Samstag, 26. Januar 2019

HaSchem - der Name

Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 27. Januar 2019, über Exodus 3,1-15:

Als Mose die Schafe seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian, hütete, trieb er sie einmal über die Steppe hinaus und gelangte zum Berg Gottes, dem Horeb.
Da erschien ihm ein Bote Gottes in einer Feuerflamme mitten in einem Brombeerstrauch. Mose blickte hin: Der Brombeerstrauch brannte im Feuer, aber er verbrannte nicht. Er dachte sich:
- Ich will hingehen und dieses großartige Spektakel ansehen, warum der Brombeerstrauch nicht verbrennt.
Gott sah, dass er vom Weg abbog, um zu schauen, und rief ihn mitten aus dem Brombeerstrauch:
- Mose, Mose!
- Ja?
- Komm nicht näher! Streife deine Sandalen von deinen Füßen! Denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden. Ich bin der Gott deines Vaters: Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.
Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott zu sehen.
Gott sprach:
- Das Leiden meines Volkes in Ägypten habe ich wahrgenommen. Ihre Klage über ihre Fronvögte habe ich gehört. Ich kenne ihre Qualen. Darum bin ich herabgekommen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und sie heraufzuführen aus diesem Land in ein gutes und weites Land, ins Land, in dem Milch und Honig fließen, in das Gebiet des Kanaaniters, Hetiters, Amoriters, Perisiters, Hiwwiters und Jebusiters. Jetzt hat mich die Klage der Kinder Israels erreicht. Auch habe ich die Bedrückung gesehen, mit der Ägypten sie quält. Nun geh, ich sende dich zum Pharao. Du sollst mein Volk, die Kinder Israels, aus Ägypten herausbringen.
Mose sprach zu Gott:
- Wer bin ich, dass ich vor den Pharao treten könnte? Und wie soll ich die Kinder Israels aus Ägypten herausbringen?
- Weil ich dir helfen werde. Und das soll das Zeichen für dich sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgebracht hast, werdet ihr Gott auf diesem Berg dienen.
Mose sprach zu Gott:
- Angenommen, ich gehe zu den Kindern Israels und sage ihnen: Der Gott eurer Väter schickt mich zu euch, dann werden sie mich doch fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen antworten?
Gott antwortete Mose:
- Ich werde da sein, wie ich da sein werde. So sollst du den Kindern Israels antworten: „Ich werde da sein“ hat mich zu euch gesandt.
Weiter sprach er:
- Das sollst du den Kindern Israels sagen: Gott, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für alle Zeit; damit sollt ihr mich nennen von Generation zu Generation.


Liebe Schwestern und Brüder,

wie heißt du?
Diese Frage steht am Beginn einer Beziehung - einer Bekanntschaft, einer Freundschaft oder einer Liebesbeziehung.
Wie heißt du?
Der Name an sich sagt nichts über einen Menschen aus. Ob einer Hinz oder Kunz heißt, spielt keine Rolle. Manche Namen klingen eigenartig oder lustig, andere prägen ihrem Träger einen Stempel auf. Aber letztlich sind Namen, wie das Sprichwort sagt, nichts als Schall und Rauch. Sie sind es solange, wie keine Beziehung zum Träger des Namens besteht. Sobald man aber jemanden näher kennen gelernt hat, bedeutet sein oder ihr Name etwas. Dann ist er das genaue Gegenteil von Schall und Rauch: Im Namen hat man, wie in einem Kern, den ganzen Menschen. In der Gemeinde, unter Freunden, in der Familie genügt es, den Namen zu nennen, damit der ganze Mensch vor Augen steht mit seinem Äußeren und Inneren, seinen Stärken und Schwächen, seiner Geschichte und Gegenwart. Je näher man sich ist, desto größer die Welt, die sich beim Nennen des Namens eröffnet.

I. Die Frage nach dem Namen ist also ein erster Versuch zu einer Beziehung. Noch kennt man einander nicht. Aber um sich kennen zu lernen, muss man den Namen kennen. Er ist der Behälter, in dem alle Erfahrungen mit dem anderen Menschen abgelegt und aufbewahrt werden. Deshalb steht uns unsere Geschichte mit dem anderen Menschen sofort vor Augen, sobald sein Name genannt wird. Sogar dann, wenn dieser Mensch nicht mehr lebt. Der Name ist eine Zeitkapsel, in der unsere gemeinsame Beziehung eingeschlossen ist. Dadurch bleibt sie lebendig. Solange einer von uns lebt, besteht auch die Beziehung weiter.

Mose erwartet, dass die Kinder Israels den Namen Gottes wissen wollen. Er erwartet also, dass sie eine Beziehung zu Gott eingehen wollen. Gott steht bereits in einer Beziehung mit den Kindern Israels: Er nimmt Anteil an ihrem Leben und Leiden, lässt sich von ihrem Schicksal anrühren und will ihnen helfen.
Und Gott steht in einer Beziehung zu Mose: Er macht ihn zu seinem Botschafter, den er zum Pharao schicken, und zu seinem Anführer, mit dem er die Kinder Israels aus Ägypten herausführen will.

In welcher Beziehung Mose zu Gott steht - wie gut, wie lange er ihn kennt, ob er ihm am Horeb zum ersten Mal begegnet oder schon lange mit ihm verkehrt - spielt dabei keine Rolle. Man darf vermuten, dass es auf Moses Seite zumindest ein Vorwissen gibt - sein Schwiegervater Jitro ist Priester, und er hält sich bestimmt nicht zufällig in der Nähe des Gottesberges auf. Aber das spielt letztlich keine Rolle. Gott beginnt die Beziehung in diesem Moment.
Bei uns ist das anders: Wir müssen einander erst einmal kennen lernen. Es dauert einige Zeit, bis man einander traut; bis aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft entsteht; bis man einander etwas von sich, von seinem Leben anvertraut.
Bei Gott ist die Beziehung sofort voll da. Er benötigt keine Bedenkzeit, kein Kennenlernen, keinen Beweis der Vertrauenswürdigkeit. Er vertraut den Menschen, zu denen er sich in Beziehung setzt, und sie können sich auf ihn verlassen: „Ich werde dir helfen“.

II. Darum ist sein Name auch „Ich werde da sein“.
Natürlich ist das kein Nomen, kein Name, sondern ein Verb, ein Tuwort. Gott sagt, wer er ist, indem er sagt, was er tut. Er hat keinen Namen, weil er keinen braucht. Denn die Beziehung zu Gott geht nicht von uns aus, sondern nur von Gott. Nicht wir sind es, die wir uns Gott aussuchen und in eine Beziehung zu ihm treten. Gott setzt sich zu uns in Beziehung. Darum haben wir einen Namen, mit dem wir ansprechbar sind, der uns unverwechselbar macht und zur Zeitkapsel auch unserer Geschichte mit Gott wird. Und Gott hat keinen - außer „Gott“. Aber das ist kein Name, sondern ein Gattungsbegriff wie „Mensch“, „Tier“, „Pflanze“.
Trotzdem ist es nicht irgendein Gott, den wir anreden. Es ist nur einer, ein ganz bestimmter. Heute, wo sich - zumindest in unseren Breiten - der Monotheismus, der Glaube an einen einzigen Gott, durchgesetzt hat, käme man nicht auf den Gedanken, dass „Gott“ ein Gattungsbegriff ist, dass es also mehr als einen Gott geben könnte. In der Antike war er das. Da war es notwendig, zwischen verschiedenen Göttinnen und Göttern zu unterscheiden. Deshalb hatten sie Namen - Zeus, Athene, Poseidon, oder Jupiter, Minverva, Neptun.

III. Der Gott Israels aber hat keinen Namen. Er identifiziert sich durch die Beziehung: „Ich bin der Gott deines Vaters: Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“. Gott wird erkennbar und unterscheidbar von anderen Göttern dadurch, dass er eine Geschichte hat - dass Menschen mit ihm eine Geschichte haben. Nun muss man allerdings sagen: Diese Geschichte Gottes mit seinen Menschen ist nicht unsere Geschichte. Unsere Vorfahren hießen nicht Abraham, Isaak und Jakob. Sie gehörten nicht zu denen, die von Gott aus der Knechtschaft in Ägypten befreit wurden. Wie aber kann dann der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs unser Gott sein?

„Ich werde da sein, wie ich da sein werde“: Gott stellt sich vor als der, der für die Menschen da ist. Zuerst für sein Volk, die Kinder Israels. Die Menschen jüdischen Glaubens, die Söhne und Töchter Israels, sind und bleiben für alle Zeit Gottes Volk, das er sich aus allen Völkern erwählt hat. Wären sie es nicht, könnten wir niemals zu Gott in Beziehung treten. Denn, wie gesagt, nicht wir erwählen uns Gott zum Freund, sondern Gott erwählt uns, wie er einst Abraham, Isaak und Jakob erwählte.

IV. Von dieser Erwählung erzählt die Bibel. Sie erzählt die Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Indem wir diese Geschichte hören oder sie lesen, werden wir ein Teil der Geschichte. Gott redet uns aus der Geschichte heraus an, wie er Mose anredete im brennenden Brombeerstrauch. Gott sucht die Beziehung zu uns, will unsere Freundschaft, will für uns da sein. Gott ruft uns bei unserem Namen, wie er Mose rief. Die Bibel ist sozusagen unser brennender Busch. Überall, wo wir sie aufschlagen, ist heiliger Boden. Immer, wenn wir sie aufschlagen, ruft Gott uns beim Namen.

Weil Gott die Beziehung zu uns sucht und begründet, gehören wir zu ihm als seine Töchter und Söhne. Wir haben uns Gott nicht ausgesucht - das können wir nicht. Und wir können nicht die verdrängen, die Gott schon erwählt hat, wie ein Kuckuck seine Geschwister aus dem Nest wirft. Gottes Volk umfasst alle, die Gott beruft: Die, die er am Anfang erwählt hat, und die, zu denen er heute in Beziehung tritt. Darum darf man auch niemandem den Glauben absprechen, oder die Zugehörigkeit zu Gott und seiner Gemeinde. Gott allein entscheidet, wer zu ihm gehört. Im Zweifel ist sein Herz immer noch größer und weiter, als unseres es ist.

V. Gott hat keinen Namen. Den braucht er nicht. Solange wir den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs anrufen, wird er uns hören. Wenn wir aber Gott von seiner Geschichte und seinem Volk trennen, verlieren wir ihn. Dann haben wir nur noch einen Götzen, einen Pappkameraden, der uns nicht helfen und nicht für uns da sein kann. Weil er nicht lebendig ist, sondern ein Kunstprodukt, das wir uns selbst gebastelt haben.
Der lebendige Gott: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs - der auch der Gott Saras, Rebekkas, Leas und Rahels ist - wird sich immer wieder als der Gott erweisen, der für uns da ist. Der mit uns mitgeht und uns bei unserem Namen ruft - heute, morgen und in der zukünftigen Welt.