Ansprache zum Buss- und Bettag, 18.11.2020, über Jesaja 1,10-17
Liebe Schwestern und Brüder,
der Altar, vor dem wir stehen,
ist ein Opfertisch.
In früheren Zeiten wurde
auf einem solchen Tisch aus Stein
Holz aufgeschichtet und angezündet
und in der Glut Fett verbrannt.
Das roch wie bei einer Grillparty,
auch im Jerusalemer Tempel.
Ein lieblicher Geruch für den,
der Fleisch mag.
Mit diesem lieblichen Geruch
sollte Gott erfreut werden;
indem man etwas vom Besten gab,
sollte Gott ein Geschenk gemacht werden -
kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.
Opfer machen auch etwas wieder gut.
Wir kennen das aus unserem Alltag:
wer falsch parkt,
wer zu schnell fährt,
muss zahlen.
Ein Opfer - meistens zu verschmerzen -,
das man für seinen Fehler bringen muss.
Damit ist die Sache erledigt.
Das ist das Prinzip des Opfers:
Keine Gabe ohne Gegengabe.
Will man etwas haben,
muss man dafür etwas geben.
Es ist ein Grundprinzip unserer Gesellschaft.
Ich helfe dir,
und später hilfst du mir
- so funktioniert Nachbarschaft.
Ich zahle heute in die Rentenkasse ein,
und später zahlen andere in die Rentenkasse ein
- so funktioniert die Altersversorgung.
Ich tue dir einen Gefallen,
und später tust du mir einen Gefallen
- so funktionieren Beziehungen,
so arbeiten Netzwerke,
und auch die Mafia:
Man gibt etwas,
um später etwas zu bekommen,
um etwas gut zu haben,
um einen Gefallen einfordern zu können.
Dieses Prinzip,
so grundlegend es für unsere Gesellschaft ist,
bei Gott funktioniert es nicht:
„Was soll ich mit euren vielen Schlachtopfern?”, spricht der Herr.
„Die Brandopfer von Widdern
und das Fett der Mastkälber habe ich satt”.
Gott durchbricht den Kreislauf des Opferns,
das Geben um der Gegengabe willen.
Gott schenkt uns Leben, Licht und Liebe,
Vergebung, Hoffnung und Sinn
gratis, umsonst, sola gratia,
ohne dafür von uns eine Gegenleistung zu erwarten.
Und Gott möchte,
dass auch wir lernen, zu geben,
ohne dafür etwas haben zu wollen:
„Lernt Gutes tun!”
Das Gute wird nicht getan,
weil man dafür etwas bekommt -
nicht einmal ein Fleißbienchen in „Betragen” -,
sondern weil es das Gute ist.
So, wie wir am Strand eine Muschel aufsammeln,
beim Spaziergang eine Blüte pflücken:
weil sie schön ist.
Muschel und Blüte
und all die Dinge, die uns umgeben
lieben wir nicht, weil sie wertvoll sind,
sondern weil wir sie schön finden.
Wir lieben sie um ihrer selbst willen.
Das Gute soll um seiner selbst willen getan werden.
Denn so liebt uns Gott,
ohne etwas dafür zu erwarten,
um unserer selbst willen.
Darum weist er uns an die Schwachen,
an Witwen und Waisen.
Sie haben nichts,
womit sie uns vergelten könnten.
Bei Gott gilt ein anderes Prinzip
als in den Netzwerken, die unsere Gesellschaft durchziehen
und für die Recht und Regeln oft keine Rolle spielen,
weil man mit Beziehungen besser und schneller zum Ziel kommt,
durch den Gefallen, den andere einem schulden.
Gottes Prinzip ist das der Güte,
der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit,
der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit.
Wer sich um Wahrheit und Recht - um das Gute - bemüht,
landet unweigerlich bei denen,
denen sie vorenthalten werden,
bei den Schwachen.
So lernt man Barmherzigkeit zu üben.
Die Barmherzigkeit,
mit der Gott an uns handelt,
weil er uns liebt, wie wir sind:
um unserer selbst willen.
Amen.