Samstag, 24. November 2018

mutabor

Predigt am Ewigkeitssonntag, 25.11.2018, über Jesaja 65,17-25

„Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen,
dass man der vorigen nicht mehr gedenken
und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.”

Liebe Schwestern und Brüder,

wozu braucht es eine neue Erde?
Ist die, auf die wir leben, nicht gut genug?
Und gibt es nicht Momente, an denen man sagt:
Wie wunderbar ist diese Welt!

Heute, wo wir uns an die schmerzhaften Abschiede des zurückliegenden Jahres erinnern,
fällt es schwer, das Schöne im Leben, das Wunderbare dieser Welt zu erkennen.
Manche*r fragt sich, ob es überhaupt wieder so schön werden kann, wie es einmal war.

Das Schöne, das wir miteinander erlebt haben; das gemeinsame Staunen über das Wunder, das unsere Erde ist, verband uns mit denen, die wir jetzt vermissen.
Das Staunen und das Schöne erlebte man wohl am intensivsten während gemeinsamer Urlaubsreisen.
Darum denken so viele beim Abschied gerade daran zurück.

Im Urlaub, da erlebt man besonders, wie schön die Welt sein kann.
Da wünscht man sich keine andere, keine bessere Welt.


I. Die Welt kann so schön sein.
Trotzdem spricht Jesaja von einem neuen Himmel und einer neuen Erde.
Wenn die Welt neu werden muss, kann an der Welt, wie sie ist, etwas nicht stimmen.
In dem, was Jesaja von der neuen Welt erwartet, kommt zum Ausdruck, was an unserer Welt nicht richtig ist.

Da sind zunächst Trauer und Leid.
Für uns heute ist es die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen.
Jemand anders trauert darüber, dass ihm die Liebe abhanden kam, oder der Glaube.
Eine Krankheit kann in tiefe Trauer stürzen.
Der Verlust einer Fähigkeit:
Etwas, was man vorher noch konnte, kann man plötzlich nicht mehr.
Durch einen Unfall, durch eine Krankheit, durch das Alter ging diese Fähigkeit und damit ein Stück Selbständigkeit verloren.

Jesaja erwartet auch, was sich wohl jede*r wünscht:
Dass der Tod nicht mehr wie ein Verhängnis über uns kommt.
Dass keine Kinder mehr sterben müssen, die das Leben noch gar nicht kennen lernen konnten.
Dass der Tod einen Menschen nicht mitten aus dem Leben reißt.
Und dass auch ältere Menschen ihr Leben auskosten dürfen, solange es ihnen Spaß macht und sie Pläne und Hoffnungen haben.
Ein Traum wäre es, wenn man so lange leben dürfte, bis man den Tod nicht mehr fürchtet, sondern wie einen guten Freund begrüßt.

Jesaja träumt schließlich von einem Ende der Entfremdung der Arbeit:
Nicht für jemand anders arbeiten zu müssen, der sich mit den Früchten meiner Arbeit schmückt, sie in seinem Namen verkauft.
Keine Arbeit verrichten zu müssen, die eintönig ist.
Sondern dass die eigene Arbeit auch einem selbst zugute kommt.
Vielleicht träumen deshalb so viele vom eigenen Haus, dem eigenen Garten:
Was ich da arbeite, kommt mir selbst und meiner Familie zugute.


II. Die Sehnsüchte und Träume Jesajas kann man verstehen.
Es sind auch unsere Sehnsüchte und Träume.
Aber warum sollte man zu ihrer Erfüllung auf eine neue Erde warten?
Sie lassen sich doch auf unserer Erde, sie lassen sich doch hier und jetzt verwirklichen!
Wir sind schon längst dabei, unsere Welt besser zu machen.
Im Bereich der Lebenserwartung wurde viel erreicht:
In unserem Land ist die Kindersterblichkeit sehr gering, und die Lebenserwartung enorm gestiegen.

Aber aller Fortschritt kann nicht verhindern, dass Menschen sterben müssen.
Und er kann auch nicht verhindern, dass Menschen einander Leid zufügen.
Er verhindert nicht, dass man zuerst an sich denkt und sich selten über die Folgen seines Tuns Gedanken macht.

Immer wieder gab es Menschen, die das, was von unserer Seite aus das Leben beschwerlich oder leidvoll macht, ändern wollten.
Sie wollten den Menschen umerziehen, wollten ihn besser machen mit sanfter oder brutaler Gewalt.
Nie ist es gelungen.
Diese Versuche brachten schreckliches Leid - aber keine Veränderung zum Besseren.

In unserer Welt, so schön, wie sie ist, steckt der Wurm drin.
Und dieser Wurm, das sind wir.
Wir richten unsere schöne Welt zugrunde,  wie man am Klimawandel und am Insektensterben sehen kann.
Und gleichzeitig werden wir von unserer Welt zugrunde gerichtet, weil wir den in ihr geltenden Gesetzen unterworfen sind.
Zu diesen Naturgesetzen gehört, dass alles Leben endlich ist und dass niemand voraussehen kann, wann dieses Ende kommt.


III. Unsere Welt, in der wir leben, und wir selbst sind nicht zu ändern.
Jedenfalls nicht so, dass dadurch etwas grundsätzlich anders wird.
Darum muss es ein neuer Himmel und eine neue Erde sein.
Aber wie soll das gehen?
Und was nützt es uns?
Denn soviel ist doch klar: Der neue Himmel und die neue Erde, die Jesaja kommen sieht, die kommen erst nach unserem Tod.
Sie erwarten unsere Gestorbenen.
Sie sind dorthin unterwegs.
Und wir werden eines Tages wieder mit ihnen vereint sein unter einem neuen Himmel, auf einer neuen Erde.
Bis dahin kann man nichts tun - außer zu warten und auszuhalten, dass die Welt so ist, wie sie ist.
Und die schönen, glücklichen, wunderbaren Momente in ihr zu genießen, die so schnell wieder vorüber sind.

Es ist wahr:
Den neuen Himmel, die neue Erde können wir nicht herstellen.
Das kann nur Gott.
Alle neuen Welten und tausendjährigen Reiche, die Menschen erschaffen wollten, wurden zu einem Alptraum - zunächst für die, die nicht dabei sein durften, und am Ende für alle.
Eine neue Welt ohne Leid und Schmerz kann nur Gott schaffen.
Auf diese neue Welt warten wir.
Aber sie kommt nicht erst am Ende der Zeiten, beim Jüngsten Gericht.
Gott erschafft diese neue Welt bereits - wenn wir ihn machen lassen.

Wenn wir Gott machen lassen, kann er uns verwandeln.
Und das wird die Welt verwandeln.
Denn jede Veränderung beginnt bei mir selbst.
Aus den schönen, neuen Welten, die Menschen sich erdachten und erträumten, wurde auch deshalb nichts, weil immer andere sich dafür ändern sollten, aber nie die, die sie sich ausdachten.

Wenn die Welt sich wandeln soll, müssen zuerst wir anders werden.
Aus eigener Kraft, durch eigenen Willen können wir das nicht.
Aber Gott kann uns verändern.
Gott kann uns menschlich machen.
Wenn wir menschlich werden, weicht das Unmenschliche zurück.
Mit unserer Menschlichkeit berühren wir andere, stecken sie mit unserem Vorbild an:
so verwandelt sich die Welt.


IV. Heute stehen wir noch einmal an den Gräbern der Menschen, die wir liebten.
Wir denken zurück und staunen, wie sehr wir uns durch sie verändert haben - wie sehr wir uns ihretwegen verändert haben.
Unsere Verstorbenen haben uns verändert.
Nicht immer nur zum Besseren. Nicht alles war gut.
Nicht jede Veränderung, zu der sie uns bewegten oder die wir ihnen zuliebe an uns vornahmen, tat uns gut.
Aber wenn wir sie geliebt haben, dann haben wir viel von ihnen bekommen.
Und wenn sie uns geliebt haben, dann hat uns das verwandelt, uns zu anderen, vielleicht besseren Menschen gemacht.

Die Liebe verwandelt Menschen.
Macht sie menschlicher, einfühlsamer, fähig zu Mitleid und Vergebung.
Gott liebt uns über alles.
Deshalb kann seine Liebe uns verwandeln, uns zu anderen, vielleicht besseren Menschen machen.
Und wenn wir Gott lieben - weil wir glauben, dass Gott uns über alles liebt und erkennen, wie gern er uns hat - bekommen wir etwas von Gott.
Wir bekommen so viel, dass wir nichts weiter brauchen.
So viel, dass wir überfließen von Freundlichkeit und Mitgefühl.
Davon werden andere berührt, davon werden sie angesteckt.
So verwandelt Gott die Welt: indem er uns verwandelt.


V. Diese Verwandlung geschieht jetzt, geschieht heute und hier.
Gottes Welt ist im Werden.
Sie beginnt, wo Menschen von Gottes Liebe ergriffen werden.
Und wo sie beginnen, Gott zu lieben.
Weil sie erkannt haben, dass sie Gott alles verdanken.

Wir stehen bereits an der Schwelle zu dieser neuen Welt Gottes.
Unsere Verstorbenen stehen auf der anderen Seite, wir können uns beinahe die Hand reichen.
Das Leben in dieser Welt trennt uns von ihnen.
Und die Liebe verbindet uns.
Die Liebe schlägt die Brücke hinüber und herüber.
Bis wir eines Tages miteinander erwachen unter einem neuen Himmel, auf einer neuen Erde.
Amen.