Samstag, 27. März 2021

Marathon

 Zum Predigttext für den Sonntag Palmarum, 28. März 2021, über Hebräer 11,1-12,3

„Lasst uns laufen mit Geduld in dem (Wett-)Kampf, der uns bestimmt ist.” (Hebr 12,1)

Der Wettlauf – ein Bild für das Leben. Wir sprechen vom „Lebenslauf”, wenn wir die Stationen unseres Lebens-Weges aufzählen. Anders als beim Wettlauf geht es beim Lebens-Lauf nicht darum, als erster anzukommen. Im Gegenteil: Alt wie ein Baum möchte man werden, möglichst viele Stationen des Lebensweges erleben und passieren. Das Leben ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Ausdauer braucht man dafür, und Geduld.
Beide, Ausdauer und Geduld, werden uns zur Zeit im Übermaß abverlangt. Ein Jahr schon schränken wir uns ein, verzichten auf Besuche und Begegnungen, auf Reisen, auf Feste, Feiern und Gottesdienste. Unser Geduldsfaden ist in diesem Jahr arg strapaziert worden und wurde dabei immer dünner. Manch eine*r fragt sich besorgt, wie lang diese Durststrecke wohl noch andauern, ob die Kraft für voraussichtlich weitere Monate der Einschränkungen reichen wird. Woher nimmt man Geduld und Ausdauer, nachdem man sie schon so lange Zeit bewähren musste?

Vielleicht müssen wir, bevor wir diese Frage beantworten können, unsere Vorstellung vom Leben überprüfen. Das Leben, das wir vor der Corona-Pandemie lebten, war eines in großer Sicherheit und Freiheit, mit Möglichkeiten, die allein von der Größe des Geldbeutels beschränkt zu sein schienen. Doch für viele von uns ist das Leben noch nie so gewesen: Menschen mit einer Behinderung oder einer chronischen Erankung mussten immer schon Einschränkungen hinnehmen und lernen, damit zu leben. Menschen ohne Arbeit, Menschen, die mit Sozialhife, Hartz-IV oder Mindestrente auskommen müssen, konnten immer schon den Ferienfliegern auf ihrem Weg in den Süden nur hinterher sehen. Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns geflohen sind, auch unsere Eltern oder Großeltern, erinnern sich nur zu gut an zerstörte Städte und die ständige Angst, die sie damals erlebten und die sie bis heute mit Alpträumen verfolgt.
Wir erleiden seit einem Jahr, was manche Menschen ein Leben lang tragen und ertragen müssen. Das soll nicht heißen, dass es nicht schwer, mühsam und belastend wäre, oder dass wir keinen Grund zu klagen hätten. Es soll vielmehr heißen, dass wir uns bisher über das Leben Illusionen gemacht haben: Das Leben ist nicht so leicht und unbeschwert, wie viele von uns es führen durften.

Deshalb ist der Glaube so wichtig. Der Glaube als ein Vertrauen auf Gott, den man nicht sieht. Als ein Vertrauen auf eine Zukunft, die man nicht sehen kann, weil sie erst noch kommt und nur verborgen schon da ist. In diesem Vertrauen baut Noah die Arche mitten auf dem Land. In diesem Vertrauen verlässt Abraham seine Heimat, um als Fremdling im Land der Verheißung zu leben. In diesem Vertrauen wird Sarah in hohem Alter schwanger; hilft Rahab den israelitischen Kundschaftern in Jericho.
In diesem Vertrauen ging Jesus den Weg ans Kreuz. Er riskierte alles, sogar die tiefste Verlassenheit: die Gottverlassenheit. Er wurde nicht enttäuscht.
Folgen wir dem Vorbild der vielen Glaubenszeug*innen, die uns wie eine Wolke umgeben, folgen wir den Fußspuren Jesu, finden wir den Mut und die Kraft zu Ausdauer und Geduld.
Wir werden erfahren, dass wir durch Christus Freude in allem Leide erleben (EG Nr. 398).
Und dass es Ostern wird, auch dieses Jahr.