Samstag, 22. August 2020

herabsehen und hinaufsehen

Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis, 23.8.2020,
über Lukas 18,9-14:

 
Jesus erzählte einigen, die von sich selbst überzeugt waren, gerecht zu sein,  
und auf die anderen herabsahen, dieses Gleichnis:
 
Es stiegen einmal zwei zum Tempel hinauf, um zu beten;  
der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand aufrecht da und betete bei sich selbst so:
„Gott, ich danke dir,
dass ich nicht wie der Rest der Menschheit bin,
Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder wie dieser Zöllner:
Ich faste zweimal in der Woche,
ich gebe den Zehnten von meinen gesamten Einkünften”.
Der Zöllner aber hielt sich auf Distanz
und wollte auch nicht seine Augen aufheben zum Himmel,
sondern schlug sich an die Brust und sprach:
„Gott, lass dich mit mir Sünder versöhnen!”
Ich sage euch:
Dieser kam gerechtfertigt hinab in sein Haus, statt jenem.
Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt,
aber wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht.
 
 
Liebe Schwestern und Brüder,
 
beim Hören des Gleichnisses vom Pharisäer und Zöllner
lehnt man sich innerlich zurück und denkt sich:
„Wie gut, dass ich nicht so bin wie dieser Pharisäer …”
Und  indem man so denkt, wird einem plötzlich bewusst,
dass man in eine Falle getappt ist.
Man hat nicht anders gehandelt als dieser Phariser,
der im Gleichnis so schlecht wegkommt.
 
Erzählt Jesus deshalb dieses Gleichnis,
um uns in eine Falle zu locken,
damit wir uns ertappt fühlen
und uns zerknirscht eingestehen,
dass wir nicht besser sind als der Pharisäer?
 
Aber Jesus erzählt dieses Gleichnis ja gar nicht uns,
sondern „einigen, die von sich selbst überzeugt waren, gerecht zu sein,  
und auf die anderen herabsahen”,
wie es in der Einleitung heißt.
 
Das Gleichnis ist nicht für uns bestimmt,
sondern für die, die sich selbst für fromm und gerecht halten
und auf andere, die nicht so sind, herabsehen.
Das Gleichnis geht uns also eigentlich gar nichts an.
Man  könnte sich also ganz entspannt zurücklehnen und ---
NICHT wie der Pharisäer denken:
„Wie gut, dass ich nicht so bin” -,
sondern einfach mal abwarten,
was passiert und wie die Sache ausgeht,
nämlich: schlecht für den Pharisäer.
 
Jesus erzählt ein Gleichnis,
das nicht für uns bestimmt ist.
Warum überliefert Lukas es dann in seinem Evangelium,
und warum denken wir heute darüber nach?
Was geht uns ein selbstgerechter Frommer an,
wenn wir nicht so sind wie er?
 
Irgendetwas hat das Gleichnis vielleicht doch  
mit uns und unserem Leben zu tun.
Irgendeinen Grund muss es doch geben,  
dass Jesus dieses Gleichnis erzählt
und Lukas es in seinem Evangelium aufgeschrieben hat -
einen, der uns direkt betrifft.
 
Ein naheliegender Gedanke ist,
dass dieses Gleichnis uns einen Spiegel vorhält:
Wir sind zwar nicht so wie dieser Pharisäer,
aber wir KÖNNEN so sein -
wir haben ja beim Hören gemerkt,
wie leicht man in diese Haltung des selbstgerechten Zurücklehnens verfällt,
die auf den, der da kritisiert wird, herabsieht.
 
Gewiss, eine Frömmigkeit,  
die so von sich überzeugt ist wie der Pharisäer im Gleichnis,
mag ärgerlich sein.
Aber sie schadet doch niemandem!?
Was der Pharisäer denkt, ist schließlich seine Sache.
Was das Tun angeht, da ist er jedenfalls vorbildlich:
Er gibt 10% seines Einkommens für gute Zwecke -
wer von uns tut das schon?
Er ist ein religiöser Mensch,
der seine Glaubenspflichten ernst nimmt und erfüllt,
der  sich von schlechten Menschen fernhält.
Von solchen Leuten könnte es ruhig mehr geben,
und von mir aus dürfen sie sich dann auch gern etwas darauf einbilden,
dass sie so vorbildlich leben.
 
Aber Jesus lobt nicht den Pharisäer,
sondern den Zöllner.
Habe ich etwas übersehen?
Sehe ich hier etwas falsch?
Ach ja! Ich habe den Zöllner ganz vergessen.
Er ist sozusagen der Gegenspieler des Pharisäers:
ein durch und durch schlechter und verkommener Mensch.
Einer, mit dem anständige Leute nichts zu tun haben.
Einer, der allen Grund hat, sich zu schämen
und sich an die Brust zu schlagen.
Aber ER wird gerecht gesprochen - der Pharisäer nicht.
 
Sollte das die Botschaft dieses Gleichnisses sein,
dass wir, wie der Zöllner, mit gesenktem Kopf herumlaufen sollen,
weil wir allzumal Sünderinnen und Sünder sind?
Sollten wir uns denn immerzu schämen dafür,
dass wir so schlechte Menschen sind?
Sollte denn das Gute, das wir tun, gar nicht zählen?
Darf man nicht mal ein bisschen stolz auf sich sein
und auch dankbar dafür, dass man auf der guten Seite steht?
 
Wir sind weder Pharisäer noch Zöllner.
Wir stehen irgendwo zwischen beiden -
ein bisschen fromm,  
und auch ein bisschen zweifelnd.
Bemüht, das Gute zu tun,  
und manchmal auch sehr nachlässig darin,

oder jedenfalls nicht sehr erfolgreich.
 
Als gläubiger Mensch ist man sich oft nicht sicher,
ob man „genug” glaubt,  
und ob man es auf die rechte Weise tut.
Der Grund dafür liegt darin,
dass Glaube eine persönliche Sache ist.
Glaube ist etwas sehr Intimes.
Und wie das so ist mit intimen Dingen:
Darüber spricht man nicht,
schon gar nicht mit anderen.
Deshalb gibt es diese Unsicherheit mit dem Glauben,
ob man alles richtig macht
und ob man genug glaubt.
Wenn dann jemand, wie dieser Pharisäer, auftritt,
der ganz genau weiß, wie Glauben geht,
was dabei richtig ist und was falsch,
kann man sich schon mal klein und armselig vorkommen,
so im Abseits wie der Zöllner,
der sich nicht aufzublicken traut.
 
Ich glaube,
genau diese Erfahrung möchte Jesus mit seinem Gleichnis beschreiben:
Das Gefühl, den Frommen gegenüber -
denen, die genau wissen, was und wie man zu glauben hat -
nicht ebenbürtig zu sein.
Wer sich in seinem Glauben unsicher fühlt,
traut sich dann oft auch nicht,
mit seinem scheinbar kleinen Glauben Gott unter die Augen zu treten.
 
Indem Jesus dem Pharisäer ausgerechnet den Zöllner gegenüberstellt -
das Gegenteil eines frommen und gottesfürchtigen Menschen -
und von ihm sagt, dass Gott ihm vergeben hat,
will er uns diese Angst nehmen,
unser Glaube sei zu klein, sei nicht ausreichend,
um damit Gott unter die Augen treten zu können.
 
Jesus möchte denen,
die an ihrer Gerechtigkeit und ihrem Glauben zweifeln,
etwas vom Selbstbewusstsein des Pharisäers abgeben.
Wir dürfen Gott gerade und aufrecht gegenübertreten,
denn wir sind Gott recht mit unserem kleinen Glauben
und mit unseren großen Zweifeln.
 
Unser Glaube ist nicht zu wenig,
er ist Gott recht so, wie er ist.
Wenn wir Gott um Vergebung bitten
und auf seine Liebe und Barmherzigkeit hoffen,
wird Gott uns erhören,
wie er auch den Zöllner erhört hat.
 
Amen.