Predigt am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, Volkstrauertag, 15. November 2020, über Lukas 16,1-8:
Jesus sprach zu den Jüngern:
Es war ein reicher Mann, der hatte einen Manager.
Diesen bezichtigte man bei ihm, er verschwende sein Vermögen.
Er rief ihn herbei und sprach zu ihm:
Was hat es mit dem auf sich, was ich über dich höre?
Lege Rechenschaft ab über deine Buchführung,
denn du kannst nicht mehr mein Manager sein.
Der Manager sagte sich:
Was soll ich machen, wenn der Herr mir die Verwaltung wegnimmt?
Mit den Händen arbeiten kann ich nicht,
zu betteln schäme ich mich.
Ich weiß, was ich tue,
damit sie mich gastlich in ihren Häusern aufnehmen,
wenn ich von der Verwaltung abgesetzt bin!
Und er bestellte jeden einzelnen Schuldner des Herrn zu sich.
Zu dem erstem sprach er:
Wieviel schuldest du meinem Herrn?
Er antwortete: Hundert Bat Öl.
Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein,
setz dich gleich hin und schreibe: Fünfzig.
Dann fragte er einen anderen:
Du, wieviel schuldest du?
Er antwortete: Hundert Kor Weizen.
Sagt er zu ihm:
Nimm deinen Schuldschein und schreibe: Achtzig.
Jesus lobte den ungerechten Manager, weil er klug gehandelt hatte:
Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen
klüger als die Kinder des Lichts.
Liebe Schwestern und Brüder,
eine unerhörte Geschichte!
Nicht, dass man so etwas in der Art nicht schon gehört oder gelesen hätte
oder sogar aus eigener Erfahrung kennen würde,
denn „die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen
klüger als die Kinder des Lichts”.
Aber es ist schon ein starkes Stück,
dass die Geschichte eines Betrügers in der Bibel steht.
Eines Betrügers, der, als sein Betrug auffliegt,
sogar dann noch einmal, oder: _gerade_ dann noch einmal
einen letzten, großen Betrug begeht.
Aber geradezu unerhört ist es,
dass Jesus diesen Betrüger ausdrücklich lobt
und ihn uns als Vorbild hinstellt.
Offensichtlich will die Geschichte provozieren.
Und offensichtlich sollen wir uns nicht am betrügerischen Verhalten
des Managers ein Beispiel nehmen.
Aber woran dann?
Wie kann uns ein Betrüger ein Vorbild sein?
Um das zu verstehen,
müssen wir uns den Zusammenhang ansehen,
in dem wir diese Geschichte erleben:
Wir befinden uns am Ende des Kirchenjahres.
An diesen letzten Sonntagen schauen wir auf das Ende
- das Ende des Lebens, und was danach kommt.
Heute geht es um das Jüngste Gericht,
um den Satz des Glaubensbekenntnis, in dem es heißt:
„von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten”.
Wir haben im Evangelium gehört,
wie man sich dieses Gericht vorstellen muss (Matthäus 25,31-46).
Aber dieses Jüngste Gericht,
wie Matthäus es beschreibt,
findet nicht erst am Ende der Zeiten statt.
Denn in der Situation,
dass wir Menschen helfen oder ihnen nicht helfen,
in dieser Situation stehen wir jeden Tag aufs Neue.
Und darum gilt uns jeden Tag aufs Neue der Satz Jesu:
„Was ihr getan habt
einem von diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern,
das habt ihr mir getan” (Matthäus 25,40).
„Jetzt ist die Zeit.
Jetzt ist die Stunde.
Heute wird getan oder auch vertan,
worauf es ankommt, wenn er kommt” (Alois Albrecht).
Das Jüngste Gericht findet tagtäglich statt.
In jeder Entscheidung, die wir treffen,
in allem, was wir tun oder unterlassen,
müssen wir uns Jesus gegenüber verantworten.
Der heutige Volkstrauertag erinnert uns daran,
wie wichtig es ist, das immer vor Augen zu haben.
Die Schrecken und Gräuel des Krieges,
dieses unzählbare, unvorstellbare Morden,
konnte geschehen,
weil Menschen vergaßen oder nicht wahrhaben wollten,
dass ihnen in ihrem angeblichen Feind
Jesus selbst gegenüberstand.
Jesus, der uns lehrt:
„Liebt eure Feinde” (Matthäus 5,44).
Das Jüngste Gericht findet tagtäglich statt.
Täglich müssen wir uns vor Jesus verantworten.
Auch der Manager muss sich vor seinem Herrn verantworten.
Es wird alles herauskommen,
was er heimlich unterschlagen und veruntreut hat.
Darum trifft er Vorkehrungen.
Er gerät nicht in Panik,
sondern begeht kaltblütig
und in beispielloser Dreistigkeit
seinen letzten, großen Betrug,
um dadurch seine Zukunft zu sichern.
Jesus lobt den Manager nicht wegen des Betruges.
Er lobt ihn wegen seiner Umsicht:
Dass er nicht in Panik gerät,
sondern angesichts des bevorstehenden Gerichtes
alle Anstrengungen unternimmt,
um der Katastrophe zu entgehen.
Was Jesus von uns möchte, ist,
dass wir uns anstrengen wie der Manager.
Dass wir so klug, so erfindungsreich wie er werden,
wenn es darum geht,
im Menschen, der uns begegnet,
unseren Herrn und Bruder zu erkennen.
Andere reden uns ein, dass es Unterschiede gibt.
Dass man unterscheiden muss
zwischen dem eigenen Fleisch und Blut und den anderen,
zwischen Einheimischen und Zugezogenen,
zwischen Deutschen und Ausländern,
Freund und Feind.
Aber Jesus macht keinen Unterschied.
Jesus tritt uns in allen Menschen gegenüber.
Beim Jüngsten Gericht wird aufgedeckt,
in welchen Menschen Jesus uns gegenübertrat
und in welchen wir Jesus nicht erkannt haben
- nicht erkennen wollten.
„Jetzt ist die Zeit.
Jetzt ist die Stunde.
Heute wird getan oder auch vertan,
worauf es ankommt, wenn er kommt”.
Jeden Tag, jeden Augenblick stehen wir vor der Entscheidung,
wie wir uns verhalten,
wo wir stehen,
wer wir sind:
Kinder des Lichts
oder Kinder der Welt.
Es gibt keine Pause,
keinen Erlass dieser Entscheidung.
Aber so, wie jeden Tag, jeden Augenblick das Gericht stattfindet,
werden wir auch jeden Tag, jeden Augenblick frei gesprochen.
Gott vergibt uns, jeden Tag aufs Neue.
Das Gericht zeigt uns unerbittlich, wo wir stehen.
Aber der Richter ist nicht unerbittlich.
Er ist gnädig und barmherzig
und vergibt uns,
damit auch wir barmherzig sein können.
Amen.