Montag, 13. Juli 2020

#BLM

Predigt über Römer 12,17-21, gehalten am 5. Sonntag nach Trinitatis, 12.7.2020 in Petrus auf dem Dreesch, Text vom 4. Sonntag nach Trinitatis

Vergeltet keinem Menschen Böses mit Bösem.
Seid bedacht auf Gutes gegenüber jedem Menschen.
Wenn möglich, soweit es euch betrifft, lebt mit jedem Menschen in Frieden.
Rächt euch nicht selbst, ihr Lieben,
sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.
Denn es steht geschrieben (Dtn 32,35):
„Die Rache ist mein, ich will vergelten”,
spricht der Herr.
Vielmehr (Spr 25,21-22): „Jedesmal, wenn deinen Feind hungert, speise ihn.
Jedesmal, wenn ihn dürstet, lass ihn trinken.
Denn indem du das tust,
wirst du brennende Kohlen auf seinem Haupt aufhäufen.”
Werde nicht vom Bösen besiegt,
sondern siege durch das Gute über das Böse.


Liebe Schwestern und Brüder,

Kirche und Politik - geht das zusammen?

Einerseits gibt es eine große Volkspartei,
die das Christliche im Namen führt.
Einerseits hat jede im Bundestag vertretene Partei einen Arbeitskreis,
in dem Christinnen und Christen aus ihrer Sicht
die politischen Fragen und Probleme diskutieren.

Andererseits hat die politische Auseinandersetzung im Gottesdienst nichts zu suchen.
Gott ist nicht parteiisch, was politische Positionen angeht.
Gott ist nicht „Rechts” oder „Links” oder in der vielbeschworenen „Mitte”.
Gott ist aber sehr wohl parteiisch,
was die Schwachen, die Fremden und die Ausgegrenzten angeht.
Er stellt sich auf ihre Seite,
und dort möchte er auch uns stehen sehen.
So heißt es zum Beispiel beim Propheten Jesaja (Jesaja 1,17):
„Lernt Gutes tun,
trachtet nach Recht,
helft den Unterdrückten,
schafft den Waisen Recht,
führt der Witwen Sache!”
Gott ist also parteiisch, aber nicht politisch.

Aber ist es möglich, parteiisch zu sein, ohne politisch zu sein?
Das Wort „Politik” kommt aus dem Griechischen.
Die Griechen haben sowohl das Wort als auch die Sache erfunden.
„Pólis”, das Wort, das der „Politik” zugrundeliegt,
bedeutet im Griechischen „Stadt” oder „Gemeinwesen”.
Politik ist alles, was das Miteinander in der Stadt oder im Staat regelt.
Auch die Kirchengemeinde ist ein Gemeinwesen,
und die Kirche als Zusammenschluss vieler Gemeinden auch.
Auch hier muss vieles geregelt werden.
Auch hier wird „Politik” betrieben
im Ausgleich unterschiedlicher Interessen
wie im Ringen um Entscheidungen
und um die Macht, seine Interessen und Entscheidungen durchzusetzen.

II
Paulus schreibt an die Christen in Rom zur Zeit des berühmt-berüchtigten Kaisers Nero.
Damals ist die christliche Gemeinde noch eine kleine, unbedeutende Gruppe in der Stadt,
eine Art kleiner Verein.
Trotzdem wird diese kleine Gruppe vom römischen Staat beobachtet.
Denn die Christen benehmen sich auffällig:
Frauen dürfen in ihren Versammlungen reden
und sogar Leitungsämter übernehmen.
Auffallend viele Arme und Sklaven laufen ihnen zu,
besonders Witwen, worüber man sich auf der Straße lustig macht.
Die Besitzer der Sklaven beobachten,
dass ihre Sklaven von den Treffen der Christen
mit gefährlichen Ideen zurückkommen:
Sie behaupten, ihre Herren hätten keine wahre Macht über sie,
und dass sie jetzt einen neuen Herren hätten.
Man kann ihnen mit der Peitsche einbläuen, wer ihr wahrer Herr ist,
aber die neuen Ideen kann man ihnen damit nicht austreiben.

Bald sehen sich die Christen in Rom offenen Anfeindungen ausgesetzt.
Sie erleben Diskriminierung und körperliche Gewalt.
Und wenn wegen eines Problems mit der Wasser- oder Getreideversorgung
oder wegen einer Epidemie ein Schuldiger gesucht wird,
macht man die Christen zu Sündenböcken.
Diese für die Christen bedrängende und oft lebensbedrohliche Situation
steht Paulus vor Augen, als er ihnen seine Ratschläge schickt.
Er mahnt die römischen Christen zur Zurückhaltung.
Er bittet sie, die Verfolgung zu ertragen
und den Verfolgern gegenüber nicht bitter zu werden -
im Gegenteil, ihnen zu helfen.
Das ist viel verlangt, wenn die Verfolger nicht nur Beamte des Staates sind,
sondern die eigenen Nachbarn, Menschen aus dem Viertel, die man kennt.

III
In einer ähnlichen Situation wie die römischen Christen,
an die Paulus seinen Brief schreibt,
befanden sich die amerikanischen Bürger afrikanischer Abstammung
in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Genauer gesagt befanden sie sich in dieser Situation,
seit sie als Sklaven aus Afrika verschleppt worden waren,
und sie befinden sich im Grunde bis heute in dieser Situation.
Aber in den 50er und 60er Jahren brach etwas auf.
Die systematische Unterdrückung und Benachteiligung der Schwarzen,
der alltägliche Rassismus wurde angeprangert,
und Schwarze forderten die gleichen Bürgerrechte für sich,
die ihnen von der Verfassung garantiert,
von denen, die die Macht hatten, aber verweigert wurden.
In den Demonstrationen und Protesten dieser Zeit
trat ein evangelischer Pastor auf,
der, ähnlich wie Paulus, die Protestierenden zum Verzicht auf Gewalt und Rache aufrief.
Martin Luther King mahnte zur Zurückhaltung,
bat sie, die Gewalt, die ihnen von der Polizei angetan wurde,
nicht mit Gewalt zu beantworten, sondern zu ertragen.

Aber er forderte die Protestierenden nicht dazu auf,
die Proteste aufzugeben und sich in ihr Schicksal zu fügen -
im Gegenteil: Er selbst ging bei den Protestmärschen in der ersten Reihe.
Er selbst forderte die Gleichberechtigung
und beteiligte sich am gewaltlosen Kampf um gleiche Rechte
in Demonstrationen, Streiks und Aktionen des zivilen Ungehorsams.
Er hielt sich genau an das, was Paulus den römischen Christen riet:
„Vergeltet nicht Böses mit Bösem”.
Aber er hielt nicht den Mund.
Er forderte das Recht, mitwirken zu dürfen bei der Gestaltung des Gemeinwesens
im Ausgleich unterschiedlicher Interessen
wie im Ringen um Entscheidungen
und um die Macht, seine Interessen und Entscheidungen durchzusetzen.
So wurde der Widerstand der Schwarzen politisch.

IV
Davon ist bei Paulus nichts zu spüren.
Paulus stachelt die römischen Christen nicht zum Widerstand auf,
sondern mahnt sie zur Unterordnung unter die Obrigkeit (Römer 13).
Allein, jede Unterordnung hat Grenzen.
Paulus ermutigt die Sklaven nicht dazu, ihre Herren zu verlassen (1.Kor 7,20-21).
Aber er macht ihnen deutlich, dass diese Herren keine Macht über sie haben,
weil Christus ihr neuer Herr ist (1.Kor 7,22-23).
Ein Herr, der nicht demütigt, sondern aufrichtet.
Ein Herr, der Gehorsam verlangt,
aber keinen Kadavergehorsam,
sondern getreuliches Befolgen der Barmherzigkeit
in der Freiheit der Liebe zum Nächsten und zu Gott.

Wer diesem Herrn dienen will,
kommt notwendigerweise in Konflikt mit den Herren dieser Welt.
Jedenfalls dann, wenn die Herren dieser Welt eine solche Haltung nicht dulden.
So wird der Glaube politisch - nicht, weil er die Auseinandersetzung sucht,
sondern weil er mit Anfeindung und Gegnerschaft rechnen muss,
sobald er die Partei Gottes bezieht:
Die Parteilichkeit für die Schwachen, die Fremden und die Ausgegrenzten.

V
Die Zeiten des römischen Kaisers Nero sind lange vorbei.
Wir leben in einem Gemeinwesen,
das unsere Glaubensfreiheit garantiert
und sie sogar für uns durchsetzt, wenn es sein muss.
Also könnten wir uns als Christinnen und Christen heute aus der Politik zurückziehen
und uns zurückhaltend und still um unsere Dinge kümmern.

Aber wir leben als christliche Gemeinde in einem Gemeinwesen
und haben Teil an seinen kleinen und großen Problemen.
Auch uns beschäftigt die Frage nach der gerechten Verteilung
von Besitz und Bildungschancen,
von Arbeit, Wohlstand und Glück.
Auch wir stehen vor der Frage der Gleichbehandlung,
vor der Frage, wie wir uns Menschen gegenüber verhalten,
die zu unseren Gemeinden von außen dazukommen -
aus einer anderen Stadt oder einem anderen Land.
Täglich werden wir Zeugen von Diskriminierung,
von Hass und Gewalt gegenüber Schwächeren,
gegenüber Menschen, die anders denken oder anders aussehen,
anders lieben oder anders leben als die Mehrheit.

Und wir können dabei nicht vergessen,
welchen Auftrag Gott uns ihnen gegenüber gegeben hat:
„Lernt Gutes tun,
trachtet nach Recht,
helft den Unterdrückten,
schafft den Waisen Recht,
führt der Witwen Sache!”

Deshalb ist es unsere Aufgabe, an ihrer Seite zu stehen,
weil Gott an ihrer Seite steht.
Es ist unsere Aufgabe, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten
und selbst in diesen Spiegel zu sehen:
Den Spiegel der göttlichen Gebote und der göttlichen Liebe.
Darum ist Kirche politisch.
Gegen das Böse und die Bosheit in unserer Gesellschaft und in unserer Welt
soll und will sie immer wieder das Gute und die Güte aufrichten.
Sie wird dadurch das Böse nicht besiegen.
Aber sie kann ihm eine Grenze setzen,
und sie kann Menschen vor dem Bösen retten.