Dienstag, 23. April 2019

unerklärlich, aber nicht unvernünftig

Predigt am Sonntag Quasimodogeniti, 28.4.2019, über 1.Petrus 1,3-9:

Gott sei gepriesen!
Er ist der Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Aus Mitleid machte er uns zu seinen Kindern.
Durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten
dürfen wir auf ein Erbe hoffen,
das nicht verdirbt, rein ist und nicht vergeht;
es wird im Himmel für euch aufbewahrt.
Ihr wurdet durch Gottes Macht bewahrt
und glaubt an die Rettung, die vorbereitet wurde,
um im letzten Augenblick offenbart zu werden.
Dann werdet ihr allen Grund zur Freude haben.
Jetzt seid ihr unter Umständen ein wenig traurig,
weil ihr unterschiedlichen Prüfungen unterzogen werdet,
damit sich die Echtheit eures Glaubens erweist.
Man prüft ja auch das vergängliche Gold durch Feuer;
euer Glaube ist aber viel wertvoller.
Das Ergebnis eurer Prüfung wird euch Lob, Anerkennung und Ehre einbringen,
wenn Jesus Christus erneut erscheinen wird.
Ihn liebt ihr, obwohl ihr ihn nicht gesehen habt.
An ihn glaubt ihr, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht.
Ihr werdet mit unaussprechlicher und verklärter Freude jubeln,
weil ihr das Ziel eures Glaubens erlangt habt,
das Seelenheil.


Liebe Schwestern und Brüder,

wozu gibt es Leid in der Welt?
Hat Leiden einen Sinn?
Kann man, soll man durch eine Krankheit, einen Verlust etwas lernen?
Und ist es Gott, der einem diese Lehre erteilt?
Denkt sich Gott etwas dabei, lässt er uns leiden, damit wir etwas lernen?

Sie merken: Wenn man sich solche Fragen stellt und ihnen nachgeht,
gerät man schnell in Teufels Küche.
Auf dem Weg des Fragens nach dem Sinn des Leidens
kommt man dahin, Gott selbst für das Leid verantwortlich zu machen.

Die Hiobsgeschichte trennt da noch fein säuberlich:
Zwar lässt Gott sich vom Satan überreden, Hiob auf die Probe zu stellen.
Das Leiden, das dadurch über Hiob hereinbricht, kommt aber nicht von Gott, sondern vom Teufel.
Das Böse ist an den Satan „outgesourct“,
damit Gott nicht zugleich gut und böse sein muss.
So, wie die Polizei erfolgreich
mit dem „guten Polizisten“ und dem „bösen Polizisten“ operiert,
sodass man quasi Zuflucht nimmt zum „guten Polizisten“,
wenn einen der „böse Polizist“ einschüchtert -
dabei vertreten beide das Gesetz.
Bei Hiob lässt Gott den Satan das Böse tun.
Trotzdem ist er mit schuld an dem, was Hiob widerfährt -
ohne Gottes Zustimmung und Erlaubnis hätte der Satan Hiob nichts antun können.

I. Wenn man davon sprechen will, dass Leiden einen Sinn hat,
kommt man letztendlich dazu, Gott für das Leiden verantwortlich zu machen.
Tatsächlich kann es ein Trost sein,
einen Sinn, eine gute Absicht hinter dem Leid zu vermuten,
sodass man es nicht als sinnloses Wüten eines blinden Schicksals erleben muss,
sondern als einen Weg, der letzten Endes zu etwas Gutem führt,
weil das Leid zu Gottes Plan gehört.
So hat man auch Jesu Leiden am Kreuz zu deuten versucht
als Wiedergutmachung der von uns Menschen begangenen Fehler und Sünden.
Gottes Zorn über unsere Verfehlungen, so lautete die Erklärung,
war so groß, dass er durch nichts beschwichtigt werden konnte,
was Menschen als Kompensation geben oder leisten konnten.
Gott selbst musste seinen Zorn beschwichtigen,
indem sein Sohn stellvertretend für uns litt.

Wenn man das so hört und sich vor Augen stellt,
wird einem erst bewusst, wie eigenartig, ja, wie schrecklich das alles klingt!
Leiden als Mittel, etwas zu lernen?
Das eigene Kind opfern, um den Vater versöhnlich zu stimmen?
In der Geschichte von der Opferung Isaaks jedenfalls
fällt Gott dem Abraham in den Arm,
als er seinen Sohn Gott zuliebe schlachten will.
Kann der Gott Abrahams, der auch der Vater Jesu Christi ist,
seine Meinung so geändert haben,
dass er zwar dem Abraham in den Arm fällt,
den eigenen Sohn aber am Kreuz opfert?

II. Der 1.Petrusbrief spricht von „Glaubensprüfungen“, die seine Leser erdulden müssen.
Damit meint er Situationen,
in denen sie wegen ihres Glaubens angefeindet oder sogar verfolgt werden.
Wenn es nicht selbstverständlich, nicht „normal“ ist, an Gott zu glauben;
wenn man dafür Spott erntet oder Kritik,
ausgegrenzt wird, Nachteile oder sogar den Tod in Kauf nehmen muss
wie die zu Ostern in Sri Lanka ermordeten Christen,
dann überlegt man sich, ob man öffentlich macht, dass man glaubt.
Wenn der Glaube Nächstenliebe lehrt,
der Staat aber Mitmenschen zu „Untermenschen“ erklärt
und verlangt, ihnen Hilfe und Menschlichkeit zu verweigern,
wie es im sog. „Dritten Reich“ der Fall war,
steht man vor der Frage, nach welchem Maßstab man sich richten soll -
dem des Glaubens oder dem der Mehrheit, des Staates.
Solche und ähnliche Situationen meint der 1.Petrusbrief,
wenn er von „Prüfungen“ spricht.

Und auch hier stellt sich wieder die Frage,
ob Gott es ist, der unseren Glauben auf solche Weise prüft -
ob man also als Christ*in Leid und Verfolgung
um des Glaubens willen auf sich nehmen und ertragen muss.
Bzw. ob das „Erbe“, „die Rettung, die vorbereitet wurde“,
ob man Lob, Anerkennung und Ehre bei Gott verwirkt,
wenn man die Glaubensprüfung nicht besteht?

III. Wie man diese Frage beantwortet, hat mit dem Sehen zu tun,
um das es an diesem Sonntag geht.
Wir erinnern uns an das Evangelium vom ungläubigen Thomas,
der sehen und seinen Finger in die Wunde legen musste,
um glauben zu können.
Der 1.Petrusbrief lobt, wie Jesus es tut, seine Leser,
die Jesus lieben und an ihn glauben, ohne ihn gesehen zu haben.
Mit „sehen“ ist also nicht nur das Hingucken gemeint.
Wenn Thomas den Finger in die Wunde legt, ist das auch ein Sehen:
Es ist die Einsicht.
Thomas will verstehen, was passiert ist.
Er will verstehen, was er glaubt.
Er sucht nach einer Erklärung für das rätselhafte Geschehen,
das die Jüngerinnen Jesu und später seine Jünger berichteten.

Auch das Leid möchte man verstehen.
Leid ist ohnehin unerträglich,
aber wie soll man sinnloses, nutzloses Leiden ertragen?
Wenn man dem Leiden einen Sinn abgewinnen kann,
erscheint es nicht völlig sinnlos.
Dann hat dieser Mensch nicht umsonst gelitten,
dann ist er nicht vergeblich gestorben.

Aber das Leiden ist sinnlos.
Es gibt dabei nichts zu lernen oder zu gewinnen.
Es ist blanker Zynismus zu behaupten, Leiden hätte einen Sinn.
So etwas kann nur jemand sagen, der nicht davon betroffen ist.
Wenn man im Leiden drinsteckt, fragt und sucht man nach einem Sinn,
so wie man „warum?“ fragt, wenn ein Mensch, den man liebte, stirbt.
Aber wie es auf die Frage nach dem Warum keine Antwort gibt,
so gibt es auch keine auf die Frage nach dem Sinn des Leidens.
Und jeder, der von außen versucht, dieses Schicksal zu erklären,
erweist sich entweder als Zyniker
oder macht sich lächerlich
durch seine Einfalt, seine Ahnungslosigkeit.

Leid und Tod sind nicht zu verstehen.
Sie ergeben keinen Sinn, weil sie Feinde des Lebens sind.
Jesus starb nicht am Kreuz, um dem Leiden einen Sinn zu geben
und uns mit dem Tod zu versöhnen.
Sondern um diese beiden Feinde des Lebens endgültig bloßzustellen,
zu besiegen und auszuschalten.

Jesus litt und starb völlig sinnlos.
Nicht, weil Gott es so wollte.
Sondern weil die menschliche Natur zwangsläufig alles Schöne,
alles Fremde, alles Zarte und Wehrlose zerstören und vernichten muss.
Jesus litt und starb an uns Menschen.
Und die Tatsache, dass er auferstand,
setzt nicht unseren Hass auf das Fremde,
unseren Drang zur Gewalt,
unsere Zerstörungswut ins Recht,
gibt ihnen keinen auch noch so entfernten Sinn.
Im Gegenteil: Erst, wer diese Sinnlosigkeit erleidet,
wird fähig zum Mitleid mit dem Gekreuzigten;
zum Mitleid mit den Opfern der Terroranschläge in Sri Lanka,
zum Mitleid mit jeder gequälten Kreatur.

IV. Leid und Tod sind sinnlos.
Erst, wenn man das begreift
und nicht mehr bei jedem Unfall, jedem Unglück hingafft,
nicht mehr in den körperlichen und seelischen Wunden herumbohrt,
erst dann erkennt man, welches Geschenk uns Gott mit unserem Leben gemacht hat.
Und erst, wenn wir unser und jedes Leben achten und wertschätzen gelernt haben,
werden wir Menschen im Leid wirklich beistehen können.
Weil wir sie dann nicht mehr vertrösten müssen.
Weil wir keinen Sinn finden müssen, wo keiner ist.
Wir können einfach da sein,
sodass Menschen Freude empfinden in allem Leide.
Wir können das, weil wir keine Angst mehr haben müssen vor Leid und Tod
und deshalb auch keine Erklärung, keinen Sinn mehr suchen müssen
in dem, was absolut sinnlos ist.

Man kann das gar nicht deutlich genug sagen:
Sobald man anfängt, Leid verstehen oder ihm gar einen Sinn unterstellen zu wollen,
gibt man ihm einen Wert und eine Würde, die es nicht hat.
Mit einem solchen „Verständnis“ für das Leid wurde und wird
jede Unmenschlichkeit und Unbarmherzigkeit gerechtfertigt,
von der Prügelstrafe bis zur Massenvernichtung.
Die Erklärung und Verklärung des Leides schafft Märtyrer und Terroristen.

V. „An ihn glaubt ihr, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht“.
Glaube kommt ohne Sehen aus.
Glaube verzichtet auf Erklärungen.
Er verzichtet aber nicht auf die Vernunft.
Mit Hilfe der Vernunft erkennt der Glaube,
wo ihm Lieblosigkeit, Unmenschlichkeit, Unbarmherzigkeit
untergeschoben werden sollen.
Mit Hilfe der Vernunft wehrt er sie ab und alle, die es nicht lassen können, in Wunden zu bohren.

Der Glaube macht uns zu Protestanten.
Wir protestieren für das Leben.
Wir protestieren gegen Leid und Tod.
Wir legitimieren sie nicht mit dem Deckmäntelchen irgendeines Sinnes.
Wir machen sie nicht salonfähig, indem wir sie als Gottes Wille deklarieren.
Wir gewöhnen uns nicht an sie.
Sondern jeden Augenblick treten wir gegen sie an,
indem wir darauf bestehen, dass Gott Leben will und nicht den Tod.
Denn dazu ist Christus gestorben und auferstanden,
damit Leid und Tod ein für allemal besiegt sind.

Amen.