Jedes Geschöpf ist schön.
Und man muss nichts verachten, wenn man es mit Dank annimmt.
Denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und das Gebet.
Liebe Schwestern und Brüder,
drei kurze Sätze, einfach und verständlich.
Und doch verstehen sie sich nicht von selbst.
Letzten Sonntag haben wir über die ersten beiden Sätze nachgedacht:
Wie es sein kann, dass jedes Geschöpf schön ist,
und welche Rolle die Dankbarkeit dabei spielt.
Heute möchte ich mit Ihnen über den letzten Satz nachdenken:
„Es wird geheiligt durch das Wort Gottes und das Gebet”,genauer gesagt über das Wort „heiligen”.
Ein Wort, das man im Alltag nicht benutzt -
oder haben Sie schon einmal etwas geheiligt?
Auch ich als Pfarrer, der ich von Berufs wegen viel mit dem Heiligen zu tun habe,
habe noch nie etwas geheiligt.
Das darf ich auch nicht, selbst wenn ich's könnte und wollte.
Man weiht manchmal etwas - z.B. eine neu gebaute Kirche.
Daher kommt ja das Fest der Kirchweih.
Die Weihe widmet ein Gebäude für den Gottesdienst.
Sie sagt: Dieses Gebäude ist für Gott bestimmt.
Aber damit ist die Kirche nicht geheiligt.
Heilig ist das, was Gott gehört,
und Gott allein ist heilig.
Nur Gott kann etwas heiligen.
Deshalb heißt es: „Es wird geheiligt”.
Etwas, das geheiligt wurde, gehört jetzt Gott.
Es hat ein unsichtbares Etikett bekommen, auf dem Gott als Besitzer vermerkt ist.
Es wird von den alltäglichen Dingen ausgesondert,
wird reserviert für den Gebrauch im Dienst und Auftrag Gottes.
Was geheiligt ist, darf man nicht einfach so verwenden.
Man muss vorher fragen - wie bei allem, was einem anderen gehört.
Man darf ja auch nicht einfach in einen fremden Garten,
einen fremden Schuppen, ein fremdes Haus spazieren
und sich holen, was man gerade benötigt.
Was geheiligt wurde, ist ausgesondert, reserviert und mit einem Etikett versehen.
Ausgesondert, reserviert und mit einem Etikett versehen - das kennen wir:
Im Supermarkt, im Kaufhaus präsentieren sich so die Waren.
Wenn „heiligen” bedeutet, dass man etwas aussondert, reserviert und mit einem Etikett versieht,
dann sind auch die Waren im Geschäft „geheiligt”.
Dafür spricht, dass Waren mit einer besonderen Aura umgeben sind.
Man darf sie nicht einfach nehmen und einstecken -
das ist Ladendiebstahl, der wird schwer bestraft.
Manche, besonders wertvolle Waren darf man nicht einmal anfassen.
Sie stehen in verschlossenen Vitrinen; man muss fragen, um sie genauer ansehen zu dürfen.
Es wird viel Aufhebens betrieben um die Waren.
Für den Vergleich der Waren mit der Heiligung spricht auch,
dass man große oder schicke Kaufhäuser „Konsumtempel” nennt,
in denen mit den Waren eine Art Gottesdienst gefeiert wird.
Aber es ist natürlich keine echte Heiligung,
die in den Kaufhäusern durch das Aussondern und Etikettieren geschieht.
Heiligen kann allein Gott.
In den Konsumtempeln wird die Heiligung nachgeahmt.
Der Gott, oder besser gesagt, der Götze, der dort die Waren heiligt, ist das Geld.
Das Geld macht Dinge zur Ware.
Wenn sie Waren geworden sind, darf man sie nicht mehr einfach so verwenden.
Es reicht auch nicht, höflich zu fragen, ob man sie sich mal ausleihen darf.
Man muss dafür bezahlen, wenn man etwas haben will, das eine Ware ist.
Das ist so selbstverständlich, dass man nicht mehr darüber nachdenkt.
Dass man kaufen muss, was man haben will, und es sich nicht einfach nehmen kann,
das lernt schon ein kleines Kind.
Dass man für Waren bezahlen muss, ist selbstverständlich.
Aber dass etwas zur Ware wird, ist nicht selbstverständlich.
Und doch kann alles zur Ware werden, wofür jemand Geld zu zahlen bereit ist.
Nicht nur das, was es in den Geschäften zu kaufen gibt.
Land kann zur Ware werden.
Plötzlich darf man einen Wald, eine Wiese, einen Strand nicht mehr betreten,
weil es Privatbesitz geworden ist und der Eigentümer das nicht möchte.
Trinkwasser kann zur Ware werden.
Große Firmen wie Nestlé kaufen Quellen auf, füllen das Wasser in Flaschen
und verkaufen es wieder an die, denen sie die Quellen zuvor abgekauft hatten.
Pflanzen und Tiere sind Waren, natürlich,
aber nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Erbgut,
das patentiert wird, damit es verkauft werden kann.
Sogar der Mensch kann zur Ware werden.
Man kann sein Blut, statt es beim Roten Kreuz zu spenden, auch verkaufen.
Für menschliche Organe wird soviel Geld geboten,
dass in armen Ländern manche Menschen eine ihrer Nieren verkaufen.
Die Sklaverei war ein Geschäft mit Menschen, die Prostitution ist es noch heute.
Wenn Geld im Spiel ist, kann alles zu Ware werden.
Es gibt auf unserem Planeten nichts -
keinen Stein, keine Pflanze, kein Tier, kein Fleckchen Erde -,
das nicht irgendwann zur Ware werden könnte.
Die Erde, die eigentlich uns allen gehört - allen Menschen, allen Lebewesen -,
und die als Kugel keine Grenzen kennt,
wird abgesondert, reserviert und etikettiert.
Die Erde, die die Bibel Gottes Schöpfung nennt,
wodurch sie und alles, was auf ihr lebt, Gott geheiligt ist,
hat einen neuen Herrn bekommen: Das Geld.
Jesus nannte das Geld einen Götzen: den Mammon,
und forderte, man müsse sich entscheiden, wem man dienen wolle:
Gott, oder dem Mammon.
Die ganze Welt ist Ware.
Nein, nicht die ganze Welt.
Es gibt einige kleine gallische Dörfer,
die sich dagegen wehren, zur Ware zu werden.
Das sind die Kirchen.
Die Kirchen, solange sie noch dem Gottesdienst dienen,
sind Reservate, letzte Orte auf dieser Erde,
an denen das Geld keine Macht hat,
an denen es nicht um Kaufen und Verkaufen geht.
Zwar geht es in der Kirche auch oft ums Geld -
Kirchen brauchen Geld zu ihrer Unterhaltung, viel Geld sogar.
Und jeden Sonntag wird eine Kollekte eingesammelt.
Aber mit diesem Geld wird nichts gekauft - im Gegenteil:
Damit werden Menschen beschenkt.
Etwas wird geheiligt, das bedeutet:
Es wird ausgesondert, reserviert und mit dem Etikett des Besitzers versehen.
Wenn etwas dem Mammon geheiligt wird, ist es eine Ware.
Wenn etwas Gott geheiligt ist, wird es bewahrt.
Dann ist es den strengen Regeln Gottes, dem Gesetz, unterworfen.
Wer etwas, das Gott geheiligt ist, benutzen oder ausleihen will,
muss sich an diese Regeln, an die Gebote, halten.
Im Umgang mit anderen Menschen schreiben diese Gebote z.B. vor,
dass man den anderen respektieren soll;
dass man ihn nicht verletzen oder ihm gar das Leben nehmen darf;
dass man seine Beziehung achten soll,
dass man ihn nicht bestehlen, nicht belügen und nicht übervorteilen darf.
Man darf ihm nicht wegnehmen, was er zum Leben braucht,
und man soll ihm nicht nehmen, was er liebt.
Was Gott geheiligt ist, wird davor bewahrt, zur Ware zu werden.
Menschen, Tiere und Pflanzen, unser ganzer Planet werden durch die Heiligung bewahrt.
Das ist auch der Auftrag, den Gott dem Menschen gibt:
Die Erde zu bebauen und zu bewahren.
Bebauen und bewahren - es ist also nicht alles tabu, was geheiligt ist.
Die Schöpfung ist nicht nur zum Anschauen da;
sie ist kein großer, eingezäunter Garten, an dessen Tor „Privat” steht.
Wir dürfen sie auch genießen und benutzen.
Wir dürfen Tiere töten, um sie zu essen, dürfen säen und ernten.
Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass sie keine Waren sind,
sondern Geschöpfe, wie auch wir Geschöpfe sind.
Gott hat sie uns anvertraut
und vertraut darauf, dass wir sie bewahren vor Qualen, Verschwendung,
Misshandlung und Zerstörung.
Aber Gott scheint weit weg zu sein,
wie ein Hausherr, der außer Landes reiste und so bald nicht wiederkommt.
Was werden seine Angestellten tun?
Werden sie sich an den Auftrag des Hausherren halten, seinen Besitz zu bewahren?
Wenn er lange nichts von sich hören lässt,
fangen die ersten an, auf eigene Rechnung zu arbeiten.
Bald wird der Besitz aufgeteilt. Jeder macht sich selbst zum Herrn.
Die Menschen früherer Zeiten hatten Angst vor Gottes Zorn und Gericht.
Aus dieser Angst heraus scheuten sich viele, Gottes Gebot zu übertreten.
Aber es gibt immer einen Mutigen, der es wagt, die Linie zu überschreiten.
Als man sah, dass ihm nichts passierte, trauten sich auch die anderen.
Heute fürchten wir nichts mehr;
es gibt keine Grenze mehr, die wir noch respektieren.
Es ist gut, dass wir keine Angst mehr vor einem zornigen und strafenden Gott haben müssen.
Mit dieser Angst wurden über Jahrhunderte Menschen klein gehalten,
während die, die ihnen diese Angst einredeten,
fröhlich ein Gebot nach dem anderen übertraten.
Wir sehen heute fassungslos auf die Missbrauchsskandale in den Kirchen,
in denen genau diese Haltung zutage tritt.
Aber wie können wir die Schöpfung bewahren,
wenn man keine Angst mehr vor Gottes Zorn haben muss?
Wenn die, die sie zur Ware machen, keine Konsequenzen befürchten müssen?
Wer hält sich schon freiwillig an die Gebote, wenn es ohne viel besser geht?
Der Glaube, den Jesus verkörperte, setzt nicht auf Macht und Gewalt,
er setzt auf die Liebe.
Liebe kann man nicht erzwingen.
Liebe kann man nicht befehlen.
Liebe ist die ohnmächtigste Macht von allen.
Und doch entfaltet sie eine unglaubliche Energie in denen, die sie ergreift.
Wir werden die Schöpfung bewahren, wenn wir von der Liebe ergriffen werden.
Von der Liebe zu unseren Mitgeschöpfen, den Pflanzen und Tieren.
Von der Liebe zur Natur, zu klarem Wasser, sauberer Luft,
einem weiten Horizont ohne Mauern und Zäune.
Und von der Liebe zu unseren Mitmenschen,
von denen jede und jeder ein Ebenbild unsres Schöpfers ist.
Wer die Schöpfung lieben lernt, dem offenbart sie ihre Schönheit.
So erkennen wir, dass jedes Geschöpf schön ist, und darum liebenswert.
So weckt umgekehrt die Schönheit dieser Welt und ihrer Geschöpfe die Liebe in uns,
und damit den Willen, sie zu bewahren.
Dabei helfen uns das Wort Gottes und das Gebet.
Das Wort Gottes, weil es uns an unseren Auftrag und Gottes Gebote erinnert.
Das Gebet, weil es uns immer wieder vom Götzen Mammon wegführt,
zurück zu Gott, dessen Geschöpfe wir sind.
Als Gottes Geschöpfe sind wir frei.
Frei davon, zur Ware zu werden,
und befreit davon, andere zu Waren zu machen.
In dieser Freiheit der Kinder Gottes lasst uns leben
und sie auch unseren Mitgeschöpfen bringen,
der ganzen schönen, weiten Welt.
Amen.