Samstag, 31. Oktober 2020

umkehren, um zu bleiben

Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis, 1.11.2020, über Jeremia 29:
 
Das ist der Wortlaut des Briefes,
den der Prophet Jeremia aus Jerusalem schickte
an das ganze Volk, das Nebukadnezar aus Jerusalem
nach Babel weggeführt hatte:
 
So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels,
zu allen, die ich von Jerusalem nach Babel deportiert habe:
Baut Häuser und wohnt in ihnen.
Pflanzt Gärten und esst ihre Früchte.
Sucht Wohlergehen für die Stadt,
in die ich euch deportiert habe,
und betet für sie zu Gott,
denn ihr Wohlergehen wird euer Wohlergehen sein.
 
Denn so spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels:
Die Propheten, die unter euch sind und wahrsagen,
sollen euch nicht täuschen,
und ihr sollt nicht auf ihre Träume hören,
die ihr sie träumen lasst.
Denn sie prophezeien euch Lüge in meinem Namen,
ich habe sie nicht gesandt, spricht der Herr.
 
 
„Baut Häuser und wohnt in ihnen.
Pflanzt Gärten und esst ihre Früchte.”

 
Liebe Schwestern und Brüder,
 
wer ein Haus baut, einen Garten anlegt,
hat vor, zu bleiben.
Der will nicht gleich wieder aufbrechen,
sondern träumt davon,
als Rentner*in auf einer Bank hinterm Haus zu sitzen
und den Enkelkindern beim Spielen zuzusehen.
 
Jeremia rät den nach Babel Deportierten,
sich einzurichten auf lange Zeit
und sich einzulassen auf das fremde Land.
Mit diesem Ratschlag steht er aber offenbar allein da.
Es gibt andere Propheten,
die den Deportierten Hoffnung machen,
dass der Spuk bald vorbei sein wird
und sie bald nach Hause zurückkehren können.
Sinnlos, sich in der Fremde einzurichten
und sich um ein gutes Miteinander mit den Feinden zu bemühen.
 
Auch heute gibt es Propheten,
die Corona für eine Hysterie halten
und die Corona-Maßnahmen für völlig übertrieben,
weil sie die Freiheit einschränken
und die Wirtschaft ruinieren.
Sie nennen Berichte über schlimme Folgen einer Corona-Infektion
und die Zahlen der im Zusammenhang mit Corona Gestorbenen „fake-news”
und warnen vor der „Lügenpresse”, die uns manipulieren will.
 
Die Deportierten damals waren verunsichert,
und wir heute sind es auch:
Wem darf, wem soll man trauen?
Denen, die sagen, dass alles nicht so schlimm ist
und dass alles wieder so gut wird, wie es früher nie war?
Oder denen, die uns auf eine lange Zeit  
mit belastenden Einschränkungen einschwören?
 
Ich denke, wir hätten es alle lieber,
wenn wir die Uhr zurückdrehen könnten zu der Zeit vor Corona.
Wenn wir wieder so unbeschwert leben könnten,
wie wir es bis dahin gewohnt waren.
Sicher, auch damals lebten nicht alle so unbeschwert -
Langzeitarbeitslose, die niemand brauchen konnte;
Flüchtlinge, die Haus und Heimat verloren hatten
und hier Misstrauen und Ablehnung erlebten;
Schüler*innen, die aus Sorge um die Zukunft des Planeten
jeden Freitag demonstrierten.
Aber es waren vergleichsweise Wenige,
die sich Sorgen machten und belastet waren.
Heute sind es so gut wie alle.
 
Woran also erkennt man sie, die wahren Propheten?
Man erkennt sie daran,  
dass sie nie von der „guten, alten Zeit” schwärmen.
Nie verklären, was niemals so gut war,
wie es erinnert und dargestellt wird.
Wenn die wahren Propheten im Namen Gottes sprechen,
geht es immer um Veränderung.
Um Umkehr - nicht zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens -,
sondern eine Änderung des Lebens,
eine Änderung der Werte und Gewohnheiten.
 
Die wahren Propheten zeigen auch nicht auf andere -
auf die Ausländer, auf die Politiker
oder auf eine ominöse Verschwörergruppe.
Sie zeigen immer auf sich selbst - und damit auf uns.
Nicht andere müssen sich ändern,
nicht andere müssen umkehren:
Wir müssen es tun.
 
Dass wir umkehren müssen, wissen wir schon lange.
Wir wissen, dass es nicht sein darf,
dass Menschen im Mittelmeer ertrinken,
weil wir hier keine Fremden haben wollen;
dass es nicht sein darf,
dass wir die Lebensgrundlage unzähliger Menschen
und unsere eigene Umwelt zerstören,
damit es freie Fahrt für freie Bürger gibt;
dass Kinder für einen Hungerlohn arbeiten müssen,
statt zur Schule zu gehen und Kind sein zu dürfen,
damit unsere Kleidung so schön preiswert bleibt.
 
Wir wissen, dass wir umkehren müssen.
Aber wir tun es nicht.  
Wir sind zu bequem.
Es ist doch noch immer gut gegangen.
Es ist uns doch so gut gegangen.
Jetzt, wo auch wir betroffen sind,
wo es auch uns schlecht ergeht,
erfahren wir am eigenen Leib,
wie es anderen Menschen schon die ganze Zeit ergangen ist.
Die Corona-Pandemie, so belastend und lästig und schwer sie ist,
kann uns etwas lehren.
Sie kann uns Mitgefühl mit anderen lehren.
Und die Einsicht, dass andere ebenso gern  
ihrer belastenden Situation entkommen möchten wie wir.
 
An Corona können wir nichts ändern.
Aber wir können uns ändern.
Wir können uns zurückhalten und einschränken,
so schwer uns das auch fällt,
und dadurch andere schützen.
Und wir können unser Verhalten ändern -
was und wo wir einkaufen,
wie wir reisen,
wie wir uns Fremden gegenüber verhalten.
 
Wer ein Haus baut, einen Garten anlegt,
hat vor, zu bleiben.
Damit unser Garten gedeiht,
müssen wir unser Klima retten.
Damit wir in unserem Haus glücklich werden,
müssen wir lernen, gute Nachbarn zu sein
und das Wohlergehen derer zu sichen,
mit denen wir zusammenleben.
Denn ihr Wohlergehen wird unser Wohlergehen sein.
 
Amen.