Gedanken zum Predigttext am 1.Sonntag nach dem Christfest, Lukas 2,22-40
Liebe Schwestern und Brüder,
Weihnachten ist ein Fest für alle Sinne. Und was können sie an Weihnachten nicht alles erspüren! Die Nase erfreut sich an Back- und Bratendüften. Die Zunge bekommt leckeres Essen, Christstollen und Lebkuchen zu schmecken. Wir hören Weihnachtslieder und das Knistern von Geschenkpapier. Wir versuchen zu ertasten, welches Geschenk sich unter dem Papier verbirgt.
Doch am meisten gibt es an Weihnachten wohl zu sehen: Tannenbaum und Kerzenglanz, das Leuchten in den Augen der Kinder wie der Erwachsenen, und das Kind in der Krippe.
Darum lesen wir heute die Geschichte von Simeon, der sehnsüchtig darauf wartete, den Messias zu sehen, den Trost Israels, und der ihn in dem Kind erkannte, das Maria und Josef in den Tempel brachten: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen”.
Simeon ist glücklich darüber, dass er das Kommen dessen erleben durfte, der angekündigt war vor langer Zeit. Aber anders, als die Propheten es ausmalten, bringt er nicht das Jüngste Gericht und das Reich Gottes - jedenfalls nicht so, wie es die Propheten erwarteten, als Revolution, als Umwälzung und Erneuerung der Welt. Die Welt wird nicht erschüttert, sie nimmt nicht einmal Notiz von der Geburt des Erlösers. Nur ein alter Mann und eine hochbetagte Frau sehen das Kind als das, was es ist.
Warum kommt Gott so heimlich auf die Welt? Warum hängt er nicht an die große Glocke, dass er Mensch geworden ist? Warum erscheinen die Engel nur ein paar Hirten auf freiem Feld, abseits aller Zivilisation, statt mitten in der Stadt aufzutreten, wo alle sie sehen können?
Wenn Gott sein Kommen in die Welt so verbirgt, muss man sich anstrengen, ihn zu finden. Man muss ihn suchen. Ihn ersehnen, wie der alte Simeon. Sich um ihn bemühen, wie Hannah es ihr Leben lang tat.
Als Gott auf die Welt kam, wurde diese Welt nicht mit einem Schlag zum Paradies. Sie blieb so, wie sie ist: So schön, und zugleich so voller Leiden und Leid. In dieser Welt, in diesem Leben können wir Gott nicht so sehen, wie Simeon den Heiland sah. Wir sehen Gott nur wie durch einen blinden Spiegel: Unsicher, ob das, was wir da sehen, wirklich Gott ist, oder nur eine Täuschung, eine Einbildung von uns.
Gott bleibt für uns verborgen. Darum bleibt auch verborgen, wo und wie Gott uns leitet und begleitet, uns unterstützt und trägt. Gott ist da; wir sind im Leben nicht allein, nicht auf uns allein gestellt. Wir können aber auch nicht davon ausgehen, dass Gott für uns alle Steine aus dem Weg räumt, alle Probleme löst. Gott nimmt uns unser Leben nicht ab. Gott nimmt uns auch die Verantwortung für unser Leben, für unsere Mitmenschen und für diese Welt nicht ab. Dafür gibt er uns die Kraft, die Ausdauer und die Ideen, das Leben zu bestehen und diese Welt ein wenig besser zu machen - für uns, und für andere.
Kraft, Ausdauer und Ideen finden wir, wenn wir uns auf die Suche nach Gott machen. Bei dieser Suche stoßen wir immer wieder auf seine Spuren. Wir begegnen dem Kind in der Krippe, wenn wir es am wenigsten erwarten. Und wenn wir auch nicht mit Simeon sagen: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen”, so dürfen wir doch sicher sein, dass Gott immer an unserer Seite ist und bleibt. Und dass er sich von uns finden lässt, wenn wir ihn suchen.