Samstag, 2. Februar 2019

Der Herr ist da!

Predigt am 5. Sonntag der Passionszeit, 3. Februar 2019, über 1.Korinther 1,4-9:

Ich danke meinem Gott immerzu für euch
wegen der Gnade Gottes, die euch durch den Messias Jesus gegeben wurde.
Denn durch ihn werdet ihr in jeder Beziehung reich gemacht in jeder Lehre und Erkenntnis.
Da die Predigt von Christus durch euer Tun bestätigt wurde,
mangelt es euch an keiner Gabe des Glaubens,
während ihr darauf wartet, dass der Herr offenbart wird.
Er wird euch stärken bis zum Ziel,
damit ihr am Tag unseres Herrn Jesus Christus unbescholten seid.
Auf Gott ist Verlass.
Durch ihn seid ihr berufen in die Gemeinschaft seines Sohnes,
unseres Herrn Jesus Christus.


Liebe Schwestern und Brüder,

am Beginn jeder Tätigkeit steht das Ziel.
Bevor man anfängt, etwas zu tun,
stellt man sich das Ergebnis vor, das man damit erreichen will.
Wer z.B. einen Tisch bauen will,
stellt sich den fertigen Tisch vor.
Ehe man das erste Stück Holz zuschneidet,
weiß man schon, wie lang, wie breit, wie hoch der Tisch werden
und wie er einmal aussehen soll.
Ohne diese klare Vorstellung des Ergebnisses der Arbeit
kann man sich nicht ans Werk machen.

Auch am Beginn des Glaubens steht ein Ziel, auf das hin man glaubt.
Das Ziel des Glaubens ist nicht der Tod,
mit dem der Glaube aufhört und man hinübergeht in das ewige Leben,
wo aus dem Glauben ein Schauen wird.
Das Ziel des Glaubens ist die Wiederkunft Christi,
das Reich Gottes, das einmal kommen soll
und das jetzt schon unter uns beginnt.

I. Der Glaube hat ein Ziel, die Wiederkunft Christi.
Zu Paulus‘ Zeiten meinte man, Christi Wiederkunft stünde unmittelbar bevor.
Auch die Gleichnisse, die Jesus erzählt, erwecken diesen Eindruck:
das Gleichnis von den Talenten z.B.,
in dem der Chef ins Ausland fährt
und seinen Angestellten unterschiedlich große Kapitalbeträge zurücklässt,
mit denen sie wirtschaften sollen, bis er zurückkehrt, um mit ihnen abzurechnen.
Oder das Gleichnis von den sieben klugen und den sieben törichten Jungfrauen,
die auf das Kommen des Bräutigams warten, der lange ausbleibt
und dann doch noch kommt, überraschend, zu später Stunde.

Der Glaube ist demnach nur so lange nötig, bis Jesus wieder da ist.
Wenn er da ist, braucht man ihn nicht mehr,
weil man Jesus leibhaftig sieht und darum nicht mehr an ihn glauben muss.
Glauben ist demnach eine Art Notbehelf,
mit dem man die Zeit überbrückt, bis er nicht mehr nötig ist.
Man kann es noch genauer sagen:
Glauben ist wie Briefe schreiben: Man tut es, solange man sich nicht sieht.
Wenn man sich persönlich begegnet, braucht man keine Briefe mehr.
Solange man aber getrennt war,
hatte man früher nur die Briefe, um miteinander in Kontakt zu bleiben.
Heute gibt es Telefon und Skype -
aber auch die benutzt man i.d.R. nicht, wenn man sich direkt gegenübersitzt.

Anders als der Brief ist der Glaube aber nicht nur dazu da,
die Zeit zu überbrücken, bis man sich wieder begegnet.
Glaube arbeitet auf die Begegnung mit Jesus hin.
Man kann zwar mit dem Glauben die Wiederkunft Christi nicht herbeiführen.
Jesus kommt, wann er will.
Sein Kommen lässt sich weder erzwingen noch beschleunigen.
Aber man kann sich auf sein Kommen vorbereiten -
so, wie man die Wohnung vorbereitet, wenn der ersehnte Besuch,
mit dem man bisher nur per Brief kommunizierte, endlich kommt.

Gute Vorbereitung bedeutet für Paulus, dass man „unbescholten“ ist:
Man soll nichts Schlechtes über uns sagen können, wenn Jesus kommt.
Es wäre ja auch furchtbar peinlich, wenn wir endlich Jesus gegenüberstünden
und uns schämen müssten, weil wir ihm nicht in die Augen sehen könnten.
Nicht, weil wir Angst vor seinem Schimpfen haben müssten,
wie man sie als Kind den Eltern gegenüber empfand,
wenn man etwas ausgefressen hatte.
Sondern weil wir wissen, dass er selbst es ist, der unter unseren Fehlern leidet.
Denn „was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten,
das habt ihr auch mir nicht getan“, sagt Jesus (Matthäus 25,45).
Was wir an anderen versäumen, was wir anderen antun,
das versäumen wir an Jesus, das tun wir ihm an.
Deshalb, meint Paulus, sollte es in unserem Interesse sein,
dass wir kein schlechtes Gewissen haben müssen,
wenn wir ihm gegenübertreten.

II. Der Glaube hat sich verändert.
Die Wiederkunft Jesu, die Paulus und die ersten Christen noch zu ihren Lebzeiten erwarteten,
ist ausgeblieben.
Das Warten war vergeblich.
Zwar wurde niemals der Glaube an die Wiederkunft Christi aufgegeben.
Aber man rechnet nicht mehr fest damit, wie es die ersten Christen taten.
Aus dem Glauben als Notbehelf, der die kurze Abwesenheit Jesu überbrücken sollte,
ist ein Dauerzustand geworden:
Er scheint die einzige Möglichkeit, mit Jesus in Kontakt zu stehen.
Etwa so, wie man brieflich Kontakt mit Verwandten hält, die nach Übersee ausgewandert sind.

Wenn aber der, auf den man wartet, nicht wiederkommt,
warum soll man sich dann noch um „Unbescholtenheit“ bemühen?
Das ist, wie wenn die Lehrerin die Klasse verlässt:
Da bleiben auch nicht alle brav auf ihrem Platz sitzen
und arbeiten so, wie sie es täten, wenn sie da wäre.
„Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch“.
Wenn jemand, dem gegenüber wir uns verantworten müssen -
die Eltern, die Lehrerin, die Chefin, oder eben Jesus -
nicht da ist, fühlt man sich nicht mehr verpflichtet, ihre Regeln zu befolgen.
Je strenger die Vorgesetzten sind oder erlebt werden,
desto größer der Drang, die neu gewonnene Freiheit auszukosten.
Je länger sie fortbleiben,
desto größer die Wahrscheinlichkeit,
dass man sich nicht mehr an die Regeln hält,die sie einmal aufgestellt haben.

So ist es mit Gottes Schöpfung, unserer Welt:
Gott ist für eine Weile fort - 1000 Jahre sind für Gott ja nur wie ein Tag, heißt es im Psalm (Psalm 90,4).
Schon tun wir so, als gäbe es keinen Schöpfer, keinen Herrn der Welt.
Wir tun so, als wäre die Welt unser und wir könnten mit ihr machen, was wir wollten -
auch: sie total verdrecken und kaputt machen.
Und so gehen wir ja auch mit der Welt um.

III. Der Glaube hat sich verändert: Er ist zu einem Dauerzustand geworden.
Als Dauerzustand haben wir uns im Glauben eingerichtet.
Weil er kein Ziel mehr hat, wurde er eine unverbindliche Angelegenheit.
Es geht beim Glauben um nichts mehr.
Der, an den wir glauben, wird nicht wiederkommen.
Wir halten zwar immer noch einen Platz für ihn frei.
Aber es ist nicht der Chefsessel, sondern nur ein Klappstuhl,
den man notfalls schnell aufstellen könnte, wenn Jesus käme.
Aber seit Jahrhunderten schon steht er unbenutzt in der Ecke.

Auf den Platz, der Jesus gebührt, haben wir uns längst selbst gesetzt.
Die Regeln, die er aufgestellt hat, befolgen wir nicht.
Nur Streber halten sich daran - die, wenn die Lehrerin die Klasse verlässt,
auch brav auf ihren Plätzen bleiben und ihre Aufgaben erledigen.
Für alle anderen sind Jesu Regeln bestenfalls Vorschläge,
die man befolgt, wenn man dazu Lust hat,
wenn es einen nichts kostet und einem keine Mühe macht.

Warum ist das so, dass man die Freiheit, die man hat, nicht nutzt,
um Schönes zu schaffen oder zu erleben,
sondern um zu zerstören, Chaos anzurichten?
Nun, für sich selbst kann jeder sehr gut sorgen.
Jeder achtet darauf, dass er bekommt, was er braucht.
Freiheit wird verstanden als die Freiheit dazu,
sich zu nehmen, so viel man kriegen kann;
sein Leben zu leben, wie man es will
und sich so breit zu machen, wie es nur irgend geht.

Freiheit kann jede und jeder für sich gut nutzen.
Aber diese Art der Freiheitsnutzung funktioniert nicht,
wenn man in einer Gesellschaft lebt.
Wir sind nicht allein auf der Welt,
auch wenn wir glauben, wir hätten die Welt ausgesperrt,
indem wir die Haustür hinter uns zumachen.
Wir sind niemals allein, wir sind niemals nur für uns.
Alles, was wir tun, hat Auswirkungen auf andere:
Was wir uns nehmen, nehmen wir anderen weg.
Der Ellenbogen, den wir ausfahren,
nimmt anderen den Raum, den sie zum Leben brauchen.
Wenn wir uns an keine Regeln halten, gilt das Recht des Stärkeren.
Solange wir das sind, ist alles gut.
Was aber, wenn wir nicht mehr stark sind?

IV. Was für die Gesellschaft gilt, gilt auch für die Gemeinde.
In der Gemeinde ist man nicht allein, sondern gemeinsam unterwegs.
Der Glaube ist keine Privatangelegenheit,
sondern eine gemeinschaftliche Anstrengung,
die gemeinsame Arbeit auf ein Ziel hin, das Kommen Christi.
Wenn Paulus also an die Korinther von der „Unbescholtenheit“ schreibt,
gilt diese Unbescholtenheit von unserem Verhalten anderen gegenüber.
Denn wenn auch Jesus wohl so bald nicht wiederkommt:
in unserem Mitmenschen, unserem Gegenüber begegnet er uns.
Was wir anderen antun oder an ihnen versäumen,
das tun wir Jesus an oder versäumen es an ihm.

Man kann es auch positiv wenden:
Mit dem, was wir tun, bestätigen wir die Predigt von Christus.
Wir tun, was wir als seinen Willen erkannt haben.
An unseren Taten können andere erleben, wie Jesus ist.
Damit andere Jesus durch uns erleben können,
hat Gott uns Gaben verliehen.
Gaben des Glaubens nennt Paulus sie.
Z.B. die Gabe, jemandem zuzuhören und dadurch zu trösten;
die Gabe, wahrzunehmen, wie es einem anderen geht;
die Gabe, sich vom Schicksal eines anderen anrühren zu lassen;
die Gabe, eine Gemeinde zu leiten;
die Gabe, jemanden satt zu machen;
die Gabe, mit Musik zu erfreuen;
die Gabe, jemandem etwas beizubringen.
Niemand ist ohne Gabe.
Keine dieser Gaben ist geringer als die andere.
Es braucht alle Gaben des Glaubens,
damit eine Gemeinde als Gemeinde existieren kann.
Wo aber in einer Gemeinde diese Gaben wirken,
da ist Christus mitten unter uns gegenwärtig,
und damit bricht sein Reich unter uns an.
Dann hat der Glaube sein Ziel erreicht:
Christus ist da, mitten unter uns.

V. Unser Glaube hat ein Ziel.
Das Ziel, anderen und damit auch uns Christus zu vergegenwärtigen.
Jesus wird eines Tages leibhaftig wiederkommen.
Vielleicht werden wir das erleben - wahrscheinlich eher nicht.
Und Jesus wird jetzt schon leibhaft erfahrbar durch die Gemeinde,
die Paulus den „Leib Christi“ nennt.
Durch uns alle gemeinsam wird Jesus erfahrbar.
Wenn wir uns versammeln, um Gottesdienst zu feiern, ist Jesus da.
Er ist wiedergekommen.
Er kommt jeden Sonntag wieder.
Er kommt an jedem Tag und jedem Ort,
wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind.
Darum gilt es, unbescholten zu sein für seine Ankunft,
damit wir uns nicht vor ihm schämen müssen.

Amen.