Predigt am 6. Dezember, Nikolaustag, über Jesaja 61,1-2+10:
Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir,
weil der Herr mich gesalbt hat.
Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen,
die zerbrochenen Herzen zu verbinden,
zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit,
den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen;
zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn
und einen Tag der Rache unsres Gottes,
zu trösten alle Trauernden.
Ich freue mich im Herrn,
und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott;
denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen
und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet,
wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert
und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.
Liebe Schwestern und Brüder,
es sind zwar noch ein paar Wochen hin bis Silvester,
aber schon werden Jahresrückblicke gezogen.
Offenbar kann das Jahr 2020 nicht schnell genug zu Ende gehen.
Denn darin sind sich alle einig:
Dieses Jahr konnte man komplett vergessen.
Es hat uns mit Corona nur Schwierigkeiten und Probleme gebracht.
Eine eigenartige Vorstellung, wenn man’s recht bedenkt,
dass ein Jahr etwas Gutes oder Schlechtes bringt.
So, als wäre ein Jahr eine Person,
die uns Gutes tun oder schaden will.
Dabei ist ein Jahr nur eine willkürlich gewählte Zeiteinheit,
die in grauer Vorzeit eingeführt wurde,
um dem Alltag eine Struktur zu geben
und Geschichte schreiben zu können.
Trotzdem hält sich hartnäckig die Vorstellung,
dass ein Jahr Gutes oder Schlechtes bringt,
und dass wir erleiden müssen, was es bringt.
So, wie der Nikolaus Geschenke bringt - oder die Rute.
Natürlich bringt er uns und unseren Kindern nur Geschenke.
Die Rute hat er vor langer Zeit schon zuhause gelassen -
zum Glück!
Übrigens ist der Nikolaus identisch mit dem Weihnachtsmann,
weshalb der Weihnachtsmann einen bischöflich roten Mantel trägt.
Coca Cola hat den Nikolaus zum Weihnachtsmann gemacht.
Bis dahin brachte und das Christkind die Geschenke.
Martin Luther wollte nicht, dass ein Heiliger,
und sei es der Heilige Nikolaus,
eine so wichtige Rolle als Geschenkebringer spielen sollte.
Darum hat er ihn arbeitslos gemacht -
bis eine Brausefirma ihn wieder eingestellt hat.
Als Kind durchschaut man irgendwann,
dass weder Christkind noch Nikolaus die Geschenke bringen,
sondern die Eltern und Großeltern.
Weshalb man sich dann mit seinen Wünschen direkt an sie wendet.
Und als Erwachsene?
Als Erwachsene genießt man es,
den Kindern, der Partnerin oder dem Partner,
den Menschen, die man liebt,
eine Freude machen zu können.
Da sind wir wie der Heilige Nikolaus,
der sich bei seinen guten Taten nicht erwischen lassen wollte
und der beim Geben seine Linke nicht wissen ließ,
was seine Rechte tat.
Als Erwachsene wissen wir,
dass Geschenke, dass Gutes nur kommen,
wenn wir dafür sorgen.
Hätten wir vor dem Nikolaustag nicht eingekauft oder gebacken,
wären die geputzten Schuhe heute morgen leer geblieben.
Trotzdem warten auch wir darauf,
dass uns etwas Gutes widerfährt.
Dass Corona „irgendwie” verschwindet,
die Klimaerwärmung, und all die anderen Probleme unserer Welt.
Dass sich „jemand” um all das kümmert,
am besten um alles auf einmal,
und am besten sofort,
wie wir darauf warten,
dass zuhause mal „jemand” aufräumt,
die Wäsche macht oder den Müll rausbringt.
Wir warten darauf, dass „jemand” etwas tut,
und sehen unseren Beitrag darin,
sozusagen die geputzten Schuhe herauszustellen:
Indem wir uns beschweren und benennen, was wir schlecht finden,
und das ins Internet schreiben.
Indem wir eine Kerze als Hoffnungslicht anzünden.
Indem wir eine Petition unterzeichnen,
oder für einen guten Zweck spenden.
Ich will das alles nicht schlecht reden.
Aber, wenn man ehrlich zu sich selbst ist,
steht hinter all dem die Überzeugung,
dass ANDERE sich kümmern sollen.
Man selbst hat seinen Beitrag ja schon geleistet.
Es ist schön, ein Hoffnungslicht anzuzünden.
Es kann Trost spenden, wenn man im Dunkeln
hinter einem Fenster eine Kerze leuchten sieht.
Aber man wird davon nicht satt,
und warm wird einem davon auch nicht.
„Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir,
weil der Herr mich gesalbt hat” -
das ist nicht nur den professionellen Helferinnen und Helfern gesagt.
Mit unserer Taufe haben wir alle Gottes Geist erhalten.
Wir alle sind dazu berufen,
den Elenden gute Botschaft zu bringen,
die zerbrochenen Herzen zu verbinden
und den Gefangenen die Freiheit zu verkündigen.
Wir alle sind zu Bischöfinnen und Bischöfen geweiht
wie Nikolaus von Myra,
um nicht nur am 6. Dezember,
sondern das ganze Jahr über
Hoffnung, Freundlichkeit und Wärme zu verbreiten.
Wir kennen das von der Hausarbeit:
der Jemand, der die Wäsche macht,
den Müll rausbringt oder aufräumt -
das sind wir.
Wer sollte es auch sonst tun?
Wir sind es, die diese Welt retten -
oder sie zumindest zu einem schöneren,
friedlicheren, lebenswerten Ort machen.
Es wird kein anderer, keine andere kommen,
die uns das abnimmt.
Das Jahr 2020 geht seinem Ende entgegen.
Es hat uns mit Corona eine Aufgabe gegeben,
die für alle sehr, sehr schwer ist
und für viele zu schwer.
Aber so, wie das Jahr 2020 nicht schuld an Corona ist,
so sind wir dieser Pandemie,
sind wir dem Klimawandel und den vielen anderen Problemen
nicht hilflos ausgeliefert.
Wir können etwas tun.
Dabei zählt nicht die Größe der Tat,
sondern der gute Wille.
Unser guter Wille, etwas zu tun
und nicht auf andere zu zeigen
oder zu warten, dass „jemand” etwas unternimmt.
Man muss auch nicht gleich zum Hammer,
zur Schippe oder Schubkarre greifen.
Ein Lächeln wirkt auch wunder,
wenn ich mich aufmache, jemanden zu besuchen;
die Nachfrage, wie es geht,
oder die liebevolle Aufmerksamkeit,
die man jemandem in den Schuh steckt.
Die Kraft dafür fließt uns vom Geist Gottes zu,
mit dem wir beschenkt sind
und der uns strahlen lässt,
sodass wir schön sind wie eine Braut,
stolz wie ein Bräutigam.
Wir sind schön,
und wir sind reich beschenkt.
Wenn wir allein das erkennen würden,
wäre die Welt schon ein besserer Ort.
Amen.