Mittwoch, 14. November 2018

Pie in the Sky

Predigt am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, 18.11.2018, über Offenbarung 2,8-11:

Dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe:
Das sagt der Erste und der Letzte,
der tot war und lebendig wurde:
Ich weiß von deiner Bedrängnis und Armut -
und doch bist du reich -
und von der üblen Nachrede derer,
die behaupten, Juden zu sein.
Aber sie sind es nicht,
sondern eine Satansgemeinde.

Habe keine Angst vor dem, was du erleiden wirst.
Es wird ja der Teufel einige von euch ins Gefängnis werfen,
damit ihr zehn Tage lang geprüft werdet und Bedrängnis erleidet.
Sei treu bis zum Tod,
und ich werde dir die Krone des Lebens geben.

Wer hören kann, höre, was der Geist den Gemeinden sagt.
Wer [das alles] aushält,
dem kann der zweite Tod nichts mehr anhaben.


Satansgemeinde!
Teufel!

Liebe Schwestern und Brüder,

wie kommt man dazu, jemanden zu verteufeln?
Was ist geschehen, dass man jemanden bezichtigt,
mit der Dunklen Seite, mit dem Bösen selbst im Bunde zu sein? (=> I.)

Sind Gerüchte ein hinreichender Grund dafür?
Dass jemand nicht das glauben will, was man selbst glaubt?
Offenbar. (=> II.)

Für eine erbitterte Feindschaft genügt oft weniger als das.
Aber steht es Christen zu,
so über andere zu urteilen und zu sprechen? (=> III.)

Kann man sich eine Notlage, eine Entscheidungssituation vorstellen,
in der es nur noch Gut oder Böse gibt, richtig oder falsch,
so dass man die Gegenseite geradezu verteufeln
und mit allen Mitteln bekämpfen muss? (=> IV.)


I. Der Seher Johannes schreibt den Brief an die Gemeinde in Smyrna
in einer für die Christen lebensbedrohlichen Situation:
Sie werden von den römischen Behörden verfolgt.
Christen sind in den Augen der Behörden anders als die Religionen, die man kennt.

Anders auch als die Juden, von denen sie sich offensichtlich abgespaltet hatten.
Die jüdische Gemeinde will jedenfalls nichts mit ihnen zu tun haben.
Sie distanziert sich öffentlich von den Christen
und verweigert ihnen die Nutzung ihrer Synagoge.

Christen verhalten sich auffällig
und machen sich damit selbst zu Außenseitern:
Sie verweigern Kaiserkult und Kriegsdienst
und nehmen nicht an den staatlichen Feiertagen teil.
Damit geben sie ideale Sündenböcke ab.
Wenn der Volkszorn hochkocht,
verhaftet man schnell ein paar Christen.
Man tötet sie oder, besser noch,
lässt sie im Zirkus von den Bestien zerfleischen.
Dann hat man die Volksseele für eine Weile beschwichtigt.

Der Feind der Christen sind der römische Staat und die Behörden,
die ihre Verfolgung anordnen und organisieren.
Der Staat wird in diesem Brief an die Gemeinde in Smyrna aber nicht benannt.
Es ist nur allgemein von „Bedrängnis” die Rede.
Der Teufel ist es, der die Christen ins Gefängnis wirft.
Dass mit dem Teufel der römische Staat gemeint ist,
lesen die Briefempfänger zwischen den Zeilen.
Offenbar traute man sich selbst in Briefen nicht,
die Dinge beim Namen zu nennen.

Statt dessen wird in diesem Brief die jüdische Gemeinde bezichtigt.
Neben den Teufel, den römischen Staat,
stellt der Brief die „Gemeinde des Satans”,
die jüdische Gemeinde in Smyrna.
Sie wird zu dem verteufelten Staat in Beziehung gesetzt
und damit selbst verteufelt.


II. Eine kleine Gruppe von Christen in einer verzweifelten Lage.
Mit der jüdischen Gemeinde, zu der sie einmal gehörten, haben sie sich zerstritten.
Dort finden sie keine Heimat, keinen Unterschlupf mehr.
Im Gegenteil: Wo sie kann, distanziert sich die jüdische Gemeinde von den Christen.
Denn es steht für sie viel auf dem Spiel.
Sie ist selbst nur geduldet und wird argwöhnisch beobachtet.
Die verfolgten Christen sind ehemalige Gemeindeglieder.
Da besteht die Gefahr, dass die Behörden Christen und Juden in einen Topf werfen.

Johannes kann oder will das Dilemma der jüdischen Gemeinde nicht sehen.
Er sieht nur die gefährliche Situation, in der die christliche Gemeinde sich befindet.
In ihrer Notlage macht er ihr Mut,
dass die Verfolgung nicht grenzenlos sein, sondern ein Ende haben wird.
Zehn Tage im Gefängnis können einem wie eine Ewigkeit vorkommen -
zumal, wenn es ein römisches ist.
Aber es ist absehbar, dass diese Zeit der Prüfung und Bedrängnis auch wieder vorübergeht.
Und selbst, wenn es in Smyrna dazu kommen sollte, dass Christen ermordet werden,
haben sie die Hoffnung auf das ewige Leben.

Hier stoßen wir auf ein Versprechen,
das sich wie ein blutig roter Faden durch die Geschichte zieht.
Auch im Mittelalter wurden die Bauern, die man bis aufs Blut auspresste,
auf den Himmel vertröstet.
Den afrikanischen Sklaven in Noramerika erzählte man vom „Pie in the Sky”,
dass es im Himmel Torte zu essen gäbe.
Und den Selbstmordattentätern von heute verspricht man ein Paradies,
in dem sich ihre erotischen Träume erfüllen werden.

Auf diese Weise zieht man den Himmel in den Dreck,
macht man die Hoffnung auf das ewige Leben zu einem schlechten Witz,
über den niemand mehr lachen kann.
Denn es ist ja offensichtlich, dass man den Menschen, denen man den Himmel verspricht,
für ihr Leben jetzt und hier nichts zu bieten hat -
nichts bieten kann oder nichts bieten will.
Darum verspricht man ihnen das Blaue vom Himmel,
das kostet ja nichts.

Andere zahlen dafür den Preis.
Denn um so verzweifelt an den Himmel glauben,
sein Leben so wegwerfen zu können,
braucht es einen sehr starken Antrieb: den Hass.
Den Hass auf einen Feind, der es wert ist, vernichtet zu werden.
Oder, wenn man ihn nicht vernichten kann,
soll er wenigstens ausgeschlossen sein vom Paradies, das einen erwartet.

Dieser Feind ist für Johannes nicht der römische Staat,
denn der ist zu mächtig, und außerdem interessiert ihn der Himmel der Christen nicht.
Dieser Feind ist die jüdische Gemeinde.


III. In allen Epochen der Geschichte kann man beobachten:
Hand in Hand mit dem falschen Versprechen eines besseren Lebens
in einer unerreichbaren Zukunft
geht die Verteufelung einer Gruppe von Menschen, die anders sind
und die man wegen ihres Andersseins zu Feinden stilisiert.
Und immer wieder trifft es dabei Menschen jüdischen Glaubens.
Im Himmel, den die Demagogen aller Zeiten so detailliert ausmalen können,
scheint kein Platz zu sein für das Volk Gottes.

Damit verrät sich das leere Versprechen eines besseren Lebens im Jenseits
als gottlose Ideologie.
Denn ein Himmel, der für das Volk Gottes keinen Platz hat,
der hat auch für Gott keinen Platz.
Und der hat, wenn man ehrlich ist, auch keinen Platz
für all die armen Schlucker, denen er versprochen wird.
Denn die, die solche Versprechungen machen,
genießen schon jetzt ihren Himmel auf Erden.

Jesus, der den Himmel auf die Erde holte
und sagte: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch” (Lukas 17,21),
dem hatten es besonders die armen Schlucker angetan.
Das waren nicht nur die finanziell Armen.
Zu den armen Schluckern gehörten auch die reichen Zöllner.
Es waren die geistlich Armen.
Es waren die aus der Gemeinde Verstoßenen -
wie auch die ersten Christen aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen worden waren.
Es waren die gesellschaftlich Geächteten,
mit denen man nicht verkehrte - außer gegen Bezahlung -,
von denen sich viele zur christlichen Gemeinde hielten.
Jesus gab mit seiner Hinwendung zu den Schwachen und an den Rand Gedrängten ein Beispiel.
Die Solidarität mit den Schwachen
und die Solidarität mit dem Volk Israel aufzukündigen -
das wäre Jesus niemals eingefallen.

Wie kann dann Johannes -
in dem die Tradition den Lieblingsjünger sieht, der an Jesu Brust gelegen hat -
etwas schreiben, das dem Willen Jesu derart widerspricht?

Johannes sieht die Christen in einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod,
er sieht sie in einem Krieg, in dem es nur Freund oder Feind gibt.
Und im Krieg, so scheint es, sind alle Mittel recht.
„Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich” (Matthäus 12,30) -
hatte nicht Jesus selbst das gesagt?
Aber er bezog es auf seine Person.
Johannes verlegt die Entscheidung auf die Ebene der Gemeinde:
Wer gegen die Gemeinde ist, der ist auch gegen Jesus.
Und wer gegen Jesus ist, der ist ein Teufel.


IV. Wir Christen befinden uns aber nicht im Krieg.
Im Namen des Christentums,
im Namen des Glaubens sind unzählige Kriege geführt worden,
bis hinein in unsere Gegenwart.
Das Leid, das dabei im Namen Gottes angerichtet wurde,
lässt sich nicht bemessen und nie wieder gut machen.
Das Christentum, die christliche Kirche steht tief in der Schuld fast aller Völker dieser Erde.

Jesus war der Gewalt gegenüber grundsätzlich misstrauisch:
„Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen” (Matthäus 26,52), sagte er.
Der Auftrag der Christen ist es nicht,
sich gegen einen Gegner mit Gewalt durchzusetzen
oder den Glauben gegen angebliche Feinde mit Feuer und Schwert zu verteidigen.

Das Christentum hätte die Verfolgungen seiner Frühzeit fast nicht überlebt.
So viele Christen wurden wegen ihres Glaubens gefoltert und getötet.
So viele Christen widerstanden den Anfeindungen, den Repressalien,
dem Zwang, ihren Glauben zu verraten.
Sie wurden Märtyrer, zu deutsch: Zeugen eines Glaubens,
der nicht zum Schwert greift,
der nicht Gewalt mit Gewalt beantwortet,
sondern mit Liebe und Gebet.

Das Christentum überlebte, weil Christinnen und Christen an den Worten Jesu festhielten:
Sie übten sich in Toleranz.
Sie machten, zumindest am Anfang,
keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen in den Gemeinden.
Sie luden die ein, die am Rand standen.
Damit verkörperten sie für viele eine bessere Alternative zum Bestehenden.
Was das Christentum anziehend machte,
war nicht die Aussicht auf den Himmel,
sondern auf ein besseres Leben im Hier und Jetzt.
Wobei „besser” nicht den Wohlstand meint,
den wir heute unter einem „besseren Leben” verstehen.
Sondern ein Ende von Gewalt und Unterdrückung.
Ein Ende der Versklavung von Menschen,
ein Ende der Unterscheidung von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht.

Das alles bot die christliche Gemeinde damals,
und das bietet sie heute auch.
So verkörpert sie bis heute eine Altarnative zum Bestehenden.
Denn immer gibt es Gruppen,
die sich zusammentun, um ihre Interessen zu „verteidigen”.
Die sich also in einem Krieg wähnen,
die einen Krieg anzetteln gegen jene,
die ihre Interessen zu gefährden scheinen.

In diesem Krieg der Interessen sollte der Platz der Christen auf Seiten der Opfer sein.
An der Seite derer, die zu schwach sind und sich nicht selbst verteidigen können.
Sie sollten als Märtyrer, als Zeugen, den Opfern zu Seite stehen.
Christen sollten diesen Platz ohne Waffen einnehmen.
Ohne die Mittel und den Willen, sich selbst zu verteidigen oder zu wehren.
Denn man kann den Krieg nur beenden,
wenn man das Kämpfen aufgibt und das Schwert fallen lässt.


V. Wer schwach ist, wer anders ist, wer Außenseiter ist, wird verfolgt.
Solange Christen Außenseiter waren, wurden sie verfolgt.
Und wann immer Christen Positionen von Außenseitern vertreten,
sich an die Seite von Außenseitern stellen, werden sie verfolgt.

Als das Christentum Staatsreligion wurde,
vergaßen die Christen, wo ihr Platz war.
Sie waren jetzt die Herren, die mit der Macht der Mehrheit
Minderheiten verfolgten und bekämpften.

Heute, wo wir als Christen nicht mehr die fraglose Mehrheit der Gesellschaft sind,
haben wir die Chance, uns auf unseren Platz in der Gesellschaft zu besinnen.
Und den Platz einzunehmen, den Jesus für uns vorgesehen hat:
Nicht am Haupt der Tafel, nicht in der vordersten Reihe,
sondern bei den Hinterbänklern, den armen Schluckern
und draußen bei denen, die gar nicht erst eingeladen wurden.

Außerdem ist unser Platz immer und zu allen Zeiten
an der Seite unserer jüdischen Geschwister.
Denn in das Reich Gottes, auf das wir warten,
werden wir nur mit ihnen gemeinsam gelangen -
oder gar nicht.

Amen.