Freitag, 24. April 2020

Mundschutz

Predigt am Sonntag Miserikordias Domini, 26.4.2020, über 1.Petrus 2,21-25:

Predigt am Sonntag Miserikordias Domini, 26.4.2020, über 1.Petrus 2,21-25:

Auch Christus hat gelitten - für euch -
und euch dadurch eine Vorlage hinterlassen,
damit ihr seinen Fußspuren nachfolgen könnt.
Er hat keine Sünde getan,
noch fand man Lüge in seinem Mund.
Er wurde beleidigt, aber er gab es nicht zurück,
er litt, aber er drohte nicht mit Vergeltung,
sondern stellte es dem anheim, der gerecht richtet.
Er hat unsere Sünden
mit seinem Körper selbst auf das Holz getragen,
damit wir, die wir für die Sünden gestorben sind,
für die Gerechtigkeit leben.
Durch seine Striemen seid ihr geheilt.
Denn ihr wart wie herumirrende Schafe,
jetzt aber seid ihr zurückgekehrt zum Hirten
und Aufseher eures Lebens.


Liebe Schwestern und Brüder,

ab morgen müssen alle einen Mundschutz tragen,
die in Geschäften einkaufen, mit Bus oder Bahn fahren wollen.
Zu den vielen Regelungen und Einschränkungen,
die uns die Corona-Pandemie beschert hat,
kommt eine weitere hinzu.
Nicht so einschneidend wie viele andere.
Aber lästig. Und ungewohnt.
Wie sieht das auch aus,
mit einem Mundschutz, einem Schal oder Tuch vor dem Gesicht!?
Man kann nicht richtig sprechen, wird kaum verstanden
und kann andere nicht richtig verstehen.
Außerdem schützt der Mundschutz nicht besonders vor Ansteckung.
Gerade einmal um ein Drittel sinkt die Wahrscheinlichkeit,
sich mit dem Coronavirus zu infizieren,
wenn man einen einfachen Mundschutz trägt.

Es stimmt: Eine:n selbst schützt der Mundschutz wenig.
Aber dafür schützt er andere.
Trägt jemand, der mit dem Coronavirus infiziert ist, einen Mundschutz,
beträgt die Wahrscheinlichkeit, andere anzustecken, nur noch 5 %.
Man trägt also den Mundschutz nicht für sich, sondern für andere.
Damit handelt man so, wie es der heutige Predigttext empfiehlt:
Man richtet sich nach der Vorlage, die Jesus hinterlassen hat.
Diese Vorlage, nach der man sich als Christ:in richtet,
dient dazu, die Ausbreitung des Bösen zu stoppen.
Die Ausbreitung stoppen,
indem man z.B. auf Beleidigung nicht mit einer Gegenbeleidigung reagiert
und Böses nicht mit Bösem vergilt.

Verzicht auf Vergeltung verhindert,
dass Böses sich weiter ausbreitet.
Um Ausbreitung zu verhindern,
braucht man so etwas wie einen Mundschutz.
Wie leicht erwidert man eine Beleidigung -
oder etwas, das man dafür hielt -
mit einer anderen!
Ehe man sich‘s versieht, ist das böse Wort schon heraus,
und man kann es nicht mehr aufhalten.
Bevor man sich dessen bewusst ist,
hat man schon zurückgeschlagen.
Dieser Drang, anderen das Böse zu vergelten, das sie einem zufügten,
ist so tief in uns verwurzelt, dass man ihn gar nicht mehr bemerkt
und nicht darüber nachdenkt, ob es auch richtig ist.

Gegen die Ausbreitung des Coronavirus kann man sich einen Mundschutz umbinden.
Er verhindert die Ausbreitung selbst dann,
wenn man ihn sich widerwillig, oder ohne rechte Überzeugung, angelegt hat.
Wie aber muss ein Mundschutz beschaffen sein,
der die Ausbreitung der Vergeltung stoppt?
Der verhindert, dass wir es anderen heimzahlen?
Man kann ja nicht mit einem Knebel im Mund herumlaufen,
damit ja kein böses Wort herauskommt.

Böses nicht mit Bösem vergelten:
Das ist etwas, das nur Jesus konnte,
der lehrte, auch die andere Wange hinzuhalten.
Für uns ist das viel verlangt - vielleicht zu viel.
Wer provoziert oder beleidigt wird, gerät unter Druck,
fühlt sich wie ein Dampfkochtopf, der kurz vor der Explosion steht.
Wird wütend, und diese Wut will raus, muss raus,
sonst platzt man.

Unter einen ähnlichen Druck setzt uns die Corona-Pandemie:
So viele Einschränkungen, so viele Veränderungen des Alltags!
Man darf sich nicht umarmen, sich nicht die Hand geben.
Man darf sich nicht mit seinen Freund:innen treffen,
nicht im Café sitzen oder Essen gehen.
Es ist kaum zum Aushalten!
Kinder gehen zuhause die Wände hoch,
weil sie sich nicht auf dem Spielplatz austoben können.
Erwachsene vergehen vor Sorgen um ihren Arbeitsplatz, ihre Firma, ihren Betrieb.
Sie wissen nicht, wie es weitergeht.
Sie wissen nicht, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen.
Sie wissen nicht, wie sie neben *homeoffice* auch noch *homeschooling* machen sollen.
Älteren Menschen macht die Einsamkeit zu schaffen.
Sie würden so gern wieder andere treffen,
ihre Kinder und Enkel sehen.
Und nun kommt mit der Pflicht zum Tragen des Mundschutzes
noch eine Einschränkung dazu!

In diese belastende, leidvolle Situation hinein sagt der Predigttext:
*Christus hat auch gelitten*.
Und gerade darin sollen wir ihn uns zum Vorbild nehmen.
Das ist sein Plan, dem wir nachgehen sollen:
Sich dem Leid mit einer Hoffnung stellen,
die größer und stärker ist als das Leid.
Statt über die aufgezwungenen Verhältnisse zu jammern und zu schimpfen,
sie nutzen als eine Möglichkeit, Christ:in zu sein.
Wenn es uns gelingt, in dieser Situation Christ:in zu sein und zu bleiben,
werden wir für andere zu Christus -
zu jemandem, die oder der da ist,
wenn jemand Hilfe, Beistand oder einfach nur Gesellschaft braucht.
Das bedeutet nicht, dass das Leiden gut oder sinnvoll ist - o nein!
Leiden ist schrecklich, ist schmerzhaft,
ob es nun ein körperliches Leiden ist -
von Kopfschmerz oder Bauchschmerzen bis zu einer lebensgefährlichen Erkrankung -
oder ein seelisches Leiden wie Einsamkeit, Traurigkeit oder die Angst um die eigene Existenz.

Die Tatsache, dass auch Christus gelitten hat, macht das Leid nicht gut.
Sie besagt vielmehr: Es gibt Hoffnung.
Hoffnung *in* allem Leide
auf Freude *nach* allem Leide,
weil Christus auferstanden ist.
Christus hat gelitten, wie wir,
darum ist auch unser Leiden nicht sinnlos.
Wohlgemerkt: Nicht das Leiden hat einen Sinn,
sondern dass *wir* leiden, ist nicht vergeblich.
Es hat hat einen guten Sinn.
Es hat z.B. den Sinn, dass das Böse sich nicht weiter ausbreitet,
wenn wir den Schmerz aushalten, den eine Beleidigung verursacht,
oder wenn wir anderen das Böse, was sie uns antaten, nicht heimzahlen.
Es hat den Sinn, dass das Virus sich nicht weiter ausbreitet,
wenn wir uns an die anstrengenden und belastenden Regeln halten,
die dazu erlassen wurden.

Das ist viel verlangt.
Vielleicht zu viel.
Man kann von niemandem fordern,
auch die andere Wange hinzuhalten,
denn man kann es ja selbst nicht.
Man kann aber auf die Vorlage hinweisen,
die Christus uns hinterlassen hat.
Er war fest davon überzeugt,
dass es richtig ist, nicht zurückzuschlagen.
Und er will uns überzeugen,
dass seine Gerechtigkeit die bessere Gerechtigkeit ist.
Seine Gerechtigkeit fragt nicht:
was habe ich davon, was nützt mir das?
Sie fragt: Was nützt meinem Mitmenschen,
und wie kann ich ihr oder ihm nützlich sein?

Wer sich um diese bessere Gerechtigkeit bemüht,
ermöglicht anderen die Begegnung mit Christus.
Weil sie erleben, dass es auch anders, nämlich menschlich und liebevoll, geht.
Weil sie sehen, dass der Kreislauf der Vergeltung unterbrochen wird.
Weil sie spüren, dass sogar im Leiden das Leben einen Sinn hat,
dass man gerade im Leiden Christ:in sein und Hoffnung haben kann.

Wer den Predigttext beim Wort nehmen und es versuchen will,
die Vorlage zu übernehmen, die Christus uns hinterlassen hat,
braucht nicht auf eine besondere Gelegenheit zu warten.
Sie, er kann z.B. beim nächsten Gang nach draußen einfach den Mundschutz umbinden
und damit zeigen: Du, anderer Mensch, bist mir nicht gleichgültig.
Ich mache mir Sorgen um dich und will dich schützen.
Deshalb trage ich einen Mundschutz.
Denn selbst, wenn ich nicht ansteckend bin,
gebe ich anderen auf diese Weise ein Zeichen,
dass sie vor mir sicher sind.

Mit diesem Mundschutz, so ungewohnt und lästig er ist,
kann man auch lernen, auf das zu achten,
was sonst so aus unserem Mund herauskommt,
und was wir so oft nicht zurückhalten können.
Vielleicht kann dieses Stück Papier, dieses Stück Stoff es schaffen,
dass wir nachdenken, bevor wir etwas erwidern,
und uns an die Vorlage erinnern, die Jesus uns hinterlassen hat,
damit wir für die bessere Gerechtigkeit leben.

Amen.