ihr stand zu halten und damit zu leben?
Dazu will uns das Spiel des Paulus verhelfen:
Diese Furchtlosigkeit der Welt gegenüber zu entwickeln,
um mit der Wahrheit über das Leben,
über die Welt und über uns leben zu können.

IV. Aber wie spielt man dieses Spiel des Paulus?
Wie man so tut, als ob, das weiß jedes Kind.
Wie aber tut man so, als ob nicht?

Es geht, wie gesagt, um die Wahrheit,
die Wahrheit über das Leben, über die Welt und über uns.
Offenbar gibt es viele Wahrheiten über die Welt,
wie das Beispiel der verschiedenen Religionen gezeigt hat.
Daneben gibt es auch das, was die Wissenschaft
über die Welt und das Leben herausfindet.
Und dann gibt es auch noch die sogenannten „alternativen Fakten”.
Präsident Trump, ein prominenter Vertreter dieser „alternativen Fakten”,
der auch ein sehr - sagen wir: spielerisches - Verhältnis zur Wahrheit hat,
sagte zum Bericht über den Klimawandel,
es gebe viele Berichte,
und er achte darauf, wer den Bericht geschrieben habe.
Mit anderen Worten:
Wenn die falschen Leute den Bericht geschrieben haben, liest er ihn nicht.
Statt um die Wahrheit geht es darum, wer etwas sagt, ob Freund oder Feind.
Aber natürlich hängt eine Wahrheit nicht davon ab, wer sie vertritt.
Wahrheit ist nicht beliebig.
Wahrheit kann, muss und wird bewiesen werden.
Manchmal bekommt man den Beweis schneller geliefert, als man denkt …

Wenn es aber um die Wahrheit über die Welt, über das Leben oder über uns geht,
funktionieren Beweise nicht.
Wie soll man beweisen, dass die Welt Gottes Schöpfung ist;
dass die Welt vergeht, weil wir mit einem Fuß bereits im Reich Gottes stehen;
dass Gott uns liebt und uns vergibt, jeden Tag neu?
Man kann das nicht beweisen.
Ebensowenig kann man beweisen, dass der Stärkere immer Recht hat;
dass die Gewalt siegt;
dass die Wirtschaft ständig wachsen muss;
dass man nur glücklich ist, wenn man sich etwas kauft.
Ob das eine oder das andere wahr ist, wird sich erweisen.
Leider erst, wenn es zum Schwur kommt:
Wenn man schwer krank wird oder das Leben zuende geht.
Dann erkennt man mit einem Schlag, ob das, worauf man vertraute, trägt,
oder ob man den Boden unter den Füßen verliert.

V. „So tun, als ob nicht” spielt man,
indem man der Wahrheit vertraut,
dass diese Welt vergeht,
weil Jesus sie bereits überwunden hat.
Indem man auf die Wirklichkeit der Auferstehung vertraut,
die nicht nur am Ende auf uns wartet,
sondern der Anfang jedes neuen Schrittes ist, den wir tun.
Dieses Vertrauen kann man üben, man kann es lernen,
aber man kann es nicht kaufen.
Es wird einem geschenkt.
Deshalb sagte ich vorhin,
dass man von Gott dazu berufen wird, Christ zu sein.

„So tun, als ob nicht” ist ein Spiel, ein sehr ernstes Spiel.
Aber es ist nötig und tut auch mal gut, das Leben nicht allzu ernst zu nehmen.
Dann gelingt es einem nämlich hin und wieder,
einen neuen Blick auf das Leben zu erhaschen.
Als man eine Ehebrecherin zu Jesus brachte,
malte er im Sand, obwohl es für die Frau um Leben und Tod ging.
Aber die Antwort, die Jesus bei seinem spielerischen Malen fand,
rettet der Frau das Leben und beschämte ihre Ankläger.
Zu diesem spielerischen Umgang mit dem Leben will Paulus uns befreien,
damit wir die Wahrheit entdecken,
die kein Auge je sah und kein Ohr je vernommen hat.
Amen.